Werbung
Deutsche Märkte schließen in 7 Stunden 45 Minuten
  • DAX

    17.993,48
    +132,68 (+0,74%)
     
  • Euro Stoxx 50

    4.968,04
    +31,19 (+0,63%)
     
  • Dow Jones 30

    38.239,98
    +253,58 (+0,67%)
     
  • Gold

    2.323,50
    -22,90 (-0,98%)
     
  • EUR/USD

    1,0685
    +0,0028 (+0,27%)
     
  • Bitcoin EUR

    61.952,95
    +71,93 (+0,12%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.397,04
    -17,72 (-1,25%)
     
  • Öl (Brent)

    82,29
    +0,39 (+0,48%)
     
  • MDAX

    26.524,61
    +234,88 (+0,89%)
     
  • TecDAX

    3.256,11
    +39,16 (+1,22%)
     
  • SDAX

    14.131,90
    +78,65 (+0,56%)
     
  • Nikkei 225

    37.552,16
    +113,55 (+0,30%)
     
  • FTSE 100

    8.057,70
    +33,83 (+0,42%)
     
  • CAC 40

    8.060,83
    +20,47 (+0,25%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.451,31
    +169,30 (+1,11%)
     

Die USA sind ein Risikomarkt – nicht nur für deutsche Autohersteller

„Ich bin ein Mann der Zölle“, twitterte Donald Trump Anfang Dezember in Richtung China und verschärfte damit den Handelsstreit zwischen den beiden Großmächten. Spätestens seit der jüngsten Drohung, 25 Prozent Zoll auf deutsche Autos zu erheben und europäische Importe womöglich als nationales Sicherheitsrisiko einzustufen, müssen sich auch deutsche Unternehmen angesprochen fühlen.

In keinem anderen westlichen Industrieland sind die Unternehmen so sehr von ihren Auslandsmärkten abhängig wie in Deutschland. Insgesamt haben die Großkonzerne im Dax im abgelaufenen Geschäftsjahr ihren Umsatz um rund zwei Prozent auf 1,4 Billionen Euro erhöht. Davon erwirtschaften die Unternehmen nach Handelsblatt-Berechnungen 79 Prozent im Ausland, das sind 1,1 Billionen Euro. Vor 30 Jahren lag ihr Deutschland-Anteil noch bei gut 50 Prozent.

Nicht sehr viel anders sieht es in der zweiten und dritten Reihe aus: Die 70 nächstgrößeren Unternehmen kommen ebenfalls auf einen Auslandsanteil von über 70 Prozent. Darunter sind die vielen hochglobalisierten Weltmarktführer in Nischen wie der Großküchenhersteller Rational und die Autozulieferer Leoni und Dürr.

Wichtigster Auslandsmarkt für die deutschen Großkonzerne sind die USA. Hier setzten die Dax-Konzerne im abgelaufenen Jahr mehr als jeden fünften Euro (22 Prozent) um – in Deutschland waren es knapp 21 Prozent. Ob Autos von BMW und Daimler, die dazugehörende Elektronik von Continental oder Medikamente von Bayer – fast alle Unternehmen haben in den vergangenen Jahren ihren Amerika-Anteil erhöht.

WERBUNG

Für 16 der 25 Dax-Konzerne – Banken und Versicherungen erzielen keine mit Industrieunternehmen vergleichbaren Umsätze – steuert Amerika mehr zum Geschäft bei als Deutschland. Bayer, SAP, Fresenius Medical Care, Merck, Heidelberg Cement, Linde und Adidas machen sogar mehr als doppelt so viele Geschäfte in den USA wie im deutschen Heimatmarkt.

„Viele Dax-Konzerne sind inzwischen Weltunternehmen mit Sitz in Deutschland“, sagt Hubert Barth, Deutschlandchef der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Doch dieses Erfolgsmodell ist in den neuen Zeiten von Protektionismus mit Zöllen und Gegenzöllen in Gefahr.

Große Alternativmärkte gibt es nicht

Andere wichtige Absatzregionen können die drohenden Beschränkungen des amerikanischen Marktes nicht kompensieren. Deutschland ist gesättigt und bietet keine Entfaltungsmöglichkeiten. In China – mit einem Umsatzanteil von knapp 16 Prozent nach den USA und Deutschland der drittwichtigste Einzelmarkt – erwirtschaften etliche Unternehmen zwar hohe Umsätze. Für die drei Autobauer, für Infineon und für Covestro ist es sogar der wichtigste Auslandsmarkt überhaupt.

Aber in dem asiatischen Boomland gab es zuletzt angesichts stärkerer Beschränkungen seitens der chinesischen Einparteien-Regierung und sinkender Nachfrage der Verbraucher erstmals seit zwei Jahrzehnten keine Zuwachsraten mehr. Das Potenzial ist erschöpft, die Zeiten zweistelliger jährlicher Umsatzsteigerungen sind vorbei. Und ein neues Boomland vom Kaliber China ist weltweit nicht in Sicht.

„Kurz- und mittelfristig können andere Absatzmärkte die Beschränkungen des US-Handels nicht kompensieren“, sagt Peter Bartels, Geschäftsführer für die Bereiche Familienunternehmen, Industrien und Digitalisierung beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungshaus PwC.

Allein BMW, Daimler und VW kamen im abgelaufenen Geschäftsjahr in den USA auf einen Umsatz von knapp 100 Milliarden Euro. Im abgelaufenen Jahr verkauften sie rund 1,3 Millionen Fahrzeuge an amerikanische Verbraucher und Unternehmen, davon kamen knapp 700.000 aus der Europäischen Union, darunter 470.000 aus Deutschland.

Die Modelle der VW-Marken Audi und Porsche und der Mini von BMW werden zu 100 Prozent in die USA importiert – und wären demzufolge von einem 25-prozentigen Zoll, wie ihn US-Präsident Donald Trump angedroht hat, am stärksten betroffen.

Doch nicht nur die in die USA eingeführten, auch die vielen in den amerikanischen Großwerken Chattanooga (VW), Spartanburg (BMW) und Tuscaloosa (Daimler) produzierten Autos würden mit US-Zöllen teurer werden, weil die deutschen Hersteller viele Einzelkomponenten bis hin zu Motoren importieren.

Kommt der 25-Prozent-Zoll, wird es teuer: BMW müsste nach Berechnungen des Londoner Marktforschers ISI Evercore mit jährlichen Gewinneinbußen von 1,7 Milliarden Euro rechnen. Das wären knapp 20 Prozent des Jahresüberschusses. Daimler müsste einen Abschlag von zwei Milliarden Euro einkalkulieren, VW 2,5 Milliarden Euro. „Im schlimmsten Fall könnte es so kommen“, bestätigte VW-Chef Herbert Diess.

Die Abhängigkeiten und Verflechtungen sind noch größer: Die Autobauer führen auch Fahrzeuge aus den USA aus, nachdem sie hier ihre weltweiten Drehkreuze für ihre großvolumigen SUV- und Sprinter-Modelle aufgebaut haben und von dort aus den Weltmarkt bedienen.

2018 liefen rund 750.000 von BMW, Daimler und VW produzierte Pkw vom Band. Davon wurden 45 Prozent in den USA und der Rest vor allem in Asien und Europa verkauft. In Spartanburg produziert BMW jährlich 450.000 Geländewagen und beliefert von dort aus Kunden in aller Welt. Das Geschäftsmodell beruht auf freiem Welthandel.

Bis zu 70 Prozent Umsatz in Amerika

Die USA sind für die deutschen Hersteller ein wichtiger Verkaufs- und Produktionsstandort. Vorprodukte und fertige Waren werden importiert, die von Zöllen bedroht sind, und sie werden aus den USA exportiert, woraufhin neue Zölle fällig werden. Um das zu vermeiden, ist es überlegenswert, Teile der Produktion aus den USA abzuziehen – und beispielsweise in China wieder aufzubauen, um so Zölle und Gegenzölle der beiden Staaten zu umgehen.

Leidtragende wären Angestellte, die ihre Arbeit verlieren, und die Unternehmen samt ihren Aktionären, weil Verlagerungen teuer sind – und Rendite kosten. „Am Ende gibt es nur Verlierer“, urteilt PwC-Industrieexperte Bartels.

Verlierer auch deshalb, weil ein Großteil der Auslandsumsätze keineswegs nur durch Exporte entsteht, sondern vor allem durch Wertschöpfung in dem jeweiligen Zielland – in dem Fall Amerika: Die deutschen Unternehmen investieren in die amerikanische Infrastruktur, schaffen dort Arbeitsplätze, leisten Sozialabgaben und zahlen Steuern. All das ist nun durch Zollschranken in Gefahr.

Die deutschen Autobauer liegen mit Umsatzanteilen von rund 20 Prozent in den USA im unteren Mittelfeld – verglichen mit den anderen deutschen Großkonzernen im Dax. Dennoch müssen sich die Unternehmen mit noch größeren Geschäftsanteilen in den USA nicht automatisch größere Sorgen als die Autobauer machen.

Viele wickeln, anders als BMW, Daimler und VW, oftmals fast ihr komplettes Geschäft in den USA ab: angefangen von der Produktion über den Transport und Vertrieb bis hin zum Marketing und Verkauf. So setzt der Düsseldorfer Markenkonzern Henkel knapp jeden vierten Euro in den USA um und verkauft dort fast die gesamte Palette seiner Marken. Produziert wird viel im Land: Klebstoffe in Berkeley, Calhoun, Cambridge und an anderen Standorten, Konsumgüter in Bowling Green.

Eon betreibt im Mittleren Westen rund 20 Windparks mit einer Leistung von drei Gigawatt. Das entspricht immerhin der Leistung von drei Kernkraftwerken. Auch hier drohen künftig keine Zölle – abgesehen von den wenigen Ersatzteilen, die bei einer Reparatur oder Wartung möglicherweise nicht in den USA zu bekommen sind und deshalb importiert werden müssen.

BASF betreibt Großwerke in Texas und Louisiana, Infineon produziert an sieben Standorten, darunter in Morgan Hill, San Jose und St. Paul. Die Deutsche Telekom erwirtschaftete 2018 fast die Hälfte ihres Gesamtumsatzes in Höhe von 75,7 Milliarden Euro in den USA: über ihre Mobilfunktochter T-Mobile, den seit Jahren boomenden und drittgrößten Mobilfunkanbieter in den Vereinigten Staaten.

Zumindest über Zölle braucht sich in der Bonner Zentrale niemand zu sorgen, sehr wohl aber über regulatorische Hürden und Vorbehalte der Kartellbehörden in den Vereinigten Staaten gegenüber einer Fusion der US-Tochter mit dem amerikanischen Wettbewerber Sprint.

Beim Dialyse-Spezialisten Fresenius Medical Care (FMC) entfallen 70 Prozent des Umsatzes auf Nordamerika, davon der Großteil auf die USA. Kein anderes Unternehmen hat sich so sehr der größten Volkswirtschaft verschrieben. Zum siebenköpfigen Vorstand zählen vier Amerikaner, einschließlich des Vorsitzenden Rice Powell.

FMC bilanziert der Einfachheit halber in Dollar. Mögliche Einfuhrbeschränkungen treffen FMC so gut wie gar nicht, weil Bluttransfusionen und das gesamte Geschäft mit der Dialyse vor Ort betrieben werden. Viel entscheidender für die Umsätze, Gewinne, Dividenden und den Aktienkurs ist seit Jahren die Höhe der Erstattungen durch staatliche US-Krankenversicherungen.

Mit am wenigsten Sorgen über Zölle muss sich Heidelberg Cement machen. Der Baustoffkonzern erwirtschaftet jeden vierten Euro in Nordamerika, den Großteil in den USA. Dort betreibt Heidelberg Cement 13 Zementwerke und zahlreiche Terminals.

Mit dem Kauf des Baustofflieferanten Hanson vor zwölf Jahren erwarben die Deutschen ein dichtes Netz an Werken in den USA – und erhielten so die Möglichkeit, Schlüsselmärkte im ganzen Land zu beliefern. Eine Alternative zu dieser Vor-Ort-Produktion und -Lieferung gab es ohnehin nie: Zement ist schwer, Transporte über 1000 und mehr Kilometer rechnen sich nicht.

Den Kunden zu folgen und möglichst alle Vor- und Endprodukte im Verkaufsland herzustellen, um so länderübergreifende Lieferketten zu reduzieren: Dieser Weg vermeidet Zölle, und das ist das Ziel in einer zunehmend rückwärtsgerichteten und von Protektionismus bedrohten globalisierten Welt.

Deshalb reagieren die Unternehmen nicht mit Rückzug, sondern mit noch mehr Verbindungen: BASF investierte gemeinsam mit dem norwegischen Chemie- und Gaseproduzenten Yara 600 Millionen Dollar in den Bau einer Ammoniakanlage im texanischen Freeport.

Volkswagen-Chef Herbert Diess kündigte in der Autometropole Detroit neue Investitionen an seinem amerikanischen Produktionsstandort in Chattanooga an. Für 800 Millionen Dollar soll neben dem 5,6 Millionen Quadratmeter großen Werk ein zweites mit 1000 Arbeitsplätzen entstehen. BMW-Chef Harald Krüger erwägt den Bau eines Motorenwerkes in den USA, um mehr Einzelteile in den USA zu produzieren und so mehr Wertschöpfung zu schaffen.

Mindestens 75 Prozent eines Autos sollen in den USA hergestellt werden, um Zöllen zu entgehen. Wettbewerber Daimler baut nahe seinem Werk in Tuscaloosa eine Batteriefabrik. In South Carolina eröffneten die Stuttgarter ihr erstes amerikanisches Sprinter-Werk. Der Zulieferer Continental will von Mississippi aus den wachsenden nordamerikanischen Markt mit Nutzfahrzeugreifen versorgen und investierte deshalb 1,5 Milliarden Dollar in ein 400 Hektar großes Gelände.

Attraktives Steuerland

All diese Geschäfte und Investitionen lohnen sich für die Unternehmen, weil der amerikanische Markt nicht nur der größte, sondern auch lukrativ ist – und weil er mehr Potenzial bietet. Genauso wie amerikanische profitieren auch viele deutsche Unternehmen von Trumps Steuerreform und der Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 35 auf 21 Prozent.

Für BMW und Daimler ergaben sich vor gut einem Jahr Entlastungen von jeweils gut einer Milliarde Euro. Ökonomen und Wirtschaftsvertreter rechneten vor, dass die nominale Steuerbelastung in Deutschland inzwischen rund 20 Prozentpunkte höher liegt als in den USA. Hinzu kommen Erleichterungen bei Abschreibungen oder für Lizenzeinnahmen für Firmen mit Sitz in den USA.

Schließlich: Amerikas Bevölkerung ist konsumfreudiger, und sie stagniert nicht wie in Deutschland, sondern sie wächst seit vielen Jahren kontinuierlich: allein 2018 um rund 2,5 Millionen auf etwa 330 Millionen Einwohner. All das spüren Konzerne wie Adidas mit ihren Turnschuhen, Henkel und Beiersdorf mit ihren Cremes und Waschmitteln und natürlich die Autobauer mit ihren Sprintern und Limousinen. Einen deutschen Exodus aus den USA wird es deshalb trotz aller geopolitischen Schwierigkeiten nicht geben.