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Urlaubsportale geraten immer tiefer in die Krise

Buchungseinbrüche und negative Umsätze belasten die Plattformen. Einige reagieren mit drastischen Sparprogrammen, denn die Aussichten sind trübe.

Den Geschäftsverlauf der eigenen Firma fasst Kayak-Vorstand Tore Pein Jensen in einem Wort zusammen: „katastrophal“. Frühestens 2023, so der Däne zum Handelsblatt, kämen die Reisebuchungen seines Onlineportals wieder auf den Stand von vor der Coronakrise. „Wer überhaupt noch verreist, geht oft sicherheitshalber ins Reisebüro, um sich detailliert beraten zu lassen.“

Reise-Onlineportale wie die US-Meta-Suchmaschine Kayak, die schon vor zehn Jahren den deutschen Rivalen Swoodoo und 2017 den dänischen Wettbewerber Momondo kaufte, galten in den vergangenen Jahren als Gelddruckmaschine. Zum Segen auch für den Kayak-Mutterkonzern Booking (vormals „Priceline“), der noch 2019 von 100 Dollar Umsatz netto 32 Dollar als Gewinn in der Kasse behielt.

Konkurrent Tripadvisor schaffte acht Prozent Nettogewinn vom Umsatz, Edreams Odigeo („Opodo“) sieben. Zum Vergleich: Europas größtem Reiseveranstalter Tui blieben 2019 von einem Euro unterm Strich keine drei Cent.

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Stattliche 753 Milliarden Dollar Umsatz scheffelte die Onlinebranche noch im vergangenen Jahr weltweit durch Buchungen von Hotels, Privat- und Ferienunterkünften, Pauschalreisen und Kreuzfahrten. Der Ausblick schien rosig. Bis 2022, erwarteten Reiseexperten der Marktforschungsfirma E-Marketer, sollten sie auf 931 Milliarden Dollar klettern. Allein zwischen 2018 und 2019 stieg der Anteil der Deutschen, die ihren Urlaub übers Internet buchten, von 39 auf 42 Prozent.

Dem Aufstieg folgt seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie der Fall. Die Mitte März erfolgte weltweite Reisewarnung, der nach einer kurzzeitigen Lockerung im Sommer umfangreiche Reisebeschränkungen folgten, trifft die Online-Urlaubsvermarkter im selben Umfang wie klassische Ferienveranstalter und Reisebüros. Wenn nicht sogar mehr.

Die Münchener Holidaycheck Group, Deutschlands größter börsennotierter Reiseportalanbieter, verlor in der ersten Jahreshälfte 98,9 Prozent an Umsatz. Im ersten Quartal 2020 litt der Konzern sogar unter einem negativen Umsatz. Der Grund: Viele Kunden stornierten zu Beginn der Pandemie ihre Reisen, woraufhin Rückzahlungen fällig wurden. Auch Weltmarktführer Booking meldete zwischen April und Juni für den Gesamtkonzern ein Umsatzminus von 83,7 Prozent.

Die erfolgsverwöhnten Internetfirmen reagierten mit drastischen Sparprogammen. Das Düsseldorfer Meta-Reiseportal Trivago, eine Mehrheitsbeteiligung des US-Onlineriesen Expedia, kündigte bereits im April einen massiven Stellenabbau an. Tripadvisor entließ rund 25 Prozent seiner Angestellten. Und auch Kayak strich im Verbund mit der Konzernschwester Open Table bislang 400 Stellen. „Das entspricht zwischen 20 und 25 Prozent der Belegschaft“, räumte Vorstand Tore Pein Jensen ein. Es habe ihm das Herz gebrochen.

Abwandern der Marktanteile gestoppt

Eine Besserung erwartet Kayaks Mutterkonzern Booking, dessen Hauptgeschäft die Hotelvermittlung ist, offenbar in absehbarer Zeit nicht. Anfang August schrieb der US-Konzern für Kayak und Open Table fast eine halbe Milliarde Dollar ab – wegen der „signifikanten Reduzierung des zu erwartenden Cashflows“, wie es im Geschäftsbericht heißt. Den 1,5 Milliarden Dollar an verbliebenem Buchwert steht ein ursprünglicher Kaufpreis von 4,95 Milliarden Dollar gegenüber.

Das scheinbar unaufhaltsame Abwandern von Marktanteilen aus den Reisebüros in Richtung Onlinevertrieb ist damit vorläufig gestoppt. „Der Beratungsaufwand ist durch Corona gestiegen“, sagt Marija Linnhoff vom Branchenverband VUSR, „die Agenturen profitieren davon.“ Dass die Reisebüros nicht sogar Marktanteile hinzugewinnen, verhindert allein der überproportional starke Umsatzrückgang im Kreuzfahrtgeschäft.

Schiffsreisen werden traditionell mehrheitlich über Reisebüros gebucht, sodass die Flaute auf See den stationären Agenturen nun stärker zu schaffen macht als den Onlineanbietern. Aktuelle Zahlen aus der ersten Oktoberwoche belegen den Gleichstand im Abwärtstrend. Rund 87 Prozent weniger als im Vorjahr setzten sowohl Reisebüros wie Reiseportale um, berichtet die Marktforschungsfirma Trevotrend. Auch der Rückgang zur Vorwoche fiel mit jeweils 79 Prozent nahezu identisch aus.

Gegenüber den deutschen Onlineanbietern sind Reisebüros dennoch im Vorteil. Die vom Staat gewährte Überbrückungshilfe von maximal 50.000 Euro reicht für die oft kleinen Agenturen aus, den laufenden Betrieb weiterhin zu finanzieren. „95 Prozent der Verkaufsstellen werden bis Juni nächsten Jahres überleben“, erwartet Verbandschefin Linnhoff, die rund 4000 Reisebüros vertritt.

Erst wenn sich Anfang kommenden Jahres die Buchungsflaute fortsetze, etwa weil Gesundheitsminister Jens Spahn weiter von Auslandreisen abrate, müsse der Staat ein weiteres Hilfspaket schnüren.

Überbrückungshilfe nützt wenig

Den Reiseportalen im Internet dagegen nützt die Überbrückungshilfe wenig. Sie wird nur Firmen mit weniger als 50 Millionen Euro Umsatz und 43 Millionen Euro Bilanzsumme gewährt – Grenzen, die viele Online-Reiseanbieter überschreiten. „Außerdem helfen ihnen 50.000 Euro pro Monat vergleichsweise wenig“, sagt Michael Buller, Vorstand des Verbands Internet Reisevertrieb (VIR).

So stellt in diesen Tagen der Anbieter von Reiseführer-Apps Tripwolf sein Geschäft in Deutschland ein. Internetfirmen wie Unplanned Moments, ein auf Überraschungsreisen spezialisierter Anbieter in München, stemmen sich nur noch mit Kurzarbeit gegen den Niedergang.

Findet die Krise in absehbarer Zeit kein Ende, bleiben voraussichtlich nur noch große, kapitalmarktnahe Konzerne im Reise-Internetgeschäft übrig. Viele von ihnen nämlich schafften es nach dem Ausbruch der Pandemie, bei Investoren noch einmal kräftig abzuräumen. So besorgte sich Expedia im Juli über zwei Schuldverschreibungen 1,25 Milliarden Dollar an frischem Geld. Booking sicherte sich im April über eine Wandelanleihe 750 Millionen Dollar, während der Online-Wohnungsvermittler Airbnb einen Börsengang noch vor dem Jahresende vorbereitet.

Doch die Aussichten bleiben mehr als trübe. Nicht nur in der Sommersaison 2020 verloren die deutschen Reiseanbieter bis Ende August 74 Prozent ihres Vorjahresumsatzes, wie die Nürnberger Marktforschungsfirma Travel Data + Analytics errechnete. Auch die anstehende Wintersaison 2020/21 liegt aktuell mit den Buchungen 59 Prozent unter Vorjahr.

Dabei entwickelte sich schon die vor zwei Wochen beendete Sommersaison für viele Reiseveranstalter, die ihre Urlaubspakete meist gleichzeitig über stationäre Agenturen wie Onlineportale vertreiben, schlechter als ohnehin befürchtet. So hatte Marktführer Tui, dem im Frühjahrsquartal 98,5 Prozent des Umsatzes wegbrachen, zunächst für den Sommer wieder einen positiven Cashflow aus dem laufenden Geschäft versprochen. Vor wenigen Tagen aber räumte Vorstandschef Fritz Joussen ein, dass dies selbst während der Hauptsaison nicht gelungen sei.

Und nur scheinbar kam der Duisburger Wettbewerber Schauinsland, der jüngst für das zurückliegende Geschäftsjahr einen Umsatzrückgang von 63 Prozent meldete, mit einem blauen Auge davon. Ein Großteil der Erlöse nämlich dürfte in den Monaten Oktober bis Februar an den Urlaubskonzern geflossen sein, als das Buchungsgeschäft noch im Schatten der Pandemie stand.

Ein Ende der tiefen Krise ist nicht in Sicht, Hoffnungen auf eine Wiederbelebung scheiterten im Sommer schon nach wenigen Wochen an neuen Lockdowns in beliebten Urlaubsgebieten – allen voran auf Mallorca. Erschwerend kommt hinzu, dass wegen der zunehmenden Reisewarnungen gebuchte Urlaubsreisen nun nicht mehr angetreten werden. „Wegen der hohen Stornoquoten“, heißt es bei Travel Data + Analytics, „verschlechtern sich die Umsatzbilanzen im Reisevertrieb weiter.“