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Coronakrise und überfüllte Flüchtlingslager: Griechenland droht neuer Wirtschaftseinbruch

Die Pandemie trifft die Griechen in einer heiklen Phase. Das öffentliche Leben ist stillgelegt, doch in den überfüllten Migrantenlagern ist die Ansteckungsgefahr besonders hoch.

Die Tische vor der Taverne „Ellinikon“ sind einladend gedeckt, die Vögel zwitschern in den Bäumen, das Thermometer zeigt 23 Grad an diesem Freitagmittag in der Plaka, der Athener Altstadt am Fuß der Akropolis. Aber Vlassis, der Wirt, wartet vergeblich auf Gäste. „Dieses Frühjahr müssen wir wohl abschreiben“, fürchtet er.

Griechenland meldete am Freitag zwar erst 190 Fälle von Coronavirus-Infektionen, viel weniger als zum Beispiel das benachbarte Italien. Aber 24 Stunden zuvor waren es erst 117 – ein Indiz dafür, wie rasend schnell sich das Virus ausbreitet. Für die griechische Wirtschaft hat die Epidemie bereits jetzt massive Folgen. Sie kommt für die Griechen zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Denn gerade erst begann sich das Land von der schweren Schuldenkrise zu erholen.

Der konservative Premier Kyriakos Mitsotakis nimmt die Entwicklung deshalb besonders ernst. Im vergangenen Sommer übernahm er die Regierung mit dem Versprechen, das einstige Krisenland auf einen nachhaltigen Wachstumskurs zurückzuführen.

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Jetzt hat Mitsotakis den Kampf gegen die Epidemie zur Chefsache erklärt. Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, führte die Regierung frühzeitig drastische Restriktionen ein: Alle Schulen, Kindergärten und Universitäten sind seit Montag geschlossen.

Gerichtsverhandlungen finden bis auf weiteres nicht mehr statt. Am Donnerstag ordnete die Regierung die Schließung aller Theater und Kinos, Fitnessklubs und Kindergärten an. Am Freitag wurden auch alle Einkaufszentren, Restaurants, Bars und Cafés geschlossen, Stadien und Sporthallen sind zu.

Ärzte ohne Grenzen schreiben Brandbrief

Griechenlands größte Massenveranstaltungen laufen allerdings weiter, als sei nichts passiert: In den Migrantenlagern auf den Ägäisinseln harren 42.000 Menschen in Camps aus, die für 8000 Personen ausgelegt sind. Bisher wird von dort kein einziger Infektionsfall gemeldet – was aber daran liegen dürfte, dass es in den Lagern so gut wie keine medizinische Versorgung gibt und Verdachtsfälle deshalb gar nicht bemerkt werden. Am Freitag forderte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in einem Brandbrief die sofortige Evakuierung der Lager.

„Die entsetzlichen Lebensbedingungen in den überfüllten Hotspots sind ein idealer Nährboden für Covid-19“, warnt die Hilfsorganisation. In den Lagern, wo fünf- oder sechsköpfige Familien auf drei Quadratmetern Fläche schlafen und sich bis zu 1300 Bewohner einen Wasserhahn teilen, sei es unmöglich, die empfohlenen Hygienemaßnahmen einzuhalten, sagt Hilde Vochten von Ärzte ohne Grenzen.

Während in den Migrantenlagern eine Zeitbombe tickt, ließ die Regierung am Freitag die Museen und archäologischen Stätten sperren. Dort war sowieso fast nichts mehr los. Für den Tourismus hat die Epidemie schon jetzt massive Folgen. Viele Hotels sind nur noch zu 20 Prozent belegt, und das ist erst der Anfang: „Wir erleben eine Flut von Stornierungen“, sagt ein Athener Hotelier.

Nach sieben Jahren kontinuierlichen Wachstums droht der griechischen Reisebranche jetzt ein deutlicher Einbruch. Die Flaute trifft nicht nur Hotels, Tavernenwirte, Autovermieter und Andenkenhändler. Für Griechenlands Wirtschaft ist der Fremdenverkehr ein starker Wachstumsmotor. Er generierte im vergangenen Jahr fast ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Bankensektor erneut gefährdet

Wenn es dem Tourismus schlecht geht, geht es auch der griechischen Wirtschaft insgesamt nicht gut. Aktuell gibt es vor allem die Sorge, dass viele Hoteliers, die in den vergangenen Jahren in neue Häuser investiert haben, infolge der Stornierungen ihre Kredite nicht mehr bedienen können.

Das würde die gerade erst auf den Weg gebrachte Stabilisierung des griechischen Bankensektors gefährden. Die Geldinstitute sitzen auf einem Riesenberg fauler Kredite. Rund 40 Prozent aller ausgereichten Darlehen werden nicht mehr bedient oder sind akut ausfallgefährdet.

Bis Ende 2021 wollen die vier systemischen Banken die Problemkredite um rund zwei Drittel abbauen, so der ursprüngliche Plan. Er könnte in Gefahr geraten, wenn jetzt eine neue Welle von Kreditausfällen auf die Institute zukommt. Die Lage des Bankensektors war am Freitag Gegenstand eines Krisentreffens von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis mit dem Gouverneur der griechischen Notenbank, Yannis Stournaras. Über das Ergebnis wurde zunächst nichts bekannt.

Eine weitere Branche, die massiv unter den Folgen der Epidemie leidet, ist die Handelsschifffahrt. Sie ist mit einem positiven Beitrag von rund 17 Milliarden Euro für die Zahlungsbilanz des Landes ein ähnlich wichtiger Faktor wie der Tourismus, der im vergangenen Jahr 18,1 Milliarden Euro einbrachte.

Düstere Stimmung an Athener Börse

Die griechischen Reeder kontrollieren die größte Handelsflotte der Welt und sind besonders stark im Verkehr nach Fernost engagiert – wo die Handelsketten nun schwer gestört sind. Das trifft neben der Handelsschifffahrt auch Griechenlands Logistikbranche, weil sich der Hafen von Piräus unter der Führung des chinesischen Staatskonzerns Cosco zu einer wichtigen Drehscheibe für den Containerverkehr zwischen Asien und Europa entwickelt hat. In den Reedereizentralen von Piräus heißt es allerdings, im Verkehr mit China gebe es bereits erste Anzeichen einer Normalisierung.

Davon ist an der Athener Börse bisher nichts zu merken. Dort herrscht weiterhin blanke Panik. Seit seinem Jahreshoch bei 950 Punkten Ende Januar hat der Leitindex Athex Composite 43 Prozent verloren. Auch wenn der Kurssturz übertrieben wirkt: Er zeigt, wie groß die Verunsicherung jetzt ist, nicht nur unter den Anlegern. Der griechische Industrieverband SEV sieht das Land „in unbekanntem Fahrwasser“.

Die Epidemie erreicht Griechenland in einer besonders heiklen Phase. Hellas hat gerade die tiefste und längste Rezession der Nachkriegsgeschichte hinter sich gelassen. In den Krisenjahren verloren die Griechen ein Viertel ihrer Wirtschaftskraft. Um wieder auf eigenen Beinen zu stehen, braucht das Land nachhaltiges Wachstum. Die Stimmung war noch bis vor kurzem glänzend.

Das Forschungsinstitut IOBE ermittelte im Februar für das Wirtschaftsklima einen Indexstand von 113,2 Punkten. Das war deutlich mehr als der EU-Durchschnitt und für Griechenland der beste Wert seit 19 Jahren. Doch inzwischen hat das Coronavirus für eine deutliche Eintrübung der Stimmung gesorgt.

Die Entwicklung ist umso kritischer, weil die griechische Wirtschaft schon vor dem Ausbruch der Infektionswelle unerwartet schwächelte. Das BIP wuchs im vierten Quartal 2019 gegenüber 2018 nur um ein Prozent. Im Vergleich zum Vorquartal schrumpfte die Wirtschaftsleistung sogar um 0,7 Prozent. Für das Gesamtjahr 2019 ergibt sich nach vorläufigen Berechnungen ein Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent. Noch im Februar hatte die EU-Kommission für Griechenland mit einem Plus von 2,2 Prozent gerechnet.

Der Hauptgrund für die enttäuschende Entwicklung im vergangenen Jahr waren die schwachen Investitionen. Angesichts der Epidemie dürften die Investoren zunächst weiter Zurückhaltung üben. Damit sind die Wachstumsprognosen für dieses Jahr bereits Makulatur. Die Regierung rechnete mit einem Plus von 2,8 Prozent, die EU-Kommission setzte 2,4 Prozent an. Diese Vorhersagen sind nicht mehr realistisch. Selbst ein neuerlicher Rückfall in die Rezession ist nicht auszuschließen.

Die Regierung versucht, die Folgen der Epidemie für die Wirtschaft abzufedern. Das Athener Finanzministerium kündigte bereits Steuerstundungen an. Auch Liquiditätshilfen für Unternehmen und Privathaushalte sind geplant. Diese Stützungsmaßnahmen könnten allerdings die Haushaltsziele in Gefahr bringen. Ohnehin muss der für das Budget zuständige Vize-Finanzminister Theodoros Skylakakis das Zahlenwerk wohl überarbeiten.

„Wir können die Kosten nicht abschätzen.“

„Auf uns rast ein Meteorit zu“, sagte der Vizeminister im TV-Sender Skai. Fraglich ist, ob die Regierung die für dieses Jahr versprochenen Steuererleichterungen umsetzen kann: „Wir müssen erst einmal diese Krise hinter uns bringen“, sagt Skylakakis. „So lange wir kein Licht am Ende des Tunnels sehen, können wir die Kosten nicht abschätzen.“

Offen ist, ob Athen angesichts der absehbaren Wachstumsdelle und der Mehrbelastungen durch die Corona-Epidemie in diesem Jahr die mit den Gläubigern vereinbarten Fiskalziele erreichen kann. Sie sehen einen Überschuss in der Primärbilanz von 3,5 Prozent des BIP vor.

Premier Mitsotakis wirbt seit Monaten für eine Lockerung der Sparvorgaben, die er für kontraproduktiv hält. Die Chancen, dass die Euro-Finanzminister und die EU-Kommission darauf eingehen, stehen jetzt besser denn je.

Dass Griechenland erneut in Zahlungsschwierigkeiten kommen könnte, wie zu Beginn der Krise vor zehn Jahren, ist aber nicht zu erwarten. Die Situation ist heute grundlegend anders. Die früher desolaten Staatsfinanzen sind konsolidiert. Während das Land 2009 ein Rekorddefizit im Haushalt auswies, erwirtschaftet es inzwischen Überschüsse.

Dank der Strukturreformen, die Athen unter den Druck der internationalen Geldgeber umsetzen musste, ist die Wirtschaft heute viel wettbewerbsfähiger. Griechenland hat nicht nur den Zugang zu den Kapitalmärkten zurückgewonnen. Mit einer Rücklage von 32 Milliarden Euro ist es bis ins Jahr 2023 durchfinanziert. Bis dahin dürften die Folgen der Coronavirus-Epidemie längst überwunden sein.

Das hofft auch Tavernenwirt Vlassis in der Athener Plaka. „Wenn wir etwas Glück haben, ist der Spuk im Sommer vorbei“, sagt er. Aber erstmal kommt alles noch schlimmer: Am Freitagabend verfügte die Regierung die Schließung aller Restaurants. Vlassis sperrte zu.

Mehr: Alle Entwicklungen der Coronakrise im Newsblog.