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Wie Unternehmen tricksen, um ihren Gewinn aufzublähen

Immer mehr Unternehmen frisieren mit Sondereffekten ihre Gewinne. Dadurch steigt manch ein Jahresgewinn um 3,9 Milliarden Euro.

ARCHIV - ILLUSTRATION - 14.01.2014, Berlin: Stapel mit Akten liegen am in der Posteingangsstelle des Sozialgerichts in Berlin. Mehr als 70 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur geht es am Berliner Sozialgericht noch um das Schicksal verfolgter Juden. (zu 
ARCHIV - ILLUSTRATION - 14.01.2014, Berlin: Stapel mit Akten liegen am in der Posteingangsstelle des Sozialgerichts in Berlin. Mehr als 70 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur geht es am Berliner Sozialgericht noch um das Schicksal verfolgter Juden. (zu

Als der Markenriese Beiersdorf seine Halbjahresergebnisse präsentierte, blickten Aktionäre und Analysten in der Kurzpräsentation auf viele Sterne. Abgesehen vom Umsatz, der im ersten Halbjahr um sechs Prozent stieg, sind in den „Key Figures“ alle übrigen Kennziffern mit einem hochgestellten Sternchen versehen.

Die Auflösung im Kleingedruckten lautet: bereinigt und angepasst. Das gilt für den Gewinn nach Steuern und vier weitere Schlüsselkennzahlen. Der Hamburger Dax-Konzern liegt im Trend: Für ihre Erträge, Gewinne und die Profitabilität präsentieren die Unternehmen gerne Kennzahlen, die sie um Sonderfaktoren bereinigen.

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„Bereinigt“ heißt, dass die Unternehmen Kosten herausrechnen: Sondereffekte, denen die Finanz- und Konzernchefs eine Einmaligkeit oder Unvorhersehbarkeit unterstellen.

Ein Blick in die Geschäftsberichte offenbart allerdings, dass die von Beiersdorf bemühten Sondereffekte nicht die Ausnahme sind, sondern häufig, oft sogar regelmäßig und auffällig üppig ausfallen. Zwischen 2008 und 2018 haben 17 der 30 Dax-Konzerne 104-mal ihr Ergebnis je Aktie angepasst.

Im Schnitt erhöhte damit jedes Unternehmen pro Geschäftsjahr seinen Nettogewinn um 483 Millionen Euro. Entsprechende Berechnungen des Vermögensverwalters Flossbach von Storch liegen dem Handelsblatt exklusiv vor.

In vier von fünf Fällen (82 Prozent) fiel das angepasste Ergebnis höher als das offizielle aus – im Schnitt betrug das Plus ein Drittel. „Das legt den Verdacht nahe, dass es darum geht, den Gewinn höher aussehen zu lassen“, urteilt Studienautor Philipp Immenkötter.

Und dieser Trend wird immer stärker: Zwischen 2008 und 2018 hat sich die jährliche Anzahl der Anpassungen mehr als verdoppelt. Während 2008 nur fünf Unternehmen ihr Ergebnis bereinigten, waren es 2012 bereits zehn, 2015 zwölf und im vergangenen Geschäftsjahr sogar 13.

Beim Pharmakonzern Bayer fällt die Anpassung nach oben 2018 mit 3,9 Milliarden Euro am höchsten aus. Im ersten Halbjahr 2019 kamen weitere 2,5 Milliarden Euro hinzu.

Jedes Jahr Restrukturierungskosten

Es geht dabei nicht um Betrügereien und Bilanzfälschungen, sondern ums Schönrechnen und Irreführen. Alle Unternehmen bilanzieren nach der international gültigen Rechnungslegung IFRS.

Aber oftmals fassen die Unternehmen in herausgehobenen Kurzmitteilungen, Tabellen und Zusammenfassungen ihre Kernergebnisse zusammen – und heben dort die bereinigten Gewinne hervor.

„Bayer operativ auf Kurs“, betitelte der Pharmakonzern seinen Bericht zum zweiten Quartal 2019. Bayer stellt dabei seinen währungs- und portfoliobereinigten Konzernumsatz vor Sondereinflüssen ebenso in den Vordergrund wie das bereinigte Ergebnis je Aktie.

Erst fast am Ende der Präsentation taucht mit dem Ergebnis die erste nicht bereinigte Kennzahl auf. Weitere, nicht um Sondereffekte bereinigte Zahlen finden sich erst in der detaillierteren Aufstellung – nicht im mehrseitigen Überblick.

Was für die Quartalsberichte gilt, setzt sich bei den Jahresabschlüssen fort. Am häufigsten bemühen die Konzerne Restrukturierungsmaßnahmen als Sondereffekte. Das sind Umstrukturierungen innerhalb des Konzerns.

So fallen bei Bayer seit 2008 in jedem Jahr Restrukturierungskosten an, die das Unternehmen stets als Sonderfall betrachtet. In seinen Geschäftsberichten schreibt Bayer von „Sondereinflüssen“. Auf diese Weise fällt am Ende das bereinigte Ergebnis je Aktie Jahr für Jahr höher aus als das tatsächliche (siehe Grafik).

Tatsächlich sind Restrukturierungen regelmäßig notwendig, weil Unternehmen wachsen und sich technisch verändern. Die daraus entstehenden Kosten sind also keinesfalls einmalig. Ohne Restrukturierung wäre es gar nicht möglich, ein Unternehmen fortzuentwickeln und die Profitabilität zu halten.

Damit konfrontiert, verweist Bayer auf eine bessere Vergleichbarkeit im Zeitablauf. Die Bereinigung des Ergebnisses, sagt ein Konzernsprecher, „orientiert sich auch an Kriterien, die in der Branche üblich oder von externen Analysten vorgegeben sind“.

Immerhin, in seinen Investorenpräsentationen zu den Quartalszahlen veröffentlicht Bayer stets beide Kennzahlen: das Ergebnis je Aktie und das bereinigte Ergebnis je Aktie.

Im Übrigen verweist der Pharmakonzern auf seine testierte Bilanz: „Die kritische Auseinandersetzung mit der Ermittlung von um Sondereinflüsse bereinigten Kennzahlen ist auch ein relevanter Prüfungssachverhalt und wurde daher von unserem Abschlussprüfer als besonders wichtig herausgestellt und entsprechend geprüft.“


Verzerrte Darstellung der Profitabilität

So wie Bayer agieren viele Unternehmen, auch in anderen Branchen. Henkel, Deutsche Börse, Merck und RWE machen ebenfalls Restrukturierungskosten geltend und blähen so ihren Gewinn auf.

Doch während die Unternehmen ihren Gewinn um Restrukturierungskosten bereinigen, belassen sie die daraus erzielten Erträge, etwa in Form von Effizienzgewinnen, im Ergebnis. Das erleichtert am Ende nicht die Vergleichbarkeit der angepassten Gewinne, sondern erschwert sie.

BASF weist seit 2010 durchgehend „Strukturmaßnahmen“ und „Integrationskosten“ als Sondereinflüsse aus. Auffällig ist, wie gering Jahr für Jahr die Höhe der Aufwendungen schwankt.

Der Chemieriese setzt für seine „Strukturmaßnahmen“ stets einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag an – abgesehen vom Geschäftsjahr 2014, als der Konzern dafür nur 68 Millionen Euro veranschlagte.

Bei Henkel schwanken die Sondereinflüsse aus „Restrukturierungsaufwendungen“ und „IT-Optimierung“ Jahr für Jahr zwischen 115 und 303 Millionen Euro. Das heißt: Die Kosten werden als Sondereffekte deklariert und aus dem Ergebnis herausgerechnet, doch die Erträge, die sich aus einer besseren IT ergeben, verbleiben im Ergebnis.

„Statt eines sauberen Bildes entsteht eine verzerrte Darstellung der Profitabilität“, urteilt Immenkötter. Angesichts dieser regelmäßig wiederkehrenden Effekte fällt es schwer, der Argumentation der Unternehmen zu folgen und solche Kostenblöcke als „Sondereinfluss“ zu deklarieren und herauszurechnen, um so den Gewinn aufzublähen.

Der Interessenverband der Analysten und Vermögensverwalter, DVFA, kritisiert die Vielzahl von Finanzbegriffen als Wildwuchs. „Jede spezifischere und aussagekräftigere Information ist grundsätzlich zu begrüßen“, urteilt DVFA-Vorstandsmitglied Christoph Schlienkamp.

So könne es durchaus sinnvoll sein, außerordentlich hohe und voraussichtlich nicht wiederkehrende Aufwendungen oder Erträge kenntlich zu machen. „Aber wenn solche spezifischen Kennziffern keiner systematischen Methodik folgen, sie von jedem Unternehmen individuell definiert werden und ein akzeptierter Standard fehlt, leidet die Vergleichbarkeit“, warnt Schlienkamp.

Der bereinigte Gewinn verschleiert mehr, als er offenlegt

Auch Wertänderungen von Finanzinstrumenten, Kosten durch Rechtsstreitigkeiten und Wertberichtigungen nach Übernahmen sind beliebte Sondereffekte, die die Unternehmen herausrechnen, um so den Gewinn höher erscheinen zu lassen.

So hat Bayer im vergangenen Geschäftsjahr 4,455 Milliarden Euro auf immaterielle Vermögenswerte, die zum größten Teil als Folge von Akquisitionen entstanden sind, abgeschrieben. Im bereinigten Konzernergebnis werden diese nicht berücksichtigt.

Auch „Rechtsfälle, rechtliche Risiken“ weist Bayer seit mehr als zehn Jahren durchgehend als Sondereffekte aus. Bayer verweist auf Nachfrage auf die übliche Praxis: „Ein Großteil der Kosten für Rechtsfälle wird als Sondereinflüsse eingestuft und fließt damit nicht ins bereinigte Ergebnis je Aktie ein. Diesen Ausweis sehen wir als branchenüblich an, womit wir die Vergleichbarkeit erhöhen.“

Tatsächlich verschleiert auch hier der bereinigte Gewinn mehr, als dass er offenlegt. Ob es sich bei Rechtsstreitigkeiten um Sondereffekte handelt, hängt stark von der Branche und Tätigkeit des Unternehmens ab.

Die Regelmäßigkeit der Kosten bei Bayer lassen vermuten, dass es sich nicht um unvorhersehbare oder besondere Vorkommnisse handelt. Rechtsstreitigkeiten in der Pharmabranche und Unternehmen, die global wirtschaften und in den USA Produkte verkaufen, um die sich prozessieren lässt, sind eher die Regel als eine Ausnahme.

Wie verwirrend die Vielzahl an Kennzahlen ist, zeigt RWE. Bis 2014 bezeichnete der Versorger das bereinigte Ergebnis stets als „nachhaltiges Nettoergebnis je Aktie“. Das war irreführend, denn nachhaltig daran ist nichts. Vielmehr ging es darum, das Nettoergebnis höher ausfallen zu lassen.

Und so war das angeblich nachhaltige Ergebnis stets positiv, der tatsächliche nach IFRS-Standard ermittelte Gewinn dagegen negativ. 2015 änderte RWE die Bezeichnung auf „bereinigtes Nettoergebnis“. 2018 wurde die Kennzahl schließlich abgeschafft.

Dass es auch anders, transparenter und ohne Verwirrung geht, beweist Fresenius Medical Care (FMC). Der Dialysespezialist listet in einer Tabelle seine wichtigsten Kennzahlen wie Einnahmen, operativer Gewinn und Nettogewinn um Sondereffekte bereinigt und nicht bereinigt nebeneinander und in gleicher Größe auf.

Niemand wird beeinflusst, welche Kennzahl die maßgebliche ist. Und auch das gibt es: Der gerade mit dem amerikanischen Wettbewerber Praxair fusionierte Spezialist von Industriegasen Linde reduzierte sein Ergebnis nach einmaligen Veräußerungsgewinnen aus Verkäufen von Unternehmensanteilen um 1,9 Milliarden Euro. Hier fiel also der bereinigte Gewinn niedriger aus als der tatsächliche.