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GroKo im Klima-Stress – Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Klimapakets

Noch vor einer Woche zeigten sich Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Scholz geradezu euphorisch über das beschlossene Klimapaket. Jetzt rudert die SPD schon wieder zurück.

Was hatten sie gestrahlt vor einer Woche. Beseelt und ausgelassen wirkten die Spitzen von Union und SPD nach dem Festzurren ihres Klimapakets. Die Große Koalition habe sich „eindrucksvoll zurückgemeldet“, frohlockte CSU-Chef Markus Söder. Die Beschlüsse seien „viel größer dimensioniert, als viele gedacht haben“, schwärmte Vizekanzler Olaf Scholz. Die SPD werde bei der geplanten Halbzeitbilanz sehen, „dass wir beim Klimaschutz einiges geschafft haben“, sagte die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer.

Nur eine Woche später ist aus Euphorie Ernüchterung geworden, aus Aufbruchstimmung Angst. Die Umweltaktivisten von „Fridays for Future“ halten die Beschlüsse für völlig unzureichend, ebenso die Fachwelt. Angesichts der Kritik erwägt die Regierung, das Paket umgehend wieder aufzuschnüren.

Doch nicht nur wegen der harschen Kritik sind möglicherweise Änderungen nötig. Experten zufolge könnten Teile des Klimapakets verfassungswidrig sein. Eine Ansicht, die nach Handelsblatt-Informationen in der Unionsspitze geteilt wird.

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Das 54-Milliarden-Klimapaket der Regierung sieht zum einen ein Bündel aus Förderinstrumenten zur CO2-Einsparung sowie zum anderen eine höhere Belastung beim Einsatz klimaschädlicher Brennstoffe vor. Ab 2021 sollen auf sie zehn Euro pro Tonne CO2-Ausstoß erhoben werden, was etwa Benzin um etwa drei Cent pro Liter verteuern würde.

Bis 2025 soll der Preis auf 35 Euro pro Tonne steigen. Gerade am Einstiegspreis für CO2 gibt es harsche Kritik. Zehn Euro pro Tonne sind aus Sicht von Experten viel zu niedrig, um eine Wirkung zu erzielen. Das wurde auch während eines Fachgesprächs des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung im Bundestag deutlich. Der Preis müsse eher bei 35 bis 50 Euro pro Tonne CO2 liegen, um eine Lenkungswirkung zu erreichen, hieß es unisono aus Reihen der Experten.

SPD-Interimschefin Dreyer sagte dem „Tagesspiegel“, sie sei zu Änderungen bereit. Die Sozialdemokraten hätten der Union bei den Verhandlungen vorgeschlagen, „dass man wenigstens als Kompromiss mit 20 Euro beginnt“. Es sei nicht an der SPD gescheitert, „es hätte mit uns einen höheren Preis geben können“.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte schon im Vorfeld des Klimagipfels durchrechnen lassen, wie das Modell funktionieren könnte. Die Beamten waren auf einen Einstiegspreis von 35 Euro gekommen, doch das war mit Blick auf die Wählerklientel sowohl der SPD wie der CSU zu hoch.

Die CDU-Bundestagsfraktion zeigte sich gegenüber Dreyers Vorschlag offen. Er nehme die Kritik am Klimapaket sehr ernst, sagte Fraktionschef Ralph Brinkhaus. Dies gelte auch für den CO2-Einstiegspreis auf Sprit oder Heizöl. „Wir haben natürlich die Möglichkeit, wenn wir jetzt zu niedrig sind, jedes Jahr nachzusteuern. Das werden wir auch tun, wenn es nicht reicht.“

Dass Dreyer und Brinkhaus so schnell zu Nachbesserungen bereit sind, lässt die Klima-Verhandler von Union und SPD alles andere als gut aussehen. In den sozialen Netzwerken wurde am Donnerstag zigfach eine Bundestagsrede von Brinkhaus von vor einigen Tagen geteilt, in der er die Beschlüsse noch leidenschaftlich verteidigt hatte.

Auch Olaf Scholz dürfte von den Äußerungen Dreyers wenig begeistert sein. Der Vizekanzler verteidigt seit einer Woche die Beschlüsse gegen Kritik und muss sich im Rennen um den SPD-Vorsitz von den anderen Kandidaten ohnehin anhören, das Paket zeige, dass in einer Großen Koalition ein Durchbruch in der Klimapolitik nicht möglich sei.

Dass Dreyer dennoch vorgeprescht ist, dürfte damit zusammenhängen, dass ihr angelastet wird, in den Verhandlungen gegen einen höheren CO2-Preis gewesen zu sein, um kleinere Einkommen nicht zu stark zu entlasten. Das will Dreyer so nicht stehen lassen. SPD-Regierungsmitglieder wollen die Debatte schnell beenden.

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte im Bundestag: „Ich hätte mir auch mehr vorstellen können.“ Der Preis allein sei aber kein Allheilmittel. So sieht es auch Finanzminister Scholz. Die Fixierung auf die CO2-Bepreisung werde dem Klimapaket nicht gerecht, hieß es aus seinem Umfeld.

Allerdings muss die Regierung noch eine Hürde nehmen, bei der das Thema eine große Rolle spielen dürfte. Die Grünen können im Bundesrat Gesetze blockieren und haben schon die Erwartung geäußert, dass die Bundesregierung ihre Eckpunkte für mehr Klimaschutz nachbessert. „Wir werden offen mit den Grünen darüber sprechen, wie man zusammenkommen kann“, sagte Dreyer.

Anders als SPD und CDU ist die CSU nicht bereit, das Klimapaket der großen Koalition noch einmal aufzuschnüren. CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte, entsprechende Überlegungen werde seine Partei mit einem „klaren Nein“ beantworten. Die Grünen seien schlecht beraten, die Beschlüsse zu blockieren. Gerade sie wiesen ja immer darauf hin, wie sehr die Zeit beim Klimaschutz dränge. Noch ist nicht im Detail klar, welche der Vorhaben die Zustimmung der Länder brauchen.

Um Tempo zu machen, will das Bundesfinanzministerium zu einem Kniff greifen. „Möglichst viele steuerliche Veränderungen“ aus dem Klimapaket sollen zusätzlich ins Jahressteuergesetz geschrieben werden, erfuhr das Handelsblatt aus Regierungskreisen. Da das Jahressteuergesetz bereits durchs Kabinett ging, würde das parlamentarische Verfahren abgekürzt und ein Zeichen gesetzt, dass Teile des Klimapakets schnell in Kraft treten.

Widerstand der Länder

Offen ist allerdings, ob die Länder mitmachen. Niedersachsen stehe dem Klimaschutzpaket grundsätzlich positiv gegenüber, sagte der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU). „Allerdings darf es nicht zu einer einseitigen substanziellen Verschiebung der Entlastungen und Belastungen führen.“

Erste Darstellungen ergäben jedoch, dass der Bund gegenüber den Ländern überproportional entlastet werde, während die Länder in gleichem Maße Lasten schultern müssten. „Dieses Ungleichgewicht muss über eine Nachjustierung bei der Umsatzsteuerverteilung ausgeglichen wird“, fordert Hilbers. Und noch ein weiteres Problem droht der Koalition. Experten melden erhebliche rechtliche Bedenken beim Modell für die CO2-Bepreisung an.

„Die Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung sind mit Blick auf die Einführung einer CO2-Bepreisung nicht zu Ende gedacht“, sagte Verfassungsrechtler Joachim Wieland dem Handelsblatt.

So sei für die Jahre 2021 bis 2025 die Einführung eines Festpreises für CO2 geplant. „Es fällt schwer, darin Elemente eines Emissionshandels zu erkennen. Technisch würde das wie eine neue Steuer wirken, obwohl es als nationaler Emissionshandel für die Sektoren Verkehr und Wärme bezeichnet wird“, sagte Wieland.

Man könne darin einen Formenmissbrauch sehen. Auch der Berliner Verfassungsrechtler Christian Pestalozza betonte, „natürlich brauche man für eine derartige belastende Regelung eine gesetzliche Grundlage“.

Ähnlich argumentiert FDP-Fraktionsvize Michael Theurer. „Das Modell für den CO2-Preis ist hochgradig klageanfällig“, sagte er. Es enthalte Elemente einer Steuer ohne Rechtsgrundlage. „So ist das Klimapaket nicht zustimmungsfähig“, erklärte der FDP-Politiker. Verfassungsrechtler Wieland fordert deshalb, über eine andere Ausgestaltung nachzudenken: „Man könnte etwa beschließen, die existierende Energiebesteuerung stärker an den CO2-Emissionen auszurichten.“

Laut Christoph Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ist die jetzige Ausgestaltung der CO2-Bepreisung vor allem eine Steuererhöhung. Bei der Anhörung im Bundestag sagte er, das Ziel der CO2-Bepreisung bestehe primär darin, die CO2-Emissionen auf effiziente Weise zu reduzieren, „nicht jedoch darin, zusätzliche Steuereinnahmen zu generieren“.

Die Bundesregierung ist trotz all der Kritik überzeugt, dass das Klimapaket einen positiven Effekt auch auf die Wirtschaft haben wird. „Es zeigt sich, dass durch das Klimaschutzprogramm 2030 eine kumulierte Steigerung des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland um knapp 14,3 Milliarden Euro bis 2030 möglich ist“, heißt es im Entwurf der Langfassung des Klimapakets, der dem Handelsblatt vorliegt. Bis 2030 könnten zudem 13.700 neue Stellen geschaffen werden.

Was aus der Langfassung allerdings ebenfalls hervorgeht: Eine genormte Abfrage an die einzelnen Ministerien, in der sie die jeweiligen Maßnahmen detailliert aufführen und deren Nutzen aufschlüsseln sollten, hat einen entscheidenden Teil eingebüßt. So ist in der endgültigen Fassung die Zeile verschwunden, die die Minderungspotenziale der Treibhausgase exakt beziffern sollte. Damit lässt sich die Effizienz der einzelnen Schritte, gemessen an gesetzten Zielen, nicht nachvollziehen. Am Gesamtziel ändert das jedoch nichts.