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„Sie machen uns kaputt“: Ein Ex-Ryanair-Pilot behauptet, die Personalpolitik der Airline hätte ihn fast in den Suizid getrieben

Ab 8,79 Euro von Dortmund nach Porto, ab 12,99 Euro von Düsseldorf nach Palma de Mallorca und eine ganze Reihe weiterer Flüge ab 14,99 Euro: Die irische Billigairline Ryanair wirbt aktuell wieder mit Preisen, die beinahe unglaublich scheinen. Und das, nachdem sie sich ohne Staatshilfen durch die Corona-Krise geschleppt hat. Die Leidtragenden dieser aggressiven Dumpingpreise scheinen der „Zeit“ zufolge vor allem die Angestellten zu sein.

Was Ryanairs Personalpolitik mit den Piloten anstellt, illustriert der Fall Robert Hoetings. Wie der 58-Jährige der „Zeit“ erklärt, kam er im Jahr 2006 aus familiären Gründen von Air Dolomiti – einer italienischen Fluglinie, die zur Lufthansa gehört – zur irischen Billigairline. Zunächst arbeitete er am Standort Frankfurt, dann wechselte er nach Bremen. Er berichtet von Zwölf-Stunden-Schichten – dank dicht getakteter Flugpläne quasi ohne Pause. Selbst den Kaffee im Cockpit müssten sich die Piloten selber kaufen, zum normalen Passagierpreis von drei Euro.

Die Arbeitsbedingungen und Gängelungen nach der Schließung der Bremer Ryanair-Basis im Jahr 2018 hätten bei Hoeting zu schweren psychischen und finanziellen Problemen geführt und ihn fast in den Suizid getrieben, sagt er. Ryanair wollte offenbar, dass der Pilot mit niedrigerem Grundgehalt nach London wechsele und stellte schließlich – laut Hoeting ohne Zustimmung zur Versetzung und ohne einen neuen Vertrag – die Lohnzahlungen auf sein deutsches Konto ein.

Ryanair-Standort Bremen wird nach Betriebsratsbestrebungen geschlossen

Dabei hatte Hoeting zum Zeitpunkt seiner Einstellung im Jahr 2006 sogar noch einen Festvertrag bekommen. Seither heuert Ryanair viele ihrer Piloten über Agenturen an: als Selbstständige, die jederzeit kündbar sind. Mit seinem Festvertrag habe die Airline Hoeting dagegen zunächst sogar noch Mietwagen und Hotelübernachtungen gezahlt. Anfangs hätte er sich also nicht beschweren können, wie er in der „Zeit“ zitiert wird.

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Mit der Zeit sei der Umgang jedoch rauer geworden. Irgendwann habe Hoeting Hotels und alle anderen Reisekosten selbst zahlen müssen, bis hin zum Kaffee im Cockpit. Und in manchen Monaten sei er bis zu 30-mal in der Luft: Bremen-London und zurück am Vormittag, Bremen-Riga und Riga-Bremen am Nachmittag. All das mit 25 Minuten Aufenthalt am Zielort, die laut seinem Bericht teilweise nicht einmal ausreichen würden, um auf Toilette zu gehen.

Mit einigen weiteren Angestellten wollte der Pilot nach eigenen Angaben dann am Standort Bremen einen Betriebsrat gründen. Bei der irischen Airline sei das nicht gut angekommen: Der Standort Bremen wurde geschlossen, offiziell aufgrund zu hoher Treibstoffkosten und sinkender Buchungszahlen. Hoetings letzter Flug sei am 23. September 2018 in Bremen gelandet.

Versetzung nach London und niedrigeres Gehalt – ohne neuen Vertrag

Für Hoeting fängt damit die wahre Leidensgeschichte erst an. Die Information zur Schließung habe ihn im Urlaub erreicht – nebst einer weiteren Mail des Managements mit einem Angebot. Der Pilot solle in Zukunft mit London als Basis fliegen zu einem Grundgehalt von 25.000 Pfund, umgerechnet 29.100 Euro. Ob es sich dabei um den Brutto- oder Nettobetrag handeln sollte, sei in der Mail nicht deutlich geworden. Die Airline habe lediglich versichert, dass Hoeting in London mehr Flugstunden haben und so sein Grundgehalt aufstocken würde.

Das Angebot sei eine „Frechheit“, so Hoeting zur „Zeit“, zumal in seinem alten Arbeitsvertrag ein Fixgehalt von 35.000 Pfund, umgerechnet knapp 40.800 Euro, vereinbart gewesen sei – inklusive fester Urlaubstage und Flugstunden. Ob dieser Vertrag nun stillschweigend kassiert werden sollte, sei nicht klar geworden. Auch einen neuen Vertrag habe das Unternehmen nach seinem Versetzungsangebot nicht vorgelegt.

Die fehlende Verbindlichkeit führte bei Hoeting zu Stress und psychischen Problemen. Im November 2018 meldete er sich krank, wie die „Zeit“ berichtet. Trotz der Krankschreibung und obwohl Hoeting der Versetzung nicht zugestimmt hatte, habe Ryanair ihn zu Trainings für die neue Stelle eingeladen, ihn aufgefordert, sich auf die neuen Routen vorzubereiten, sich um ein britisches Bankkonto zu kümmern, sich im britischen Sozialsystem anzumelden und sich für 50 Euro einen neuen Hausausweis für den Flughafen London-Stansted zu bestellen. Hoeting habe kein Konto eröffnet – schließlich wollte er ja gar nicht nach London – und als Folge seit Dezember 2018 kein Gehalt mehr bekommen.

Anwältin hält Ryanairs Verhalten für „hochgradig kriminell“

Von 4.000 Euro netto im Monat rauschen die monatlichen Zahlungen der „Zeit“ zufolge auf null. Nicht einmal die üblichen Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall habe Hoeting erhalten. Seine Ersparnisse seien mittlerweile aufgebraucht und Hartz-IV könne er nicht beantragen. Denn sein Arbeitsvertrag mit Ryanair laufe ja offiziell weiter. Nur bekomme er eben kein Geld mehr. Bitten Hoetings um einen neuen Vertrag seien ins Leere gelaufen, ebenso wie Anfragen der „Zeit“ oder Kontaktaufnahmeversuche von Hoetings Anwältin. Ryanair selbst gab gegenüber der „Zeit“ nur die Auskunft, man kommentiere Einzelfälle oder laufende Verfahren nicht.

Denn der Pilot hat Ryanair laut „Zeit“ auf Schadensersatz verklagt. Allerdings hätten die Richter beim Arbeitsgericht Bremen angezweifelt, ob sie überhaupt zuständig seien. Es sei nicht klar, ob in Hoetings Fall das irische oder das deutsche Arbeitsrecht greife. Zur Klärung habe das Gericht im Frühsommer 2021 ein Gutachten in Auftrag gegeben. Hoetings Anwältin bezeichnet das Verhalten von Ryanair laut „Zeit“ als „hochgradig kriminell“.

„Sie machen uns kaputt“

Währenddessen sei Hoeting von Ryanair weiter ignoriert worden. Nur im März 2021 habe ihn ein Manager wegen unentschuldigter Fehltage angeschrieben, obwohl Hoeting sich krankgemeldet hatte. Er habe zunächst zu einer virtuellen Anhörung erscheinen sollen und, als er diese nicht wahrnahm, zu einer persönlichen Anhörung in England. Und das, obwohl Hoeting krankgeschrieben war.

Schon 2018 hatte Hoeting sich – damals noch anonym – an die Wochenzeitung gewandt, ihr gesagt, „Sie machen uns kaputt“. Im Februar 2020 habe er sich dann psychisch an einem Tiefpunkt befunden, Suizidgedanken hätten ihn geplagt. Ein Freund habe sich eines Abends Sorgen gemacht, als Hoeting nicht ans Handy ging, und die Polizei gerufen. „Ich war am Ende“, sagte Hoeting zur „Zeit“. Nach dem Zwischenfall habe er sich in Psychotherapie begeben.

Zur Anhörung in England werde Hoeting nicht erscheinen, so die „Zeit“. Den Gefallen, ihn rauszuschmeißen, werde Ryanair ihm jedoch kaum tun. Denn in zwei Jahren werde er 60 und sein Festvertrag ende dann ohnehin.

sb