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Weshalb das Trinkhalm-Verbot die Umweltkatastrophe nicht stoppt

Europa feiert sich für das Verbot von Trinkhalmen und Plastikgabeln. Doch die Recyclingbranche fordert gegen die drohende Müllkatastrophe ganz andere Gesetze.

Sie brennen jetzt seltener, nicht mehr täglich. Die Proteste Tausender Anwohner, die in den vergangenen Monaten durch die giftige Luft erkrankten, zeigen erste Wirkung. Doch das Entsetzen bleibt. Was Manfred Santen Mitte März auf den wilden Müllkippen vor Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur vorfand, erscheint ihm immer noch wie ein zynischer Gruß aus der eigenen Heimat.

Auf dem Bildschirm des Greenpeace-Chemikers flimmert das Foto einer rot-braunen Verpackung. Zwischen Dreck und Knitterfalten ist ihre Beschriftung gut zu erkennen: „Eduscho Gala – Caffè Crema“, liest man, „Ideal für Kaffee-Vollautomaten“.

Ein weiteres Foto, aufgenommen auf der illegalen Abfallhalde in Jenjarom 60 Kilometer südlich der Hauptstadt, zeigt einen Plastikbeutel für „Schwarzwälder Schinken“, verziert mit der Edeka-Eigenmarke „Gut & Günstig“. Auch die Keksfirma Bahlsen hat es auf die Müllkippe 12.287 Kilometer fern der Heimat geschafft – mit einer blau-braunen Tüte für „Gewürz-Spekulatius“.

„Der Verpackungsabfall macht den Anschein, als sei er in Deutschland vorsortiert worden“, berichtet Santen, der inzwischen wieder in Hamburg angekommen ist. „Das meiste davon war in Ballen gepresst und dürfte über den nahegelegenen Hafen ins Land gekommen sein.“

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Die Bilder bergen Sprengstoff. Viele deutsche Verbraucher fragen sich, wozu sie ihren Abfall seit Jahren emsig in graue, braune, gelbe oder blaue Tonnen trennen. Und wozu sie jährlich im Schnitt zwölf Euro zusätzlich an der Supermarktkasse lassen – so viel nämlich kostet sie das duale Rücknahmesystem, das 1991 mit dem „Grünen Punkt“ startete und unbemerkt über die Regalpreise bezahlt wird.

Ist der Mythos vom Recycling-Weltmeister Deutschland kaum mehr als ein teurer Schwindel? Und die Mülltrennung nur eine Farce, weil am Ende doch wieder alles in der Müllverbrennung landet – oder eben auf wilden Abfallhalden in Malaysia, Indonesien und Vietnam?

Nun soll es ein neues Gesetz regeln. Wieder einmal. Am vergangenen Mittwoch machte das EU-Parlament den Weg frei, ab 2021 Wattestäbchen, Einweggeschirr, Trinkhalme und Luftballonhalter zu verbieten. Für den europäischen Plastikmüll, der sich jährlich auf 26 Millionen Tonnen auftürmt, soll das ein Ende einläuten.

Doch was Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) schon am Abend nach der Abstimmung bejubelte, halten Umweltexperten wie Moritz Bon vom Centrum für Europäische Politik (CEP) in Freiburg für plumpe Symbolpolitik. Der Anteil der bald verbotenen Einwegprodukte am gesamten Plastikmüll, den Forscher des Umweltprojekts „Seas at Risk“ am Ostsee-Strand fanden, betrug lediglich ein Prozent. Kaum anders am Nordatlantik. Dort standen gebrauchte Trinkhalme und hinterlassenes Einweggeschirr für gerade einmal drei Prozent des Plastik-Strandguts.

Kritik kommt deshalb auch von den Grünen, wie etwa dem Europa-Abgeordneten Martin Häusling: „Das ist Symbolpolitik nach dem Motto: Ich verbiete die Strohhalme und denke, ich hätte etwas getan.“

Herwart Wilms steht in einer zugigen Halle, wo vor zwölf Monaten noch eine Wiese zu finden war. Zwölf Millionen Euro hat der Chef des Müllgiganten Remondis auf dem Areal seiner Firmenzentrale im westfälischen Lünen verbaut, um dem desaströsen Export von Plastikmüll nach Südostasien und Westafrika Einhalt zu gebieten – oder ihn jedenfalls zu minimieren.

Niedriger Ölpreis erschwert Wiederverwertung

Mit Shreddern, Absaugern, Wasserbädern und Extrudern beabsichtigt Wilms, dort den Kunststoff aus Elektro-Altgeräten zu verwandeln in wiederverwertbares Granulat. „Mit der neuen Anlage schließen wir eine weitere Lücke auf dem Weg zu einem vollumfänglichen Kunststoffrecycling“, sagt der Remondis-Geschäftsführer.

Auch der Wettbewerb zeigt sich beflissen. Vor Wochen erst setzte der französische Entsorgungskonzern Suez im baden-württembergischen Ölbronn eine der größten Sortieranlagen Deutschlands in Gang. 100.000 Tonnen gebrauchter Leichtverpackungen soll sie pro Jahr für die Weiternutzung aufbereiten.

Gleichzeitig gab die Grüne-Punkt-Firma DSD im November den Startschuss für eine 38 Millionen Euro teure Großtechnik-Anlage. Das Werk in Hörstel am Teutoburger Wald soll 36.000 Tonnen hochwertiges Kunststoff-Rezyklat aus Verpackungsabfall gewinnen, auch dank einer Millionenförderung der EU.

Ob sich all die Investitionen lohnen, halten Experten für fraglich. Der Grund: Ihr Plastikgranulat werden die Recyclingbetriebe in Europa kaum noch los. Der niedrige Ölpreis, klagen Manager in der Branche, mache den Einsatz von aufbereitetem Kunststoff für Verpackungshersteller fast durchgehend unwirtschaftlich.

Daran ändern auch Ausnahmen wenig. So verkauft der Mainzer Supermarktlieferant Werner & Mertz seine „Frosch“-Haushaltsreiniger erfolgreich mit dem Versprechen, Verpackungen zu 100 Prozent aus Abfällen des Gelben Sacks anzubieten. Doch jenseits der Nische lockt ein solches Öko-Versprechen nur wenige.

Das belegt der augenscheinlich gefloppte Öko-Auftritt des Schuppen-Shampoos „Head & Shoulders“. Anfang 2017 hatte dessen Hersteller Procter & Gamble (P & G) publikumswirksam verkündet, die Verpackung aus „25 Prozent recyceltem Strand-Plastik“ produzieren zu wollen. Es sollte der „erste Schritt“ sein, um jährlich „über eine halbe Milliarde Flaschen der P & G Haarpflegeprodukte aus Recycling-Plastik“ herzustellen, versprach der Konzern zunächst.

Getestet wurde hierzulande mit einer Charge von 15.000 Artikeln, die P & G über Rewe-Supermärkte vertrieb. Doch lautlos verschwand das Shampoo in der Öko-Verpackung inzwischen wieder aus den Regalen. Nur eine Pause, versichert eine P & G-Sprecherin auf Anfrage. Eine negative Reaktion der Kunden habe es nicht gegeben.

Manager aus der Recyclingbranche erzählen etwas anderes: Viele Kunden hätten einen großen Bogen um das Shampoo gemacht, weil das Rezyklat die ursprünglich weißen Verpackungen grau färbte.

„Recycling-Rohstoffe müssen im Markt bessergestellt werden“, fordert Ralf Mandelatz, Recycling-Chef beim deutschen Marktführer Remondis. „Erhalten sie keinen steuerlichen Vorteil, bleiben sie im Wettbewerb gegen die Neuware weitgehend chancenlos.“

In den Hinterzimmern der Politik wird darüber längst gerungen. Für den 1. April haben sich Vertreter der Umwelt-Initiative Geton mit Staatssekretär Florian Pronold (SPD) im Bundesumweltministerium verabredet, um ihre Sorgen vorzutragen. Am darauffolgenden Tag steht ein weiteres Treffen mächtiger Recycling-Lobbyisten auf Abteilungsleiterebene an.

Wilde Müllkippen bei Chinas Nachbarn

Ihr Anliegen: Berlin solle doch bitte in Brüssel darauf drängen, dass bei der Verpackungsproduktion ein Mindestmaß an Recyclingmaterial eingesetzt wird. Noch gibt es diese Pflicht nur beim Kunststoff PET.

Bis dahin aber lässt der Traum „Alte Verpackung zu neuer Verpackung“ weiter auf sich warten. Nur ein Prozent des Verpackungsmaterials in Deutschland entsteht aus gebrauchten Konsumgütern und Inhalten der Gelben Tonne, wie sich aus einer soeben vorgelegten Studie des Forschungsinstituts Conversio errechnen lässt.

Ein Grund, weshalb die Müllkippen in Südostasien nicht kleiner werden. Schon in der Vergangenheit wucherten sie kräftig, nur dass den sich auftürmenden Plastikmüll niemand bemerkte. Deutsche Entsorger verklappten ihn im Verborgenen – und zwar durch Abnahmeverträge mit China.

Noch 2016 verschifften sie 560.000 Tonnen Plastikmüll in die Volksrepublik. „Es wurde in Länder exportiert“, gibt Firmenpatriarch Norbert Rethmann zu bedenken, „von denen wir wussten, dass sie selbst keine ausreichenden Recyclingkapazitäten besaßen.“

Die Schiffsfracht blieb bis heute günstig. Schließlich geht ein Teil der Seecontainer, die Spielwaren, T-Shirts oder Haushaltsartikel von China nach Europa transportieren, leer auf die Rückreise. Stauraum für exportierten Plastikmüll ist somit billig zu haben.

Doch dem umweltpolitisch fragwürdigen Geschäft, mit dem sich Deutschland eines Zehntels seines Plastikabfalls entledigte, schob Peking Anfang 2018 einen Riegel vor. Plastikabfall, Altpapier, alte CDs oder gebrauchte Textilien lässt die Volksrepublik seither nicht mehr ins Land. „Hier geht es um fast zwei Millionen Tonnen Abfall aus Europa“, rechnet Ton Emans, Präsident der Lobbyvereinigung Plastics Recyclers Europe, vor. „Aber wohin soll das nun?“

Manche Chinesen fanden rasch eine Antwort – und eröffneten wilde Müllkippen in den Nachbarländern. Allein in der ersten Jahreshälfte 2018 verdoppelten sich die Plastikmüll-Exporte nach Vietnam, in Thailand erreichten sie annähernd das 15-Fache des Vorjahres.

Sortiert wird auch dort weiterhin von Chinesen. „Der Bedarf des Landes an Recyclingmaterial ist ungebrochen“, berichtet Greenpeace-Experte Santen. Das Problem, gegen das die Behörden auch dort inzwischen ankämpfen: Der Restmüll bleibt zum Verrotten in der Landschaft oder wird kurzerhand angezündet.

Umweltorganisationen warnen, dass der Müll längst dabei ist, in die Industrienationen zurückzureisen – und zwar über die Weltmeere. 90 Prozent des Plastikabfalls im Ozean stammen aus nicht mehr als zehn Flüssen, gibt das Helmholtz Centre for Environmental Research zu bedenken. Zwei davon befänden sich in Afrika, acht in Asien.

Ob das Verbot von Plastikgabeln, Wattestäbchen oder Strohhalmen die Situation entschärft, wie es Brüssel nun fordert, sei dahingestellt. Sicher dagegen ist: Mit ihren bisherigen Gesetzen zur Kreislaufwirtschaft ist es der Bundesregierung nicht gelungen, die fortschreitende Vermüllung zu stoppen.

Neue Behörde soll helfen

Seit dem Start des Dualen Systems Deutschland (DSD) mit dem Grünen Punkt wuchs der Verpackungsabfall in Deutschland fast ohne Unterlass – von damals 15,6 auf heute 18,2 Millionen Tonnen. Vor allem der Plastik-Verpackungsmüll hat sich seither auf drei Millionen Tonnen verdoppelt, wovon nach wie vor zwei Drittel auf private Verbraucher entfallen.

Zwar stieg der Verwertungsanteil von Kunststoff seit 2003 von 55 auf 99,8 Prozent, wie die Gesellschaft für Verpackungsforschung ermittelte, die „stoffliche Verwertung“ aber ging um 3,1 Prozentpunkte zurück. Das heißt: Nur noch 49,7 Prozent der Kunststoffe aus der Gelben Tonne werden heute zu Granulat verarbeitet, die restlichen Mengen „thermisch verwertet“ – also verbrannt – oder schlicht „beseitigt“.

Bleibt es dabei, geraten die Entsorger mit den Aufsichtsbehörden in Konflikt. Zum Jahresanfang nämlich schraubte das neue Verpackungsgesetz die Werkstoff-Recyclingquote, die Kunststoffe aus der Gelben Tonne mindestens einhalten müssen, von 36 auf 58,5 Prozent nach oben. Ab 2022 sollen es sogar mindestens 63 Prozent werden.

Seither befindet sich die Branche in heller Aufregung. Abhilfe soll unter anderem die „Zentrale Stelle Verpackungsregister“ bringen, die sich Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ausdachte. Die im vorigen Jahr gestartete neue Abfallbehörde, die jährlich 48,5 Millionen Euro kostet, soll sämtliche Hersteller und Händler in Deutschland registrieren, die Verpackungen in Umlauf bringen. Selbst wer handgefertigte Puppen über Ebay vertreibt, hat sich dort mit Mengenangaben zu melden.

Die für alle einsehbare Liste im Internet wirkt wie ein umgekehrter Pranger: Wer nicht darauf zu finden ist, fällt auf – spätestens dem Wettbewerber, der dies der Behörde meist gerne weitergibt.
Kein Wunder, dass Register-Chefin Gunda Rachut erste Erfolge zu vermelden hat. Beteiligten sich zum Start der Behörde 60.000 Unternehmen an der Verpackungsrücknahme, stehen inzwischen 153.000 Anbieter auf der Liste.

Zudem klopft die neue Behörde jede Verpackungsform auf ihre Recyclingfähigkeit ab, um zu entscheiden, wie teuer Unilever, Henkel oder anderen Herstellern künftig der Grüne Punkt berechnet wird. Für vorteilhafte Joghurtbecher, Spülflaschen oder Obstverpackungen winken ihnen Preisnachlässe etwa beim Dualen System Deutschland (DSD). „Die Verpackungen müssen einfach recyclingfreundlicher werden“, fordert Gunda Rachut in ihrem Osnabrücker Büro.

Verbrauchern dagegen dürfte es schwerfallen, im Supermarktregal leicht und schwer recycelbare Verpackungen zu unterscheiden. Weiße Kunststoffflaschen etwa gelten der Zentralen Stelle als vorteilhaft, schwarze dagegen nicht. Der Grund: Auf dem Müll-Sortierband werden sie vom Infrarot-Scanner nicht erkannt – und landen für gewöhnlich in der Verbrennung.

Auch transparenten Obstschälchen bescheinigt die Behörde eine Wiederverwertbarkeit von Null. Für ihr Material, den Kunststoff PET-G, fehlt bis heute eine Wiederaufbereitungsmöglichkeit. Teurer wird es voraussichtlich auch für Getränkeabfüller, die ihren Saft in mehrfach beschichteten Trinktüten anbieten.

Selbst Glasflaschen, deren Material ansonsten fast vollständig wiederverwertbar ist, verlieren ihren Bonus, sobald sie farbig lackiert sind. „Weil diese Verpackungen im Verbund mit anderen Materialien ihre Recyclingfähigkeit verlieren“, erklärt Rachut, „bewerten wir sie mit null.“

Dass nun endlich – 28 Jahre nach dem Start der Rücknahmepflicht für Verpackungsmüll – eine Behörde über das Verpackungsdesign wacht, müsste die Plastikentsorger zu Jubelstürmen verleiten. Doch das Echo bleibt verhalten. Den Müllexport nach Malaysia oder Vietnam, winken manche ab, werde auch das nicht stoppen.