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Trendwende am Arbeitsmarkt: Angst vor Massenentlassungen wächst

Der Strukturwandel und die Konjunkturabkühlung belasten zunehmend den Arbeitsmarkt. Jüngste Massenentlassungen schüren die Angst vor dem Ende des Jobbooms.

Die Deutsche Bank macht es, Siemens genauso, weitere deutsche Großkonzerne reihen sich ein: heimische Unternehmen bauen in großem Stil Beschäftigte ab. 15.000 bis 20.000 Stellen will die Deutsche Bank nach Informationen aus Finanzkreisen abbauen. Eine Bestätigung der Zahl gab es bisher nicht.

„Wir werden uns nicht an Personalspekulationen beteiligen, die insbesondere in dieser Größenordnung für uns auch überhaupt nicht nachvollziehbar sind“, sagte Verdi-Fachgruppenleiter und Deutsche-Bank-Aufsichtsrat Jan Duscheck. Dennoch steht die Richtung fest: Die Belegschaft der Bank schrumpft. Und für den deutschen Arbeitsmarkt könnte das nur die Spitze des Eisbergs sein.

Der Chemiekonzern BASF hat gerade angekündigt, bis 2021 gut 6000 seiner weltweit rund 120.000 Stellen zu streichen, davon 3000 in Deutschland. Ein Sparprogramm soll zwei Milliarden Euro jährlich einsparen helfen. Rund 12.000 Arbeitsplätze weniger soll es bis Ende 2021 beim Pharmariesen Bayer geben, das entspricht fast zehn Prozent der Belegschaft.

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SAP, RWE, die Deutsche Telekom – alle bereiten die Belegschaft auf Einschnitte vor. Wie auch Siemens: Der Konzern streicht in seiner Energiesparte 200 Arbeitsplätze, davon 1400 in Deutschland, vor allem an den Standorten Erlangen und Berlin. Betroffen ist diesmal nicht die Kraftwerkssparte, in der Siemens bereits über 5000 Stellen gestrichen hat, sondern das Projektgeschäft und der Bau von Hochspannungsleitungen und Transformatoren. Besonders viele Stellen stehen in Deutschlands Schlüsselbranche, dem Automobilbau, auf dem Spiel. Der US-Konzern Ford kündigte gerade den Abbau von 5000 Stellen in Deutschland an. Volkswagen will bis 2023 an seinen deutschen Standorten weitere 4000 Arbeitsplätze streichen. Sie kommen zu dem bereits seit 2017 laufenden Programm hinzu, wonach in Deutschland 23.000 Stellen bis Ende 2020 wegfallen werden.

Zugleich schaffen all diese Unternehmen aber auch neue Stellen, bei VW sollen es 11.000 vor allem rund um die E-Mobilität sein. „Es ist offensichtlich, dass die Zeiten ungemütlicher werden“, sagt Hubert Barth, Deutschlandchef des Wirtschaftsprüfers EY: „Viele Branchen befinden sich in einem tief greifenden Umbruch, traditionelle Geschäftsmodelle stehen auf dem Prüfstand und zwingen die Unternehmen zum Teil zu radikalen und schmerzhaften Einschnitten.“

Das trifft etwa für die Autoindustrie zu, die sich ins Elektrozeitalter aufmacht, aber auch für Banken und Versicherer, wo die Digitalisierung Jobs kostet. „Im Automobilbereich sinkt der Arbeitskräftebedarf, wenn eher Elektroautos als konventionelle Fahrzeuge gebaut werden“, sagt Roland Döhrn, Konjunkturexperte beim Forschungsinstitut RWI. Bei den Banken verschwänden Filialen, weil Kunden das Online-Banking nutzten. Im Einzelhandel wiederum verschwände ein Teil der Arbeitsplätze, ein anderer Teil werde zu den wachsenden Logistikzentren verlagert.

Der Arbeitsplatzabbau spiegelt aber auch die jüngsten Ertragseinbrüche infolge der schwächeren Weltwirtschaft und des Handelskriegs mit immer neuen Zöllen und Gegenzöllen wider. BASF leidet wie die gesamte Chemiebranche unter der schwächeren Nachfrage nach Grundstoffen. Das drückt weltweit die Preise – und die Margen.

So hinterlasse die konjunkturelle Entwicklung inzwischen „leichte Spuren“ auf dem Arbeitsmarkt, sagte der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, am Montag bei der Präsentation der neuen Daten. Saisonbereinigt ist die Arbeitslosenzahl im Juni nur noch leicht um 1000 Personen auf gut 2,2 Millionen zurückgegangen. „Dass sich die Konjunktur abgeschwächt hat, zeigt sich auch auf der Nachfrageseite“, sagte Scheele. Die Unternehmen suchten zwar weiter Personal, die Dynamik schwäche sich aber ab. Darauf deutet auch das exklusiv für das Handelsblatt berechnete Ifo-Beschäftigungsbarometer hin, das seine Talfahrt im Juni fortsetzte.

Dennoch geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von knapp 1,4 Millionen offenen Stellen in Deutschland aus, allein bei der BA sind weiter knapp 800.000 gemeldet. Und die 30 Dax-Konzerne suchen nach Handelsblatt-Recherchen aktuell mehr als 8000 neue Mitarbeiter. Besonders gefragt sind IT-Architekten, Softwareingenieure und Elektroniker. In ihre halbjährlich erscheinende Fachkräfteengpassanalyse hat die BA im Juni Berufe im Fassadenbau, in der Kostenrechnung und der technischen Informatik neu aufgenommen. Aber auch in der Pflege, am Bau, in Handwerksberufen wie der Sanitär- und Klimatechnik oder der Informationstechnologie werden weiter Kräfte gesucht.

BA-Chef Scheele geht deshalb davon aus, dass wir in Zukunft zugleich steigende Arbeitslosigkeit und wachsende Beschäftigung mit Fachkräftemangel erleben werden. Sein Vorstandskollege Daniel Terzenbach erwartet von den Unternehmen, noch mehr in die Weiterbildung und Qualifizierung ihrer Mitarbeiter zu investieren, um sie auf neue Aufgaben vorzubereiten. „Warum soll ein Bankangestellter, der den Umgang mit Zahlen gewöhnt ist, nicht mit Unterstützung zu einem der dringend gesuchten Datenanalysten werden können?“, fragt Terzenbach im Interview mit dem Handelsblatt.

Recht auf Weiterbildung?

„Politik und Unternehmen dürfen die Beschäftigten angesichts des Transformationsprozesses nicht im Regen stehen lassen“, fordert auch Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Die Arbeitnehmer bräuchten Sicherheiten, damit sie sich neu orientieren können. „Deshalb brauchen wir für die Beschäftigten ein Recht auf Weiterbildung und eine Beteiligung von Staat und Arbeitgebern an den Kosten“, sagte Buntenbach. Um den Strukturwandel abzufedern, müsse die Politik zudem massiv in Schnellladestationen, aber auch in Schulen, den Breitbandausbau und den öffentlichen Nahverkehr investieren. „Mit einer Politik der schwarzen Null ist dieser Wandel nicht zu schaffen.“

Zwar sind etwa bei Volkswagen betriebsbedingte Kündigungen tabu. Die Geschäftsleitung hat gerade erst mit dem Betriebsrat eine Beschäftigungssicherung bis zum Jahr 2029 besiegelt. Andere Unternehmen wie SAP bauen auf eigene Kosten älteren Beschäftigten goldene Brücken in den Ruhestand. Dennoch wächst die Sorge, dass Arbeitnehmer im Strukturwandel unter die Räder geraten könnten.


Gewerkschaft fordert Transformationskurzarbeitergeld

So hatte die IG Metall am Samstag nach eigenen Angaben mehr als 50.000 Demonstranten zu einer Großkundgebung in Berlin versammelt, um für eine faire Gestaltung des Wandels zu demonstrieren. Die Gewerkschaft fordert unter anderem ein Transformationskurzarbeitergeld.

Ziel ist, bei wegbrechenden Aufträgen oder der Umstellung auf neue Geschäftsmodelle Beschäftigte im Betrieb zu halten und staatlich gefördert zu qualifizieren. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte am Montag, er werde „im Blick behalten“, ob die Möglichkeiten der Kurzarbeit stärker mit Qualifizierung verbunden werden müssten.

Dagegen rät BA-Vorstand Terzenbach, zunächst die Erfahrungen mit dem Qualifizierungschancengesetz abzuwarten, bevor über neue Instrumente nachgedacht werde. Das seit Jahresbeginn geltende Gesetz sieht nach Firmengröße gestaffelte finanzielle Unterstützung für Arbeitgeber vor, die Beschäftigte weiterbilden. Laut Terzenbach registriert die BA ein „steigendes Interesse“ der Unternehmen. Doch bis die Beschäftigten fit sind für neue Aufgaben, wird Zeit vergehen.

Ökonomen fürchten, dass die ersten Entlassungsankündigungen großer Industrieunternehmen eine Abwärtsspirale in Gang setzen könnten. „Die anhaltende Schwäche des deutschen verarbeitenden Gewerbes ist ein signifikantes Risiko für die deutsche Konjunktur“, sagte Sebastian Dullien, Leiter des gewerkschaftsnahen Konjunkturforschungsinstituts IMK. Noch sei die Binnenkonjunktur zwar robust. „Auf Dauer ist allerdings eine Entkopplung der Industriekonjunktur vom Rest der Wirtschaft unwahrscheinlich.“

Sollte es zu Massenentlassungen in der Industrie kommen, sänken die verfügbaren Einkommen und würden die Konsumenten verunsichert. „Dann steigt das Risiko einer Rezession“, erklärte Dullien. Deutschland erlebe schon seit einem halben Jahr deutlich schwächere Wachstumsraten in der Industrie“, sagte RWI-Ökonom Döhrn: „Da ist es sogar verwunderlich, dass es erst jetzt zu einer Verlangsamung des Beschäftigungsaufbaus kommt.“

Nach ein wenig Hoffnung im Frühjahr stellten Konjunkturbeobachter zuletzt besorgt fest, dass die Industrieflaute länger anhält als erwartet: Für das vergangene zweite Quartal liegen die Wachstumsprognosen für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen minus 0,1 und plus 0,1 Prozent. Deshalb haben zuletzt die Zweifel zugenommen, ob die oft treffsichere Bundesbank mit ihrer Juni-Prognose recht behält: Sie erwartet, dass in der zweiten Jahreshälfte die Exporte wieder zulegen und die Industrie auf den Wachstumskurs zurückkehrt.