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Ungleiche Vermögensverteilung: SPD-Chef will Reiche stärker zur Kasse bitten

Das wohlhabendste Zehntel der Bevölkerung vereint laut einer Studie mehr als zwei Drittel des Vermögens auf sich. Die Verteilung ist damit noch ungleicher als bisher angenommen.

Als Andrea Nahles noch Sozialministerin war, zog sie gelegentlich kräftig über die Reichen in Deutschland her. Immer häufiger würden große Summen vererbt. „Das sind quasi leistungslos erworbene Vermögen für Menschen, die wie in einer eigenen Gesellschaft, wie in einer Kaste leben“, sagte sie Ende 2016 der „Bild“.

Das Thema Reiche sei in Deutschland „wie eine Black Box, ein schwarzes Loch“. Wenn das so bleibe, könnten sich Strukturen von mächtigen Zirkeln entwickeln, warnte die Ministerin und einstige SPD-Chefin, die sich inzwischen aus der Politik zurückgezogen hat, damals. „Es gibt auch bei uns einen Trend zur Refeudalisierung.“

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat nun in einer neuen Studie versucht, die Black Box zu öffnen und die Gesellschaft der Reichen stärker auszuleuchten. Kernergebnis: Die Verteilung der Vermögen ist in Deutschland noch ungleicher als bisher ausgewiesen. Das reichste Prozent der Bevölkerung vereint demnach rund 35 Prozent des Vermögens auf sich, das wohlhabendste Zehntel mehr als zwei Drittel.

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In ihrem aktuellsten Armuts- und Reichtumsbericht von 2017 war die Bundesregierung von deutlich niedrigeren Werten ausgegangen. Demnach besaßen die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte rund 59 Prozent des gesamten Nettovermögens, während die Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung nur über rund ein Prozent verfügten.

Die Summe aller Nettogesamtvermögen in Deutschland beziffert die Bundesregierung für das Jahr 2013 auf rund 4,9 Billionen Euro – im Durchschnitt rund 123.000 Euro je Haushalt.

Die gängige Datenerhebung über das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) hat allerdings einen blinden Fleck, weil sehr Wohlhabende von der repräsentativen Bevölkerungsbefragung kaum erfasst werden. Dort sind nur Vermögen in maximal niedriger einstelliger Millionenhöhe abgedeckt. Aus sogenannten Reichenlisten weiß man jedoch, dass es 2017 rund 700 Familien oder Einzelpersonen mit einem Vermögen von mindestens 250 Millionen Euro gab.

Datenlücke geschlossen

Das DIW hat nun, unterstützt vom Bundesarbeitsministerium, diese Datenlücke geschlossen. Ausgehend von der Überlegung, dass besonders Wohlhabende oft zumindest einen Teil ihres Vermögens in Form von Unternehmensbeteiligungen halten und Unternehmen wiederum verpflichtet sind, Informationen über ihre Eigentümerstrukturen zu veröffentlichen, wurde eine neue Stichprobe aus einer entsprechenden Datenbank gezogen.

In dieser Stichprobe befinden sich viele Hochvermögende, die erfolgreich für die Befragung im Sozio-oekonomischen Panel gewonnen werden konnten. Ergänzt wurden die Daten um die 700 reichsten Deutschen, die das „Manager Magazin“ im Jahr 2017 in seinem entsprechenden Ranking führte.

Die Erkenntnis, dass die Vermögenskonzentration noch stärker ausfällt als bisher angenommen, ist Balsam für linke Politiker, die schon seit Jahren behaupten, die Schere in Deutschland zwischen Arm und Reich gehe immer weiter auseinander.

„Während Kurzarbeiter froh sein können, wenn sie ihren vollen Arbeitsplatz zurückbekommen, widmen sich andere der Frage, welche Aktienkäufe, Kunstwerke oder Oldtimer demnächst den größten Gewinnzuwachs versprechen“, sagte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans dem Handelsblatt. „Das treibt die Gesellschaft weiter auseinander.“

Das Bild, dass Vermögende vorwiegend auf der faulen Haut liegen und ihren Reichtum genießen, stimmt so pauschal allerdings nicht, wenn man sich die Spitze der Vermögenspyramide anschaut. Dort stehen die Wohlhabenden mit Vermögen zwischen 126.000 und einer Million Euro und die Millionäre. Zwar ist rund ein Drittel der Erwachsenen aus diesen beiden Gruppen bereits im Ruhestand. Aber unter den beruflich aktiven Millionären stellen die Selbstständigen mit 73 Prozent den größten Anteil. „Auch der Anteil der Beschäftigten in Leitungspositionen steigt entlang der Vermögensverteilung deutlich“, heißt es in der Studie.

Millionäre haben zudem mit durchschnittlich 46,9 Stunden die höchste Wochenarbeitszeit, bei Wohlhabenden sind es noch 37,6 Stunden. In der unteren Hälfte der Vermögensverteilung wird im Schnitt 36,4 Stunden pro Woche gearbeitet.

Das durchschnittliche Bruttovermögen, also ohne Schulden und Verbindlichkeiten, liegt in der untersten Hälfte der Verteilung bei 11.000 Euro. Das Geld wird hier vor allem in Fahrzeuge und selbst genutztes Wohneigentum investiert.

Wohlhabende, ungefähr das obere Viertel der Vermögensverteilung, besitzen im Schnitt ein Bruttovermögen von 330.000 Euro, das zu fast 60 Prozent auf selbst genutztem Wohneigentum beruht. Bei den Millionären, von denen nicht mal ein Drittel Frauen sind, liegt das durchschnittliche Bruttovermögen bei gut drei Millionen Euro.

Während sich für das Vermögen klar belegen lässt, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht, stimmt der Befund bei den Einkommen so nicht. Die Nettoeinkommen in Deutschland haben sich zwar zwischen 1997 und 2005 stark auseinanderentwickelt, seither öffnet sich die Schere aber nicht weiter.

Und im internationalen Vergleich ist die Einkommensungleichheit in Deutschland immer noch verhältnismäßig gering, weil der deutsche Staat stark umverteilt und Unterschiede in den Bruttoeinkommen durch Steuern und Sozialtransfers ausgleicht.

„Gift für den sozialen Zusammenhalt“

Bei der Vermögensungleichheit landete Deutschland bereits vor den Erkenntnissen aus der neuen DIW-Studie international im Spitzenfeld. Schon nach der alten Datenlage lag der sogenannte Gini-Koeffizient bei 0,78. Der Koeffizient kann Werte zwischen null und eins annehmen, wobei null bedeutet, dass Vermögen gleichmäßig verteilt ist, und eins, dass nur eine Person das gesamte Vermögen besitzt.

Mit der erweiterten Datenbasis ist der Koeffizient für Deutschland auf knapp 0,83 angestiegen. In den USA liegt er laut Global Wealth Report der Credit Suisse bei 0,85, in Russland bei knapp 0,88, in beiden Ländern sind vermögen also ungleicher verteilt als hierzulande.

Im Mittel haben die Deutschen 22.800 Euro Nettovermögen, das heißt, die eine Hälfte der Erwachsenen verfügt über mehr, die andere über weniger. Dieser Wert hat sich gegenüber der alten Datenlage kaum verändert. Das durchschnittliche Vermögen, das stärker von Ausreißern nach oben oder unten beeinflusst wird, ist dagegen von rund 108.000 auf 127.000 Euro gestiegen.

Aus der Vermögensverteilung in Deutschland lässt sich aber nicht zwangsläufig ableiten, dass es hierzulande besonders ungerecht zugeht. So liegt eine spezifische Ursache für die ungleiche Verteilung in der Wiedervereinigung. Nach der Wende hatten viele Ostdeutsche schlicht kein Vermögen. Im Vergleich zu Westdeutschen ist ihr Vermögen deshalb bis heute gering.

Auch fördert ein internationaler Vergleich Überraschendes zutage: So ist ausgerechnet in den als besonders sozial geltenden skandinavischen Ländern die Vermögensungleichheit noch höher als in Deutschland.

Studien etwa der Europäischen Zentralbank (EZB) führen dies auf Unterschiede in den Sozialsystemen zurück: Je geringer die Sozialausgaben eines Staates sind, desto höher sind die Nettovermögen des unteren Einkommensviertels der Bevölkerung. Auch die DIW-Forscher schreiben, dass der Aufbau von Vermögen wesentlich vom jeweiligen Sozialsystem eines Landes abhänge. So setzen etwa angelsächsische Länder viel mehr auf eigene Vorsorge als Länder wie Deutschland.

Für SPD-Chef Walter-Borjans ist die Konzentration von immer mehr Vermögen auf immer weniger Haushalte dennoch „Gift für den sozialen Zusammenhalt. Wenn Vermögenszuwächse da landen, wo sie weder produktiv investiert noch konsumiert werden, und Geld fehlt, wo es zur Finanzierung des Alltags dringend gebraucht wird, dann wird Vermögensungleichheit auch zu einer empfindlichen Wachstumsbremse“, sagt er.

Deshalb sei es ein Gebot der wirtschaftlichen und sozialen Vernunft, die Vermögensteuer für die reichsten zwei Prozent der Bevölkerung endlich oben auf die Tagesordnung zu setzen und Erbschaften angemessen zu besteuern.

Die DIW-Forscher können einer Vermögensteuer aber nur wenig abgewinnen. So hielten viele der sehr Wohlhabenden Betriebsvermögen. Hier die Steuern zu erhöhen „kann langfristige Konsequenzen für den materiellen Wohlstand aller haben, weil Investitionen, die Arbeitsplätze geschaffen hätten, möglicherweise nicht mehr oder weniger umfangreich getätigt werden“, heißt es in der Studie. Weil die Vermögensteuer ertragsunabhängig gemessen werde, könne sie zudem in einer Krisensituation wie derzeit die Rezession noch verschärfen.

Geld macht offenbar doch glücklich

Das Bundesarbeitsministerium will die Ergebnisse der DIW-Studie in den sechsten Armuts- und Reichtumsbericht einfließen lassen, der aktuell erstellt und voraussichtlich im Frühjahr 2021 vom Bundeskabinett verabschiedet werde, wie das von Hubertus Heil (SPD) geführte Ressort mitteilte.

Da könnte dann auch die Erkenntnis Eingang finden, dass Geld offenbar doch glücklich macht. So bedeutet wachsendes Vermögen laut DIW-Studie auch eine höhere Lebenszufriedenheit. In der unteren Hälfte der Vermögensverteilung rangiert sie auf einer Skala von 0 bis 10 bei 7,1 Punkten. Wohlhabende und Millionäre erzielen dagegen mit 7,6 und 8,2 Punkten deutlich höhere Zufriedenheitswerte.

Aus der Gruppe der Millionäre gibt es allerdings Klagen über mangelnde Freizeit, hier nimmt die Zufriedenheit gegenüber den weniger Wohlhabenden ab. So ganz scheint das Bild vom Lebemann, der Kunstwerke und Oldtimer sammelt und seinen Aktienbesitz mehrt, dann doch nicht zu stimmen.