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Ukrainischer Premier: Gefahr eines Staatsbankrotts ist gebannt

Im Interview erklärt der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal, wie er sein Land wirtschaftlich stabilisieren will – und was er sich von Deutschland erhofft.

Nach Ansicht des ukrainischen Premiers Denys Schmyhal besteht für sein Land keine Gefahr eines Staatsbankrotts mehr. Mit diesem optimistischen Ausblick geht Schmyhal am Dienstag in sein erstes Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Antrittsbesuch musste wegen der Coronakrise in eine Videokonferenz der beiden Regierungschefs umgewandelt werden.

Schmyhal sagte dem Handelsblatt, er „sehe absolut keinen Grund für eine Zahlungsunfähigkeit“ der Ukraine, denn sein Land stehe vor dem Abschluss eines fünf Milliarden Dollar umfassenden Kredits mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF).

Ukraine-Analysten hatten vor einem Staatsbankrott gewarnt, sollte Kiew den IWF-Kredit nicht bekommen. Voraussetzungen für den Kredit ist allerdings, dass das Land eine Landreform und ein Bankengesetz auf den Weg bringt. Die Privatisierung des Ackerlandes hat das Parlament inzwischen beschlossen, gegen das Bankengesetz gibt es erheblichen Widerstand seitens des Oligarchen Ihor Kolomojski: Der will seine Privat Bank, das größte Finanzinstitut der Ukraine, zurückhaben. Die Bank war nach einer milliardenschweren Abzweigungen in Schieflage geraten.

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Dazu hat er massiv Druck auf den von ihm geförderten Präsidenten Wolodymyr Selenski ausgeübt. Doch Kolomojski dürfte laut Premier Schmygal scheitern: Das Bankengesetz werde in Kürze beschlossen: „Dann ist die Rückgabe der Bank oder eine milliardenschwere Kompensation an die früheren Eigner ausgeschlossen. Das ist wichtig für das Vertrauen in die Ukraine“, sagte Schmyhal dem Handelsblatt.

Durch die Coronakrise komme die Ukraine wegen seiner wirtschaftlichen Reserven bisher einigermaßen stabil, er rechne aber mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 4,8 Prozent. Deshalb erhoffe er sich auch von Merkel Hilfe für Kredite bei IWF, Weltbank, der Osteuropaförderbank EBRD, der Europäischen Investitionsbank EIB, der EU-Kommission und der deutschen Förderbank KfW. Bei der KfW gehe es um einen 150 Millionen Euro großen Kredit, mit dem die Ukraine Mittelständlern durch die Coronakrise helfen will. Daneben setzt die Ukraine vor allem auf milliardenschwere Bau- und Infrastrukturprogramme, um das Land durch die coronabedingte Wirtschaftskrise zu bringen.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Ministerpräsident, wie kommt Ihr Land durch die Coronakrise?
Natürlich trifft auch uns die Pandemie heftig. Aber dies ist die erste Krise, in die die Ukraine einigermaßen vorbereitet und mit wirtschaftlichen Reserven gerät. So kommen wir bisher weitgehend stabil durch die Krise.

Was heißt das in Bezug auf die Wirtschaft?
Im Moment ist die Situation nicht kritisch. Unser Leistungsbilanzdefizit lag im März bei 389 Millionen Dollar im Vergleich zu 526 Millionen im Jahr zuvor. Und mit 25,7 Milliarden Dollar Währungsreserven stehen wir auch besser da. Zudem haben wir noch etwa 2,3 Milliarden Dollar auf den Konten des Finanzministeriums. So gesehen gehen wir stabiler in die Krise als in früheren Zeiten. Aber dennoch müssen wir 2020 mit einem prognostizierten Rückgang unseres Bruttoinlandsprodukts um 4,8 Prozent rechnen. Die Industrieproduktion ist schon im ersten Quartal um 5,1 Prozent weggebrochen.

Was tun Sie gegen den Abschwung?
Staatliche Investitionen sollen zum Katalysator für Wirtschaftswachstum werden und deshalb haben wir das Programm „Großer Bau“ aufgelegt. Mit dem bauen wir jetzt die schon lange benötigten Autobahnen, reparieren Straßen, errichten Kliniken, Schulen und Kindergärten und schieben große Infrastrukturvorhaben an. Allein in den Autobahnen- und Straßenbau investieren wir vier Milliarden Dollar.

Welche Effekte sind zu erwarten?
Das schafft Arbeitsplätze für die mehr als die 100.000 Arbeitslosen, die seit Ausbruch der Coronakrise registriert wurden. Brückenbau und andere Infrastrukturobjekte schaffen auch Nachfrage für unsere Stahlproduktion, die wegen der weltweit schwächelnden Wirtschaft deutliche Nachfrageeinbußen verzeichnet. Zudem vergeben wir große Rüstungsaufträge, die die Industrie ankurbelt. Daneben unterstützen wir vor allem Kleinunternehmer und Mittelstand.

Mit welchen Maßnahmen?
Die Zentralbank hat den Leitzins auf acht Prozent gesenkt. Das klingt für westliche Ohren viel, ist aber in der Ukraine der niedrigste Satz seit vielen Jahren. Die Regierung subventioniert Kredite für kleine Firmen auf null Prozent, ermöglicht in diesem Jahr das Stunden von Rückzahlungen. Wir planen auch Staatsgarantien für neue Kredite. Das Arbeitslosengeld haben wir für jene erhöht, die wegen der zwangsweisen Schließung ihrer Firma zu Hause bleiben müssen. Sie bekommen Kompensationen und Selbstständige können Kindergeld bekommen. Das kommt mehr als 300.000 Familien zugute. Und dann haben wir noch ein großes Ziel.

Welches?
Wir setzen auf deutlich stärkere Deregulierung und haben ein Digitalisierungsministerium geschaffen. Im Webportal „Der Staat und ich“ sind bereits 27 staatliche Dienstleistungen online verfügbar, bis Jahresende kommen 50 dazu. Eine Firma anzumelden, dauert so 15 Minuten. Wir sind eines der ersten Länder der Welt, das bereits elektronische Pässe hat, und ich habe auch meinen Führerschein schon in meinem Handy gespeichert. Da sind wir technisch führend.

Aber wie steht es um die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds? Ohne dessen Hilfskredit droht der Ukraine laut Experten der Staatsbankrott?
Das ist natürlich eine der wichtigsten Fragen überhaupt. Wir sind in der Schlussetappe über einen fünf Milliarden Dollar umfassenden Standby-Kredit des IWF, verteilt auf 18 Monate. Der ist vor allem wichtig, weil er Vertrauen schafft in die Ukraine.

Aber dazu muss die Ukraine wichtige Bedingungen erfüllen: Agrarland privatisieren und ein Bankgesetz verabschieden. Wie steht es damit?
Das Landgesetz ist beschlossen und das Bankgesetz liegt zur Schlussberatung im Parlament.

Erwarten Sie denn tatsächlich, dass es beschlossen wird? Der umstrittene Oligarch Ihor Kolomojski tut doch alles, um das Bankgesetz zu verhindern und so seine verstaatlichte Privat Bank, das größte Geldhaus des Landes, zurückzubekommen.
Ich gehe davon aus, dass es in Kürze beschlossen wird. Nun ist das Parlament an der Reihe. Das ist eine Bedingung für den IWF-Kredit. Und dann ist die Rückgabe der Bank oder eine milliardenschwere Kompensation an die früheren Eigner ausgeschlossen. Das ist wichtig für das Vertrauen in die Ukraine.

Sie erwarten also nicht, dass die Ukraine zahlungsunfähig wird?
Nein. Wir hoffen auf den IWF-Kredit und das damit verbundene Vertrauen in unser Land. Wir sind in einem sehr konstruktiven Dialog mit dem IWF. Ich sehe absolut keinen Grund für eine Zahlungsunfähigkeit.

Sie haben am Dienstag Ihr erstes Gespräch mit Bundeskanzlerin Merkel. Was erhoffen Sie sich?
Das ist eine große Ehre und ein wichtiges Signal zur Unterstützung der Ukraine. Es ist natürlich schade, dass das Treffen nur per Video zustande kommt wegen der Pandemie. Aber wir sind Deutschland sehr dankbar für die Hilfe beim IWF, bei der Weltbank, der Osteuropaförderbank EBRD, der Europäischen Investitionsbank EIB und in der EU.

Was erwarten Sie sich von Berlin?
Wir hoffen auf Hilfen im Kampf gegen die Coronakrise und Assistenz bei unseren Strukturreformen. Außerdem hoffen wir, dass Deutschland uns bei Weltbank, EBRD und EIB unterstützt – und natürlich auch bei der EU-Kommission, die bereits im April 1,4 Milliarden Euro bewilligt hat. Wir hoffen darüber hinaus, dass die deutsche KfW uns 150 Millionen Euro als Kredit gibt, um unseren Mittelstand während der Coronakrise stärken zu können. Vor allem aber setzen wir darauf, unseren Außenhandel wiederzubeleben. Der hat zuletzt durch die geschlossenen Grenzen infolge der Pandemie und des weltweiten Wirtschaftsabschwungs stark gelitten. Das trifft uns hart, denn wir haben ja mit zwei Krisen zu kämpfen.

Welchen zwei?
Dem Kampf gegen das Coronavirus und die äußere Gefahr durch die russische Aggression in der Ostukraine und die Annexion der Krim. Wir sind sehr dankbar für die deutsche Unterstützung. Ziel muss es sein, dass Russland die Kampfhandlungen im Osten endlich beendet und das Minsker Abkommen umsetzt. Wir bitten Deutschland, dass es den Kurs der Sanktionen gegen Russland in Europa aufrecht erhält und sich weiter für Frieden in der Ostukraine und die territoriale Integrität unseres Landes einsetzt.

Was erhoffen Sie sich für die Zeit nach der Coronakrise?
Wir hoffen auf eine gute Ernte und hohe Agrarexporte. Es kommen bereits viele Bestellungen für Getreide und andere Agrarprodukte. Einige Staaten haben die Sorge, dass nach der Corona- eine Lebensmittelkrise kommt. Auch deshalb hat für uns Landwirtschaft eine hohe Priorität und großes Potenzial. Die Ukraine hat die Chance, noch näher an die EU heranzurücken. Wir würden uns über weitere Ansiedlungen gerade deutscher Firmen freuen und schaffen gute Investitionsbedingungen.


Herr Premierminister, vielen Dank für das Interview.


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