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USA – das Land der Dichter

Poesie tut sich heutzutage schwer damit, von der breiten Masse angenommen zu werden. Doch in Amerika spielt sie mittlerweile eine besondere Rolle. Dank des Projekts „Poetry in Motion“. Eine Weltgeschichte.

Ich lese während der Fahrt ins Büro vom Times Square zur Wall Street: „Eine fremde, schöne Frau/traf mich im Spiegel/neulich nachts/Hey,/sagte ich,/was tust du hier?/Sie fragte mich/dasselbe.“ Ein Gedicht von Marilyn Nelson, geboren 1946, präsentiert zusammen mit einem freundlich-bunten Bild in einem Waggon der New Yorker U-Bahn. Es ist nur eines von vielen Beispielen. Ein anderes Gedicht, geschrieben von Gaby Snyder, schließt mit den Zeilen: „Ein Planet/aufgehend im Osten – scheint/durch die Bäume/Vor Jahren dachte ich/Warum sind wir hier?“

Deutschland nannte sich einst das Land der „Dichter und Denker“. Heute tut Poesie sich schwer auf dem Büchermarkt. Das ist in den USA nicht anders. Aber in gewisser Weise spielt Poesie eine bemerkenswerte Rolle in Amerika. Das Projekt „Poetry in Motion“, das regelmäßig Gedichte in der U-Bahn präsentiert, ist ein gutes Beispiel dafür. Wer täglich zur Arbeit fährt und immer wieder dieselben Verse liest, nimmt sie dort möglicherweise sogar intensiver zur Kenntnis als in einem Buch.

Gedichte zu schreiben ist in den USA kein Revier für eine winzige Schar professioneller Dichter. Vor allem an Hochschulen ist es verbreitet, Professoren haben keine Scheu, ihre Werke vorzutragen. Zeitungen drucken politische Gedichte ab, etwa die „New York Times“ eines von Julien Poirier, das mit den Zeilen beginnt: „Es ist so leicht eine Flagge zu zeigen, wenn du in einem netten Haus lebst/in einer schönen Stadt“.

Öffentliche Poesie findet nicht nur im Untergrund statt, sondern auch in sommerlicher Abendsonne. Ein Beispiel dafür ist der Bryant Park mitten in Manhattan. Vor 20 Jahren noch ein Drogenumschlagplatz, ist aus dem von Hochhäusern eingerahmten grünen Rechteck hinter der prächtigen New Yorker Bücherei eine Insel für Kunst und Literatur geworden. Im Sommer werden dort Filme gezeigt, Schauspiele aufgeführt, Konzerte gespielt. Am Rand der Wiese unter den Bäumen findet der „Book Club“ statt, mit Regalen voll Büchern, die zum Stöbern einladen. Und mit Veranstaltungen wie „Word für Word“, wo in den warmen Monaten dienstags abends Gedichte vorgetragen werden.

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Instrument der Klage

Paul Romero lädt dazu ein, ein freundlicher, älterer Herr, ein echter Liebhaber der Dichtung, dessen gütige Stimme allein schon eine meditative Atmosphäre schafft, wenn er die eingeladenen Dichter vorstellt. Hier findet kein lärmiger Poetry-Slam statt. Sondern Amerikaner jeden Alters und jeder Herkunft tragen bescheiden, manchmal beinahe schüchtern, ihre Werke vor. Sanfte Worte fallen vor dem lärmigen Hintergrund der großen Stadt, immer wieder unterbrochen von dem Geheule vorbeifahrender Kranken- oder Polizeiwagen. Kleine Gesten behaupten sich in einer Umgebung, die an Großspurigkeit keinen Mangel hat.

Mitunter wird Poesie zum Instrument der Klage. Schwarze prangern das Schicksal Schwarzer an, vor allem die tödlichen Schüsse von Polizisten auf unbewaffnete junge Männer. Homosexuelle geben Einblick in die täglichen Schikanen ihres Lebens. Manche Gedichte sind auch einfach schön, oder geben Hoffnung, wie die Zeilen von Erika Meitner: „Wie schön/sind die Füße/derer die dir bringen/ gute Nachricht von guten Dingen“ aus dem Gedicht „Lass die Zukunft so beginnen“. Andere bewegen sich am Rand zur Unverständlichkeit. Aber alle schaffen eine Form von besinnlicher Gemeinschaft mit dem Publikum, das sogar an Regentagen kommt und sich unter eine große Plane duckt.

„Poetry im Park“ gibt es nicht nur in New York, sondern auch im benachbarten Newark, einer der ärmsten Städte Amerikas, von hoher Kriminalität geplagt. Andere Städte in aller Welt haben ähnliche Konzepte. Aber vielleicht ist nirgendwo der Kontrast der kleinen Kunstform zu riesigen Stadt größer als in New York. Die Poesie zieht sichtbar ein besonderes Publikum an. Es ist gemischt in allen Farben und Altersgruppen. Aber allen gemeinsam ist eine zurückhaltende, vorsichtige Art sich zu bewegen und zu sprechen. Poesie sammelt das leise Amerika und gibt ihm eine Stimme, die nicht überhört wird.

Auf der Heimfahrt vom Büro lese ich in der U-Bahn ein Gedicht von Billy Collins mit dem Titel „U-Bahn“. Es lautet: „Während du schnell durch den Untergrund rauschst/mit einem Lied in den Ohren/oder verloren im Labyrinth eines Buchs/denke an die, die hinabstiegen/ins widerspenstige Gestein/um ein Loch durch Granit zu bohren/den Weg frei zu machen für dich/wo nur Dunkel und Fels war/denke daran, wenn du aufsteigst zum Licht.“