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Ist der Trend zur Nachhaltigkeit eine Gefahr für die deutsche Industrie?

Die Politik fördert nachhaltige Geldanlage, die nicht nur ökonomisch sinnvoll sein will, sondern auch ökologisch und sozial fortschrittlich. Kritiker fürchten soziale Probleme in Ländern mit viel Industrie.

Geldanlagen mit Ökotouch bekommen gewaltig Aufwind. Wöchentlich kommen neue Produkte auf den Markt. Längst ist bewiesen, dass Nachhaltigkeit keine Renditenachteile hat. Seit in Umwelt- und Governance-Skandalen Werte vernichtet wurden und die Energiewende Geschäftsmodelle von Versorgern bedroht, sind Anleger offen für das Thema. Die Europäische Union, die Klimaziele erreichen muss, nimmt jetzt ebenfalls die Finanzbranche ins Boot, damit sie mit ihren Investitionen die Ziele unterstützt

Schon jetzt machen Großanleger Druck, wenn sie erwarten, dass durch den Wandel in der Wirtschaft Unternehmen leiden. Viele investieren nicht mehr in Kohle- und Ölförderer, engagieren sich für verantwortungsvolles Management auf Hauptversammlungen oder klagen etwa im Fall des Dieselskandals gegen Volkswagen. Den Folgen des größeren Einflusses, den Investoren geltend machen, müssen sich Unternehmen jeder Branche stellen, ob Stahl, Kohle, Plastik oder Ernährung.

Die Unternehmen können sich immer weniger verstecken: Etwa durch die seit 2017 geforderte Berichterstattung im Rahmen der Corporate-Social-Responsibility, sind sie viel transparenter geworden. Die darin veröffentlichten Informationen machen Nachhaltigkeits-Fortschritte der Unternehmen sichtbar aber Schwächen auch. Banker können neben traditionellen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen wie Gewinnen, Verlusten und Bewertungen von Aktien heute selbstverständlich Daten auswerten zum CO2-Ausstoß in der Produktion, Mitarbeiterzufriedenheit und -Fluktuation, Recyclingquoten, Wasserverbrauch, juristischen Auseinandersetzungen.

„Es ist ein Thema, dem sich der Kapitalmarkt immer mehr aktiv annimmt und der das Zeug hat, ein Dauerbrenner zu werden“, sagt Helge Wulsdorf, Leiter Nachhaltige Geldanlagen bei der Bank für Kirche und Caritas in Paderborn. Kirchenbanken gehörten zu Pionieren in dem Feld. Der promovierte Sozialethiker Wulsdorf weiß, dass die Paderborner Kirchenbank mit knapp fünf Milliarden Euro Bilanzsumme die Welt nicht retten kann, freut sich aber, dass die gesamte Finanzindustrie stärker in Richtung Nachhaltigkeit steuert. „Es ist keine Sache mehr für Weltverbesserer, sondern in der Breite des Kapitalmarktes angekommen.“

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Doch wer da jetzt so mitmische, sei manchmal auch ein Mitläufer. „Bei einigen sagt vielleicht der Vorstand, ‚macht da irgendetwas‘, weil der Gesetzgeber es so will.“ Häufig blieben dabei allerdings Diskussionen über die Wirkungen und die Wertorientierung auf der Strecke. Bei ihm klopfen zum Beispiel verschiedene Ordensgemeinschaften an mit Detailfragen zur Stammzellenforschung oder Kinderarbeit und auch die Frage nach dem Plastikverbrauch beschäftigt viele. Die Frage, wie der Planet für die nächsten Generationen hinterlassen werden soll, werde immer drängender, so Wulsdorf. Da müsse jeder Vermögensverwalter, aber auch jedes Unternehmen eine Antwort finden.

Die Unternehmen, die sich der grünen Welle verweigern, soviel ist schon klar, werden es schwerer haben. Nachhaltigkeit wird industrialisiert und ein vielversprechender Markt. Nicht alles was angeboten wird, ist unumstritten, Daten sind mitunter noch wenig valide. Kritiker fürchten Anreize zu Fehlinvestitionen.

Der mit 983 Milliarden Pfund Anlegergeld mächtige britische Fondsriese Legal & General Investment Management (LGIM) hat vor einigen Tagen seinen Climate Impact Bericht veröffentlicht. LGIM benennt darin Unternehmen, die die Briten als führend bei Klimaschutzbemühungen ansehen. Dazu gehöre etwa der spanische Versorger Iberdrola, der sich bei der EU dafür eingesetzt habe, dass der Preis für Co2-Zertifikate steigen müsse. Der Ölmulti Total setze sich intensiv für erneuerbare Energien ein und die französische Bank BNP Paribas sei bei der Transparenz führend. Sie veröffentliche, welchen Co2-Ausstoß die von ihr finanzierten Energieerzeuger hätten. Die Franzosen wollen zudem Kohleabbau nicht länger finanzieren. Auch der Multi Nestlé sei beim Klimaschutz vorbildlich, weil schädliche Treibhausgase bis 2020 so reduziert werden sollen, dass das Zwei-Grad-Ziel bei der Erderwärmung, auf das sich der Pariser Klimagipfel verständigt habe, eingehalten werden könne. Kein deutsches Unternehmen ist bei den Vorbildern dabei.


Das Geschäft mit den Nachhaltigkeitsdaten

Bei LGIM heißt es, dass sich deutsche Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert hätten, während sich US-Unternehmen verbessern konnten. Für Deutschland ist das kein gutes Zeichen in einem Umfeld, in dem mehr und mehr auf Nachhaltigkeit gesetzt wird. Autobauer machen immerhin 15 Prozent des Deutschen Aktienindex aus, bekommen aber strengere Abgasvorschriften nicht in den Griff. Auch Energieversorger wie E.On oder RWE fallen für die wachsende Schar der Umwelt-Investments aus. Bayer bekommt nach der Monsanto-Übernahme mehr Druck. Französische Imker, in deren Honig Rückstände von Glyphosat auftauchten, wollen den Chemieriesen verklagen.

Die Angst geht um, dass der Nachhaltigkeitszug zu schnell fährt für die deutsche Industrie. Ex-Außenminister Sigmar Gabriel warnt als Redner bei der Frankfurter Nachhaltigkeitskonferenz von Union Investment, dass durch zu strenge Regulierung und Co2-Ziele für die Wirtschaft, die Wertschöpfung und die industrielle Basis Deutschlands in Gefahr geraten könnte. Ländern mit weniger Industrie falle es leichter, strenge CO2-Ziele zu erreichen. Wenn die EU jetzt den Druck verschärfe bei Co2-Einsparungen, treffe es Deutschland besonders. Gabriel sieht die Probleme, will sich aber nicht den Populisten anschließen.

Populisten wie Donald Trump leugneten den Klimawandel, der US-Präsident hat ja auch beim G7 Gipfel wieder gezeigt, dass man beim Klimaschutz nicht auf ihn zählen kann. Wer sein Land immer an erster Stelle sehe, dem seien existentielle Probleme anderer Länder egal, so Gabriel. Die AfD-Fraktion schlägt genau in diese Kerbe: Im Bundestag hat sie Mitte Juni den von der EU-Kommission ab 2020 für neuzugelassene Pkw festgelegten Grenzwert bei den CO2-Emissionen abgelehnt. Die AfD forderte die Bundesregierung auf, "den CO2-Grenzwert pro Kilometer für neu zugelassene Pkw mit der Europäischen Union neu zu verhandeln".

Frankreich zum Beispiel gilt als vorbildlich beim Co2-Ausstoß. Jeder Fonds muss dort bereits jetzt veröffentlichen, wie viel Co2 die Unternehmen im Depot insgesamt ausstoßen und mit dem Co2-Ausstoß der Unternehmen eines passenden Börsenindex vergleichen. Mit ihrem Atomstrom haben es die französischen Unternehmen allerdings auch viel leichter, Treibhausemissionen zu senken. „Es entsteht ein riesiges Spannungsfeld zwischen den ökologischen, sozialen und ökonomischen Fragen“, sagt Wulsdorf.

Auch Klaus-Jürgen Grün, Moralphilosoph und Professor an der Uni Frankfurt, Vizepräsident des Ethikverbandes der Deutschen Wirtschaft, mahnt zum Maßhalten. Er fürchtet, dass mit dem Trend zur Nachhaltigkeit Anreize für Fehlinvestitionen gesetzt werden könnten. Ihn stört zudem, dass diejenigen, die sich der Nachhaltigkeitsbewegung nicht anschließen, als unmündig behandelt würden. „So ein ethisch- moralisches Bewusstsein will Macht ausüben, die aber missbraucht werden kann.“ Ein Nachhaltigkeitszwang durch die EU könne ebenfalls schaden. „Unsere Gesellschaft lebt von der Vielfalt ökonomischer Aktivitäten.“

Weltweit legen zehntausende Unternehmen nicht nur den jährlichen Geschäftsbericht mit Zahlen zu Gewinnen und Verlusten vor, sondern auch einen Nachhaltigkeitsbericht. Er enthält Daten zum CO2-Ausstoß in der Produktion, zur Mitarbeiterzufriedenheit und -fluktuation, zu Recyclingquoten, dem Wasserverbrauch oder auch Gerichtsprozessen. Über Computeralgorithmen und mit Hilfe künstlicher Intelligenz die zusätzlich soziale Medien und Nachrichten filtern, können Daten immer engmaschiger verarbeitet und etwa von Ratingagenturen genutzt werden.

Zu den größten Anbietern von Nachhaltigkeitsdaten gehören bislang noch weitgehend unbekannte Unternehmen wie die Sustainalytics. Der US-Stimmrechtsberater ISS hat jüngst die Ökospezialisten South Pole und die Münchner Oekom übernommen und sich damit ebenso wie Standard & Poors bei Umweltthemen verstärkt. Indexgigant MSCI setzt ebenfalls bereits hunderte Analysten im Nachhaltigkeitsgeschäft ein. „Es geht in Richtung einer Konzentration. In zwei bis drei Jahren werden ISS, MSCI und Sustainalytics ein Oligopol bei Nachhaltigkeits-Beurteilungen haben, wie es das heute schon im klassischen Ratingbereich für Bonitätsnoten gibt“, sagt Nicolas Jacob, Nachhaltigkeitsexperte bei ODDO BHF.

Nachhaltigkeits-Initiativen haben großen Zulauf. Aber manchem dienen sie wohl auch nur als Feigenblatt. Wer bei der Vergabe von großen Vermögensverwaltungsmandaten nicht gleich aussortiert werden will, muss die UN-Initiative Principles for Responsible Investments (PRI) unterzeichnet haben und sich verpflichten, zum Wohl von Umwelt und Gesellschaft zu investieren. Doch etwa zehn Prozent der knapp 2000 Teilnehmer erfüllten die damit verbundenen Pflichten nicht, wurde jetzt bekannt. Die Namen derjenigen, die aufgeflogen sind, gab PRI nicht bekannt. Die heile Welt bekommt Risse.