Verkehrssektor buhlt um Corona-Hilfen – Haushaltspolitiker sprechen von „Vapiano-Effekt“
Die Verkehrsbranche erhöht den Druck in Berlin und Brüssel, um mit staatlicher Hilfe aus der Krise zu kommen. Wird dadurch nur Missmanagement der Vergangenheit kaschiert?
Die Überschrift zu Tagesordnungspunkt eins hätte deutlicher nicht sein können. „ÖPNV-Rettungsschirm“ lautete die gefettete Zeile, über die die Landesverkehrsminister auf ihrer außerordentlichen Konferenz gemeinsam mit dem Bundesminister Andreas Scheuer (CSU) am Donnerstagnachmittag via Telefonkonferenz diskutierten. Zentraler Satz der Runde: „Die Verkehrsministerkonferenz fordert den Bund auf, die durch die Covid-19-Pandemie verursachte Kostenunterdeckung durch die Errichtung eines ÖPNV-Rettungsschirms auszugleichen.“ Die Minister beschlossen einstimmig.
Zwar sind die Länder für den Nahverkehr zuständig und damit auch für deren Probleme, worauf etwa Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) verweist. Doch hat es sich in der Coronakrise und der auffällig großzügigen Hilfsprogramme des Bundes eingebürgert, in Berlin um Hilfe zu bitten, wenn es nicht mehr läuft.
Vor allem ist es auch ein Wettlauf um die Milliarden des Bundes, um die alle möglichen Branchen und nahezu der gesamte Verkehrssektor buhlen: Die Deckung dieses Defizits sei „eine gemeinschaftliche öffentliche Aufgabe“ und bedürfe „zusätzlicher Finanzierungsmittel“, stellte die Vorsitzende der Konferenz, Saarlands Ressortchefin Anke Rehlinger (SPD), klar. Es reiche nicht, der Deutschen Bahn mit einer Kapitalerhöhung zu helfen. „Das führt nur zu einer Marktverzerrung zulasten anderer Unternehmen. Der Bund muss sich für den gesamten ÖPNV einsetzen“, sagte Rehlinger.
Der Kollege aus Schleswig-Holstein, Bernd Buchholz (FDP), fügte hinzu: „Die Bus- und Bahnunternehmen haben den Verkehr auch während der Ausgangsbeschränkungen sichergestellt. Wir brauchen diese Unternehmen auch nach der Krise, um den öffentlichen Nahverkehr im Land aufrechtzuerhalten und die Verkehrswende gemeinsam voranzubringen.“
Vergangene Woche hatte sich bereits der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gewandt und darum gebeten, „einen gemeinsamen Rettungsschirm von Bund und Ländern zu beschließen“. Die Sorge vor Infektionen, das Kontaktverbot und die verstärkte Nutzung von Home Office werde sich „weiterhin und nachhaltig negativ auf die Nachfrage auswirken“, heißt es in dem Brief, der dem Handelsblatt vorliegt. „Diese Ausfälle sind durch die Unternehmen und die Kommunen nicht zu kompensieren.“ Bislang aber gab es in Berlin wenig Bereitschaft, einzuspringen.
Ähnlich wie die kommunalen Verkehrsbetriebe argumentiert die private Busbranche, deren Geschäft nicht nur vor Ort, sondern auch im Fernverkehr zum Erliegen gekommen ist. „Unsere Geduld ist am Ende! Wann wird endlich wirklich gehandelt und etwas für uns getan?“, schimpfte der Omnibusverband in einem Brief an die Kanzlerin.
Mobilitätsbranche schreibt an von der Leyen
Am Mittwoch dann – bevor die Branche in Berlin vorfuhr und demonstrierte – erklärte Minister Scheuer, er habe zumindest ein Konzept über Hilfen in Höhe von 170 Millionen Euro an den Finanzminister übermittelt. Dieselbe Summe verlangen im Übrigen die deutschen Flughäfen von Bund und Ländern, da sie weiterhin den Betrieb sicherstellen, obwohl kaum noch Flugzeuge abheben und landen.
Der politische Druck via Brief endet in diesen Tagen nicht in Berlin. Die Mobilitätsbranche, organisiert im Deutschen Verkehrsforum, hat sich inzwischen an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gewandt. Sie verlangt einen umfassenden „europäischen Erholungsplan“, mit dem Investitionen in die Infrastruktur „erhöht werden“ und „Hemmnisse bei der Planung und Realisierung von Projekten“ abgebaut werden sollen. „Auf eine weitere Verschärfung der Klimaziele 2030“ soll indes verzichtet werden. Dies hatte von der Leyen vorgeschlagen und die Unterstützung der Kanzlerin erhalten.
„Die Mobilitätswende bringt jedoch bereits in wirtschaftlich normalen Zeiten die Unternehmen vielfach an die Grenzen ihrer Wettbewerbsfähigkeit“, warnt Präsident Raimund Klinkner in dem Brief, der dem Handelsblatt vorliegt. Um die Ziele zu erreichen, sei „eine solide wirtschaftliche Basis“ nötig. Deshalb solle auch das europäische Kartellrecht künftig „sinnvolle Fusionen europäischer Unternehmen, die im globalen Wettbewerb stehen, ermöglichen“. Obendrein soll eine „europäische Industriepolitik“ den Zugang zu Rohstoffen aus Drittländern sicherstellen, die etwa für die Wasserstofftechnologie nötig ist oder auch Standards harmonisieren und für eine EU-weite Tank- und Ladeinfrastruktur sorgen.
Mitglied des Forums sind auch die zwei Transportriesen Deutsche Lufthansa – die Staatshilfen von neun Milliarden Euro benötigt – und die Deutsche Bahn AG. Während bei der Lufthansa die Verhandlungen über die Art der Beteiligung des Staates auf der Zielgeraden ist, stellt sich die Frage bei dem zu 100 Prozent in staatlicher Hand befindlichen Eisenbahnunternehmen nicht.
Aufsichtsrat der Bahn tagt
Indes hat Bahnchef Lutz seinen Eigentümer bereits auf eine lange Phase der Erholung eingestellt. So werde sich der Personenverkehr nicht vor 2022 erholen. Und das, obwohl die Bahn der große Profiteur des Klimaschutzpakets der Regierung war und die Fahrgastzahlen gestiegen waren, nachdem die Mehrwertsteuer auf die Tickets halbiert worden war. Der Verkehr sei im April aber um 90 Prozent im Fern- und 80 Prozent im Regionalverkehr eingebrochen, gab die Bahn zu verstehen.
An diesem Freitag tagt der Aufsichtsrat. Insider stellen die Frage, wie viel Anteil die Coronakrise wirklich an der Misere der Bahn hat. Haushaltspolitiker im Bundestag etwa reden schon vom „Vapiano-Effekt“: Missmanagement der Vergangenheit werde als Folge der Coronakrise kaschiert. Schließlich befinde sich die Bahn seit langem in Schieflage, ohne das grundlegend umgesteuert werde.
So zweifeln Experten der Bahn an, dass sich überhaupt valide Aussagen über die Geschäftsentwicklung bis 2024 treffen lassen. Doch genau auf diesen Prognosen leitet die Bahn mögliche Schäden von bis zu 13,5 Milliarden Euro ab. Auch wird etwa angezweifelt, dass die Bahn-Auslandstochter Arriva das Ergebnis tatsächlich mit 700 Millionen Euro belasten wird, obwohl doch die Regierungen auf den Auslandsmärkten bereits mit Hilfsprogrammen eingesprungen sind. Wie es hieß, gibt es im Aufsichtsrat vor allem zu Arriva intensive und kritische Debatten.
Zwar will die Bahn selbst bei den Sach- und Personalkosten gut fünf Milliarden einsparen, fordert im Gegenzug aber eben so viel Geld vom Bund. So plant die Bundesregierung, bereits in den nächsten Wochen 4,5 Milliarden Euro bereit zu stellen und weitere Mittel zum Jahresende. Auch soll die Verschuldungsgrenze von 20 Milliarden Euro offiziell fallen, die die Bahn bereits selbst gerissen hatte.
EU-Kommission muss Bahn-Beihilfen genehmigen
Dabei hatte die Bahn mit dem Klimaschutzprogramm bereits elf Milliarden Euro zugesagt bekommen, die Hälfte als Eigenkapital, die andere Hälfte als Baukostenzuschüsse. Nun vergrößert sich der Schattenhaushalt der Bahn weiter. „Die Bahn muss sich eingestehen, dass sie selbst in guten Zeiten schlecht gewirtschaftet hat“, kritisiert ein Insider.
Da die Staatsbahn einmal mehr damit rechnen kann, dass der Eigentümer einspringt, warnen die Wettbewerbsbahnen davor, den Markt weiter zu verzerren. Sie verlangen daher ebenfalls Hilfen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen fordert einen „Stabilisierungsfonds im Umfang von 422 Millionen Euro“ und darüber hinaus ein „Investitionsförderprogramm für einen nachhaltigen Gütertransport“ in Höhe von 550 Millionen Euro.
Grundsätzlich sollten für jede finanzielle Unterstützung der DB Cargo in gleicher Höhe auch die Wettbewerbsbahnen unterstützt werden, die bereits mehr als die Hälfte der Güter auf der Schiene transportieren. Verkehrsminister Scheuer ließ erklären, er verstehe die Bedenken der Wettbewerber. Der Wettbewerb dürfe nicht verzerrt werden. „Dafür wird die EU-Kommission schon sorgen“, erklärte er.
Die Kommission muss Beihilfen genehmigen. Und sie wird genau prüfen, welche Schäden wirklich unverschuldet durch die Coronakrise entstanden ist und welche nicht. So zumindest hat es Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager erst kürzlich klar gestellt: Regierungen dürften nur Unternehmen stützen, die erst durch die Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind.