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Umweltministerin Schulze setzt die Wirtschaft unter Druck

Deutschland verfehlt seine Klimaziele, und der Druck auf die Wirtschaft wächst. Umweltministerin Schulze nimmt nun einzelne Branchen in Verantwortung.

Bahn-Chef Richard Lutz weiß, dass er handeln muss. „Egal, wo lokale Wetterextreme zuschlagen, sie treffen fast immer auch die Bahn“, hat ihn Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber gewarnt. Der Ausstoß von Treibhausgasen aus dem Verfeuern von Kohle und Öl könne solche Extreme verstärken und Risiken für die Bahn erhöhen. Als klimafreundlicher Verkehrsträger könne die Bahn aber Antworten auf das Problem geben.

Die Eröffnung des ersten CO2-neutralen ICE-Werks in diesem Jahr in Köln ist eine davon. Auf fossile Brennstoffe wird hier gänzlich verzichtet, die Bahn setzt auf einen Mix aus Erdwärme und Strom aus selbst produzierter Sonnenenergie; Spitzen werden durch den Zukauf von Ökostrom abgedeckt. Zum Kühlen und Heizen wird Grundwasser genutzt.

„Der Klimawandel ist ein nicht zu leugnender Fakt“, sagt Lutz. Weniger Treibhausgasemissionen müssten deswegen „ein zentrales Anliegen von uns allen sein“. Die Zeiten, in denen Unternehmen den Klimawandel ignorieren konnten, sind vorbei. Das Bewusstsein in der Wirtschaft hat sich gewandelt, zusätzlich macht die Politik Druck.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) drückt aufs Tempo, damit das Klimaziel für 2030 sicher erreicht werden kann. Alle Sektoren – Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft – sollen ihren Beitrag leisten und verlässliche Pfade einschlagen.

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Gespräche mit Vertretern von CO2-intensiven Branchen in Planung

Um im Energiesektor voranzukommen, wurde die Strukturwandelkommission ins Leben gerufen, die bis Ende des Jahres den Weg für einen Ausstieg aus der Kohleverstromung skizzieren soll. Ähnliche Kommissionen für die Sektoren Gebäude und Verkehr sind vorgesehen.

Das Umweltministerium knöpft sich jetzt die besonders betroffenen Teile der Industrie vor. Nach Informationen des Handelsblatts ist für Anfang Juli eine Reihe von Gesprächen mit Vertretern besonders CO2-intensiver Branchen vorgesehen, darunter Stahl, Chemie, Baustoffe und Metalle.

Das bestätigte ein Ministeriumssprecher dem Handelsblatt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sitzt bei den Treffen im Umweltministerium jeweils mit am Tisch. Eine Frage steht im Fokus: Was benötigen die Branchen, um eine nahezu emissionsfreie Produktion hinzubekommen?

Schulze will nicht nur fordern, sondern auch fördern. Eckpunkte für ein Förderprogramm „Dekarbonisierung im Industriesektor“ kursieren bereits seit einigen Monaten. „Das Förderprogramm soll ein wesentlicher Baustein sein, um das Ziel einer weitgehenden Treibhausgasneutralität bis 2050 in emissionsintensiven Industriebranchen mit treibhausrelevanten Energie- und Prozessemissionen zu erreichen. Für das 2030-Ziel werden erste Beiträge erwartet“, heißt es darin.

Da die Investitionszyklen in der energieintensiven Industrie besonders lang sind, müssen nach Überzeugung des Ministeriums heute die Weichen gestellt werden, um die mittelfristigen Ziele für 2030 und die langfristigen Ziele für 2050 zu erreichen. Die Anreize zielten auf die Unternehmen, die es objektiv besonders schwer haben, ihre Produktion treibhausgasneutral zu gestalten, und deswegen unter Handlungsdruck stehen.

Chemisch-pysikalische Grenzen

In den Gesprächen mit den Branchen soll es auch darum gehen, wie die Förderung am besten ausgestaltet wird, damit alternative Technologien mit emissionsfreier Energie statt der derzeitigen fossilen Brennstoffe für die Produktionsprozesse entwickelt und eingesetzt werden können. Das Förderprogramm soll eine Mindestlaufzeit von zehn Jahren haben und spätestens 2020 starten. Das Fördervolumen steht noch nicht fest.

In den meisten Unternehmen fehlt es nicht an gutem Willen, sie stoßen vielmehr an chemisch-physikalische Grenzen. So ist die Stahlherstellung im Hochofen untrennbar mit CO2-Emissionen verbunden – auch wenn sich die Herstellungsprozesse optimieren lassen und deutsche und viele europäische Stahlhersteller dabei weltweit führend sind.

Sollen auch prozessbedingte CO2-Emissionen aus der Treibhausbilanz verschwinden, muss man zu einschneidenden Maßnahmen greifen: So kommt etwa die zu Jahresbeginn vorgestellte BDI-Studie „Klimapfade 2050“ zu dem Ergebnis, dass sich die angestrebten Emissionsreduzierungen bis 2050 nur erreichen lassen, wenn die Industrie die Möglichkeit bekommt, CO2 abzuscheiden und unterirdisch zu speichern („Carbon Capture and Storage“, kurz CCS).

Bemühungen des Gesetzgebers, dafür die rechtliche Grundlage zu schaffen, scheiterten jedoch bereits in vergangenen Legislaturperioden. Die betroffenen Branchen kritisieren, sie seien damit einer Handlungsmöglichkeit beraubt worden.

In der Stahl-, aber auch in der Chemieindustrie wird längst unter Hochdruck daran gearbeitet, weiteren Methoden zum Durchbruch zu verhelfen, etwa der Weiterverwendung von frei werdendem CO2 in Produktionsprozessen („Carbon Capture and Utilization“, kurz CCU). Wirtschaftlich sind diese Methoden allerdings nicht.

Doch auch jenseits dieser Herausforderungen tut sich in der energieintensiven Industrie viel. Beispiel Chemie. Der Chemiekonzern BASF, einer der ganz großen Energieverbraucher des Landes, will bis 2020 an allen relevanten Standorten ein zertifiziertes Energiemanagementsystem einführen, um kontinuierlich Emissionen einzusparen. Henkel hat sich das Ziel gesetzt, seinen CO2-Fußabdruck in der Produktion bis 2030 um 75 Prozent zu reduzieren.

Nivea-Hersteller Beiersdorf arbeitet mit dem WWF zusammen und stellt den Strombezug für alle Beiersdorf-Standorte auf erneuerbare Energiequellen um. Zudem will sich das Unternehmen genau ansehen, wie die Emissionen aus eingekauften Dienstleistungen und Gütern beeinflusst werden. Merck ist dabei, Konzepte in Richtung eines CO2-Reduktionsziels zu entwickeln, das mit dem Pariser Klimaabkommen in Einklang steht. Das sieht vor, die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius im vorindustriellen Vergleich zu begrenzen.

Eine Schlappe zur Unzeit

Der Handlungsbedarf ist enorm. Vergangene Woche musste die Bundesregierung auch offiziell bestätigen, was sich schon seit Jahren abzeichnete: Sein Klimaziel für 2020 wird Deutschland verfehlen. Eigentlich sollten die Treibhausgasemissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent sinken. Jetzt werden es voraussichtlich nur 32 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt der Klimaschutzbericht des Umweltministeriums, den das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedete.

Die Schlappe im Klimaschutz kommt für die Regierung zur Unzeit: Am Montag beginnt in Berlin der Petersberger Klimadialog, zu dem Vertreter aus 35 Ländern erwartet werden und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Grundsatzrede halten wird. Das Treffen dient der Vorbereitung des nächsten Weltklimagipfels Ende des Jahres in Polen.

Auch Klimaschutzorganisationen machen weiter Druck. Der World Wide Fund for Nature WWF fordert die Regierung auf, gemeinsam mit Frankreich im Klimaschutz wieder eine Führungsrolle zu übernehmen. In einem achtseitigen Positionspapier, das dem Handelsblatt vorliegt, heißt es, beide Länder müssten dem Klimaschutz in Europa eine klare Richtung geben, indem sie die Energiewende beschleunigten und ihren CO2-Fußabdruck verringerten.

Der WWF schlägt vor, einen CO2-Mindestpreis im Stromsektor einzuführen. Dieser Schritt müsse mit der Stilllegung von Kernkraftwerken in Frankreich und Kohlekraftwerken in Deutschland kombiniert werden. Außerdem müssten beide Länder daran arbeiten, die Klimawirkung von Kapitalflüssen erfassbar und verfügbar zu machen. Zudem fordern die Klimaschützer europaweit einheitliche Standards und Labels für grüne Anlageprodukte oder für die Nachhaltigkeitswirkung von Finanzprodukten.

Doch insgesamt gehen bereits weite Teile der deutschen Wirtschaft das Thema Klimaschutz offensiv an. Die Zahl der deutschen Unternehmen, die aktuell eine Zwei-Grad-Klimastrategie entwickeln, liege mittlerweile mindestens im dreistelligen Bereich, schätzt Jan-Marten Krebs, Gründer und Vorstand der Sustainable AG, die Unternehmen auf dem Weg zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit berät. Dabei spielten wirtschaftliche Gründe eine wesentliche Rolle.

Das belegt ein Blick nach München: „Unser CO2-Programm leistet nicht nur einen positiven Beitrag für Mensch und Umwelt, sondern bringt auch unserem Unternehmen nachhaltigen wirtschaftlichen Nutzen“, heißt es bei Siemens. Klar sei aber auch, dass die notwendige Transformation ohne entsprechende politische Maßnahmen nicht erreicht würde. Auch Unternehmensberater Krebs lehnt Druck auf die Wirtschaft nicht grundsätzlich ab: „Am Ende hilft er den Unternehmen, ihre Betriebsabläufe zu optimieren, und unterstützt ihr Innovationspotenzial.“