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Der unerträgliche Narzissmus der SPD

Untergang oder Selbsterlösung, drunter geht's nicht. Was die SPD nicht begreifen will: Ein Zurück zur Kanzlermacht ist nur gegen eine sozialdemokratische Agenda möglich - und mit Olaf Scholz.

Eigenliebe ist auch eine Form von Solidarität - und wenigstens was die anbelangt, macht der SPD in Deutschland so leicht keiner was vor. Bereits das Tempo, mit der die Sozialdemokraten vor zwei Monaten das blamable Scheitern der Jamaika-Verhandler zu ihrem Problem erklärt haben, konnte einem den Atem rauben. Doch die öffentlich zelebrierte Zerquält- und Zerrissenheit nach der Winterpause schlägt nun wirklich alle Narzissmusrekorde.

Mit welcher Inbrunst die SPD da um sich selbst kreist, hin- und hergerissen zwischen Erlösungssehnsucht und Untergangslust! Wie berauscht sie ist vom Pathos ihrer historischen Größe und Verantwortung, wie beseelt von ihrer Duld- und Leidensfähigkeit im Namen der Staatsräson - und wie stolzbeschwert von der atlantischen Last existenzieller Seinsfragen, die sich an der Reinheit programmatischer Selbstansprüche entzünden und am Widerspruch, mit der Ideale nun mal zur politischen Koalitions- und Kompromiss-Praxis stehen… - man kann es wirklich nicht mehr ertragen.

Wie lange will die SPD sich selbst und uns noch martern mit ihren Nabelschauen und Lebenslügen, mit ihrem Bürger-Betreuungs-Eifer und dem Märchen von der „linken Mehrheit“ in Deutschland?

Tatsächlich ist es doch so, dass die SPD allein hier und jetzt, das heißt: angesichts eines konjunkturellen Dauerhochs und als Juniorpartner einer großen Koalition unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die Chance hat, ihre sozialdemokratischen Anliegen weitgehend durchzusetzen. Solidarrente und gebührenfreie Kitas, ein Rechtsanspruch auf die Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern und paritätische Beiträge in der Krankenversicherung - das alles wird es in den nächsten zwei Jahren an der Seite der Union geben oder aber gar nicht.

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Es wird daher höchste Zeit, dass die Sozialdemokratie ihre Politik nicht mehr nur mit sich, sondern zur Abwechslung auch noch mal mit der historischen Realität abgleicht: Dann würde sie erkennen, dass die Deutschen seit 1945 nie „links“ gewählt haben - und abgesehen von Willy Brandt auch in gewisser Weise keine Sozialdemokraten. Dass die SPD in diesem Land immer nur höchst ausnahmsweise den Regierungschef stellen darf. Und dass es für sie ein Zurück zur Kanzlermehrheit daher nur gegen eine sozialdemokratische Agenda geben kann - und mit einem wie dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz an der Spitze.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die SPD 14 lange Jahre gebraucht, um den Deutschen als denkbare Alternative zur Konrad-Adenauer-Union überhaupt in den Sinn zu kommen. Erst als die Sozialdemokratie im Godesberger Programm dem Klassenkampf und der Planwirtschaft entsagte und ihren Frieden schloss mit Marktwirtschaft und Westbindung, war sie im politischen Machtrennen - oder schärfer formuliert: Erst als die SPD die „herrschenden Verhältnisse“ nicht mehr im Wege des „demokratischen Sozialismus“ überwinden wollte, sondern mithilfe der „Globalsteuerung“ in Höchstform zu bringen versprach, kam sie einer Mehrheit der Deutschen nicht mehr verdächtig vor.


Gegen die Partei-Programmatik

Trotzdem hat es noch mal zehn Jahre gedauert, bis die SPD auch das Vertrauen der Deutschen gewinnen konnte - und zum ersten Mal den Kanzler stellte. Doch schon „Willy Brandt“ war nicht das Produkt einer genuin sozialdemokratischen Politik, sondern (mindestens auch) das Ergebnis einer günstigen Konstellation: Die Deutschen gönnten sich eine SPD-geführte Regierung und meinten, sie sich leisten zu können. Erstens, weil die Arbeitslosigkeit besiegt schien. Zweitens, weil die „Ostpolitik“ dank der unumkehrbaren Verankerung der Bundesrepublik im westlichen Bündnis möglich war. Und drittens, weil die Bürger sich nach dem ökonomischen Erfolg auch einen kulturellen Aufbruch zutrauten.

In den Jahren darauf, unter Helmut Schmidt, stand die SPD im Zenit ihrer Macht, weil der Staat von der Substanz zehren, aus dem Vollen schöpfen und verteilen konnte, was die Deutschen sich erarbeitet hatten: Vollbeschäftigung, Acht-Stunden-Tag, „Samstag gehört Papi mir“… Aber was die Partei schon damals nicht begriff: Der zum Arbeitnehmer und Wohlstandsbürger beförderte Arbeiter wählte vielleicht noch die SPD, aber er bedurfte ihrer nicht mehr. Bereits im Herbst 1973, im Jahr der Ölkrise, kündigte sich der Niedergang der Sozialdemokratie an: Die keynesianischen Boom-Jahre waren vorbei, das Vertrauen in die Planungsfähigkeit des Staats war erschüttert - und das traditionelle „Vorwärts“ der SPD büßte mit den „Grenzen des Wachstums“ seinen Zauber ein.

Die SPD hat diesen Zauber nie wieder herstellen können. Sie war groß geworden als Partei des Fortschritts und der Weltverbesserung, des langen, steinigen Weges „zur Sonne, zur Freiheit“. Sie hatte sich das Fernziel einer neuen, besseren Gesellschaft auf die roten Fahnen geschrieben und an das aufklärerische Ideal einer Vervollkommnung der Lebensverhältnisse angeknüpft. Sie war mit den Menschen, den Zukurzgekommenen zumal, "Seit' an Seit'“ einer immer besseren Zukunft entgegen gestrebt - und sie verdankte ihre Macht nun ausgerechnet einem Mann, der gesellschaftspolitische Visionen unter Pathologieverdacht stellte: Helmut Schmidt.

Seither kann die SPD paradoxerweise nur noch dann den Kanzler stellen, wenn er sich gegen das auflehnt, was eine Mehrheit in der Partei für richtig hält - und wenn viele „bürgerliche“ Wähler zugleich der Auffassung sind: „Das ist ein guter Regierungschef, wenn auch leider in der falschen Partei.“ Helmut Schmidt bezog seine Macht vor allem aus der Standfestigkeit, mit der er den Friedensbewegten widerstand. Und Gerhard Schröder sicherte sich seinen Platz in den Geschichtsbüchern durch die Konsequenz, mit der er vor 15 Jahren angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen seine Sozialreformen durchboxte. Kurzum: Schmidt und Schröder haben sich nicht als standfeste Genossen Ansehen bei den Deutschen erworben, sondern als geläuterte Sozialdemokraten: gegen die Partei-Programmatik.

Tatsächlich war es ironischerweise Margaret Thatcher, die der Sozialdemokratie in den Achtzigerjahren einen „Dritten Weg“ aus der programmatischen Sackgasse wies. Die liberalkonservative britische Premierministerin animierte über Tony Blairs „New Labour“ auch die Schröder-SPD zu einem Update ihres Fortschrittsbegriffs. Ziel war eine Balance zwischen bastardliberaler Marktverheiligung und ordnungspolitischer Wirtschaftssteuerung, zwischen forderndem Leistungsdenken und fördernden Hilfen des Sozialstaates.


Traum von Fortschritt

Das Problem: Schröder schoss mit seinem Reformeifer übers Ziel hinaus. Er passte die Sozialdemokratie nicht (nur) veränderten Bedingungen an, sondern lieferte sie (auch) einer "alternativlosen" Globalisierung aus. Er ließ den deutschen Arbeiter als Dienstleistungsproletarier links liegen und rollte den Geldinteressen einen roten Steuersenkungsteppich aus. Als dann die Finanzkrise hereinbrach, hatten sich die Marktgläubigen in Union und FDP bloß geirrt - die SPD aber hatte ihre Seele verkauft. Seither ist es Angela Merkel ein stilles Vergnügen, mit Hilfe der SPD an Schröders Reformen soziale Korrekturen vorzunehmen.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma kann es für die SPD nur geben, wenn sie sich den Wählern, wie mit Schmidt und Schröder, erneut als bessere Union empfiehlt - wenn sie aufhört, immer neue Opfergruppen zu erfinden, um sie als Ziel ihrer politischen Zuwendung zu bewirtschaften und sich statt dessen allen Deutschen andient - etwa mit einem Programm für eine "solidarische Leistungsgesellschaft“, die schon Alt-Vordenker Erhard Eppler im Sinn hatte. Dabei müsste die SPD beide Pole des Begriffs unter Starkstrom setzen - und aus der daraus entstehenden Spannung einen ambitionierten Fortschrittsbegriff gewinnen: einerseits aus scharfer Kritik an der überragenden Bedeutung von Kapitalinteressen, an Machtkonzentration und sozialer Ungleichheit - andererseits aus scharfer Kritik an das anspruchslose Anspruchsdenken derer, die die „Stallfütterung des Staates“ (Wilhelm Röpke) mit intelligenter Sozialpolitik verwechseln.

Allein als „bürgerliche“ Partei einer „guten Gesellschaft“ der Tüchtigen hat sie in zwei Jahren eine Chance - und gar keine schlechte: Wenn die Post-Merkel-Union sich unter dem eingebildeten Druck der AfD weiter in Richtung kraftmeiernder Unseriosität und Rechtspopulismus aufmacht wie weiland die Union unter Franz-Josef-Strauß, könnte eine hanseatische Olaf-Scholz-SPD den Deutschen ganz plötzlich als ein Vernunfts- und Sicherheitsanker erscheinen.

Die SPD befand auf ihrem Parteitag daher nicht über ihren Untergang oder ihre Wiederauferstehung: Eine große Koalition bedeutet nicht ihr Ende und verheißt keinen Neuanfang. Ebenso wie #NoGroko keinen Neuanfang verheißen hätte und nicht das Ende der SPD bedeutet hätte. Statt dessen werden wir Zeuge, welchen Traum von Fortschritt die SPD 2018 träumt: den Traum, sich mit entschiedener Randgruppen- und Diversitätspolitik á la Martin Schulz, Andrea Nahles und Manuela Schwesig selbst zu marginalisieren und mit Steuererhöhungen ins politische Abseits zu befördern - oder den Traum, mit Olaf Scholz, auch Sigmar Gabriel und Katarina Barley, eine „bürgerliche“ Mehrheit im Namen einer breiten, „solidarischen Leistungsgerechtigkeit“ zu gewinnen.