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Verbände warnen vor Substanzverlust bei der Ausbildung

In der Finanzkrise brach die Zahl der Ausbildungsverträge massiv ein und erholte sich nicht. Nun droht wegen Corona ein weiterer Substanzverlust, fürchten DGB und das Handwerk.

Nach der Finanzkrise ist die Zahl der Ausbildungsplätze eingebrochen. Foto: dpa
Nach der Finanzkrise ist die Zahl der Ausbildungsplätze eingebrochen. Foto: dpa

Die Coronakrise könnte die Ausbildung in Deutschland massiv und vor allem auf Dauer beschädigen, warnen das Handwerk und der Deutsche Gewerkschaftsbund unisono. Und so womöglich eine Abwärtsspirale verfestigen, die bereits 2008 einsetzte.

„Seit der globalen Finanzkrise befindet sich die duale Ausbildung auf Talfahrt. Die Coronakrise droht den Trend noch zu verschärfen. Aus der Coronakrise darf keine Fachkräftekrise werden“, sagte Elke Hannack, stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende, dem Handelsblatt.

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Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer fordert: „Das Ausbildungsengagement muss jetzt dringend unterstützt und stabilisiert werden, um zu verhindern, dass sich Handwerksbetriebe nach der Pandemie dauerhaft aus der Ausbildung zurückziehen.“ Die Erfahrung in der Finanzkrise dürfe sich „keinesfalls wiederholen, weil mit einem immer niedrigeren Sockel an Auszubildenden langfristig die Fachkräftesicherung für unsere Betriebe immer schwieriger wird“.

Deshalb müsse nun schnell das Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ nachjustiert werden. Denn in der jetzigen Form „entfaltet es noch nicht die notwendige Wirkung“, mahnt Wollseifer.

„Es ist Gift für unsere Gesellschaft, wenn die Zahl der Ausbildungsbetriebe und der Auszubildenden im Sinkflug ist, gleichzeitig aber eine hohe Zahl von Jugendlichen dauerhaft ohne Ausbildung bleibt“, warnt Hannack. Die Corona-Ausbildungsprämien der Bundesregierung seien gut, aber leider nicht ausreichend. Die Förderung müsse „dringend flexibler werden“, fordert auch die DGB-Vizin.

Noch ist nicht klar, wie viele Lehrstellen dieses Jahr wegbrechen – viele Azubis werden wegen Corona wohl erst zeitverzögert eingestellt. Das könne durchaus zwei bis drei Monate dauern, heißt es beim DIHK – bis Jahresende könne man noch problemlos in eine Lehre starten.

„Lockdown durch Fachkräfte“ befürchtet

Doch die jüngsten Zahlen lassen Schlimmes befürchten: Allein der DIHK, dessen Betriebe zwei Drittel aller Lehrlinge ausbilden, registrierte bis Ende September nur 260.000 neue Lehrverträge, das waren fast 14 Prozent weniger als im Vorjahr. Auch das Handwerk meldete trotz Aufholeffekt im Sommer ein Minus von acht Prozent.

Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hatte schon im Juli vor einem Schaden für die gesamte Wirtschaft gewarnt: „Wir müssen unbedingt verhindern, dass dem Corona-Lockdown demnächst ein Lockdown durch Fachkräftemangel folgt“, hatte dessen Präsident Friedrich Hubert Esser Alarm geschlagen.

Auch in der Finanzkrise 2008 und 2009 war die Zahl der jährlich neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge von zuvor 616.000 um rund 50.000 gesunken. Auch danach wurde das Vorkrisenniveau nie wieder erreicht. Im Gegenteil: Trotz blendender Konjunktur lag die Zahl der jährlichen Neuverträge seit 2013 stets zwischen 520.000 und 530.000.

Das lag keineswegs nur daran, dass die Zahl der Schulabgänger sank und ein größerer Anteil von ihnen an die Hochschulen strebt. Daneben werden weite Kreise nicht erfasst: Schon heute hat rund ein Drittel aller jungen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren, die nur einen Hauptschulabschluss vorweisen können, keinen Beruf erlernt.

Und obwohl die Gesamtzahl der Jugendlichen gesunken ist, konnte zwischen 2011 und 2018 auch die absolute Zahl der Ausbildungslosen in diesem Alter nicht reduziert werden. 2011 waren es nach Angaben des BIBB 1,98 Millionen, 2018 schon 2,12 Millionen.

Zudem haben 2019 erneut 255.000 Jugendliche eine der vielen Maßnahmen des sogenannten Übergangsbereichs begonnen. Dort können sie Abschlüsse nachholen – oder auch nur die Zeit überbrücken, bis sie vielleicht doch eine Lehrstelle finden.

Zugleich warnten die Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) oder des BIBB in den letzten Jahren immer wieder, dass der zunehmende Fachkräftemangel sich quantitativ vor allem auf beruflich ausgebildete Kräfte bezieht – Akademiker sind das weit kleinere Problem.

Um mehr Jugendliche für die duale Ausbildung zu gewinnen, „reicht es auch nicht aus, auf die Abiturienten zu schauen“, sagte DGB-Vizin Hannack. „Deren Anteil im dualen System ist ohnehin stark gewachsen. Wir müssen gerade Jugendliche mit Hauptschulabschluss, aus Einwandererfamilien und die Regionen mit besonders angespanntem Ausbildungsmarkt in den Blick nehmen.“

Hohes Interesse an Bundesprogramm – aber kaum Anträge

Das Corona-Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ lockt zwar mit Prämien von 2000 bis 3000 Euro. Auch berichte die Bundesagentur für Arbeit von einem hohen Interesse, heißt es beim DGB – dennoch stellten die Betriebe nur sehr zögerlich Anträge.

Das führen sowohl der DGB als auch das Handwerk auf die sehr restriktiven Bedingungen zurück: So erhalten kleine und mittlere Unternehmen zwar eine Prämie von 2000 Euro pro neuem Lehrling, wenn sie trotz Corona-Einbußen gleich viele Azubis haben wie im Vorjahr, und 3000 Euro, wenn sie sogar zusätzliche engagieren.

Dafür muss das Unternehmen aber im ersten Halbjahr mindestens einen Monat in Kurzarbeit gearbeitet haben – oder der Umsatz im April und Mai 2020 muss um mindestens 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen sein.

Unternehmen, die trotz Kurzarbeit weiter ausbilden, können einen Zuschuss zum Lehrlingslohn von 75 Prozent erhalten, wenn sie die Azubis nicht in Kurzarbeit schicken, die Ausbildung also nicht unterbrechen. Bedingung ist aber, dass der Arbeitsausfall mindestens 50 Prozent beträgt.

Wer Azubis aus einem insolventen Betrieb übernimmt, kann pro Person eine Prämie von 3000 Euro bekommen. Aber nur dann, wenn auch der Pleitebetrieb weniger als 250 Mitarbeiter hat und das Insolvenzverfahren bis Ende 2020 eröffnet wird. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte bereits angekündigt, dass dies bis Ende 2021 verlängert werden soll – schon allein, weil das Insolvenzrecht aktuell ausgesetzt ist. Allerdings muss dafür auch das Arbeitsministerium mitziehen, das für den Großteil des Programms zuständig ist.

Das Bildungsministerium selbst habe es bisher nicht geschafft, die angekündigte Förderung der Verbund- und Auftragsausbildung kleinerer Unternehmen umzusetzen, die der Koalitionsausschuss bereits im Juni bekräftigt hatte, kritisiert der DGB. „Im Schneckentempo jedoch lässt sich die Coronakrise nicht bewältigen“, sagte Hannack dazu.

Handwerkspräsident Wollseifer hat abgesehen vom Corona-Hilfsprogramm noch ein weiteres Anliegen: Um die duale Ausbildung gerade auch für Kleinst- und Kleinbetreibe langfristig attraktiv zu erhalten, „müssen Ausbildungskosten – beispielsweise für überbetriebliche Lehrlingsunterweisung und die Belastung von Ausbildungsbetrieben durch die gesetzliche Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung – auch unabhängig von der aktuellen Krise verstärkt in den politischen Fokus gerückt werden“, fordert er.