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Topwerberin hält ihre Branche noch immer für ein „Macho-Business“

Dörte Spengler-Ahrens ist Deutschlands neue Chef-Werberin. Im Interview spricht sie über Kommunikation in der Coronakrise und den Frauenmangel an der Spitze von Agenturen.

Dörte Spengler Ahrens ist die erste Frau, die an der Spitze des Art Directors Clubs (ADC) Deutschland steht. Frauenförderung ist eines der drei Topthemen ihrer Agenda. „Es ist schon erschreckend, dass es ausgerechnet in dieser vermeintlich so modernen und zukunftsorientierten Branche dann doch noch sehr männerbezogen zugeht“, sagt die Werberin über ihre Branche.

Die Coronakrise hat die Arbeit der Kreativen verändert. Spengler-Ahrens sieht zwei große Trends: „Die Menschen wollen endlich mal wieder befreit auflachen, ohne an Corona denken zu müssen“, erklärt sie. Und: „Die Menschen wünschen sich für sie relevante und glaubwürdige Botschaften; sie wollen sich nicht weiter mit erkennbar hohlen Phrasen auseinandersetzen. Dazu ist unsere Wahrnehmung nun einfach zu geschärft.“

Für die Kreative, die hauptberuflich als Geschäftsführerin der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt arbeitet, ist klar: Emotionen sind heute wichtiger denn je. Umso mehr leidet sie unter der aktuellen Situation, die viele Kollegen ins Homeoffice verbannt. „Kreative leben vom Austausch, vom Streit, von der Reibung und zwischenmenschlicher Dynamik“, sagt Spengler-Ahrens. „Das geht alles verloren, wenn jeder seine Videokamera ausknipsen kann, um nebenher den Hamster zu füttern.“

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Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herzlichen Glückwunsch, Frau Spengler-Ahrens: Sie wurden zur ersten Frau an der Spitze des Art Directors Clubs (ADC) gewählt. Sind jetzt, in Zeiten der Krise, alle Männer weggelaufen, die sich sonst immer gern für solche Ämter empfehlen?
(Lacht)… Nein. Fest steht, ich war schon vor Corona Vizepräsidentin. Nebenbei könnte man sagen, ich habe lange genug Anlauf genommen. Immerhin bin ich bereits 18 Jahre Mitglied des Clubs, dem nun wirklich große Aufgaben bevorstehen. Da wollte ich mich nicht drücken. Wir müssen den ADC alle gemeinsam durch die Krise steuern.

Was wollen Sie konkret angehen?
Drei Schwerpunkte habe ich mir vorgenommen: Erstens das Thema Frauen – fördern und fordern. Zweitens das Thema Marke: mehr Substanz, mehr Relevanz, mehr Glanz. Wir müssen der Marke ADC zu neuer Strahlkraft verhelfen. Der Staub muss runter, um auch unserer satzungsgemäßen Aufgabe gerecht zu werden, das Image Deutschlands in der Welt zu stärken. Drittens Kreativität: In Zeiten wie diesen ist Kreativität die Lösung für die Herausforderungen. Deshalb muss Deutschlands kreative Macht, der ADC, mit dort an den Tisch, wo kreative Lösungen auch jenseits von Kommunikation gebraucht werden.

Was planen Sie zum Thema Frauenförderung?
Das muss man innerhalb des ADC und natürlich auch draußen in den Kreativunternehmen angehen. Frauen müssen gefördert, unterstützt und promotet werden. Da geht es um Mentoring, nicht nur für Nachwuchskräfte. Um gutes Networking. Gerade wenn die Frauen Kinder kriegen, verabschieden sie sich oft aus ihren Führungspositionen als Creative Director und kommen leider noch immer viel zu häufig nicht zurück, sondern können dann allenfalls noch freiberuflich tätig sein.

Ist Werbung immer noch ein Macho-Business?
Ich fürchte: ja. Es ist schon erschreckend, dass es ausgerechnet in dieser vermeintlich so modernen und zukunftsorientierten Branche dann doch noch sehr männerbezogen zugeht. Schon die deutsche Autoindustrie ist da weiter.

Wie kommt’s?
Wir machen zwei Fehler: Einerseits unterstützen wir die Frauen nicht genug dabei, sich auf den unteren Führungsebenen zu entwickeln. Und wir müssen als Vorgesetzte mehr bei der Familienorganisation helfen.

Unterstützen Sie eine Frauenquote?
Jein. Es sollte bei der Besetzung einer Position weiterhin um Qualifikation als Hauptkriterium gehen, nicht um das Geschlecht. Früher habe ich mich klar für eine Quote ausgesprochen. Heute sehe ich das differenzierter – auf der ersten Führungsebene.

Es gibt also noch zu wenig qualifizierte Frauen?
Wir müssen auf der zweiten Führungsebene den Anteil der Frauen dramatisch erhöhen – da kann keine Quote hoch genug sein – und sie konsequent an die erste Führungsebene heranführen. Hier muss das Selbstvertrauen wachsen, sich auch die Jobs ganz oben zuzutrauen. Wir müssen also früher und weiter unten anfangen. In meinen Teams habe ich das immer versucht. Und es hat auch in vielen Fällen geklappt.

Haben Frauen noch zu wenig Selbstvertrauen?
Sie grübeln mehr als Männer: Kann ich das wirklich? Bitte sofort damit aufhören. Das kann man sich von Männern abschauen. Da müssen wir mehr motivieren und sagen: Lasst euch fördern und fordert das Fördern auch! Der „War of Talents“ spielt uns Frauen doch wirklich in die Hand. Andererseits müssen wir uns auch vor der gegenteiligen Diskriminierung hüten. Ich kenne einen Topmanager, der sein Unternehmen verlassen musste, weil dort aufgrund einer Quote nur noch Frauen befördert werden. Ein lustiges Zitat von Heidi Kabel dazu: „Die Emanzipation ist erst dann vollendet, wenn auch einmal eine total unfähige Frau in eine verantwortliche Position aufgerückt ist.“


Geht es nur um die Geschlechter- oder auch um eine Generationenfrage? Vielerorts hört man, die Generation Z stelle nur noch Ansprüche zur Work-Life-Balance, bevor es überhaupt mal an die Arbeit geht.
Das kann ich zumindest aus meiner Arbeit heraus nicht bestätigen. Vielleicht handelt es sich bei uns Kreativen doch eher um die Leistungsbereiten. Kreatives Schaffen ist immer noch eine Sache großer Leidenschaft. Wenn man es etwas weniger aufregend und eher ruhig möchte, wählt man besser einen anderen Beruf, oder?

Werbung gilt als raues Pflaster. Zuletzt geriet die renommierte Agentur Scholz & Friends in eine Sexismusdebatte. Muss in Ihrer Branche vielleicht noch mehr aufgearbeitet werden?
Schwer zu beurteilen.

Oder anders gefragt: Konnten sich die Topstars Ihrer Branche früher mehr rausnehmen?
Das sicher. Aber für welche Branche galt das nicht? Als ich beim ADC den ersten Frauen-Club LADC gründete, erzählten wir uns gegenseitig die beruflichen Tiefpunkte unserer Erfahrungen mit dem männlichen Geschlecht. Da war alles dabei. Zu den frauenfeindlichsten Kommentaren haben wir uns als Übung überlegt, was die besten Antworten gewesen wären. War sehr lustig. Die #MeToo-Bewegung hat in den vergangenen Jahren erfreulicherweise vieles beendet, weil einfach auf beiden Seiten die Sensibilität größer geworden ist. Aber auch da muss man aufpassen, ein gesundes Maß zu finden.

Inwiefern? Übergriff bleibt Übergriff.
Klar. Aber ich habe US-Kollegen, die ganz klar sagen, dass sie mit einer Frau nicht mehr allein in einen Fahrstuhl steigen. Diese Art von Misstrauen und Angst ist ebenfalls gefährlich.

Politische Korrektheit kann heute auch anstrengend sein, wenn es um Sprache oder Provokation geht, von denen die Werbung letztlich lebt. „Die Angst vor dem Shitstorm ist immer da“, sagte uns mal Jean-Remy von Matt. Sind die kreativen Korridore enger geworden?
Es ist schon überraschend, worüber manchmal hitzige Debatten entstehen. Mein Trost ist, dass der gesunde Menschenverstand meist dann schnell zurückkehrt. Andererseits kann man Shitstorms ja auch nutzen.

Inwiefern?
Der Youtuber Inscope hat jüngst in einem Video einen Baby-Delfin vor den Augen seiner entsetzten Zuschauer verspeist. Ein gigantisches Echo war ihm sicher. Das potenzierte sich im Netz schnell. Einen Tag später gestand er den Fake und stupste seine Fans drauf, wie sie sich hier empören können und morgen beim Discounter wieder zum Billigthunfisch greifen – und billigend in Kauf nehmen, dass für den Fang auch Delfine getötet werden. Zugegebenermaßen sind solche Provokationen wahnsinnig riskant.

Apropos Youtube: Wie verändert sich das Werbegeschäft?
Da könnten Sie mich auch fragen, wann der Weltfrieden kommt. (lacht) In beiden Fällen müsste ich antworten: keine Ahnung! Die digitale Transformation ist kommunikativ ein Segen und im Leben längst Alltag. Aber ebenso wie gerade Data Analytics hat natürlich Youtube jede Menge in der Kommunikation revolutioniert. Es ist nur ein Beispiel dafür, wie viele Kanäle man heute bespielen kann… von Youtube über Instagram bis Tiktok oder Snapchat …

… was bei Unternehmen auch zu dem Kurzschluss führte: Lasst uns nur noch Virals machen – also Youtube-Filme, die sich im Netz verbreiten. Das versprach Reichweite ohne Mediakosten, funktionierte allerdings auch nur in den seltensten Fällen, oder?
Vor einigen Jahren konnte sich Content noch viral verbreiten. Das geht heute nicht mehr. Das Format an sich war aber auch noch nie eine Garantie für den Erfolg. Der Friedhof der ungesehen in der Versenkung verschwundenen Virals ist groß. Da hat sich in unserer Branche die Spreu vom Weizen getrennt und zugleich gezeigt: Kreative Exzellenz hat eben doch Zukunft. Das Konsum- und Medienverhalten nicht nur der jüngeren Generationen hat sich jedenfalls extrem verändert – und verändert sich weiter.

Da wird dann auch gern mal das Ende der Werbung proklamiert…
… und das Gegenteil ist der Fall: Solange es Produkte gibt, die ein unternehmerisches Ziel verfolgen, wird es Marken geben. Solange es Marken gibt, braucht es Markenkommunikation – wie auch immer die daherkommt. Je verunsichernder die Zeiten sind, umso mehr sehnt man sich nach Vertrautem, nach Werten, nach Dingen, auf die man sich verlassen kann. Die geben einem eine emotionale Sicherheit, Wärme, Erfüllung.

Wo belügt sich Ihre Branche womöglich selbst?
Vielleicht in unserer Hoffnung, dass alles besser wird. Es wird aber nicht alles gleich besser. Oder wie vorher. Es wird erst mal anders. Da sollten wir vor allem die Rückspiegel abschrauben und nach vorn schauen.

Werbeprofis jammern auch gern, die Unternehmen seien heute oft zu ängstlich, wirklich Originellem eine Chance einzuräumen. Wie groß ist der Friedhof Ihrer eigenen genialen Ideen, die nie umgesetzt wurden?
Die Qualität eines Kreativen ähnelt der eines Boxers: In beiden Fällen ist nicht nur wichtig, was man alles austeilen kann, sondern vor allem, wie viel man wegzustecken vermag. Entscheidend bleibt, dass man dafür kämpft, sein kreatives Baby gegen alle Widrigkeiten zu verteidigen. Ich habe sicher einige solcher „schönen Leichen“ im Keller und habe die immer noch lieb.

Wie hat Corona unsere Kommunikation generell, aber auch Ihre Kampagnenarbeit als Kreative verändert?
Es verändert viel, viel mehr, als wir uns je gedacht hätten als Gesellschaft. Die einen müssen mit neuen Arten von Einsamkeit zurechtkommen, die anderen vielleicht mit dem ungewohnten Zusammensein. Corona wird ja auch für jede Menge Scheidungen sorgen und wurde für viele Familien zu einer echten Belastungsprobe. Zugleich werden Dinge wichtig, die man früher nie wertgeschätzt hat, weil man sie auch nicht vermissen musste.

Zum Beispiel?
Das ganze menschliche Miteinander. Schon ein Treffen in einem Restaurant wurde nach dem Lockdown auf einmal zu einem echten Highlight. Die Werte verändern sich. Weihnachten, das prophezeie ich Ihnen, wird dieses Jahr eine Bedeutung bekommen wie zuletzt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – und ganz ohne das Gejammer vom Konsumstress und dem Schimpfen auf die doofen Verwandten.

Was heißt das für Ihre Arbeit und die Kreativszene?
Es gibt zwei große Trends: Escape und Engage. Escape: Die Menschen wollen endlich mal wieder befreit auflachen, ohne an Corona denken zu müssen. Engage: Die Menschen wünschen sich für sie relevante und glaubwürdige Botschaften; sie wollen sich nicht weiter mit erkennbar hohlen Phrasen auseinandersetzen. Dazu ist unsere Wahrnehmung nun einfach zu geschärft.

„Emotional is the only Rational“ müsse Prämisse Ihrer Branche für die kommenden Monate sein, sagten Sie bereits. Voll auf die Gefühlsglocke? Ist das die Zukunft?
Emotionen sind keine Gefühlsglocke. Emotion heißt in Bezug auf Kommunikation einfach nur, dass man emotional bewegt statt rational argumentiert. Es ist eine Entwicklung, die von Corona befeuert wird. Emotionen sind wichtiger denn je.

Verändert das Homeoffice Ihre Arbeit?
Klar. Kreative leben vom Austausch, vom Streit, von der Reibung und zwischenmenschlicher Dynamik. Das geht alles verloren, wenn jeder seine Videokamera ausknipsen kann, um nebenher den Hamster zu füttern.

Wenn Sie noch mal 20 wären und sich einen Job aussuchen könnten: Würden Sie heute wieder Werberin werden wollen?
Ich habe das Glück, einen Beruf gefunden zu haben, der mich völlig ausfüllt. Das ist ja in etwa so toll, wie den richtigen Partner fürs Leben zu finden. Beides habe ich erreicht. Zu Ihrer Frage: Ich lebe meinen Job immer noch voller Leidenschaft.

Frau Spengler-Ahrens, vielen Dank für das Interview.