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Trickserei in Südkorea – Wie Audi die Behörden in Seoul an der Nase herumführte

Audi manipulierte nicht nur Autos in den USA und Europa. Der Hersteller trickste wohl auch bei Abgaswerten in Südkorea und fälschte Zulassungspapiere.

Bei Audi hat eine Ampel nicht drei Farben, sondern vier. Die Revisionsabteilung des bayerischen Fahrzeugherstellers stellt in ihren Berichten absehbare Schwierigkeiten in Grün, Gelb, Rot-Gelb oder Rot dar. Rot bedeutet höchste Gefahr.

Genau die galt im Oktober 2016 in Südkorea. „Rot – Kritikalität sehr hoch“, schrieben die Konzernprüfer über die Vorgänge, die sie in der dortigen Audi-Volkswagen-Landesgesellschaft Korea (AVK) untersuchten. Merkwürdige Abgaswerte für Dieselmotoren gab es überall im Konzern. Hier fanden sie auch Probleme bei der Zulassung von Fahrzeugen. Häufig brauchten die Revisoren Begriffe wie „Manipulation“, „gefälscht“ und „bewusstes Umgehen gesetzlicher Vorschriften“.

Es waren Erkenntnisse, die Audi so überhaupt nicht gebrauchen konnte. Mehr als ein Jahr schon lastete die Diesel-Affäre auf dem Unternehmen. In den USA musste sich die Konzernmutter Volkswagen mit Milliarden freikaufen, in Deutschland ermittelten mehrere Staatsanwaltschaften. Korea galt in dem Dieselskandal als Nebenschauplatz – Volkswagen zahlte im August 2016 ein Bußgeld von umgerechnet 35 Millionen Euro und nahm einen Verkaufsstopp für seine Fahrzeuge hin. Schlimm genug. Doch es wurde noch schlimmer.

Dem Handelsblatt liegt eine Fülle interner Dokumente vor. Aktennotizen, Prüfberichte, Mail-Verkehr. Alle Unterlagen deuten in eine Richtung: Audi schummelte in Südkorea nicht nur bei Abgaswerten. Quasi gemeinschaftlich schienen Mitarbeiter in Ingolstadt und Soul die Behörden mit gefälschten Zulassungen ausgetrickst zu haben.

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Am 11. Oktober 2016 hielten die Prüfer fest, Audi müsse „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ annehmen, dass alle von der AVK nach Korea importierten Marken des VW-Konzerns „von den möglichen Manipulationen und Falschangaben betroffen sind.“

An Beweisen herrschte kein Mangel. Früh in der Dieselkrise mandatierte Volkswagen die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer mit der Aufarbeitung des Skandals. Mehrere hundert Millionen Euro sollen deren Anwälte inzwischen abgerechnet haben.

In einer Prüfungsmitteilung vom 14. Juli 2016 schrieben sie auf: „Bei Fahrzeugzulassungen mit durch Audi entwickelten Aggregaten wurden seit 2013 die Testprotokolle der Abgas- und Verbrauchsmessungen durch die Mitarbeiter in den Standorten Ingolstadt und Neckarsulm gezielt manipuliert.“

Täterliste gesäubert?

Die Verbrauchswerte hätten die Verantwortlichen teilweise vertauscht bzw. von anderen Fahrzeugen übernommen. Die manipulierten Unterlagen seien an die koreanischen Behörden weitergereicht worden.

Soweit der Betrug bei den Abgaswerten. Doch damit nicht genug. Zusätzlich schummelten die deutschen Audi-Mitarbeiter offenbar parallel bei so genannten Laufleistungen. Denn für Testwagen, die in Südkorea eingesetzt werden, um Abgaswerte zu kontrollieren, gelten besondere Vorschriften. Sie dürfen maximal 7500 Kilometer gefahren sein.

Audis Lösung war offenbar: Die Mitarbeiter drehten die Zähler zurück und fälschten die Fahrgestellnummern. So konnte niemandem auffallen, dass einer der manipulierten Wagen in Europa womöglich schon mit einem anderen Kilometerstand registriert war als in Korea.

Zugute kam den Beteiligten dabei, dass die Behörden in Korea ausländischen Fahrzeugherstellern einen Vertrauensvorschuss einräumten. Er nannte sich „Selbstzertifizierungsverfahren“. Zwar musste Audi Zertifikate über Geräusch- und Abgasmessungen vorlegen und auch genaue Angaben über den Benzinverbrauch und die Dimensionen seiner Fahrzeuge machen. Der Autohersteller war aber selbst für die Erbringung der Zulassungsvoraussetzungen verantwortlich - in Südkorea wurden diese Daten nicht noch einmal überprüft. Audi nutzte dies anscheinend als Lizenz zum Betrug.

Eine besondere Variante davon füllt heute in der Revision einen ganzen Ordner: Bodenfreiheit. In Südkorea müssen Fahrzeuge einen Mindestabstand über dem Boden von zwölf Zentimetern aufweisen. Da die VW-Modelle diese Vorschrift nicht einhielten, passten die Deutschen nicht die Wagen an, sondern die Formulare.

In den Worten der Revision: „Es besteht der dringende Grund zur Annahme, dass den Behörden in Korea falsche und/oder manipulierte Daten übergeben wurden.“ Dies gelte mit hoher Wahrscheinlichkeit für alle über die Audi-Tochter nach Südkorea importieren Modelle. Der nächste Satz der Prüfer wirkt wie Erstaunen über den Prüfling: „Bewusstes Umgehen von gesetzlichen Vorgaben! Gesetze waren doch bekannt!“

Wer war dafür verantwortlich? Die Revision identifizierte drei Mitarbeiter und ihren Vorgesetzten. „Die Problematik war mindestens bis Ebene … (Herr H.) … bekannt“ hieß es in dem Entwurf ihres Untersuchungsberichts. In der Endfassung fehlte der Name H.

Warum? Ein Audi-Sprecher gibt auf Anfrage keine Erklärung. Warum nicht? Aus „Gründen des Datenschutzes“, so der Sprecher. Die Staatsanwaltschaft München II hat dagegen nach ihren Ermittlungen auch Herrn H. auf die Liste der Beschuldigten gesetzt.

Die könnte sich noch verlängern. Laut einem Prüfbericht wurden die Erkenntnisse über die Manipulationen bei den Zulassungen konzernintern an den Ausschuss für Produktsicherheit (APS) geleitet. Dessen Vorsitzender wiederum „berichtete an den Vorstand“, notierte das Landeskriminalamt bei der Auswertung.

Problem wurde bereits 2016 wohl diskutiert

Aus einem Protokoll einer Vorstandssitzung geht zudem hervor, dass das Korea-Problem im Oktober 2016 im höchsten Firmengremium diskutiert wurde. Dort sei zum „Status Südkorea“ sogar ein Revisionsaudit des Konzerns beschlossen worden.

Damit hätte der damalige Vorstandsvorsitzende Rupert Stadler schon 2016 von Fälschungen bei 26.000 Fahrzeugen im Zeitraum 2001 bis 2016 gewusst. Doch weder er noch sonst jemand bei Audi informierte die Behörden – weder die deutschen noch die südkoreanischen. Und als der Konzern gefragt wurde, was es mit den Fälschungen auf sich habe, bestritten seine Vertreter jede Kenntnis.

„Uns ist nicht bekannt, dass FINs doppelt vergeben wurden“, hieß es. Die FIN, die Fahrzeugidentifizierungsnummer, ist eine international genormte Seriennummer, die je Fahrzeug nur einmal vergeben wird. Das Handelsblatt hatte Mitte 2017 erfahren, dass diese Vorschrift in Korea womöglich gebrochen wurde. Fahnder des bayerischen Landeskriminalamts waren bei einer Durchsuchung der Konzernzentrale in Sachen Diesel quasi zufällig auf die Fälschung von FINs gestoßen und legte einen eigenen Vorgang an.

Fragen des Handelsblatts zu dem Fall wiegelte Audi jedoch ab. Obwohl die eigene Revision grobe Vergehen als hochwahrscheinlich einstufte, dementierte ein Unternehmenssprecher auch nur die Kenntnis von Problemen mit FINs.

Korea sucht ehemaligen VW-Landeschef

Dies geschah, obwohl der Konzern nicht nur von der illegalen Praxis wusste, sondern auch von ihrer Entdeckung. Das LKA hatte bei der Durchsuchung immerhin drei Ordner mit der Aufschrift „Sonderprüfung: Zulassung Korea“ mitgenommen.

Im Dezember 2017 erklärte Stadler den Skandal öffentlich für weitgehend abgeschlossen und kündigte die Auflösung der „Taskforce Diesel“ an. Freilich, Stadler wurde Mitte 2018 wegen Verdunkelungsgefahr festgenommen und blieb 135 Tage in Untersuchungshaft. Inzwischen ist er unter Auflagen frei, möchte sich aber weder zu gefälschten Zulassungen noch anderen Themen äußern. Auch den Behörden gegenüber schweigt der ehemalige Audi-Chef.

Dabei haben die Deutschen Strafverfolger noch Glück. Der Audi-Chef stellte sich wenigstens bei seiner Verhaftung. Der Landeschef in Südkorea, Johannes Thammer, hielt nicht einmal dies für angebracht. 14 Millionen Euro brummte die Staatsanwaltschaft in Korea seinem Arbeitgeber auf, noch einmal 35 Millionen zahlte Volkswagen an das südkoreanische Umweltministerium. Als ein Gericht in Seoul Johannes Thammer den Prozess machen wollte, reiste der Audi-Chef aus Südkorea aus.

Warum? Hatte der Landeschef plötzlich wichtigere Aufgaben für Audi in Deutschland zu erledigen? Audi äußert sich nicht. Ein Sprecher sagt heute lediglich, das Unternehmen habe Thammer aufgefordert, mit den koreanischen Behörden zu kooperieren. Allerdings: „Herr Thammer hat uns mitgeteilt, dass er nicht reise- und verhandlungsfähig ist.“ Zu einem Gerichtstermin im März in Seoul erschien er nicht.

Thammer selbst schweigt. Sein Fall ist in ein Politikum. Steht ein deutscher Manager über südkoreanischem Recht? Warum ließ man ihn ausreisen? Die Kritik im Land ist groß. Falls Thammer nicht zurückgeholt werden würde, „könnte es ungerechte Urteile zwischen Koreanern und Ausländern geben“, warnte der Korea Herald. Und das Nachrichtenmedium Sisa Week lamentierte, dass Thammers Verteidiger nur „lauwarme“ Erklärungen für das Fernbleiben des Angeklagten gegeben habe.

Nach Informationen des Handelsblatts haben die Behörden nun ein Rechtshilfeersuchen bei ihren deutschen Kollegen gestellt. Sie sollen den ehemaligen Südkorea-Chef von Volkswagen verhaften und ausliefern. Die Südkoreaner wollen dabei nicht lange warten. Schon bald, so heißt es aus Behördenkreisen, könnten sie einen internationalen Haftbefehl ausstellen.

Wo werden sie ihn finden? Erste Anlaufstelle wäre sein Arbeitgeber – doch auch hier droht eine Enttäuschung. Audi erklärt zwar, das Unternehmen rate Thammer zur Kooperation mit den Behörden. Aber wo die Behörden ihn finden könnten, will Audi zumindest dem Handelsblatt nicht sagen. Selbst die Frage, ob Thammer noch für Audi arbeitet, beantwortet Konzernsprecher Jürgen De Graeve nicht: aus Datenschutzgründen.