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Wie der weltgrößte Lebensmittelkonzern an der Zukunft der Ernährung forscht

Kaum einer kennt das Unternehmen Cargill, das größer ist als Nestlé und von Umweltschützern massiv kritisiert wird. Doch der Konzern arbeitet an großen Projekten.

Die Corona-Pandemie ist auch für Cargill, das weltgrößte Unternehmen der Ernährungsbranche, ein Stresstest. „Die globalen Lieferketten sind zwar ziemlich unter Druck geraten. Wir arbeiten aber rund um die Uhr daran, sie aufrechtzuerhalten“, sagt Florian Schattenmann, Chief Technologie Officer des US-Familienunternehmens, im Gespräch mit dem Handelsblatt.

So hat Cargill Lieferungen kurzfristig von der Gastronomie in den Einzelhandel verschoben, um der durch die Restaurantschließungen umgeleiteten Nachfrage nachzukommen. Auch bei Fleisch und Burger-Patties gab es in den USA zeitweise Engpässe. Zwei Fleischwerke von Cargill mussten infolge von Corona-Fällen einige Wochen schließen, sie sind aber schon seit einiger Zeit wieder voll in Betrieb.

„Wenn sich das Virus in Afrika oder Südamerika noch weiter ausbreitet, könnte es Engpässe bei Agrarprodukten geben“, meint der gebürtige Münchener und betont zugleich: „Anders als die Autobranche ist die Ernährungsbranche relativ krisenfest.“

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Doch wie die Autoindustrie steckt auch die Nahrungsbranche mitten im Umbruch. Trends wie die Abkehr von Fleisch oder Essen mit Zusatznutzen revolutionieren die weltweite Ernährung. Corona wirkt dabei als Beschleuniger. Laut dem Verein Proveg International hat etwa der Absatz von pflanzlichen Fleischalternativen während der Pandemie massiv zugelegt. Cargill, der drittgrößte Fleischproduzent der Welt, will dabei eine entscheidende Rolle spielen.

Der Konzern beschäftigt weltweit 160.000 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2019 rund 114 Milliarden Dollar. Damit ist das Unternehmen vom Umsatz her etwa ein Fünftel größer als Nestlé. Doch kaum jemand kennt Cargill, das weltweit zu den größten Familienunternehmen zählt. Das liegt zum einen daran, dass das Unternehmen bisher als recht verschwiegen galt. Zum anderen stellt Cargill keine Lebensmittelmarken für Verbraucher her. Der Konzern ist aber in der gesamten Lieferkette zwischen Landwirt und Nahrungsmittelherstellern unterwegs.

1865 legte William Cargill mit einem Lagerhaus für Getreide den Grundstein für den Konzern. Heute werden Landwirte mit Futter versorgt, Rohstoffe von Getreide bis Fleisch anschließend für Lebensmittelhersteller und Gastronomie verarbeitet. Cargill beliefert unter anderem Burger King und McDonald’s mit Burger-Patties. Cargill hat auch eine eigene Flotte von Containerschiffen. Seit 1955 ist Cargill auch in Deutschland aktiv, aktuell arbeiten 1700 Mitarbeiter an zwölf Standorten hierzulande.

„Als Branchenprimus hat Cargill ein extrem breites Portfolio, das von Getreide über Fleisch bis zu Nahrungsergänzungsmitteln reicht. Ziel ist es – wo möglich –, die gesamte Wertschöpfungskette vom Anbau bis zum Kunden zu kontrollieren“, sagt Carsten Gerhardt, Landwirtschaftsexperte und Partner der Beratung AT Kearney.

Die Umweltschutzorganisation Mighty Earth nennt Cargill „das schlimmste Unternehmen der Welt“, unter anderem weil es den Sojaanbau und damit die Abholzung von Regenwäldern forciere oder Kinderarbeit bei Kakaobauern dulde. „Heute hat ein privat geführtes Unternehmen vielleicht mehr Macht, das Klima, das Wasser, die Ernährungssicherheit, die öffentliche Gesundheit und die Menschenrechte auf der Welt zu zerstören oder zu schützen als jedes andere Unternehmen in der Geschichte“, schreibt die Organisation.

„Als größter Konzern im Lebensmittelbereich steht Cargill automatisch im Zentrum der Aufmerksamkeit“, meint Schattenmann. „Nachhaltigkeit war schon immer ein Fokus. Externe Kritik hat unsere interne Diskussion darüber nur verstärkt.“ So will Cargill unter anderem den Ausstoß von Treibhausgasen von 2017 bis 2030 um 30 Prozent senken. Auch die etwa 100 Gesellschafter des Familienunternehmens legen laut Schattenmann sehr viel Wert darauf, dass Cargill nachhaltige Innovationen auf den Markt bringt. „Die Familie reinvestiert 80 Prozent der Gewinne, das gibt es in einem börsennotierten Unternehmen so nicht.“

Cargill wendet sich nun Zukunftsthemen zu, die weniger klimaschädlich sind, aber dennoch lukrativ. Ein Schwerpunkt liegt auf alternativen Proteinen als Fleischersatz. „Hier forschen und investieren wir viel“, betont Schattenmann. Cargill forscht nicht nur an pflanzlichen Burger-Patties, Hack und Chicken-Nuggets, sondern auch an veganem Ei-Ersatz. „Anders als die Beyond Meats dieser Welt deckt Cargill die gesamte Lieferkette von den Zutaten alternativer Proteine bis zum Verarbeiten ab“, betont der Innovationschef. So hat der Konzern 100 Millionen Dollar in die US-Firma Puris investiert. Diese stellt Erbsenproteine her, auch für das gehypte Vegan-Start-up Beyond Meat.

Invitro-Fleisch und hybrider Burger

Start-ups, die die Ernährung revolutionieren wollen, haben es Cargill angetan. Die junge Branche ist unter Investoren begehrt. Weltweit wurde im ersten Quartal 2020 mit 930 Millionen Dollar schon mehr in Firmen für alternative Proteine investiert als im gesamten Vorjahr, ermittelte das Good Food Institute.

Cargill ist auch in Memphis Meat und Aleph Farms investiert. Die Start-ups züchten Fleisch aus Zellkulturen. „Der Trend geht zu hybriden Produkten aus Tier- und Pflanzenprotein“, meint Schattenmann. Der Slinger Burger der Kette Sonic etwa besteht zur Hälfte aus Rindfleisch und Pilzen. Das Pattie kommt von Cargill.

„Alternative Proteine sind ein riesiger Zukunftsmarkt“, bestätigt Agrarexperte Gerhardt. Nach einer Studie von AT Kearney werden 2040 nur noch 40 Prozent des Fleischbedarfs von konventionellem Fleisch gedeckt. Cargill ist längst nicht der einzige Fleischproduzent weltweit, der massiv in alternative Proteine investiert. Dies tun etwa auch Tyson Foods, der deutsche Geflügelproduzent PHW (Wiesenhof) oder die Rügenwalder Mühle. Auch Konzerne wie Nestlé (Garden Gourmet) oder Unilever (The Vegetarian Butcher), die vorher kein Fleisch produzierten, haben Fleischersatz für sich entdeckt.

Agrarexperte Gerhardt begründet den Hype so: „Fleischalternativen werden in der Produktion langfristig deutlich günstiger sein als konventionelles Fleisch.“ Zudem seien sie margenträchtiger. Denn mit Mast, Transport und Schlachtung fallen mehrere kostentreibende Stufen der Wertschöpfung weg. Cargill ist auf dem Zukunftsfeld laut Gerhardt gut positioniert.

Auch die Fischzucht hat Cargill im Fokus. „Ein sehr vielversprechender Trend, weil die Menschen weniger Fleisch, aber mehr Fisch essen“, sagt Schattenmann. Fische haben zudem einen kleineren CO2-Fussabdruck als Rinder. Wobei der Konzern bereits an Tierfutter forscht, damit Kühe weniger Blähungen haben, sprich: weniger Methan ausstoßen. Bei Shrimps- und Lachsfutter ist Cargill Weltmarktführer. Inzwischen kommt dabei auch Künstliche Intelligenz zum Einsatz. „Ein Sensor erkennt, wenn die Shrimps Hunger haben. Dann singen sie nämlich“, erklärt Schattenmann. Erst dann bekommen sie passgenau Futter.

Ein Problem bei der Lachszucht war bisher, dass Zuchtfische ohne Krill keine gesunden Omega-3-Fettsäuren bildeten. Verbraucher legen aber gerade darauf wert. Deshalb bekamen die Lachse Krillöl ins Futter. Cargill fand eine neue Lösung: Durch Kreuzung entstand Raps mit Omega-3-Fettsäuren. Dieses Rapsöl wird nun ins Lachsfutter gemischt. Und auch Fast-Food-Ketten erhalten nun von Cargill gesünderes Rapsöl fast ohne gesättigte Fettsäuren.

Bioaktive Stoffe als Zukunftsmarkt

Gesundheit und Spezialernährung ist ein weiterer Zukunftsmarkt für Cargill. „Wie lässt sich die Widerstandskraft stärken – dieses Thema hat durch Corona einen weiteren Schub bekommen“, sagt Schattenmann. Es gebe große Parallelen zur Tiernahrung. Eine weitere Innovation entstand eher zufällig: Langjährige Mitarbeiter der US-Tierfutterfabrik Diamond V, seit 2017 ein Geschäftsbereich von Cargill, hatten statistisch eine deutlich bessere Gesundheit als die Kollegen im Büro.

Es stellte sich heraus: Sie waren mit einem Fermentat für Tierfutter in Kontakt gekommen, das die Immunität erhöhen und Antibiotika-Resistenz senken soll.

Daraus wurde das Nahrungsergänzungsmittel Epicor entwickelt. „In Amerika ist die Tablette ein Renner“, erzählt Schattenmann, der sie selbst regelmäßig einnimmt. „Das ist eine relativ kleine Sparte, aber mit riesigem Gewinnpotenzial.“ Daneben ist Cargill etwa in die Firma Delacon aus Österreich investiert. Diese gewinnt bioaktive Stoffe aus Heilpflanzen wie Lavendel und Bockshornklee. „Spezialernährung ist ein attraktiver Wachstumsmarkt, allerdings steht Cargill hier im Wettbewerb mit Chemie- und Pharmakonzernen“, meint Berater Gerhardt.

Ein weiteres Zukunftsthema ist die industrielle Verwertung organischer Reste aus der Nahrungsmittelproduktion. Die Forscher haben etwa Restfasern von Zitronen mit natürlichem Spezialgummi zu einem Zusatzstoff entwickelt, der Hautcremes dickflüssiger macht.

In einem anderen Projekt werden Pflanzenfasern oder Schrot so behandelt, dass sie für Asphalt im Straßenbau eingesetzt werden. Auch eine elektrische Leitlösung auf Pflanzenbasis wurde in Cargill-Laboren entwickelt.

„Für die Forschung können wir unsere ganze Breite und Vielfalt nutzen. Verschiedene Sparten können noch viel enger zusammenarbeiten und gemeinsam Innovationen entwickeln“, ist Schattenmann überzeugt. Und eins weiß er auch: „Innovative Produkte, die Zukunftstrends widerspiegeln, haben deutlich höhere Margen.“