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Von der ursprünglichen Idee der EU ist wenig übrig geblieben

Der EU-Gipfel zeigt, dass die Staatengemeinschaft zu einer Clearingstelle nationaler Interessen verkommen ist. Gleiche Werte und Ziele sind notwendig.

Gut Ding will Weile haben. Weil die Staats- und Regierungschefs von 27 EU-Staaten nun einmal 27 Interessen haben, dauerte es vier Tage, bis sich das oberste Beschlussgremium dieser höchst heterogenen Staatengemeinschaft in den frühen Stunden des Dienstags auf einen Kompromiss für ein 1,8 Billionen Euro schweres Finanzpaket einigte.

Gut 1,07 Billionen Euro sind für den mehrjährigen Finanzrahmen der EU veranschlagt; 750 Milliarden Euro fließen in einen neuen Corona-Hilfsfonds, aus dem 390 Milliarden Euro als Hilfsgelder an notleidende Mitgliedstaaten und 360 Milliarden Euro als Kredite vergeben werden sollen.

Erstmals kann die Europäische Union (EU) Schulden aufnehmen, für die die Mitgliedstaaten gesamtschuldnerisch haften. Ungeachtet dieser Entscheidung zugunsten von „Euro-Bonds“ war dieser Gipfel wahrlich kein Meilenstein auf dem Weg zum europäischen Bundesstaat.

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Denn leider zeigten die Verhandlungen, dass derzeit von der ursprünglichen Idee der EU nur mehr wenig übrig ist. Anstatt sich als zusammenwachsende Staatengemeinschaft mit gleichen Werten und Zielen zu verstehen, ist die EU zu einer Clearingstelle nationaler Interessen verkommen.

Ähnlich wie bei Bund-Länder-Verhandlungen in Deutschland werden Konfliktlinien mit viel Geld verkleistert. Controller haben die Stellen von Vordenkern eines europäischen Bundesstaates übernommen.

Zunahme der wirtschaftlichen Heterogenität

Die Gründungsväter der EU waren von zwei Weltkriegen als Folge einer Überbetonung der Nationalstaatlichkeit – namentlich der Deutschen – geprägt. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer führte rasch zu einer Versöhnung der beiden Erbfeinde. Gleichzeitig waren auch die übrigen Länder Westeuropas an Annäherung interessiert, und so wurde mit der „Montanunion“ der Grundstein der Integration Westeuropas gelegt.

Einige Jahre später wurde im Bewusstsein gemeinsamer europäischer Werte – Aristoteles, Christentum, Aufklärung und pluralistische Demokratie – aus der 1957 gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit Deutschland, Frankreich, Italien und den Benelux-Ländern im April 1965 die EU.

Im Jahr 1973 wurden Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich Mitglieder, 1981 folgte Griechenland. Anschließend traten Portugal und Spanien sowie schließlich 1995 Finnland, Österreich und Schweden bei. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurden zahlreiche ehemalige Ostblockstaaten sowie Malta und die Republik Zypern aufgenommen.

Die EU wurde aber nicht nur bunter; auch die wirtschaftliche Heterogenität nahm dramatisch zu. So ist die Wirtschaftskraft pro Kopf in Dänemark sechsmal so hoch wie in Bulgarien und in Deutschland immerhin fast zweimal so groß wie in Spanien. Das weckt sowohl Begehrlichkeiten wie Ängste vor Wohlstandsverlusten.

Zudem verläuft dort, wo vor 30 Jahren Mauern und Stacheldrähte standen, heute ein ideologischer Graben. Die Osterweiterung der EU brachte es mit sich, dass Staaten aufgenommen wurden, die im Nationalstaat ein Symbol politischer Freiheit und der Erlösung vom Kommunismus sehen.

Deshalb erhalten die nationalpopulistischen Parteien in Ungarn, Polen und Tschechien starken Zuspruch bei den Wählern und können Gewaltenteilung, Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz infrage stellen. Zurechtweisungen seitens der EU-Kommission werden als Angriffe auf die nationale Souveränität betrachtet und ignoriert.

Der Euro ist aus einzelwirtschaftlicher Sicht ohne Zweifel ein Erfolgsmodell. Die Transaktionskosten beim Außenhandel, beim Tourismus oder bei Finanzmarktgeschäften sanken drastisch. Erkauft wurden diese Vorteile allerdings mit einem markanten Verlust an Möglichkeiten der Mitglieder dieser Währungsgemeinschaft, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen oder Rezessionen zu bekämpfen.

Die Übertragung der Geldpolitik auf die EZB bedeutete den Verzicht auf zwei wichtige wirtschaftspolitische Optionen: Abwertung und Zinssenkungen. Die Lohnkosten wurden zum zentralen Parameter der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, und Produktivitätsunterschiede wurden gnadenlos aufgedeckt.

Das Versprechen, der Euro werde den Wohlstand aller erhöhen und die Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern einebnen, erfüllte sich nicht. Vielmehr wurden das Nord-Süd-Gefälle und damit die wirtschaftliche Dominanz Deutschlands gegenüber Frankreich, Italien oder Spanien zunehmend größer, und es wurde einer Deindustrialisierung dieser Länder Vorschub geleistet.

Verlust geopolitischer Bedeutung

Schließlich führt das Einstimmigkeitsprinzip im EU-Rat dazu, dass unkooperative Staaten mit Blockadehaltungen den Gemeinschaftsgeist torpedieren können. So begründeten letztes Wochenende die Regierungschefs von Dänemark, Finnland, den Niederlanden, Österreich und Schweden ihren Widerstand gegen Unterstützungszahlungen mit ihrer Verantwortung für die Steuergelder ihrer Bürger, die ohne Erfolgskontrolle nicht gen Süden fließen sollten. Mit dieser harten Haltung sollten wohl vor allem nationalistische Wählergruppen in der Heimat beeindruckt werden.

Macht dieses Beispiel Schule, wird die EU in der laufenden Dekade nicht auseinanderbrechen, sicher aber geopolitisch weiter an Bedeutung verlieren. Denn nur ein mit einer Stimme sprechendes Europa wird sich in den vorprogrammierten Auseinandersetzungen mit den USA und China behaupten können. Dazu sind weitere institutionelle Reformen unvermeidlich.

Das Einstimmigkeitsprinzip im EU-Rat lähmt die Gemeinschaft in der aktuellen globalen Umbruchphase. Es sollte überwunden werden. Freilich müsste dann jeder Regierungschef seiner Selbstentmachtung zustimmen – was vielen in der Heimat als Schwäche ausgelegt würde und zur Abwahl führen könnte.

Wer es ernst meint mit Europa als drittem geopolitischem Machtzentrum, der muss bereit sein, sich von der Idee eines „Europas der Vaterländer“ zu verabschieden und die derzeitige Macht des Europäischen Rats als Vertretung und Symbol eines überkommenen nationalstaatlichen Denkens brechen.

Die Kommission als Regierung, ein mit umfassenden Gesetzgebungskompetenzen ausgestattetes Parlament und ein EU-Rat als Länderkammer wären eine zukunftsorientierte Vertretung der Interessen der Bürger Europas in einer sonst von den USA und China dominierten Welt. Der Weg dorthin ist zwar ausgesprochen steinig, doch die Alternative dazu wäre eine beschleunigte Verzwergung Europas.