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Trucker arbeiten lieber analog: Digitalspeditionen haben es schwer

Newcomer wie Sennder, Forto und Cargonexx wollen die Transportbranche umkrempeln. Doch die Revolution scheitert an den Beharrungskräften der Branche.

Die Erwartungen waren sehr groß. Millionensummen pumpten Risikokapitalgeber in den vergangenen Jahren in junge Unternehmen, die sich ein Ziel gesetzt hatten: Sie wollten die Transportbranche komplett aufmischen.

Die These der selbst ernannten Digitalspeditionen: Mit Apps, GPS und Maschinenlernen lassen sich Fahrten viel effizienter planen als mit der händischen Arbeitsweise klassischer Speditionen – ohne aufwendige Telefonate, ohne Faxe und dank Datenauswertung weitgehend ohne die kostentreibenden Leerfahrten. Nach dem Prinzip von Uber oder Flixbus wollten sie ohne eigene Lkws, dafür aber mit einem Netz von effizient per eigener Software gesteuerten Partnern arbeiten. Doch die anfängliche Euphorie verpufft.

Tom Krause gehört zu denen, die dazugelernt haben. Der Chef der Hamburger Digitalspedition Cargonexx bremst die Euphorie, dass Newcomer die Transportbranche mit IT komplett aufmischen könnten. Zwar arbeiten viele Frachtunternehmer als Auftragnehmer der Speditionen noch immer mit veralteter Software und mit dem Telefon – jedoch nicht ohne Grund, wie Krause erfahren hat.

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Gerade Unternehmen mit wenigen Fahrzeugen müssen immer wieder flexibel auf unvorhergesehene Verzögerungen, Krankheitsfälle oder Aufträge reagieren. In einer Branche, in der die Mehrzahl der Unternehmen mit nur drei bis fünf Lastwagen arbeitet, hat das große Auswirkungen. Da helfen persönliche Kontakte oft zuverlässiger aus der Patsche als Algorithmen.

Dabei lockt die Idee, die fragmentierte Logistikbranche zu digitalisieren, schon seit einigen Jahren Gründer und Investoren. Sie sehen etwa in den vielen Leerfahrten viel Potenzial für mehr Effizienz. Doch inzwischen wird klar: Die Mission ist alles andere als einfach. Der Thron der angestammten Spieler wie DB Schenker und Kühne + Nagel wankt nicht. „Der erste Hype ist vergangen“, sagt EY-Partner Thomas Prüver. „Inzwischen ist allen klar: Die Digitalplattformen werden die Logistikkonzerne nicht verdrängen.“

Wie Krause passen daher mehrere digitale Angreifer ihre Konzepte an. Die Berliner Digitalspedition Sennder, die im vergangenen Jahr gut 80 Millionen Euro bei Investoren eingesammelt hat, setzt künftig verstärkt auf Übernahmen traditioneller Speditionen.

Ein weiterer Pionier, Frighthub aus Berlin mit rund 115 Millionen Euro Risikokapital und 400 Mitarbeitern, hat in diesem Jahr seinen Namen in Forto geändert. Das soll die stärkere Ausrichtung auf die Organisation ganzer Lieferketten etwa von Asien nach Deutschland deutlich machen.

Cargonexx wird zum Software-Anbieter

Die deutlichsten Worte aber findet der vergleichsweise kleine Spieler Cargonexx. Die Ursprungsidee der Hamburger, die beispielsweise 2018 den Reeperbahn-Start-up-Wettbewerb gewonnen hat, habe sich als allein nicht tragfähig genug erwiesen, meint Krause: Anders als erhofft bringt Künstliche Intelligenz wenig Ordnung in das oft chaotisch anmutende Geschehen der Straßenfracht.

Zwar lassen sich etwa saisonale Schwankungen wie im Weihnachtsgeschäft vorhersagen, nicht aber die vielen kleinen Unwägbarkeiten der Lieferfahrten. Zu oft liegt die Mustererkennung falsch – und gefährdet damit Lieferpünktlichkeit und Preistreue. Letztlich bleibt das Speditionsgeschäft somit sehr analog. Der Vorteil bleibt bei denjenigen Spediteuren, die ihr persönliches Netzwerk nutzen können, um per Telefon und E-Mail freie Lkws zu finden.

„Einen Vorteil hat ein Digitalspediteur erst bei einer sehr großen Vernetzung der Marktteilnehmer“, meint Krause. Dafür müsse ein Newcomer so agieren wie etwa die Gastro-Lieferdienste, sagt er: Mit günstigen Preisen müssten sie sich Wachstum erkaufen. „Das Modell sehe ich jedoch als schwer skalierbar, weil es sehr kapitalintensiv ist“, sagt Krause. Er will es daher anders machen. „Wir wollen aber trotzdem dasselbe Problem weiterhin lösen, nämlich die fehlende Vernetzung.“

Zwar führt Krause das mühevoll aufgebaute Speditionsgeschäft weiter – mit Fokus auf Qualität und Profitabilität, wie Krause sagt. Doch wachsen soll Cargonexx künftig als Software-Anbieter. Krause will die intern entwickelten Tools vermarkten, damit die Branche darüber ihren Digitalisierungsrückstand auflösen kann. Statt also selbst als Spediteur zu wachsen und zu skalieren, will Cargonexx die Grundlagen liefern, auf denen die Branche wächst. Später könnte darauf eine Art Marktplatz aufsetzen.

Schritt zum Software-Lieferanten

Einfach wird das nicht, schließlich muss Cargonexx viele Spieler davon überzeugen, ihre Software zu wechseln. Dabei sollen neue Funktionen helfen, an denen die 40 Entwickler arbeiten. Insgesamt arbeiten bei Cargonexx 80 Menschen. Schlägt die Software ein, will Krause auch über eine Finanzierungsrunde wachsen.

EY-Experte Prüver erwartet, dass mehrere Anbieter den Schritt zum Software-Lieferanten gehen werden – auch als Dienstleister der großen Spediteure. Daraus könnten sich auch Übernahmen durch die etablierten Spieler ergeben.

Möglicher Gewinner im Rennen der Speditions-Start-ups ist in Europa Sennder. Die Berliner haben gerade erst das europäische Frachtgeschäft des US-Riesen Uber übernommen, der trotz Kampfpreisen in Europa nicht zum Ziel gekommen ist. Zusammen mit einer größeren Übernahme in Frankreich und der Übernahme des Vollfrachtgeschäfts für die italienische Post setzt sich Sennder an die Spitze der Digitalspeditionen.

Vom selbst gesetzten Ziel, mit einer Milliarde Euro Jahresumsatz unter die zehn größten Speditionen zu kommen, ist Sennder aber noch entfernt. Sennder-Investor Uwe Horstmann vom Risikokapitalgeber Project A lobt das Modell: „Das Besondere an Sennder ist sicherlich nicht die Idee, eine Digitalspedition aufzubauen, sondern die extrem gute Umsetzung“, sagt er. Inzwischen habe Sennder die Flughöhe, die Digitalisierung der Branche wirklich umzusetzen.

Sennder lockt mit Goodies

Doch auch Sennder-Mitgründer David Nothacker muss sein Modell flexibel anpassen. Eine der größten Schwierigkeiten ist für ihn, die kleinen Lkw-Unternehmen dazu zu bringen, auf die Sennder-Software umzusteigen. Diese fahren oft noch lieber im Auftrag klassischer Speditionen. „Es gibt eine echte Angst, Technologien wie GPS einzusetzen“, hat Nothacker beobachtet.

Daher lockt er die Unternehmer stufenweise: Zunächst können neue Partner weiter händisch arbeiten. Nach einigen Monaten aber drängt Sennder sie verstärkt auf die Software zu wechseln. Dafür hat sich Nothacker einige Verlockungen einfallen lassen: So bietet Sennder Zahlungsziele von bis zu drei Tagen – mit einem Partner für Rechnungen von Dritten.

Dazu bietet die Plattform Vergünstigungen bei Tankkarten und Versicherungen. Das soll die Partner motivieren, Software-Voraussetzungen wie die Nutzung von GPS-Sendern zu akzeptieren. Zugleich verbessern die Zusatzangebote die Marge von Sennder. Das Unternehmen will bis 2024 in die Gewinnzone kommen. Zudem bietet Sennder regelmäßigen Partnern exklusiven Vorabzugriff auf Fahrten über die Software an.

Zwingen kann Sennder die Partner auf seine Plattform nicht: Der Markt ist zu fragmentiert, als dass sie auf Sennder angewiesen wären. Daher muss Nothacker mit seinen Angeboten überzeugen. 130 Leute lässt er im Entwicklerteam an besseren Lösungen arbeiten.

Zukäufe im Ausland geplant

Damit die Technik weitere Verwendung findet, will Nothacker bei künftigen Zukäufen verstärkt kleinere traditionelle Speditionen übernehmen. Ab 2021 will er in dem Bereich mehr zukaufen, vor allem dort, wo Sennder bislang schwach vertreten ist: etwa in Osteuropa, den Niederlanden und Großbritannien.

Über die gewachsenen Netzwerke solcher Zukäufe will er Frachtführer überzeugen, auf die Software zu wechseln, statt Fahrten per E-Mail und Telefon anzunehmen. Denn erst bei größerer Nutzung kann Sennder Vorteile wie Transparenz über Fahrtrouten und dynamisches Management von Zeit-Slots effizient nutzen.

EY-Partner Prüver sieht in solchen Bestrebungen einen Lernprozess der Logistik-Start-ups: „Digitalisierung allein macht kein Business. Menschen machen Geschäft mit Menschen“, sagt er. Dabei seien die Großspeditionen, die in Jahrzehnten Netzwerke geknüpft haben, überlegen.

Frighthub heißt jetzt Forto

Michael Wax dagegen positioniert sich daher lieber als Anbieter für ganze Lieferketten inklusive Seefracht. Seine Vision bringt er auf eine knackige Formel: Eine Lieferung aus Asien kommen zu lassen, solle für Kunden wie Home24, Zalando oder Miele so einfach werden, wie eine E-Mail zu schreiben. Dafür setzt auch Wax unter dem neuen Firmennamen Forto auf Software: Er verspricht seinen Kunden, bald den Transportweg jedes einzelnen Produkts am Rechner verfolgen zu können. Dafür habe Forto im abgelaufenen Jahr 100 Leute vor Ort in China eingestellt. Auch bei ihm soll die Software der Schlüssel zu mehr Transparenz und zu niedrigeren Kosten sein.

„Wir haben viel vor und sehen uns erst am Anfang einer sehr langen Geschichte“, sagt er viereinhalb Jahre nach der Gründung. Inzwischen gehöre Forto zu den zehn größten Anbietern auf der Strecke zwischen Asien und Deutschland. Wax’ Vision ist jedoch global. Dabei helfen sollen die Verdopplung auf 120 Millionen Euro Risikokapital im Jahr 2020 – und eine Reihe neuer Führungskräfte.

Spielräume für Effizienz

Gründungsinvestor Global Founders, ein Fonds aus dem Reich der Samwer-Brüder, sei nicht mehr „nennenswert“ investiert. Der Umsatz habe sich 2020 immerhin verdreifacht, sagt Wax – allerdings ohne eine absolute Zahl zu nennen.

Eine Daseinsberechtigung hätten die neuen Spieler auf jeden Fall, sagt Experte Prüver. Denn große Spielräume für Effizienz gebe es auf jeden Fall – schon allein wegen der vielen Leerfahrten auf Europas Straßen. Eine Revolution werden sie jedoch wohl nicht auslösen, eher die Evolution der Branche vorantreiben.