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Trumps Kampf um die Körner

Für die Menschen in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin waren die internationalen Handelsbeziehungen bis vor Kurzem noch in Ordnung. Die mittelgroße Stadt am Westufer des Lake Michigan lebt Globalisierung in Reinform. Die Stelen für das Dach der neuen Mehrzweckhalle kommen aus Deutschland, auf dem örtlichen Weihnachtsmarkt werden deutsche Baumkuchenspitzen verkauft.

Die Lagerhallen am Hafen gehören einem chinesischen Betreiber. „Und jedes Schiff aus Westeuropa, das beladen mit Stahl aus Westeuropa bei uns ankommt, schicken wir gefüllt mit Getreide zurück“, sagt Hafendirektor Adam Schlicht.
Trumps Handelskrieg aber stellt den ländlich geprägten Staat mit knapp 70.000 Bauernhöfen vor neue Herausforderungen. Seit die US-Regierung kurz im Sommer Strafzölle auf Stahl und Aluminium erließ und die EU mit Vergeltungszöllen auf mehr als 200 amerikanische Produkte reagierte, sind etwa Maisexporte nach Europa zum Erliegen gekommen. „Ein Großteil bleibt in den Silos. Sie sind bis zum Rand gefüllt“, sagt Schlicht.

Unternehmen und Landwirte warten jeden Tag auf eine Entspannung im globalen Handelskonflikt. Der republikanische Abgeordnete Jim Sensenbrenner, der Milwaukee im Kongress vertritt, kritisiert Trumps Protektionismus: „Ich bin ein Befürworter des Freihandels und vehement gegen die Zölle, die vor allem unseren Bauern und Herstellern schaden“, sagte er dem Handelsblatt. „Ich wünsche mir, dass die USA und die EU in der Lage sind, eine Vereinbarung zu erzielen.“

Vorbild müsse der neue Handelspakt der USA mit Kanada und Mexiko sein, genannt USMCA. Die Nachbarn der USA wurden in dem Vertrag vorausschauend bis zu einer bestimmten Einfuhrmenge von möglichen Autozöllen befreit, mit denen Trump der Welt droht. Die US-Regierung handelte zudem Zugeständnisse im Agrarsektor aus, die vor allem ihre Milchbauern aufatmen ließen.

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Der Agrar-Streit lähmt Handelsgespräche

An anderer Front aber bewegt sich wenig. Ob sich die USA und China wieder annähern, ist ungewiss – vor allem seit Washington die Festnahme der Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou veranlasste und einen diplomatischen Eklat provozierte. Auch bei den Handelsgesprächen mit Europa herrscht ein rauer Ton. „Die EU ist genauso schlimm wie China“, ruft Trump seinen Anhängern regelmäßig entgegen.

Die transatlantischen Verhandlungen über ein Industriezollabkommen haben offiziell noch gar nicht begonnen, aber schon jetzt lähmt der Streit um Agrargüter die Vorgespräche. Die strengen EU-Regeln für die Verwendung von Genpflanzen und hormonbehandeltem Fleisch frustrieren US-Landwirte seit Jahren.

Die Bauernlobby kritisiert, die EU erfinde immer neue Vorschriften und Subventionen, um amerikanische Produkte vom europäischen Markt fernzuhalten. Zudem erhebt die EU hohe Einfuhrzölle, auf importiertes Fleisch etwa 45 Prozent, auf Milchprodukte 42 Prozent.

Angefeuert wird der Streit von weiteren Zahlen: In der Liste der US-Exportmärkte für Agrargüter liegt die EU nur an fünfter Stelle. Weniger als sechs Prozent der EU-Einfuhren aus den USA entfielen im vergangenen Jahr auf landwirtschaftliche Erzeugnisse. In dem Sektor verzeichnen die Amerikaner seit 16 Jahren ein Handelsbilanzdefizit mit den Europäern, im vergangenen Jahr summierte es sich auf 9,4 Milliarden Dollar.

Trump aber hat sich zum Ziel gesetzt, das bilaterale Handelsdefizit von zuletzt insgesamt 151 Milliarden Dollar zu verringern. Dafür sollen die Europäer mehr Autos in den USA produzieren und mehr amerikanische Agrarprodukte einkaufen.

„Wir öffnen Europa für unsere Landwirte“, triumphierte Trump im Juli, als er sich mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auf die Grundlagen für engere Handelsbeziehungen verständigte. Die EU werde „sofort reichlich Sojabohnen importieren“, sagte Trump. Tatsächlich sind die amerikanischen Sojaexporte nach Europa seither stark gestiegen. Alle anderen landwirtschaftlichen Erzeugnisse klammerte die Vereinbarung aber explizit aus – Juncker hatte darauf bestanden.

Der US-Präsident hat die im Juli vereinbarten Verhandlungen mit der EU seinem Handelsbeauftragten Robert Lighthizer anvertraut, nachdem Wirtschaftsminister Wilbur Ross im Streit um die Stahlzölle nichts erreicht hatte. Der in Handelsfragen unerfahrene Ross machte sich in Brüssel schnell unbeliebt, seine Gesprächspartner nahmen ihn als unprofessionell wahr.

Kein Zollabkommen ohne Landwirtschaft

An Lighthizers Fachkenntnis zweifelt niemand, der 71-Jährige diente unter Ronald Reagan als stellvertretender Handelsbeauftragter. Damals war die Sowjetunion der große Gegner, nun heißt der Hauptfeind China. Aus Lighthizers Sicht ist der Handelskonflikt die letzte Chance für die USA, den Aufstieg des Rivalen zu stoppen.

Die Gespräche mit den Europäern empfinde er eher als Ablenkung, heißt es in Brüssel. Die Details, etwa bei der regulatorischen Zusammenarbeit bei Arzneimitteln oder Medizinprodukten, überlasse Lighthizer daher weitgehend seinen Mitarbeitern.

In seinen Gesprächen mit EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström machte Lighthizer aber eines hinreichend deutlich: Ein Zollabkommen werde es nur geben, wenn die Landwirtschaft mit eingeschlossen werde. Aus EU-Sicht steht ein Handelspakt inklusive Agrarsektor aber nicht zur Diskussion: „Das wird nicht passieren“, sagt Malmström.

Zu einem reinen Industriezollabkommen sind die Europäer bereit, ein solches ließe sich binnen einiger Monate ausverhandeln, heißt es in Brüssel. Ihre Agrarzölle aber will die EU auf keinen Fall absenken – jedenfalls nicht, wenn die USA nicht ihrerseits weitreichende Zugeständnisse machen.

Dazu gehört, dass die USA ihren Markt für öffentliche Aufträge für europäische Unternehmen öffnen – wozu Trump wiederum nicht bereit ist. Ansonsten bevorzuge ein Handelspakt „total einseitig“ die US-Seite, argumentieren EU-Diplomaten.

Derzeit will keine Seite nachgeben. Selbst wenn sich Malmström um ein Verhandlungsmandat inklusive Agrarzöllen bemühte, würde sie es von den Mitgliedstaaten kaum bekommen. Die europäischen Rindfleischproduzenten etwa könnten ohne diesen Schutzwall und das Einfuhrverbot für hormonbehandeltes Fleisch kaum gegen die US-Konkurrenz bestehen. Auch bei Getreidesorten wie Mais würden die Landwirte in Europa wohl unter Druck geraten, sollten die Zölle fallen.

Eine Marktöffnung träfe besonders Irland hart, wo viele Bauern von der Rinderzucht lebten, sagt der Handelsexperte des Ifo-Instituts, Gabriel Felbermayr. Auch Frankreich müsste Einbußen verkraften. Beide Länder führen den Widerstand gegen die Öffnung des EU-Agrarsektors an. Die Bundesregierung steht bislang fest an ihrer Seite.

Macron hält sich heraus

Aber hält die Solidarität auch noch, wenn Trump Ernst macht und die deutschen Autohersteller mit Sonderzöllen bedroht? Die US-Regierung versucht, die europäische Geschlossenheit aufzubrechen – und könnte Deutschland und seine Autoindustrie als Hebel einsetzen.

„Wir hoffen, dass Deutschland hilft, Druck auf die EU auszuüben, damit sie aktiver mit den USA verhandelt“, sagte Ross im Sommer. Anfang Dezember reisten Topmanager von VW, BMW und Daimler nach Washington und bekannten sich vor Trump zu höheren Investitionen. Ein Versprechen, dass die Autozölle fallen gelassen werden, bekamen sie nicht.

In Brüssel sorgen die Absichten für Unruhe. „Die US-Regierung setzt offenkundig darauf, dass Berlin in Paris anruft und sich beklagt, Deutschland stecke die Prügel ein, und Frankreich sei fein raus“, sagt ein EU-Diplomat. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aber kann derzeit nichts weniger gebrauchen, als auch noch seine streikfreudigen Bauern gegen sich aufzubringen.

Dass die USA lockerlassen, ist ebenso unwahrscheinlich. Ein Abkommen ohne Landwirtschaft braucht Lighthizer seinem Präsidenten und dem amerikanischen Kongress wohl gar nicht erst vorlegen. Ohne ein Agrarkapitel habe dieses auch in Repräsentantenhaus und Senat „nicht die kleinste Chance“, sagt Felbermayr.

Trumps Handelskrieg demonstriert die Macht der Landwirtschaftslobby. Und er zeigt, dass viele Bauern Trumps Forderungen im Kern stützen, auch wenn sie unglücklich über seine Strafzölle sind. Es geht um viel Geld und um Anerkennung für eine harte, wetterabhängige Branche.

Wisconsin beherbergt zwar auch ein populäres Unternehmen wie Harley-Davidson, dessen Motorräder auf der EU-Strafzölle-Liste stehen. Aber in der Fläche regieren in einem Agrarstaat wie Wisconsin die Bauern, der Kampf ums Korn erregt die Gemüter.

In der Markthalle von Milwaukee bieten Landwirte aus der Region Bio-Brot und Cranberry-Schokolade feil. „Meine Generation kann dem Agrarwesen nicht mehr viel abgewinnen, aber ich liebe es“, sagt James Roufus, der für die Feinkostmarke West Allis Cheese Käselaibe verkauft.

Der 28-Jährige trägt eine Wollmütze über seinem Zopf, hat griechische Wurzeln und begeistert sich für den Ackerbau, seit er auf einer Farm der Amish arbeitete. Er ist kein Trump-Fan, bezeichnet den Präsidenten als „mad man“. Aber wenn er es schaffen würde, Europa für mehr US-Produkte zu öffnen? „Das wäre gut“, sagt Roufus.

Trump braucht rurale Wähler

Die US-Bauern brauchen dringend gute Nachrichten, die Landwirtschaft gerät zunehmend von mehreren Seiten unter Druck. Schon vorher waren die Preise für einige Produkte im Keller, Trumps Handelskonflikt verschlimmerte das Problem. In einigen Bundesstaaten sind die Sojaexporte nach China wegen der Vergeltungszölle Pekings komplett eingebrochen. In Wisconsin musste ein Viertel der Cranberry-Ernte entsorgt werden, um die Frucht profitabel zu halten.

Trumps Stahl- und Aluminiumzölle verteuern die Kosten für Landmaschinen, die chinesische Vergeltung erhöht die Preise auf Pestizide und Herbizide. Europa blockiert den Import von Mais und Bourbon, der Milchstreit mit Kanada hat sich zwar entspannt, ist aber nicht gelöst.

Zwölf Milliarden Dollar Nothilfe hat die Regierung den Bauern versprochen, ein Teil davon soll die Ernteschäden von Wetterkatastrophen ausgleichen, ein anderer die Folgen des Handelskriegs. Trump weiß, dass er seine Basis im Mittleren Westen nicht vergraulen darf. Wähler auf dem Land halfen Trump 2016, ihn ins Weiße Haus zu katapultieren – und er braucht sie, damit er 2020 wiedergewählt werden kann.

Zurücklehnen können sich im Handelsstreit beide Seiten nicht, die Zeit drängt. „Der Markt findet neue Wege“, sagt Milwaukees Hafendirektor Schlicht. Dauerte der Handelskrieg zwei, drei, fünf Jahre an, entstünden „automatisch neue Lieferketten“. Und selbst bei einer Lösung des Konflikts gibt es „keine Garantie, dass die einstigen Beziehungen wieder so werden wie früher“.

Kanada ist mittlerweile als Maislieferant eingesprungen und exportiert so viel von der Körnerfrucht nach Europa wie seit fünf Jahren nicht mehr. Teilweise liegt das an den niedrigen Frachtkosten durch den Handelspakt Ceta, doch die EU-Vergeltungszölle gegen die USA beschleunigen die Entwicklung. Und die Mieter im Hafen von Milwaukee schauen sich bereits nach Alternativen zu Europa um, sagt Schlicht. „Für 2019 loten wir höhere Exporte nach Nordafrika aus.“