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Verhaltensökonom Ockenfels: „Der Staat muss bei Impfstoffentwicklung steuernd eingreifen“

Algorithmen könnten zu einer fairen Verteilung von Corona-Wirkstoffen beitragen, sagt Axel Ockenfels. Zudem brauche es künftig mehr internationale Zusammenarbeit.

Der Marktmechanismus schafft es in der Corona-Pandemie nicht, mögliche Impfstoffe dorthin zu leiten, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Darauf weist der Kölner Verhaltensökonom Axel Ockenfels hin. „In Notlagen kann es ethische und ökonomische Gründe geben, die Endnachfrager vor großen Preisschocks zu schützen“, sagt Ockenfels im Interview mit dem Handelsblatt.

Er schlägt deshalb vor, die Impfstoffe unter Aufsicht des Staates mithilfe von Algorithmen zu verteilen. Damit ließe sich auch das Horten von Impfstoffen vermeiden. „Die Koordination muss aber noch darüber hinausgehen, wenn in Notlagen der klassische Preismechanismus aussetzt“, so Ockenfels.

Zugleich wendet sich der renommierte Volkswirt gegen den wachsenden Nationalismus in der Coronakrise. Eine Kooperation über größere Regionen hinweg wäre hilfreich.

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Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Ockenfels, sind freie Märkte überhaupt in der Lage, in akuten Krisen wie der Corona-Pandemie lebenswichtige Güter dorthin zu leiten, wo sie am dringendsten gebraucht werden?
Wenn weltweit die Nachfrage nach lebenswichtigen Medizingütern plötzlich steil ansteigt, wird auch der Preis steil nach oben gehen. Dies schafft auch wünschenswerte Anreize, die Produktion schnell auszuweiten. In Notlagen kann es jedoch ethische und ökonomische Gründe geben, die Endnachfrager vor großen Preisschocks zu schützen.

Beatmungsgeräte und Schutzausrüstung, die eine Regierung auf den Weltmärkten ergattert hat, sollten nicht nur an die Höchstbieter gehen, sondern dorthin, wo sie möglichst viele Leben retten können. Knappe Coronatests sollten vor allen Dingen an Krankenhäuser, Altersheime und Schulen verteilt werden, anstatt sie an finanzkräftige Unternehmen zu verkaufen.

Lassen sich bei der Entwicklung eines Impfstoffs der Anreiz hoher Gewinne und die ethische Verpflichtung, den Impfstoff möglichst schnell an alle Menschen zu verteilen, überhaupt miteinander in Einklang bringen?
Nur wenn der Staat steuernd eingreift. Überließe man die Impfstoffentwicklung dem Markt, würde aufgrund hoher Entwicklungs- und Preisrisiken zu wenig investiert und produziert werden. Michael Kremer, Träger des Wirtschaftsnobelpreises 2019, fordert daher, dass der Staat feste Preise für erfolgreich getestete Impfstoffe garantieren soll.

Vor einigen Jahren haben solche Preisgarantien dazu geführt, dass durch neue Impfstoffe gegen Pneumokokken geschätzte 700.000 Menschenleben gerettet werden konnten. Analog könnten zum Beispiel 100 Euro für jede der ersten 300 Millionen Personen ausgelobt werden, die gegen Covid-19 geimpft wird. Kremer fordert auch direkte Zuschüsse bei den Entwicklungs- und Produktionskosten eines Impfstoffs.

Für welche Märkte gibt es bereits Krisenmechanismen, und wie sind die Erfahrungen?
Unterschiedliche Märkte erfordern unterschiedliche Werkzeuge zur Krisenbewältigung. Es gibt nobelpreisprämierte Mechanismen, die ganz ohne Preise für möglichst viele Nierentransplantationen geeignete Spender-Empfänger-Paare finden, Algorithmen, die bei einem drohenden Kollaps in die Preisfindung auf Finanzmärkten eingreifen, und Mechanismen, die Teile des Strommarkthandels bei katastrophalen Wetterereignissen durch algorithmische Optimierung ersetzen.

Diese und viele andere Beispiele zeigen: Ein Markt ist nicht per se gut. Oft zeigt sich in Extremsituationen, dass Märkte fragil sein können. Die Regelwerke müssen dann repariert und weiterentwickelt werden.

Sie schlagen eine Kombination aus „Big Data“ und Künstlicher Intelligenz für die Verteilung vor. Ist das noch Marktwirtschaft oder schon der Versuch, die unsichtbare Hand des Markts staatlich zu führen?
Algorithmen spielen in allen modernen Märkten eine wesentliche Rolle. Und gerade in Notfalllagen ist eine Koordinationsstelle sinnvoll. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass die Verteilung zentral geplant werden muss. Auch dezentraler Handel in Strom- und Finanzmärkten erfordert eine zentrale Clearingstelle, damit die unsichtbare Hand ihre Magie entfalten kann.

Zu den Aufgaben der zentralen Instanz gehören profane Vorgaben über die Öffnungszeiten der Märkte, bis hin zu Vorkehrungen, die Korruption und Preisabsprachen verhindern, Produktstandards und Handelsformate definieren und Preistransparenz erleichtern. Die Koordination muss aber noch darüber hinausgehen, wenn in Notlagen der klassische Preismechanismus aussetzt. Doch selbst dann muss nicht immer auf Preissteuerung und die vielen Vorteile dezentraler Entscheidungen verzichtet werden.

Spielen Sie hier auf die „medizinische Währung“ für Krankenhäuser an, die Sie in die Debatte eingebracht haben?
Hier ist ein Beispiel: Oft werden an Universitäten die Seminarplätze knapp. Wir können diese Plätze aber natürlich nicht einfach an die Höchstbieter versteigern. Also haben einige Fakultäten eine künstliche Währung geschaffen und jedem Studierenden ein gleiches Budget in dieser Währung zugeteilt. Die Studierenden können nun ihr künstliches Geld einsetzen, um auf die begehrten Seminare zu „bieten“. Dadurch entstehen Preise in der künstlichen Währung, die Knappheiten und Begehrlichkeiten anzeigen und so eine bessere Zuteilung von Seminarplätzen ermöglichen.

Ein ähnliches System gibt es bei der Verteilung von gespendeten Lebensmitteln an die Tafeln in den USA. Jede Tafel bekommt ein Budget in einer künstlichen Währung proportional zu der geschätzten Anzahl der bedürftigen Menschen in der jeweiligen Region. Das Budget ermöglicht jeder Tafel, ihre Nachfrage zu kommunizieren und Lebensmittel einzukaufen.

Was ist der Unterschied zu normalen Märkten?
Der Unterschied ist, dass die kostenlose, faire und transparente Bereitstellung der künstlichen Währung garantiert, dass die begehrtesten Produkte nicht nur einfach an die reichsten Tafeln gehen. Eine künstliche „medizinische Währung“ für Notfalllagen würde nun ganz analog erlauben, lebenswichtige Medizingüter zwischen den Krankenhäusern zu handeln und so bestmöglich in Zeit und Raum zu verteilen.

Ließe sich so auch das Horten von dringend benötigten Gesundheitsgütern eindämmen?
Ja. Heute werden essenzielle Medizingüter, die die Regierungen auf den Weltmärkten einkaufen, oft auf Zuruf verteilt. Der Blick für das Ganze geht dabei verloren. Einrichtungen, die befürchten, dass wichtige Güter knapp werden könnten, haben Anreize, ihre Nachfrage aufzublähen und Reserven zu horten. Dadurch können sich anderswo die Engpässe verschärfen.

Die Koordination über Preise würde dazu motivieren, Reserven denen zu überlassen, die sie dringender benötigen. Allerdings können auch Preissignale exzessives Horten und hausgemachte Engpässe nicht gänzlich ausschließen. Wir alle haben es zuletzt beim Toilettenpapier gesehen.

Die Pandemie hat gezeigt, dass sich jeder zunächst selbst der Nächste ist. Wie lässt sich dieser Nationalismus überwinden?
Die Pandemie schlägt in unterschiedlichen Gebieten zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Härte zu. Deswegen ist eine Koordination über größere Regionen hinweg hilfreich. Inmitten der Hektik einer Krise ist es natürlich schwierig, Kooperation zu erreichen. Doch für die Zukunft, wenn noch niemand so genau weiß, wo etwa der erste Impfstoff entwickelt werden wird, gibt es durchaus Anreize, die Risiken auf viele Schultern zu verteilen. Einige der von uns vorgeschlagenen Werkzeuge würden aber auch schon auf Länderebene weiterhelfen. Es wäre gut, wenn wir bei der nächsten Welle besser vorbereitet sind.

Herr Ockenfels, vielen Dank für das Interview.