Werbung
Deutsche Märkte öffnen in 6 Stunden 21 Minuten
  • Nikkei 225

    37.394,48
    -685,22 (-1,80%)
     
  • Dow Jones 30

    37.775,38
    +22,07 (+0,06%)
     
  • Bitcoin EUR

    59.395,75
    +2.039,74 (+3,56%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.303,52
    +417,98 (+46,78%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.601,50
    -81,87 (-0,52%)
     
  • S&P 500

    5.011,12
    -11,09 (-0,22%)
     

Weitere Unregelmäßigkeiten bei Singapur-Tochter von Wirecard

Wegen fehlender Informationen haben die Wirtschaftsprüfer von EY der Wirecard-Tochter in Singapur das Testat für eine frühere Jahresbilanz verweigert.

Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY) haben der Singapurtochter des Zahlungsdienstleisters Wirecard, Wirecard Singapore Pte. Ltd., das Testat für die Richtigkeit der Jahresbilanz 2017 verweigert. Das zeigen Dokumente im Register der singapurischen Finanzaufsicht Acra. 2017 ist das letzte geprüfte Jahr des Wirecard-Ablegers im asiatischen Stadtstaat.

Es sind harsche Worte, die die Prüfer wählen: „Wir können weder die Angemessenheit, Vollständigkeit und Richtigkeit des Jahresabschlusses feststellen, noch können wir den Umfang möglicher Anpassungen abschätzen, die in Bezug auf den Jahresabschluss der Gesellschaft erforderlich sein könnten.“

Die Aktie des Dax-Konzerns aus Aschheim bei München geriet nach Bekanntwerden des Handelsblatt-Berichts stark unter Druck: Am Mittwoch notierte das Papier zum Handelsstart in Frankfurt rund 5,7 Prozent im Minus.

WERBUNG

Die Wirecard Singapore Pte. Ltd. ist keine unbedeutende Konzerntochter. Wie aus dem Abschluss hervorgeht, hat sie 2017 Umsätze von knapp 40 Millionen Dollar erzielt, nach knapp 57 Millionen Dollar im Vorjahr. Wichtiger ist jedoch die Bedeutung für den Gesamtkonzern: Singapur ist der zentrale Standort, von dem aus der Zahlungsdienstleister seine Expansion in Asien organisiert.

Deshalb ist das verweigerte EY-Testat heikel für den Dax-Konzern, dem die britische Zeitung „Financial Times“ wiederholt implizit Bilanzfälschung vorgeworfen hat. Die Vorwürfe hatten bereits mehrere Male zu drastischen Kursverlusten der Wirecard-Aktie geführt.

Das Dokument zeigt, dass EY gravierende Probleme bei der Rechnungslegung der Tochter in Singapur sah. Zum einen machen die Prüfer dafür die Untersuchungen der Finanzaufsicht CAD zu den Bilanzfälschungsvorwürfen eines Whistleblowers verantwortlich.

Diese Ermittlungen könnten Informationen enthüllen, die Bilanzanpassungen nötig machen könnten. „Bestimmte Buchhaltungsunterlagen standen uns während der Prüfung nicht zur Verfügung, da die Unterlagen durch CAD einbehalten wurden“, heißt es in dem Dokument.

„Darüber hinaus konnten wir aufgrund von Fluktuation im Kundenpersonal oder unzureichender Zeit keine ausreichende Erklärung für bestimmte Buchhaltungsunterlagen und -transaktionen erhalten“, schreiben die Prüfer weiter.

Die Folge: In einem „Disclaimer of Opinion“ teilte EY mit, dass man keine Aussage zum anhängenden Finanzbericht treffen könne. „Es ist uns nicht gelungen, ausreichende Prüfungsnachweise zu erhalten, um eine Grundlage für ein Prüfungsurteil zu diesem Jahresabschluss zu bilden.“

Singapur im Fokus

2019 war die Singapureinheit nach mehreren Berichten der „FT“ in die Schlagzeilen geraten. Kern des Vorwurfs: mutmaßliche Scheingeschäfte zur Aufbesserung der lokalen Zahlen.

Bis heute ermittelt die singapurische Polizei. Wirecard räumte nach einer Untersuchung der Anwaltskanzlei R & T fehlerhafte Rechnungslegungsvorgänge ein, die zu Bilanzberichtigungen im einstelligen Millionenbereich führten, sah sich sonst aber entlastet. Auch Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten in Dubai und auf den Philippinen wies der Konzern wiederholt zurück.

„Alle unsere Firmen sind geprüft“, hatte Vorstandschef Markus Braun bei der Bilanzpressekonferenz erklärt. Im Interview mit dem Handelsblatt wiederholte er diese Linie vor Kurzem. „Alle unsere Geschäftsbeziehungen sind authentisch“, so Braun.

Klar ist: Die Konzernbilanz 2018 hat EY ordnungsgemäß testiert, wenn auch mit Verweis auf Unsicherheiten aufgrund der Ermittlungen in Singapur. Fraglich ist jedoch, ob Wirecard nicht von sich aus die Anleger über das verweigerte Testat in Singapur hätte informieren müssen.

Ein Hinweis auf das verweigerte Testat in Singapur fehlt im Bestätigungsvermerk zur Konzernbilanz. Warum? EY Singapur verweist auf „Kundenvertraulichkeit“. Ein deutscher EY-Sprecher erklärt, die Prüfungsgesellschaft unterliege der Verschwiegenheitspflicht, und man solle doch bitte auf das offizielle Statement Wirecards warten.

In diesem erklärt der Konzern: „Für Wirecard ist der Konzernabschluss nach dem (internationalen Rechnungslegungsstandard) IFRS maßgebend. Dieser wurde auch für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 von EY geprüft und uneingeschränkt testiert.“

Der lokale Abschluss in Singapur für 2018 sei kurz vor der Fertigstellung. Für das Geschäftsjahr 2017 gilt laut Wirecard: „Der Abschluss wurde vollumfänglich nach lokalem Rechnungslegungsstandard (SFRS) geprüft. Aufgrund der Einschränkungen durch die Ermittlungen des CAD Singapur waren Dokumente teilweise nicht zugänglich, sodass ein uneingeschränktes Testat nicht möglich war.“

Nichtsdestotrotz sei der Abschluss „im Rahmen der Möglichkeiten ordentlich geprüft“ worden. „Für die Prüfung des Konzernabschlusses nach IFRS waren diese Sachverhalte nicht relevant.“

Beobachter äußern Kritik

Beobachter haben wenig Verständnis für die Haltung des Konzerns. Stoße ein Prüfer auf Unregelmäßigkeiten, so spreche er üblicherweise mit dem Unternehmen, um die offenen Fragen zu klären, sagt Volker Brühl, Geschäftsführer des Center for Financial Studies der Frankfurter Goethe-Universität.

„Die Komplettverweigerung eines Testats ist die Ultima Ratio des Wirtschaftsprüfers. Einem Dax-Konzern wie Wirecard darf das eigentlich nicht passieren, auch wenn die Geschäftstätigkeit der Tochtergesellschaft überschaubar sein sollte“, so Brühl.

Anlegerschützer gehen noch einen Schritt weiter: „Es ist sehr bedenklich, dass Wirecard über das verweigerte Testat für seine Singapurtochter nicht informiert hat. Diese Information hätte den Anlegern nicht vorenthalten werden dürfen“, kritisiert Daniela Bergdolt, Vizepräsidentin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. „Ein solches Verhalten rechtfertigt jedes Misstrauen der Investoren, das dem Konzern entgegenschlägt.“

Das Argument, der lokale Abschluss sei gegenüber dem Konzernabschluss unbedeutend, überzeugt die Rechtsanwältin nicht. „Wenn die Debatte der vergangenen Monate nicht Singapur betroffen hätte, hätte man vielleicht noch darüber hinwegsehen können. Aber Wirecards Singapurtochter war der Stein des Anstoßes. Dass nun im Nachhinein herauskommt, dass die Prüfer ihr das Testat verweigert haben, ist ein Unding.“

Wirecard sieht das anders: „Sämtliche veröffentlichungspflichtigen Sachverhalte wurden ordnungsgemäß publik gemacht. Der Bestätigungsvermerk hinsichtlich der Einzelabschlussprüfung in Singapur wurde im lokalen Unternehmensregister veröffentlicht, war damit also publik“, erklärt eine Sprecherin.

Anlegerschützerin Bergdolt fordert nun maximale Transparenz: „Das Agieren des Vorstands ist nicht mehr nachvollziehbar. Es muss endlich Schluss sein mit der scheibchenweisen Information der Öffentlichkeit.“

Eingeschränkter Vermerk in Indien

Singapur ist nicht das einzige Land, in dem sich die Wirtschaftsprüfer unzufrieden mit Wirecard zeigen. In Indien geht es um die Tochtergesellschaft Hermes I Tickets. Diese arbeitet nach eigenen Angaben mit einem Netzwerk aus Zehntausenden indischen Händlern zusammen, über die Kunden Geld versenden und Flugtickets buchen können.

Für das Geschäftsjahr 2017/2018, das in Indien von April bis März läuft, verweigerten die Prüfer nun einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Laut ihrem Bericht im Jahresabschluss, der bei den indischen Behörden hinterlegt wurde, kritisieren sie die Buchung immaterieller Vermögenswerte. Die Prüfer hätten dafür keine ausreichenden und angemessenen Belege erhalten. Sie identifizierten „wesentliche Schwächen“ mit Blick auf interne Kontrollsysteme, was zu Strafzahlungen führen könnte.

Das Volumen der beanstandeten Buchungen ist klein und liegt bei umgerechnet 2,7 Millionen Euro. Laut einer Wirecard-Sprecherin ging es dabei um eine Software-Entwicklung, „die nicht ausreichend dokumentiert wurde“. Für den Konzernabschluss sei der Vorgang unbedeutend.