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Verfassungsschutz-Chef fordert mehr Werkzeuge gegen den Terror

„Der Werkzeugkasten ist noch nicht wirklich voll“: Verfassungsschutz-Chef Maaßen wünscht sich mehr Kompetenzen für seine Behörde. Mit den Mitteln aus RAF-Zeiten lasse sich der Islamische Staat nicht besiegen.

Israel steht schon seit Jahrzehnten im Visier von Terroristen. Insofern hat das Wort des früheren Direktors des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Yoram Cohen, durchaus Gewicht. Der Kampf gegen radikale Islamisten lasse sich nicht mit auf dem Rücken gefesselten Händen gewinnen, warnte Cohen am Montag beim Jahressymposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in Berlin.

Deutschlands Sicherheitsbehörden mit ihren Tausenden von Mitarbeitern – nur ein gefesselter Riese? Blockiert von übereifrigen Datenschützern und Politikern, die die bürgerlichen Freiheiten über die Sicherheit stellen?

Ganz so will Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen das dann doch nicht stehen lassen: „Die Hände sind uns nicht auf dem Rücken festgebunden, aber der Werkzeugkasten ist noch nicht wirklich voll.“ Die Rechtsgrundlagen, nach denen die Verfassungsschützer heute arbeiteten, stammten großenteils noch aus der Zeit des Terrors von RAF und Roten Brigaden, die Repräsentanten des Staates ins Visier nahmen.

Heute führt die Terrormiliz IS einen Cyberkrieg im Internet, wirbt Kämpfer über die sozialen Netzwerke an und gibt Anleitungen zum Bombenbau. Mit der Folge, dass Kinder Polizisten mit Messern angreifen, selbst ernannte Gotteskrieger Lastwagen in Menschenmengen steuern oder sich Extremisten bei Popkonzerten mitten in der Menge in die Luft sprengen.

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Die Bedrohung ist auch in Deutschland real. Es hätte viele Themen für das Symposium gegeben, sagte Maaßen. Gezielte Desinformationskampagnen und Cyberangriffe vor der Bundestagswahl etwa oder Spionageabwehr und Schutz der Wirtschaft. Trotzdem habe man sich entschieden, zum dritten Mal in Folge den islamistischen Terror zum Schwerpunktthema zu machen.

Das hat Gründe. 10.000 Salafisten zählt der Verfassungsschutz mittlerweile in Deutschland. Vor einem Jahr waren es noch 8.650. Von den 930 bekannten Extremisten, die in die Kriegsgebiete dieser Welt ausgereist sind, um für den IS zu kämpfen oder sich in Terrorlagern ausbilden zu lassen, ist ein Drittel mittlerweile nach Deutschland oder in andere europäische Länder zurückgekehrt.

Und: Je erfolgreicher der IS militärisch aus seinem „Territorium“ in Syrien oder im Irak vertrieben werde, desto größer werde die Terrorgefahr, warnt der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl. Allerdings beobachteten die Sicherheitsbehörden bisher nicht, dass „foreign fighters“ nun massenhaft Kurs auf Deutschland nähmen.


Freiheit oder Sicherheit?

Was aber gehört noch in Maaßens Wunsch-Werkzeugkasten, damit die Sicherheitsbehörden der Bedrohung auch Herr werden können? Dass in Antiterror-Dateien mittlerweile auch die Daten von Jugendlichen ab 15 Jahren gespeichert werden dürften, sei schon ein erster Fortschritt, sagte Deutschlands oberster Verfassungsschützer. Das sei eine Konsequenz auf den Fall der 16-jährigen IS-Sympathisantin Safia S., die in Hamburg einen Polizisten mit einem Messer lebensgefährlich verletzt habe. Da die Radikalisierung oft schon im Kindesalter beginne, kann Maaßen sich hier durchaus noch mehr vorstellen.

Überhaupt hält er den geltenden Datenschutz für überzogen. Wenn es zum Beispiel Hinweise gebe, dass ein Rückkehrer aus einem Kampfgebiet mit Anschlagsplänen in einem Flugzeug aus Istanbul auf Platz 28 A sitze, dann müssten die deutschen Geheimdienste auch wissen, wer auf Platz 28 B sitze, forderte er.

Und: „Eine Fußfessel braucht immer auch einen Fuß, der uns bekannt ist.“ Soll heißen: Nur wenn der Geheimdienst mehr Kompetenzen erhält, um Verdächtige zu ermitteln, kann die Bewegungsfreiheit sogenannter „Gefährder“ überhaupt eingeschränkt werden.

Anfreunden kann sich der Behördenchef auch mit dem Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), den Verfassungsschutz wieder stärker zu zentralisieren. Man müsse schon die Frage stellen, ob es sinnvoll sei, dass das bremische Landesamt für Verfassungsschutz sich zwar um die Hansestadt und Bremerhaven kümmere, für das benachbarte Delmenhorst aber die Kollegen im fernen Hannover zuständig seien.

Ganz abschaffen will Maaßen die Landesämter für Verfassungsschutz zwar nicht, die Verankerung „in der Fläche“ sei wichtig. Doch die Weisungsrechte des Bundes, wie sie bis in die 1990er-Jahre hinein existierten, hätte er schon gerne zurück.

Über das Thema Zentralisierung wie auch den Datenschutz müsse offen debattiert werden, sagte Maaßen – auch wenn er weiß, dass er für seine Vorschläge „sehr große Überredungskraft“ brauchen wird.

Innenminister de Maizière mahnte bei dem Symposium an, „Maß und Mitte“ im Antiterrorkampf zu wahren. Auch Prävention sei wichtig, Schulen und Jugendhilfe müssten Radikalisierungstendenzen frühzeitig erkennen, in den sozialen Netzwerken sei „digitale Sozialarbeit“ notwendig.

Verschließen will sich der Innenminister neuen gesetzgeberischen Initiativen aber nicht, auch wenn die Befugnisse der Sicherheitsbehörden unter Schwarz-Rot schon so ausgeweitet worden seien, „wie in kaum einer Legislaturperiode zuvor.

Mehr Befugnisse für Polizei und Geheimdienste bedeuteten zwar nicht per se weniger Anschläge, sagte de Maizière. Aber: Mehr Befugnisse bedeuteten auch nicht, gleich „die Freiheit der gesamten Bevölkerung aufzugeben“.

KONTEXT

Vereitelte und verübte islamistische Anschläge in Deutschland

April 2002

Die Polizei nimmt Anhänger der zum Al-Kaida-Netzwerk zählenden Terrorgruppe Al-Tawhid fest. Die Männer planten Angriffe auf das jüdische Gemeindezentrum in Berlin und jüdische Gaststätten in Düsseldorf. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verurteilt sie zu mehrjährigen Gefängnisstrafen.

Quelle: dpa / Stand: 20.12.2016

Juli 2006

Im Kölner Hauptbahnhof platzieren zwei Männer in Koffern versteckte Sprengsätze in Regionalzügen nach Hamm und Koblenz. Die Zeitzünder-Bomben explodieren jedoch nicht. Im Dezember 2008 wird einer der "Kofferbomber von Köln" zu lebenslanger Haft verurteilt.

September 2007

Die islamistische "Sauerland-Gruppe" wird gefasst. 2010 werden die vier Mitglieder wegen geplanter Terroranschläge auf Diskotheken, Flughäfen und US-Einrichtungen in Deutschland zu bis zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt.

März 2011

Ein junger Kosovo-Albaner erschießt auf dem Flughafen Frankfurt/Main zwei US-Soldaten und verletzt zwei weitere schwer. Der Mann gilt als extremistischer Einzeltäter. 2012 wird er zu lebenslanger Haft verurteilt.

April 2011

Ermittler nehmen in Düsseldorf drei mutmaßliche Al-Kaida-Mitglieder fest, die einen Sprengstoffanschlag in Deutschland geplant hatten. Im Dezember 2011 wird in Bochum ein viertes mutmaßliches Mitglied der "Düsseldorfer Zelle" gefasst. Die vier Männer werden Ende 2014 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

März 2013

Die Polizei fasst vier Verdächtige aus der Bonner Islamisten-Szene, die einen Anschlag auf den Chef der rechtsextremen Splitterpartei "Pro NRW" geplant haben sollen. Der Kopf der Gruppe soll zudem im Dezember 2012 einen Sprengsatz im Bonner Bahnhof deponiert haben. Der Prozess in Düsseldorf dauert an.

Februar 2016

Die Polizei kommt einer mutmaßlichen Terrorzelle auf die Schliche und schlägt zeitgleich in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zu. Die vier verdächtigen Algerier sollen einen Anschlag in Berlin geplant haben. Der sei jedoch im Frühstadium durchkreuzt worden, heißt es.

Februar 2016

Bei einer Kontrolle am Hauptbahnhof Hannover verletzt eine 15 Jahre alte Deutsch-Marokkanerin einen Bundespolizisten lebensgefährlich mit einem Messer. Laut Bundesanwaltschaft war die Attacke eine "Märtyreroperation" für den IS. Seit Oktober muss sich das Mädchen vor dem Oberlandesgericht in Celle für die Tat verantworten.

April 2016

Nach einer indischen Hochzeit verüben zwei junge mutmaßliche Salafisten aus Gelsenkirchen einen Bombenanschlag auf ein Gebetshaus der Sikhs in Essen. Drei Menschen werden verletzt. Der Prozess gegen die beiden Verdächtigen und einen Komplizen begann im Dezember in Essen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem versuchten Mord vor.

Juni 2016

Spezialkräfte der Polizei nehmen drei mutmaßliche IS-Anhänger in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Brandenburg fest. Sie sollen einen Anschlag in der Düsseldorfer Altstadt geplant haben.

Juli 2016

Ein 17-Jähriger geht - mit Axt und Messer bewaffnet - in einer Regionalbahn bei Würzburg auf Fahrgäste los. Fünf Menschen werden verletzt. Polizisten erschießen den Attentäter, der sich in einem Video als Kämpfer des IS bezeichnete. Er kam als Flüchtling nach Deutschland und gab sich als Afghane aus.

Juli 2016

Im bayerischen Ansbach sprengt sich ein 27-Jähriger auf einem Platz vor einem Musikfestival in die Luft, 15 Menschen werden verletzt. Der syrische Flüchtling stand nach einer mehrfach verlängerten Duldung kurz vor einer Abschiebung nach Bulgarien. Er war wiederholt in psychiatrischer Behandlung. Der IS beansprucht den Anschlag für sich.

September 2016

In Schleswig-Holstein nehmen Sicherheitskräfte drei Syrer wegen Terrorverdachts fest. Die Bundesanwaltschaft wirft den Männern im Alter zwischen 17, 18 und 26 Jahren vor, im Auftrag des IS nach Deutschland gekommen zu sein, "um entweder einen bereits erhaltenen Auftrag auszuführen oder sich für weitere Instruktionen bereitzuhalten". Konkrete Aufträge gab es nach bisherigen Ermittlungen nicht, das Trio sitzt in Untersuchungshaft.

Oktober 2016

Der Syrer Dschaber al-Bakr wird in Sachsen festgenommen. Er soll einen Anschlag auf einen Berliner Flughafen geplant haben. Der 22-Jährige erhängt sich in seiner Zelle.

Oktober 2016

Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen einen seit März in Untersuchungshaft sitzenden 19-jährigen Syrer. Er soll Anschlagsziele für den IS in Berlin ausgekundschaftet haben.

November, Dezember 2016

Ein Zwölfjähriger steht im Verdacht, einen Anschlagsversuch auf einen Weihnachtsmarkt verübt zu haben. Der Junge hatte möglicherweise Kontakt zu radikalen Islamisten. Er soll laut Magazin "Focus" zunächst am 26. November versucht haben, ein mit Sprengpulver gefülltes Konservenglas auf dem Weihnachtsmarkt zu zünden. Am 5. Dezember soll er es dann in einer Tasche in einem Gebüsch nahe dem Rathaus deponiert haben, wo es entdeckt wurde. Die Bundesanwaltschaft ermittelt.

Dezember 2016

Kurz vor Weihnachten rast der 24-Jährige Tunesier Anis Amri mit einem Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin. Zwölf Menschen starben, 55 wurden verletzt. Vier Tage nach dem Anschlag hatten ihn italienische Polizisten nahe Mailand erschossen, nachdem er bei einer Personenkontrolle das Feuer auf die Beamten eröffnet hatte. In Deutschland hat der Anschlag eine Debatte über schärfere Gesetze und mehr Videoüberwachung auf Plätzen und Straßen ausgelöst. Amri galt als "Gefährder", dem ein Anschlag zugetraut wurde, verschwand aber vom Radar der Behörden. Recherchen des WDR ergaben, dass er im Ruhrgebiet gut vernetzt war und ein Dutzend Moscheen besucht hatte.

Ebenfalls im Dezember erhebt die Staatsanwaltschaft Köln Anklage gegen einen 16 Jahre alten syrischen Kriegsflüchtling. Der im September festgenommene Jugendliche soll einen Anschlag geplant haben. Er soll von einem Chatpartner im Ausland mit Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) Anleitungen zum Bombenbau erhalten haben.