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Pandemie und Terror setzen Europa unter doppelten Stress

Als wäre die Corona-Pandemie nicht genug: Der Anschlag von Wien schürt die Angst vor einer neuen Welle islamistischen Terrors – und könnte damit auch die Wirtschaft belasten.

Die terroristischen Attacken könnten die mit der Gesundheitskrise einhergehende Verunsicherung weiter schüren. Foto: dpa
Die terroristischen Attacken könnten die mit der Gesundheitskrise einhergehende Verunsicherung weiter schüren. Foto: dpa

Sebastian Kurz fand am Dienstag klare Worte: „Es war ein Anschlag aus Hass, aus Hass auf unsere Grundwerte, aus Hass auf unser Lebensmodell, aus Hass auf unsere Demokratie“, sagte der österreichische Bundeskanzler in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung. Bei dem islamistisch motivierten Anschlag in Wien seien vier Menschen „aus nächster Nähe kaltblütig“ getötet worden. „Wir werden uns von den Terroristen nicht einschüchtern lassen und uns mit aller Kraft verteidigen“, sagte Kurz.

Der Anschlag in der österreichischen Hauptstadt vom Montagabend löste zahlreiche Solidaritätsbekundungen aus, Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump drückten wie viele andere Politiker ihre Anteilnahme aus. Der Anschlag nährt die Sorgen, dass Europa eine neue Terrorwelle bevorsteht. Die Gewalttat reiht sich ein in eine Reihe von Angriffen in Europa, die in den vergangenen Wochen mutmaßlich von radikalen Islamisten begangen wurden.

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Anfang Oktober hatte ein aus Syrien stammender Mann in Dresden zwei Touristen aus Nordrhein-Westfalen mit einem Messer angegriffen und einen von ihnen getötet. Mitte Oktober hatte in einem Pariser Vorort ein 18-Jähriger aus Tschetschenien den Lehrer Samuel Paty enthauptet, nachdem dieser in einer Unterrichtsstunde zur Meinungsfreiheit Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatte. Vergangenen Donnerstag tötete ein 21-jähriger Tunesier in einer Kirche in Nizza drei Menschen mit einem Messer.

Die Terrorserie trifft Gesellschaften, die angesichts der Corona-Pandemie ohnehin bereits unter starkem Stress stehen. Wegen sehr hoher Infektionszahlen gelten in Frankreich seit vergangenem Freitag weitreichende Ausgangsbeschränkungen – die Menschen dürfen nur für notwendige Einkäufe oder Arztbesuche das Haus verlassen, Bars und Restaurants bleiben geschlossen. In Österreich traten just in der Nacht des Anschlags Ausgangsbeschränkungen in Kraft, die zwischen 20 Uhr abends und sechs Uhr morgens gelten.

Die terroristischen Attacken könnten die mit der Gesundheitskrise einhergehende Verunsicherung weiter schüren – und damit auch die Wirtschaft weiter belasten. „Sie machen Angst und schaffen Verunsicherung“, sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), dem Handelsblatt, „das führt zu Zurückhaltung bei Konsum und Investition.“

Hinzu kommt: Die Anschläge könnten das politische Klima weiter belasten, befürchtet Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die weitreichenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens zur Viruseindämmung führen auch in Deutschland zu hitzigen Debatten, und Politiker wie die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel bemühten sich, beide Themen miteinander zu verknüpfen: „Würde unsere Regierung im Kampf gegen den Terrorismus auch nur ansatzweise den Eifer an den Tag legen, wie sie es bei ihren Maßnahmen zum vermeintlichen Schutz vor dem Coronavirus tut, könnten viele Terroropfer heute noch am Leben sein“, sagte sie.

Eine Politik der Abschottung würde die Konjunktur belasten

Bei weiteren Gewalttaten dürfte auch der Druck auf die Regierungen steigen, wieder stärker an den Landesgrenzen zu kontrollieren. Dabei haben sich die EU-Staaten vorgenommen, die Binnengrenzen im Schengenraum offen zu halten – anders als bei der ersten Pandemiewelle im Frühjahr. Verstärkte Personenkontrollen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit aber kämen die Wirtschaft teuer zu stehen, warnt Felbermayr.

Allerdings: Wegen der hohen Fallzahlen reisen derzeit ohnehin weniger Menschen; der Tourismussektor, der sonst am stärksten auf Anschläge reagiert, liegt ohnehin brach. Der Corona-bedingte Ausnahmezustand dämpft somit die ökonomischen Folgen des Terrors.

„Vermehrte Kontrollen und Furcht vor weiteren Anschlägen nach Terroranschlägen können die Reisetätigkeit beeinträchtigen“, sagt Fuest. „Aber die ist derzeit wegen Corona ohnehin gering.“ Auch Felbermayr verweist darauf, dass die Branche „sowohl in Frankreich als auch in Österreich de facto stillgelegt ist“ – weshalb hier aktuell wenig wirtschaftlicher Schaden zu befürchten sei.

Langfristig aber könnten islamistische Terroranschläge tendenziell zu einer Politik der Abschottung führen, sagt der IfW-Präsident. „Zum Beispiel bei der Einwanderung, das schwächt die wirtschaftliche Dynamik“, ist er überzeugt.

Kurzfristig aber sind die Auswirkungen überschaubar. Die Unternehmen in Frankreich reagierten nach den jüngsten Anschlägen nicht mit verschärften Sicherheitsvorkehrungen. „Uns ist nicht zu Ohren gekommen, dass es einen verstärkten Aufwand für Sicherheit gäbe“, sagt eine Sprecherin des Unternehmerverbands Medef. Das sei auch sinnlos, weil die meisten Mitarbeiter nicht an ihrer gewohnten Arbeitsstelle, sondern in Telearbeit zu Hause seien: „Es gibt fast kein Personal in den Unternehmen.“

Nach den Angriffen auf den Musikklub Bataclan und die Terrassencafés in Paris im November 2015 waren die Vorkehrungen zum Schutz von Unternehmen massiv erhöht worden. Vor allem die großen Kaufhäuser hatten strikte Personenkontrollen an ihren Eingängen eingeführt. Doch die sind heute alle wegen des Lockdowns geschlossen. Eine Ausnahme bilden die Fernseh- und Radiosender, die als besonders sensible Ziele gelten und weiterhin mit einem umfangreichen Wachschutz arbeiten.

Die französische Regierung verschärfte ihre Vorkehrungen zuletzt deutlich. Die Zahl der patrouillierenden Soldaten und Polizisten wurde um mehrere Tausend aufgestockt. Im Rahmen der Aktion „Vigipirate“ werden vor allem Fremdenlegionäre eingesetzt, die mit Autos und zu Fuß in den Innenstädten unterwegs sind.

Sicherheitsbehörden zeigen sich beunruhigt

Auch die Sicherheitsbehörden in Deutschland sind beunruhigt. „Ich bin besorgt, dass dies erst der Anfang einer neuen Welle sein könnte“, sagte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern, Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wir müssen die Aktivitäten zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus weiter verstärken.“

Nach Einschätzung des Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, befindet sich Deutschland weiterhin im Fadenkreuz radikaler Islamisten. „Wir haben seit Jahren eine anhaltend hohe abstrakte Gefährdungslage durch islamistischen Terrorismus“, sagte Kramer.

„Durch einzelne Ereignisse wie etwa die Ermordung des Lehrers Samuel Paty in Frankreich im Zusammenhang mit den Mohammed-Karikaturen zeigt sich deutlich, wie hoch emotionalisiert und damit explosiv die Lage immer noch ist.“ Es genüge ein Funke, um bei bereits radikalisierten Einzelpersonen die Umsetzung von Anschlägen plötzlich auszulösen. „Die Bedrohung bleibt hochgefährlich.“

Kramer erinnerte an die tödliche Messerattacke eines mutmaßlichen islamistischen Extremisten in Dresden, aber auch an die rechtsextremistischen Anschläge in Halle und Hanau. „Die aufgeheizte Corona-Lage trägt dabei psychisch zur weiteren Emotionalisierung und auch zur Radikalisierung unterschiedlicher Gruppen bei“, sagte er.

Zusätzlich sei damit zu rechnen, dass in dieser aufgeheizten Lage Vorurteile und Ressentiments durch einzelne extremistische Interessengruppen weiter eskaliert werden.

Der Verfassungsschützer wies auf die begrenzten Möglichkeiten der deutschen Sicherheitsbehörden hin. Diese hätten zwar bekannte und potenzielle Gefährder nach Möglichkeit im Blick, stießen dabei aber schnell an ihre personellen und technischen Grenzen.

Ähnlich äußerte sich Eike Bone-Winkel vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK): „Die Sicherheitsbehörden stehen vor einer Mammutaufgabe in der Überwachung von Gefährdern, die jederzeit zuschlagen können“, sagte er. „Ohne ausreichende Ressourcen kann diese Aufgabe nicht gelingen, sodass man die Befürchtung äußern muss, dass weitere Anschläge auch in Deutschland zu erwarten sind.“

Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hält es indes für „zu klein gedacht“, sich nur auf die islamistischen Gefährder zu konzentrieren. „Was uns vor allem Frankreich lehrt, ist, dass wir alles dafür tun müssen, um Parallelgesellschaften wieder zurückzudrängen, damit dem religiös begründeten Hass der Nährboden flächendeckend entzogen werden kann“, sagte Kubicki dem Handelsblatt. „Ich will nicht tolerieren, dass unter Rückgriff auf religiöse Motive Judenfeindlichkeit, Frauenverachtung und Angriffe auf Homosexuelle auf die Tagesordnung kommen.“

Bewaffnete Polizisten stehen Wache im Stadtzentrum von Wien. Bei der Terrorattacke waren mehrere Passanten getötet worden. Foto: dpa
Bewaffnete Polizisten stehen Wache im Stadtzentrum von Wien. Bei der Terrorattacke waren mehrere Passanten getötet worden. Foto: dpa