Werbung
Deutsche Märkte geschlossen
  • Nikkei 225

    38.460,08
    +907,92 (+2,42%)
     
  • Dow Jones 30

    38.471,64
    -32,05 (-0,08%)
     
  • Bitcoin EUR

    60.160,55
    -2.010,53 (-3,23%)
     
  • CMC Crypto 200

    1.388,41
    -35,69 (-2,51%)
     
  • Nasdaq Compositive

    15.710,17
    +13,53 (+0,09%)
     
  • S&P 500

    5.071,30
    +0,75 (+0,01%)
     

Thyssen-Krupp streitet mit Interessent Liberty über Kaufpreis der Stahlsparte

Die Tata-Übernahme durch SSAB ist bereits an den Dekarbonisierungs-Kosten gescheitert. Jetzt belastet das Thema auch die Gespräche zwischen Thyssen-Krupp und Liberty.

Wenn Thyssen-Krupp seine Aktionäre am Freitag zur Hauptversammlung bittet, werden die Investoren angesichts der ungewissen Zukunft des Ruhrkonzerns viele Fragen stellen. Auf die vielleicht wichtigste davon wird Vorstandschefin Martina Merz ihnen allerdings keine Antwort geben können: Was passiert mit der Stahlsparte, nachdem sich der Großteil der Kaufinteressenten aus dem Bieterprozess verabschiedet hat – und mit Liberty Steel nur noch ein einziger Bieter bleibt, der dem Ruhrkonzern einen schnellen Ausstieg aus dem zuletzt verlustreichen Geschäft verspricht?

Erst im März will der Vorstand eine endgültige Entscheidung über die Sparte fällen. Zur Debatte stehen ein Börsengang, ein Verbleib im Konzern – und ein Komplettverkauf an Liberty. Dabei gebe es bei einer „Reihe komplexer Themen noch Klärungsbedarf“, ließ Merz die Aktionäre im vorab veröffentlichten Redetext wissen. Laut Informationen aus Finanzkreisen ist der Klärungsbedarf allerdings überschaubar: Es gehe schlicht um die Höhe des Übernahmepreises, erklärten mit der Sache vertraute Personen dem Handelsblatt.

Die Wunschvorstellungen von Thyssen-Krupp und Liberty liegen weit auseinander. Der Grund dafür liegt in der unterschiedlichen Bewertung der Belastungen durch den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2). Bei der Stahlproduktion fallen Jahr für Jahr alleine in Duisburg 20 Millionen Tonnen des Klimagiftes an, weswegen Thyssen-Krupp und andere Hüttenkonzerne sogenannte CO2-Zertifikate kaufen müssen.

WERBUNG

Dabei werden die Belastungen mit zunehmender Zeit immer größer. Denn die Zahl der kostenlos zugeteilten Zertifikate wird jährlich um rund 2,2 Prozent verringert. Sinken die Emissionen nicht in gleichem Maße, steigen die Preise. Das trifft vor allem die CO2-intensiven Stahlhersteller, deren Emissionen sich technisch bedingt nicht sukzessive, sondern nur durch einen aufwendigen Umbau der Anlagen dauerhaft senken lassen.

Welche Belastungen dabei bis 2030 auf Thyssen-Krupps Stahlsparte zukommen, darüber streiten die Vertreter des Ruhrkonzerns mit dem Bieter Liberty Steel. In ihren Bewertungen haben die Deutschen lediglich für die kommenden vier Jahre die Kosten für die CO2-Zertifikate eingerechnet, wie das Handelsblatt aus mit den Vorgängen vertrauten Finanzkreisen erfahren hat. „Da steht schlicht eine Null bei den Belastungen.“

Hohes Risiko, unsichere Chancen

Liberty-Chef Sanjeev Gupta hingegen will diese Ausgaben über die kommenden zehn Jahre einrechnen, um einen fairen Preis für die Stahlsparte zu ermitteln. Über diese Zeit summierten sich die Kosten auf mindestens 1,2 Milliarden Euro, hieß es in Finanzkreisen. Unter dem Strich biete Gupta letztlich einen negativen Kaufpreis, hieß es. Thyssen-Krupp würde von milliardenschweren Pensionslasten befreit, müsste letztlich also Geld draufzahlen.

Liberty äußerte sich nicht dazu. Thyssen-Krupp erklärte, der Konzern minimiere mit einer konservativen Einkaufsstrategie bei den CO2-Zertifikaten grundsätzlich Risiken aus der Beschaffung. Mittelfristig ist das Unternehmen mit den Verschmutzungspapieren versorgt. Langfristig schaut es aber anders aus. Der Bedarf an Zertifikaten hänge von tatsächlichen Produktionsmengen und den technologischen Veränderungen ab, wie ein Sprecher sagte. Ergo: Deutschlands Marktführer hat nicht über das Jahr 2025 hinausgeplant.

Die geplante Trennung von der Sparte, die wie keine andere für das Gesicht der Industrieikone steht, könnte damit zur Hängepartie werden. Vorstandschefin Merz hatte vor einem Jahr angekündigt, dass Thyssen-Krupp das Geschäft abgeben wolle. Mit dem Zug will sich das Unternehmen unabhängig vom Auf und Ab der Konjunktur machen. Neben Missmanagement hatte dies die Finanzkraft von Thyssen-Krupp zuvor weitgehend aufgezehrt. Mit dem Verkauf der rentablen Aufzugssparte hatte Merz die Firma stabilisiert.

Dass die Abspaltung der Stahlgeschäfts nicht einfach wird, hatten einige Top-Manager des Konzerns schon zu Beginn geahnt. Die Sparte sei eben nicht mit den Aufzügen zu vergleichen, sagte einer von ihnen. Mit dem Geschäftsbereich Elevator hatte Merz noch einen zweistelligen Milliardenbetrag erlöst. Finanzinvestoren hatten um den Zuschlag gewetteifert. Stahl hingegen verlangt hohe Investitionen in die Umstellung auf eine CO2-freie Produktion – wobei noch völlig unklar ist, inwieweit die Abnehmer bereit sind, entsprechend höhere Kosten für grünen Stahl mitzutragen.

Denn nach Branchenschätzungen dürfte eine Tonne mit Wasserstoff produzierter Stahl um rund 200 Euro teurer sein als solcher aus konventioneller Produktion – allein das wäre ein Aufschlag von knapp der Hälfte im Vergleich zum aktuellen Preis von 485 Euro je Tonne Warmband.

Hinzu kommen nach Berechnungen der Wirtschaftsvereinigung Stahl zusätzliche Investitionskosten in Höhe von 1000 Euro je Tonne. Selbst in Boomzeiten dürfte es für europäische Stahlhersteller also schwierig bis unmöglich sein, die Kosten aus eigener Kraft wieder einzuspielen.

Investoren zeigen sich angesichts der Dimensionen skeptisch, ob Thyssen-Krupp das Stahlgeschäft in Eigenregie weiterführen sollte. Die Stahlsparte dürfe nicht noch einmal zum „Investitionsgrab“ werden, erklärt etwa Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit & Corporate Governance bei Deka Investment.

Dabei verweist Speich, der die Entwicklung von Thyssen-Krupp seit Jahren verfolgt, auch auf die anstehenden Investitionen, die dem Ruhrkonzern auch im Wasserstoff-Anlagenbau bevorstehen: „Ob sich Thyssen-Krupp den Luxus sowohl von Stahl als auch von Wasserstoff im Investitionsmodus erlauben kann, ist nicht nur betriebswirtschaftlich fraglich.“ Schlussendlich müsse sich für einen Bereich entschieden werden.

Dekarbonisierung wird zum Kern der Strategie

Die teure Transformation der Stahlproduktion ist einer der Gründe, warum sich Thyssen-Krupp aus der Branche zurückziehen will. Durch den Einsatz von klimaneutral produziertem Wasserstoff soll die Stahlproduktion vom Klimagift CO2 befreit werden. Die Kosten dafür beziffert der Konzern selbst auf rund zehn Milliarden Euro. Bis 2050 soll die Dekarbonisierung in Duisburg abgeschlossen sein.

Aus Sicht vieler Kunden ist das aber viel zu spät. Die Menschen verlangten, dass das Klima geschont werde, sagte ein Vorstand eines großen deutschen Automobilbauers. Offen ist zudem, wie Thyssen-Krupp seine Werke umrüsten will. Einen konkreten Investitionsplan dafür gebe es noch nicht, hieß es im Umfeld des Konzerns.

Offensichtlich unterschätzt die Führung von Thyssen-Krupp die Dynamik, die Umweltfragen mittlerweile in der gesamten Industrie auslösen. Wie hoch der Druck ist, zeigen die jüngst geplatzten Gespräche zwischen SSAB und Tata über eine Übernahme der niederländischen Tata-Werke: Wegen der hohen Transformationskosten hatte der schwedische Konzern den geplanten Kauf abgeblasen.

Vorstandschef Martin Lindqvist hätte zwar gerne zugeschlagen, aber sein Aufsichtsrat und Großinvestoren seien gegen den Plan gewesen, hieß es in Branchenkreisen. Aus deren Sicht sei nicht erkennbar gewesen, wann das Tata-Werk auf eine klimaneutrale Produktion hätte umgestellt werden können. „Das Risiko durch CO2 ist in vielen Bilanzen nicht berücksichtigt“, warnte ein Branchenvertreter.

In der nun angelaufenen Konsolidierung spielt sie indes mit einem Schlag eine entscheidende Rolle, wie sich am Rückzug von SSAB gezeigt hat. Den Kreisen zufolge planen die Schweden keine Offerte für Thyssen-Krupp Steel. Zuvor war spekuliert worden, dass Lindqvist ein entsprechendes Angebot platzieren könnte.

Der Thyssen-Krupp-Vorstand muss nun entscheiden, ob er auf Liberty zugeht. Alternativ prüft der Konzern einen Börsengang der Sparte. Angesichts der zu erwartenden CO2-Belastungen dürfte ein solcher Schritt aber nur schwer zu bewerkstelligen sein.

Die Nachfrage nach Stahl hat sich zwar nach dem Einbruch infolge der Coronakrise verbessert, die Kosten für die Umstellung auf grünen Stahl bleiben aber. Bei einem Börsengang würde dieses Thema in den Mittelpunkt rücken. Nach dem Scheitern des Deals zwischen SSAB und Tata Steel ist dieses Problem offensichtlich geworden.