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US-Post droht Privatisierung nach Vorbild der Deutschen Post

Noch nie stand es so schlecht um die US-Post. Zu ohnehin schlechten Zahlen gesellt sich nun die Briefwahl-Debatte. Konservative Vordenker empfehlen, die Post zu privatisieren – etwa nach dem Vorbild der Deutschen Post.

Die US-Post war schon immer Spielball der Politik. Doch diesmal steckt sie in einer ihrer schwersten Krisen, seit Benjamin Franklin im Jahr 1775 zum ersten Postminister ernannt wurde. Foto: dpa
Die US-Post war schon immer Spielball der Politik. Doch diesmal steckt sie in einer ihrer schwersten Krisen, seit Benjamin Franklin im Jahr 1775 zum ersten Postminister ernannt wurde. Foto: dpa

Die Krise der US-Post ist gravierend. Vor Ort in den USA ist das wenig zu spüren: Jeden Nachmittag schnauft ein kleines weißes Wägelchen die hüglige Straße in meinem kalifornischen Wohnort hoch und kurvt gekonnt um Mülltonnen und geparkte Fahrzeuge. Das kurze Aufheulen des Motors ist schon von weitem zu hören. Genauso wie das vertraute Quietschen beim Öffnen der Briefkästen, die den Straßenrand säumen. Es ist unsere Postzustellerin. Immer öfter muss sie ihren Wagen abstellen, Päckchen und Pakete herausheben und vor der Haustür ablegen. Vor ein paar Jahren kam sie noch gegen 14 Uhr. Jetzt wird es wegen der Buckelei oft 16 Uhr und später.

Normale Briefe stellt sie kaum noch zu. Im Briefkasten landet fast nur noch Werbung. Selbst die hat erheblich abgenommen. Dafür werden die Päckchen und Pakete immer mehr, nicht erst seit den Covid-19-Beschränkungen. Fast immer ist der Absender Amazon.

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Deshalb kommt die Zustellerin beziehungsweise ihr Kollege nicht mehr nur an sechs Tagen die Woche, wie gesetzlich vorgeschrieben. Sondern sogar am Sonntag, um dann exklusiv Amazon-Pakete auszuliefern. Über UPS werden fast nur noch überdimensionierte Pakete versandt. Amazon wickelt das Gros seiner kleinen und mittelgroßen Lieferungen inzwischen bevorzugt über die US-Post ab.

Aus Sicht der Kunden scheint die US-Post gut organisiert. Die Sendungen werden relativ zuverlässig ausgeliefert, zumindest in den meisten Regionen. Frankierte Post legt man einfach in den Briefkasten und stellt das rote Fähnchen an der Seite hoch. Der Zusteller nimmt sie dann mit. Geht man in den Urlaub oder ist man ein paar Tage unterwegs, reicht das Ausfüllen eines Online-Formulars. Die Post wird dann automatisch in einem Plastikcontainer im Postamt gesammelt und nach Rückkehr direkt zur Haustür gebracht. All das ist kostenlos. Genau wie ein E-Mail-Service, der jeden Morgen gegen acht Uhr Fotos von den eingegangenen Sendungen schickt, damit man sie später mit der ausgelieferten Post vergleichen kann.

Die US-Postämter verströmen ein merkwürdig heimeliges Gefühl. Sie sind zwar spartanisch eingerichtet. Aber wie ein Starbucks sind sie sofort vertraut, da sie in allen 50 US-Bundesstaaten gleich aussehen. Im Gegensatz zum Kaffeekonzern aus Seattle sind sie jedoch in fast jedem kleinen Nest in den USA vertreten und dort nach dem Aussterben der Innenstädte oft die letzten Ausharrenden. 31.000 Postämter gibt es in den USA. Jeder Lokalpolitiker und Kongressabgeordnete, der wiedergewählt werden will, tut gut daran, diese Bastionen zu schützen. Egal wie unprofitabel sie sind.

Die US-Post ist eine Institution. Ihre Vorläufer haben den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ebenso überstanden wie den Amerikanischen Bürgerkrieg. Über hundert Jahre alte Briefmarken sind heute noch gültig und werden akzeptiert.
Trotzdem mäkeln die US-Bürger an ihrer Post herum. Wenn Post gestohlen wird, was in letzter Zeit häufiger passiert, wird die Behörde verantwortlich gemacht. Es ist auch einfach, weil die meisten Briefkästen kein Schloss haben.
Im Kundenzufriedenheitsbarometer Amerikas – kurz ACSI – wird sie derzeit nur mit 73 von 100 Punkten bewertet, sogar einen Punkt unter den Fluggesellschaften. Aber das kann auch an dem Malus liegen, den Behörden generell in den USA haben. Sie belegen mit 66 Punkten seit Jahren regelmäßig einen der untersten Ränge. Nur die verhassten Kabelfernsehgesellschaften schneiden noch schlechter ab.

Doch wenn es darauf ankommt, stehen viele US-Bürger zu ihrer Post. Derzeit läuft eine Grassroots-Kampagne, um die US-Post finanziell zu unterstützen, damit sie nicht inmitten einer US-Präsidentschaftswahl ihr Budget kürzen muss und die Briefwahl-Unterlagen eventuell nicht rechtzeitig zustellt. Hunderttausende haben deshalb im Onlineshop der Post Briefmarken oder T-Shirts bestellt. Auch ich habe meinem Briefmarkenvorrat für die nächsten zwei Jahre vorab geordert. Auf meinem Schreibtisch liegt nun ein Stapel mit Bugs-Bunny-Briefmarken.

Die Geste wird die US-Post nicht retten. Nicht nur deshalb, weil es sogenannte Forever Stamps sind, die das Zustellen eines Briefes in den USA für ewige Zeiten garantieren. Selbst wenn die Preise hochgehen, was in den vergangenen 15 Jahren bis auf eine Ausnahme immer der Fall war. Die „Ewige Briefmarke“ wurde in den USA im April 2007 eingeführt. Damals kostete sie 41 Cent, mittlerweile beträgt ihr Preis 55 Cent. Die US-Post hat also nur Zeit gekauft. Und die braucht sie momentan auch.

Die US-Post war schon immer Spielball der Politik. Doch diesmal steckt sie in einer ihrer schwersten Krisen, seit Benjamin Franklin im Jahr 1775 zum ersten Postminister ernannt wurde. „Seit 2007 hat die Post mindestens 78 Milliarden Dollar verloren“, hat David Ditch, Analyst der Heritage Foundation errechnet.

Die Lage ist so schlimm, dass die Behörde schon im nächsten Frühsommer nicht mehr genügend Barmittel hätte und vom Staat gerettet werden oder aber Pensionsverpflichtungen auf die lange Bank schieben müsste. Bankrott gehen kann die US-Post nicht, zumal sie Teil der öffentlichen Infrastruktur ist. Zudem ist sie mit 600.000 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber der USA. Eine Finanzspritze in Höhe von 25 Milliarden Dollar hat US-Präsident Trump vorerst blockiert, um damit die Demokraten beim Gerangel um weitere Coronahilfen unter Druck zu setzen.


Muss die Post privatisiert werden?

Die Gründe für die Krise liegen sehr tief. Im Kern geht es um die Frage, ob die US-Post ganz oder zumindest teilweise privatisiert werden muss, um sie auf Rentabilität zu trimmen. Oder ob sie als wichtiger Teil der öffentlichen Infrastruktur künftig nicht nur wie bislang billiges Geld beim Staat aufnehmen kann, sondern direkt vom Steuerzahler subventioniert werden muss, damit weniger bevölkerungsreiche Regionen nicht abgehängt werden.

Derzeit ähnelt die traditionsreiche Behörde einem der typischen Silicon-Valley-Unicorns. Die Marke ist bekannt, der Umsatz beachtlich. Nur das Geschäftsmodell funktioniert nicht – oder im Fall der US-Post nicht mehr. Das Problem: Das wird so bleiben, falls die Institution nicht grundlegend verändert wird, meint Chris Edwards vom Cato-Institute, einer konservativen Denkfabrik. „Sie muss stärker dem Wettbewerb geöffnet werden“, fordert er. Als erster Schritt müsse die Postzustellung von sechs auf fünf Tage verkürzt und Postämter geschlossen und zusammengelegt werden.

Das es so arg gekommen ist, liegt am Internet. Es ist Fluch und Segen der Behörde. Fluch, weil kaum noch jemand Briefe schreibt. Selbst die Rechnungen für Strom und Wasser oder Bankauszüge werden elektronisch zugestellt. Die vielen Werbeprospekte und Rabatt-Heftchen, die früher die Briefkästen verstopften, werden nun als Online-Anzeige oder Digital-Coupon über Google und Facebook verteilt. Viele Zeitschriften sind aufs Tablet gewandert. Seit 2001 haben die Briefsendungen in den USA um fast die Hälfte abgenommen.

Eigentlich sollte der boomende Online-Handel die Ausfälle ausgleichen. Tatsächlich befördert die US-Post so viele Pakete und Päckchen wie noch nie. Das Problem ist, dass sie gegen private Konkurrenten wie Fedex und UPS konkurrieren muss. Während die privaten Wettbewerber unrentable Routen stilllegen können, muss die US-Post in jedes kleine Kaff ausliefern. Ob per Kleinflugzeug in Alaska oder an abgelegene Gehöfte in den Weiten von Montana oder Texas, wo etliche Sprengel noch nicht mal Straßennamen haben.

Davon profitieren Händler wie Amazon oder Wal-Mart, die so ihr Einzugsgebiet dank US-Post ausweiten. Zwar dauert das dann schon mal bis zu einer Woche und nicht innerhalb von Stunden wie in vielen US-Großstädten. Ländliche Gebiete machen vom Amazon-Geschäft in den USA laut einer Analyse der Investmentbank Morgan Stanley zwar nur elf Prozent aus, aber dank US-Post wird auch in entlegenste Regionen geliefert. So kann Amazon genau wie UPS und Fedex die Rosinen für sich picken. Wo die eigene Zustellung zu teuer ist, muss die Post ran. In den Städten baut der Online-Konzern sein eigenes Zustellnetz beständig aus beziehungsweise installiert eigene Paketabholboxen. Die Logistik ist komplex. Doch auf der letzten Meile lieferte der Online-Händler laut der Morgan Stanley Studie 46 Prozent seiner Sendungen selber aus. Danach kommt schon die US-Post mit rund 30 Prozent, gefolgt von UPS mit 17 Prozent. Dabei ist Paketgeschäft für die US-Post nicht immer lohnenswert. Schon im Geschäftsjahr 2019 deckte der Paketversand nur 97 Prozent der Kosten ab.

Als Ausgleich für das gesetzlich festgelegte Zustellmandat hat die US-Post das Monopol für alle anderen Sendungen fern des Pakets. Noch immer machen Briefsendungen mit 24,4 Milliarden Dollar das Gros des Jahresumsatzes aus. Dessen Volumen schrumpft jedoch ständig. Genau wie bei Werbesendungen und der internationale Briefverkehr.

Der Nachteil lässt sich an Zahlen ablesen: Fedex hat im vergangenen Jahr weltweit bei 69 Milliarden Dollar Umsatz rund 1,2 Milliarden Dollar verdient. UPS hat im Finanzjahr 2019 rund 74 Milliarden Dollar und 4,4 Milliarden Dollar an Profit erwirtschaftet. Die US-Post hat hingegen im Geschäftsjahr zwar 71 Milliarden Dollar umgesetzt. Dabei allerdings 3,4 Milliarden Dollar verloren. Oder sogar fast neun Milliarden Dollar, wenn man Zusagen für Pensionen und Gesundheitsversorgung hineinrechnet. Im Jahr 2006 verpflichtete das US-Parlament die Post, die Gesundheitskosten für seine Mitarbeiter und Pensionäre für die nächsten 75 Jahre abzusichern. Die Auflage hat den Spielraum weiter eingeschränkt.

Für US-Präsident Donald Trump, der Probleme gern vereinfacht und dramatisch verpackt, steht der Schuldige fest: Es ist Amazon, das sich wie ein Blutsauger an die US-Post hängt und deren Zustellverpflichtung gnadenlos ausnutzt. „Dass die-US Post soviel Geld verliert, liegt daran, dass sie Päckchen für Amazon und andere ausliefern. Jedes Mal, wenn sie ein Päckchen ausliefern, verlieren sie wahrscheinlich zwischen drei und vier Dollar“, behauptet Trump. Er hat auch eine einfache Lösung parat. „Sie müssen die Preise anheben, nicht für die Empfänger, sondern für Amazon und ähnliche Unternehmen.“

Doch mehrere Studien und interne Analysen der Post haben ergeben, dass dies nicht stimmt. Vielmehr ist es wohl so, dass der Online-Händler eigentlich sogar die US-Post stützt. Denn die muss ihr Zustellnetz ohnehin vorhalten. Der einzig strittige Punkt ist, ob Amazon und Co. für diesen Service mehr bezahlen müssten. Tatsächlich hat die US-Post gerade angekündigt, fürs kommende Weihnachtsgeschäft die Preise für ihre gewerblichen Kunden zu erhöhen. Doch sie kann nicht beliebig an der Preisschraube drehen. Dann könnten Amazon und andere Händler auf UPS, Fedex oder andere private Zusteller ausweichen. Mehr noch: Sie könnten etliche Waren in entlegene Regionen entweder gar nicht mehr liefern oder nur noch gegen Aufpreis. Das wollen allerdings auch die Republikaner nicht, die viele Wähler in ländlichen Gebieten haben.

Covid-19 hat die Krise der US-Post noch verschärft, weil sich die Margen wegen zusätzlicher Arbeitskräfte und Schutzmaßnahmen vor dem Virus noch weiter verschlechtert haben. Im zweiten Quartal verlor die US-Post allein 2,2 Milliarden Dollar. Um Kosten zu sparen, hatte der Postchef und Trump-Vertraute Louis DeJoy angekündigt, Überstunden zu verbieten und die Auslieferungszeiten zu verlängern. Die Reformen wird er allerdings nun bis nach der US-Wahl aussetzen. Zuvor gab es nämlich Kritik aus der Politik: Die Einschnitte hätten die Zustellung der Briefwahlergebnisse verzögern können, befürchtete die Kongress-Mehrheitsführerin Nancy Pelosi von den Demokraten.

Egal, wie die kommende US-Wahl ausgeht. Die US-Politiker müssen die Probleme mit der US-Post anpacken. In den USA wird oft über den alten Kontinent – gemeint ist Europa – die Nase gerümpft.

Chris Edwards vom Cato-Institute rät, die Privatisierung der Deutschen Bundespost genau zu studieren. Seiner Meinung nach taugt sie als Vorbild für das US-amerikanische Staatsunternehmen. Das dürften etliche Postkunden in Deutschland zwar anders sehen, gerade was das Ausdünnen von Filialen angeht. Aber vom Ausland betrachtet, sieht manches eben besser aus.

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