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Der unheimliche Boom der Zombie-Unternehmen

Der Anteil der Firmen, deren Gewinn nicht ausreicht, um die Zinsen zu bedienen, steigt rasant. Studien zeigen: Das lähmt die gesamte Wirtschaft.

Auf den ersten Blick haben der Sportwagenbauer Aston Martin, der Stahlriese Thyssen-Krupp und die Billigairline Norwegian wenig gemein. Doch die Unternehmen eint, dass ihre Schulden hoch und die Gewinne niedrig sind. Mehr noch: Der Gewinn vor Steuern (Ebit) dürfte im Jahr 2020 nicht ausreichen, um die Zinskosten zu decken, erwarten die Aktienanalysten der Bank of America (Bofa) für die die drei Firmen. Damit laufen sie Gefahr, von Investoren ein äußert unvorteilhaftes Label zu erhalten: „Zombie-Unternehmen“.

Den Bofa-Analysten zufolge wächst der Anteil der Zombie-Unternehmen rasant. Rund zehn Prozent der im breiten europäischen Index gelisteten Stoxx-600-Unternehmen fallen in die Gruselkategorie, rechnen die Experten vor. Das ist ein höherer Anteil als nach der Finanzkrise. Im ersten Quartal 2020 sei ihr Anteil zudem um knapp drei Prozentpunkte gestiegen – der schnellste Anstieg in der bis 2003 zurückreichenden Datenreihe. Barnaby Martin, Anleihestratege der Bofa, sagt: „Wir erwarten, dass die Zahl in den kommenden Quartalen auf einen neuen historischen Höchststand steigt.“

Zum einem ähnlichen Ergebnis kommt der langjährige US-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thorsten Slok: In den USA liege der Anteil der Zombiefirmen bei 20 Prozent, schreibt er in einer Analyse. „Das ist ein makroökonomisches Problem, da Zombiefirmen weniger produktiv sind.“

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Droht Europa und den USA eine neue Ära mit niedriger Produktivität und niedrigem Wachstum? Lösen die vielen finanziell angeschlagenen Unternehmen gar eine neue Schuldenkrise aus?

Ökonomen sind uneins

Der Begriff „Zombie-Unternehmen“ ist ideologisch aufgeladen. Er fällt regelmäßig im Zusammenhang mit der Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank. Die Niedrigzinspolitik sowie die Käufe von Unternehmensanleihen sorgten für eine „Zombiefizierung“ der Wirtschaft, so die vielfach geäußerte Kritik.

Selbst in das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen im Rahmen des Public Sector Purchasing Program (PSPP) der EZB fand die These der Zombiefizierung Eingang. So schrieben die Karlsruher Richter in der Urteilsbegründung: „Wirtschaftlich an sich nicht mehr lebensfähige Unternehmen bleiben aufgrund des auch durch das PSPP abgesenkten allgemeinen Zinsniveaus weiter am Markt.“

Dabei ist der direkte Zusammenhang zwischen den Anleihe-Kaufprogrammen und einer steigenden Zahl von Zombie-Unternehmen unter Ökonomen nach wie vor umstritten. Auch zeigen Beispiele etwa von deutschen Unternehmen, dass selbst Firmen, die Investoren als Zombies bezeichnen, durchaus überlebensfähig sind.

Fest steht aber auch: Seit Jahren steigt die Unternehmensverschuldung rasant. Im Jahr 2019 betrug das Volumen der weltweit ausstehenden Unternehmensschulden Daten des Vermögensverwalters Janus Henderson zufolge auf 8,3 Billionen Dollar. Durch die Coronakrise dürfte in diesem Jahr noch eine weitere Billion dazukommen, erwartet Tim Ross, Experte für Unternehmensanleihen bei Janus Henderson.

Im Jahr 2016, dem Start des EZB-Ankaufprogramms, waren es weltweit noch weniger als sieben Billionen Dollar. In Europa stiegt das Volumen der Unternehmensverschuldung seit 2016 um rund 20 Prozent an – nur in Nordamerika wuchsen die Schulden schneller.

Schuldentragfähigkeit im Fokus

„Viele Firmen haben wegen Corona deutlich mehr Schulden aufgenommen, aber sie nutzen das Geld sinnvoll“, sagt Ross. „Sie setzen es als Brückenfinanzierung ein und geben es nicht für Aktienrückkäufe oder Dividenden aus.“ Diese Aktionärsgeschenke hätten das Wachstum der Unternehmensverschuldung vor Corona getrieben.

Ein hohes Maß absoluter Verschuldung sage jedoch wenig aus, schränkt Janus-Henderson-Manager Ross ein. Bestes Beispiel sei Volkswagen. Mit einem Volumen von 192 Milliarden Dollar ist VW der weltweit am stärksten verschuldete Konzern, was vor allem an der Bedeutung von Leasing-Geschäften für den Autoabsatz liegt. „Das Unternehmen hat keinerlei Schwierigkeiten, diese Schulden zu managen“, betont Ross.

Um Zombie-Unternehmen zu identifizieren, blicken Finanzprofis daher auf Kennzahlen, die Aufschluss über die Tragfähigkeit der Schulden geben, etwa das Verhältnis von Nettoschulden zu Eigenkapital, sowie das Verhältnis von Jahresgewinn zu jährlichem Zinsaufwand.

Die Analysten der Bank of America haben eine Liste von rund 50 europäischen Unternehmen zusammengestellt, die nach ihrer Auffassung das Label „Zombie-Unternehmen“ verdienen. Diese zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass ihr Gewinn nicht ausreicht, um die Zinsaufwendungen zu decken.

Um Ausrutscher und hohe Einmal-Abschreibungen auszuschließen, nehmen die Bofa-Analysten lediglich Firmen in diese Liste auf, die über mehrere Quartale hinweg nicht ausreichend Gewinn erwirtschaften und die zudem eine hohe Nettoverschuldung im Vergleich zum Eigenkapital aufweisen. Börsennotierte Start-ups, die Cash verbrennen, aber noch relativ jung sind, bleiben unberücksichtigt.

Die Bofa hat auch eine Reihe bekannter europäischer Firmen als Zombies identifiziert. Mit dabei etwa: Der Windturbinenhersteller Nordex oder Thyssen-Krupp. Doch die Beispiele zeigen: Eindeutig ist die Sache nicht.

Schmerzhafte Transformation

Viele Firmen befinden sich zwar in einer schmerzhaften Umstrukturierung oder haben diese gerade hinter sich. Doch die vielfach konnten sich die Firmen aus eigener Kraft sanieren – auch ohne auf ultraniedrige Zinsen angewiesen zu sein.

So etwa der Hamburger Windturbinenhersteller Nordex: Der Vorwurf, nur aufgrund des niedrigen Zinsumfelds wirtschaftlich überleben zu können treffe „auf Nordex in keiner Weise zu“, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Das Unternehmen befinde sich mitten in der Transformation. Wegen der Umbrüche in der Windkraftbranche zahle Nordex „erhebliche Risikoaufschläge für Fremdkapital“. Auch stelle Nordex Bürgschaften für Projektpartner aus und nehme dafür Kreditlinien bei Banken in Anspruch. Die Kosten dafür müssten bei der Analyse der Zinsaufwendungen außen vor gelassen werden.

„Nordex ist ein global aufgestelltes Technologieunternehmen in einer der wichtigsten Schlüsselbranchen des 21. Jahrhunderts, das auf dem besten Wege ist, auch die Bilanz- und Profitabilitätskennzahlen wieder nachhaltig zu stärken“, betont der Sprecher. Ähnliches hat auch Thyssen-Krupp vor: Der Stahlriese hat sein Aufzugsgeschäft für 17 Milliarden Euro verkauft. Wenn der Deal Ende des Monats abgeschlossen ist, tilgen die Einnahmen sämtliche Schulden, und es bleibt ein Milliardenbetrag für Investitionen ins Kerngeschäft.

Nordex und Thyssen-Krupp sind keine Einzelfälle, wie die Forscher vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln bestätigen: Sie haben den Einfluss der Finanzierungskosten auf das Verhalten von kleinen und mittelständischen Unternehmen zwischen 2009 und 2016 untersucht, die finanziell angeschlagen waren. IW-Ökonom Markus Demary sagt: „Wir kamen zu dem Schluss, dass die gesunkenen Zinsen dazu geführt haben, dass die meisten Unternehmen ihre Schulden reduziert haben. Sie haben also die Zeit genutzt, um ihre Bilanzen zu reparieren.“

Demary kritisiert, dass die Debatte ideologisch aufgeladen sei: „Was mich an der Zombie-These stört, ist, dass Zinskosten anders beurteilt werden als andere Kosten. Man würde ja auch nicht sagen: Niedrige Lohnkosten halten die Unternehmen künstlich am Leben.“ Dies werde vielmehr als Ausdruck hoher Wettbewerbsfähigkeit gedeutet.

Fest steht jedoch: Viele Firmen werden nach Corona nicht umhinkommen, ihre Bilanzen zu reparieren. Unternehmen wie der Lufthansa, Air France oder Fraport dürfte es nach Einschätzung der Bofa-Analysten zumindest 2020 schwerfallen, die Zinsaufwendungen aus dem operativen Geschäft zu erwirtschaften.
Frank Günther, Managing Director beim Restrukturierungsexperten One Square Advisor bemerkt ebenfalls einen deutlichen Anstieg der Nachfrage nach seiner Dienstleistung. Noch sei der Druck nicht extrem, denn: „Liquiditätshilfen stehen für die Unternehmen derzeit reichlich zur Verfügung.“ Zudem profitierten viele Firmen aktuell von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. „Diese läuft jedoch im Herbst aus und wird vermutlich nicht verlängert“, so Günther.

Neue Pleitewelle

Dann müssten Unternehmen nachweisen, dass eine positive Fortführungsprognose bestehe und die Finanzierung für die nächsten zwei Jahre gesichert sei. „Viele Unternehmen, bei denen eine Refinanzierung ansteht, dürften dann Probleme bekommen.“ Günther erwartet daher: „Zum Jahresende wird eine Restrukturierungs- und Insolvenzwelle starten, wie sie das Land noch nicht gesehen hat.“

Für die Volkswirtschaft ist der steigende Anteil der Firmen unter hohem finanziellen Druck keine gute Nachricht. Die Bofa-Analysten kommen in ihrer Studie zu dem Ergebnis: „Zombie-Unternehmen weisen deutlich niedrigere Investitionsausgaben und Beschäftigungsquoten auf“, fasst Analyst Martin zusammen. Zudem hinke ihr Aktienkurs hinterher. „Das erschwert es den Unternehmen, neues Eigenkapital einzuwerben.“

Die Ergebnisse decken sich mit denen akademischer Studien, etwa von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Forscher der Notenbank der Notenbanken in Basel haben den Anstieg der Zombiefirmen seit den 80er-Jahren in 14 Ländern untersucht. Ihr Fazit: „Zombiefirmen sind weniger produktiv und verdrängen Investitionen in und Beschäftigung bei produktiveren Firmen.“ Ein Teil des wachsenden Anteils von Zombiefirmen sei auch auf die gesunkenen Finanzierungskosten im Zuge der Niedrigzinspolitik der Notenbanken zurückzuführen, heißt es weiter.

In der Coronakrise die Zinsen zu erhöhen würden jedoch selbst konservative Geldpolitiker wohl nicht wagen. Viel spricht daher dafür, dass die Zahl der Firmen wächst, die auf die eine oder andere Art die Kriterien eines Zombie-Unternehmens erfüllen. Viel spricht jedoch auch dafür, dass viele Unternehmen ihre Bilanzen reparieren. Auf einen neuen Boom bei Beschäftigung und Investitionen in innovative Technologien müssen Europas Volkswirtschaften wohl noch länger warten.