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Angriffe aktivistischer Investoren – Deutschland droht ein beispielloser Kampf der Managementkulturen

Aktionärsaktivisten attackieren immer öfter deutsche Firmen. Sie wollen höhere Renditen sehen. Wie verträgt sich das mit der sozialen Marktwirtschaft?

Der Brandstifter der deutschen Industrie wirkt eher wie ein Biedermann. Jens Tischendorf, jungenhaftes Lächeln unter oft ein wenig strubbeligen Haaren, studierte Wirtschaftsinformatik in Darmstadt und begann zur Jahrtausendwende seine Karriere in der Beratung.

Aber nicht etwa bei den Überfliegern von McKinsey, sondern bei den vergleichsweise hemdsärmeligen Kollegen von AT Kearney. 2008 wechselte er von dort zu Cevian, dem aktivistischen Hedgefonds aus Stockholm. Revoluzzer haben buntere Lebensläufe.

Doch von Tischendorfs harmloser Vita sollte man sich nicht einlullen lassen. Vor allem kein Aufsichtsratsvorsitzender, der Tischendorf im Gremium sitzen hat – so wie bei Thyssen-Krupp und Bilfinger.

Das musste auch der inzwischen verstorbene Bernhard Walter feststellen, einst Oberaufseher bei Bilfinger: Als Tischendorf 2013 für den Bilfinger-Großaktionär Cevian in den Aufsichtsrat des Baukonzerns einzog, ließ Walter den jungen Zahlenmenschen Berichten zufolge regelmäßig auflaufen. Walter ignorierte Tischendorfs Forderungen und Analysen und verweigerte ihm, als er partout keine Ruhe gab, sogar das Rederecht.

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Ein Jahr später musste Walter auf Druck von Cevian seinen Posten räumen – und wurde durch Eckhard Cordes, ersetzt, ehemals Metro-Chef und inzwischen Partner bei Cevian. Es stand eins zu null für Tischendorf.

Damals hatten Aktivisten wie er in Deutschland noch Exotenstatus. Vier Jahre später brachten sie mit Thyssen-Krupp einen Dax-Konzern zum Beben. Kurz nacheinander warfen dort sowohl Vorstandschef Heinrich Hiesinger als auch der Aufsichtsratsvorsitzende Ulrich Lehner ihre Ämter hin, entnervt von den Forderungen der aktivistischen Investoren Cevian und Elliott, enttäuscht vom angeblich mangelnden Rückhalt des Großaktionärs Krupp-Stiftung. Und neben Bilfinger haben aktivistische Angreifer mittlerweile auch den Pharmakonzern Stada aufgemischt.

Aktivistische Investoren sind die neue Macht an den Finanzmärkten. Aufmunitioniert mit 240 Milliarden Dollar an Feuerkraft, suchen die Mächtigen der Branche wie Paul Singer von Elliott oder Third-Point-Gründer Daniel Loeb den Weg von der Wall Street nach Europa.

Die Investmentbank Goldman Sachs hat für Europa im ersten Halbjahr bereits 19 Kampagnen gegen Unternehmen durch Aktivisten gezählt und geht für das Gesamtjahr von insgesamt 38 Angriffen aus. Das wäre ein Anstieg von fast 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 41 Milliarden Dollar seien von Aktivisten in diesem Jahr in Europa investiert worden, so die Investmentbanker.

Dabei besonders im Fokus: Deutschland, die stärkste Volkswirtschaft des Kontinents. „Der Glaube, dass zum Beispiel die unterschiedliche Corporate Governance mit ihrer Aufteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat die Aktivisten abschrecken würde, war unzutreffend“, sagt Dorothee Blessing, Deutschlandchefin JP Morgan. „Darauf haben die Aktivisten sich inzwischen eingestellt“.

Der Bundesrepublik droht in den kommenden Jahren ein beispielloser Kampf der Managementkulturen. Auf der einen Seite stehen die hiesigen Konzerne mit ihrer ausgeprägten Konsenskultur, ihrer Arbeitnehmermitbestimmung im Aufsichtsrat und ihren oftmals Jahrzehnte alten Geschäftsmodellen wie auch Managementpraktiken. Man könnte auch sagen: mit ihrer in vielen Fällen chronischen Wachstums- und Renditeschwäche und ihrer Unfähigkeit zu wirklich radikalen Innovationen.

Auf der anderen Seite lauern die teils milliardenschweren Fonds, die Minderheitsanteile an börsennotierten Unternehmen erwerben. Groß genug, um ordentlich Druck aufs Management ausüben und vielleicht einen Aufsichtsratsposten besetzen zu können. „Aktivistisch“ werden diese Fonds genannt, weil sie sich im Gegensatz zu normalen Investmentfonds höchst aktiv ins Management ihrer Beteiligungsunternehmen einschalten. Ihre Zielobjekte suchen Elliott und Co. dabei aufgrund sorgfältiger Unternehmensanalysen aus.

Es ist kein Zufall, dass der Kulturkampf sich nun ausgerechnet an Thyssen-Krupp entzündet. Jenem Ruhrgebietskonzern, dessen historische Wurzeln 200 Jahre zurückreichen und der untrennbar verbunden ist mit den Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft. Der aber auch für die Schattenseiten dieses Systems steht: die oft lähmende Verflechtung von Wirtschaft und Politik und das allzu lange Beharren auf dem angestammten Geschäftsmodell.

Während weltweit die Börsen zu neuen Höchstständen strebten, wurden bei Thyssen-Krupp in den vergangenen zehn Jahren 42 Prozent des Aktionärskapitals vernichtet. Das bei Thyssen-Krupp eingesetzte Kapital hätte an anderer Stelle der Volkswirtschaft sinnvoller und produktiver genutzt werden können, hätte dort neue Arbeitsplätze geschaffen und neues Wachstum erzeugt.

Dieses Problem sieht auch Friedrich von Bohlen und Halbach. Er ist der Neffe von Alfried Krupp, der bis 1967 Alleininhaber des Stahlkonzerns war. Der übertrug kurz vor seinem Tod seine Anteile an die Krupp-Stiftung, daher besitzt die Familie keine Aktien. Aber Friedrich von Bohlen bildet mit seinen Cousins Eckbert von Bohlen und Halbach und Diana Friz den Familienrat. Ihr Wort hat an Rhein und Ruhr immer noch Gewicht.

Für Friedrich von Bohlen und Halbach „bietet das Vorgehen der aktivistischen Investoren bei Thyssen-Krupp auch eine große Chance: nämlich eine fundierte Diskussion darüber zu beginnen und zu führen, welches System das bessere ist“.

Jenes der angelsächsischen Investoren, die auf die bloße Wertsteigerung eines Unternehmens oder Unternehmensteils setzten. „Oder das der Sozialen Marktwirtschaft, das neben dem Wohl des Unternehmens auch die Mitarbeiter, die Kunden und die jeweilige Region mit einschließt.“

Seine Prognose: Die Aktionäre würden sich mehrheitlich für das System der Sozialen Marktwirtschaft entscheiden. „Dabei sollten wir uns allerdings nicht einzelner Aspekte und Vorzüge in der Denkweise anderer Sichtweisen und Investoren verschließen.“ Auch unser Wertesystem müsse weiterentwickelt werden, „adaptiv und evolutionär, nicht mit dem Einzelnen, sondern mit der Gesellschaft und ihren Werten im Mittelpunkt“.

Solch eine Debatte ist in der Tat überfällig, und die aktivistischen Investoren können eine wichtigen Beitrag dazu liefern. Auch wenn ihr oberstes Ziel ganz sicher nicht im Wohl der deutschen Volkswirtschaft besteht. Die Krachmacher wollen Rendite, und zwar zackig.

Dazu nerven sie auf Aufsichtsratssitzungen und Hauptversammlungen, entwerfen Pläne für den Verkauf von Unternehmenssparten, starten Pressekampagnen gegen missliebige Manager oder drohen mit Schadensersatzklagen gegen Manager, die in den Augen der Fonds Aktionärskapital verplempern.

Wie mit solchen Klagen Unternehmenspolitik gemacht wird, hat ein deutscher Vorstandschef erlebt, der von dem Partner eines aktivistischen US-Fonds zu einem Gespräch gebeten wurde. „In der Telefonkonferenz wollte ich unsere Strategie vorstellen, nach wenigen Sätzen wurde ich aber unterbrochen“, erzählt der Manager, der ungenannt bleiben will. Freundlich, aber bestimmt habe der Fondsmanager ihm erklärt, dass ihn die Strategie nicht interessiere.

„In wenigen Sätzen hat er mir erklärt, was ich zu tun habe, um die Aktie nach oben zu treiben.“ Sollte er dem nicht Folge leisten, dann würde er persönlich auf Schadensersatz in Millionenhöhe verklagt. „Ich sollte das aber nicht persönlich nehmen. Solche Klagen seien Teil des Geschäftsmodells, sagte mir der Partner.“

Gegen solch ein Vorgehen wollte sich die Führung von Thyssen-Krupp absichern. Der bis vor einem Monat amtierende Aufsichtsratschef Ulrich Lehner ließ daher dem Aufsichtsrat jedes kleine Detail der geplanten Fusion der Stahlsparte mit Tata Steel vorlegen. Eine volle Übersicht sollten die Kontrolleure erhalten, sagte eine Führungskraft. „Die Transparenz ging weit über das übliche Maß hinaus.“ Der Entscheidungsprozess sei dadurch erheblich verzögert worden.

Wenn man den Berichten ihrer Opfer glauben darf, schrecken die aktivistischen Fonds in Einzelfällen noch nicht einmal davor zurück, missliebigen Konzernvertretern mit Privatdetektiven hinterherzuschnüffeln. Doch dazu später mehr. Zunächst einmal müssen ein paar grundlegende Fragen geklärt werden: Wie ticken diese Aktivisten? Was haben sie vor mit den deutschen Konzernen, bei denen sie nun verstärkt den Einstieg suchen? Und sind sie für die Soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik wirklich nur ein Fluch – oder bisweilen auch ein Segen?

1. Warum die Politik Cevian und Elliott als neue Heuschrecken sieht

Zumindest auf die letzte Frage scheinen deutsche Politiker ihre Antwort längst gefunden zu haben. Der sommerliche Streit um Thyssen-Krupp hat noch nicht einmal seinen Höhepunkt erreicht, als Armin Laschet im Saal 46 der Düsseldorfer Staatskanzlei ans Rednerpult tritt. Der CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen schaltet sich nach dem chaotischen Abgang von Vorstandschef Heinrich Hiesinger auf Wunsch der Gewerkschaft IG Metall persönlich ein. „Wir wollen eine langfristige industriepolitische Entwicklung und keine kurzfristige Verwertung“, sagt Laschet.

Nach Laschets Auftritt spitzt sich die Führungskrise beim Traditionskonzern mit seinen 39.000 Beschäftigten weiter zu: Auch Aufsichtsratschef Ulrich Lehner tritt zurück. Der 72-jährige Oberkontrolleur fährt anschließend verbal schweres Geschütz in Richtung der Aktivisten auf, spricht von Psychoterror, Unwahrheiten und Belästigung. Und der frühere Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel holt gleich zum Rundumschlag aus. Für ihn stehen die beiden aktivistischen Investoren bei Thyssen-Krupp für „den ungezügelten, durch Gesetze kaum gezähmten Teil der Finanzwirtschaft“. Wenn Thyssen-Krupp zerschlagen werde, seien Elliott und Cevian auch „Feinde der Demokratie“.

Gabriels starke Worte stehen in der Tradition seines Parteifreundes Franz Müntefering, der bereits 2005 die US-Beteiligungsgesellschaften der Private-Equity-Branche als „Heuschrecken“ geißelte. Im Unterschied zu aktivistischen Investoren haben es Private-Equity-Fonds in der Regel auf Mehrheitsbeteiligungen an privaten oder börsennotierten Unternehmen abgesehen, die sie nach dem Kauf mit eigenen Managern bestücken, mal mehr, mal weniger brachial sanieren und nach einigen Jahren weiterverkaufen.

Beide Fondsgattungen eint der Fokus auf Rendite – und der begrenzte Zeithorizont. Schließlich gilt es, die Erwartungen der Geldgeber zu befriedigen, die in solche Fonds investieren. Meist handelt es sich um vermögende Privatpersonen oder um Pensionsfonds, häufig aus den USA. Als Durchschnittssparer kann man sich an den meisten Fonds von aktivistischen Investoren nicht beteiligen, da die Mindestbeträge zu hoch sind. Eine Ausnahme für Privatanleger bildet etwa Bill Ackman, dessen Fonds Pershing Square börsennotiert ist. Bei ihm haben Anleger indes in den letzten Jahren Verluste gemacht.

Erfolgreicher wirtschaftet da Marktführer Elliott. Seit der Gründung 1977 erzielte Elliott im Schnitt ein Plus von jährlich 13,3 Prozent nach Managementgebühren, in der gleichen Zeit schaffte der S & P 500 nur ein jährliches Plus von 11,3 Prozent inklusive Dividenden. Der aktivistische Fonds Active Ownership Capital (AOC) verspricht gar eine Verdoppelung des eingesetzten Kapitals innerhalb von vier oder fünf Jahren. Das entspricht einer jährlichen Verzinsung zwischen 15 und 19 Prozent.

So viel Rendite lässt sich nicht mit netten Worten erzielen. Daher scannen die Aktivisten unablässig den Markt auf der Suche nach Konzernen, die in ihren Augen schlecht geführt werden und deren Wert sich mit gehörig Druck aufs Management schnell steigern lässt. AOC etwa hat ständig rund 100 Unternehmen unter verschärfter Beobachtung.

Zielobjekte gibt es reichlich. Nachdem Banken und Versicherungen die Deutschland AG in den achtziger und neunziger Jahren aufgebrochen und ihre Beteiligungen verkauft haben, stehen Mischkonzerne heute nicht mehr in der Gunst der internationalen Anleger.

Die Zerschlagung dieser Konglomerate ist fast schon eine Standardforderung der Angreifer. „Aktivistische Investoren treten auch in Europa immer sichtbarer auf. Das Thema kommt in die Nachbarschaft“, glaubt Siemens-Finanzvorstand Ralf P. Thomas. „Kein Unternehmen ist zu groß, zu bekannt, zu neu oder zu erfolgreich. Selbst Firmen, die respektierte Branchenführer sind und sich besser als der Markt und ihre Konkurrenten entwickelten, sind unter Feuer geraten“, urteilt Martin Lipton, Mitgründer der Anwaltskanzlei Wachtell, Lipton, Rosen & Katz. Darauf sollten die Manager in den börsennotierten Konzernen reagieren.

Teilweise haben sie es schon getan, wie der Mischkonzern Siemens, der einzelne Sparten wie die Medizintechniktochter Healthineers oder den Leuchtmittelproduzenten Osram in die Selbstständigkeit entlassen hat. Das ist eine Vorwärtsstrategie, um Mehrwert für die Aktionäre zu schaffen, und gleichzeitig der Versuch, Aktivisten aus dem eigenen Unternehmen herauszuhalten.

Aktivisten sind auch in Deutschland keine Unbekannten. Bereits in den 90er-Jahren beteiligte sich der US-Manager Guy Wyser-Pratte bei Rheinmetall und dem Satellitenhersteller OHB. Und der Hedgefonds TCI mit Christopher Hohn an der Spitze torpedierte 2005 als Großaktionär der Deutschen Börse die Übernahme der London Stock Exchange.

Das war allerdings nur Vorgeplänkel. Der steile Aufstieg der Aktivisten begann nach der Finanzkrise 2008. Während die Notenbanken weltweit die Zinsen in Richtung null Prozent steuerten, suchten die Pensionskassen, Versicherungen, Stiftungen und Family Offices immer verzweifelter nach Rendite. Da kamen die aktivistischen Fonds wie gerufen, die sich Konzerne herauspicken, die schwächer laufen als die Konkurrenten.

Gleichzeitig spielt ihnen die steigende Macht der Indexfonds in die Hände. Diese passiven Fonds treffen nicht selbst Investitionsentscheidungen, sondern bilden einen Börsenindex nach, indem sie die entsprechende Menge an Aktien der darin gelisteten Unternehmen kaufen. Für Anleger hat das den Vorteil, dass sie keine teuren Fondsmanager bezahlen müssen. 700 Milliarden Euro stecken in Europa in Indexfonds, Tendenz steigend. Bei den Indexfonds erhebt kaum jemand die Stimme, wenn es zur Hauptversammlung geht. Die schweigenden Aktionäre erhöhen entsprechend das relative Gewicht der Aktivisten, die wissen, wie man Krach macht.

2. Die vier umstrittenen Geschäftsmodelle der Aktivisten

Vom Habitus unterscheiden sich die meisten aktivistischen Fondsmanager vom gängigen Wall-Street-Klischee. „Verglichen mit Investmentbankern, gibt es bei den aktivistischen Investoren erstaunlich wenig Nadelstreifen, Ferraris und breite Krawatten“, erzählt ein Berater, der beruflich viel mit beiden Branchen zu tun hat. „Das sind alles ganz normale Anzugtypen, nur ein bisschen fixer im Kopf.“

Das quicke Zahlenverständnis ist bei den Aktivisten allerdings ausgeprägter als das Einfühlungsvermögen in die Belange von Belegschaft oder Gesellschaft. Zielkonflikte zwischen kurz- und langfristiger Renditeoptimierung, zwischen Share- und Stakeholder-Value, also zwischen der Wertsteigerung für den Aktionär oder die Gesamtgesellschaft: All das sehen die aktivistischen Investoren im Regelfall nicht oder wollen es nicht sehen. Ein häufig gehörter Ausspruch in dem Gewerbe: Langfristig gehe es Arbeitnehmern nur in erfolgreichen Unternehmen gut, und dazu trage man schließlich bei.

Insgesamt verfolgt die Branche der Aktivisten vier Strategien, um das große Geld zu verdienen:

1. Unterbewertete Unternehmen auf Rendite trimmen: Über eine andere Geschäftspolitik, Verkäufe von Tochtergesellschaften oder Segmenten und neue Vorstände sowie Aufsichtsräte sollen die Konzerne nach vorne gebracht werden. Gerne bringen die Aktivisten dabei auch Aktienrückkäufe oder höhere Ausschüttungen ins Gespräch.

2. Profitieren von Übernahmen und Fusionen: Bei sogenannten M & A-Situationen springen die Hedgefonds in den Deal, indem sie sich Anteile am Kaufobjekt sichern. Dabei spekulieren sie auf nochmals bessere Übernahmeangebote und entsprechende Kurssteigerungen.

3. Aufkauf von notleidenden Staatsanleihen: Ein spezielles Geschäftsmodell, das vor allem Elliott bekannt gemacht hat. Anleihen von pleitebedrohten Staaten werden zu Kursen deutlich unterhalb des Nennwerts gekauft, anschließend versuchen die Investoren, mit politischem und juristischem Druck eine Rückzahlung zum vollen Nennwert zu erreichen. So ließ Elliott 2012 ein Segelschiff der argentinischen Marine beschlagnahmen, das den Fehler begangen hatte, in Ghana zu ankern – wo US-Recht schnell umgesetzt werden kann.

4. Leerverkäufe von Aktien: die aggressivste Spielart der Aktivisten. Die Fonds leihen sich Aktien und schreiben gleichzeitig in ihren Research-Studien einen Verriss über die von ihnen angegriffenen Firmen. Einziges Ziel: der Kursverfall der Aktie. Die Fonds planen, die geliehenen Papiere günstiger an der Börse einzukaufen, bevor sie diese zurückgeben.

Wie perfide dieses Geschäftsmodell üble Nachrede funktioniert, spürte im vergangenen Jahr die deutsche Beteiligungsgesellschaft Aurelius. Das Unternehmen musste sich Vorwürfen von Gotham City Research erwehren. In einem Onlinereport warf Gotham Aurelius Ungereimtheiten in der Bilanz vor. „Aurelius-Aktien sind nicht mehr als 8,56 Euro je Anteilsschein wert“, lautete das harte Urteil. Innerhalb von zwei Tagen wurde eine Marktkapitalisierung von einer Milliarde Euro vernichtet. Da half es auch nichts, dass Aurelius die Vorwürfe zurückwies.

Für Aufsehen sorgte in Deutschland auch ein Report des Fonds Muddy Waters („trübes Wasser“) über den Werbevermarkter Ströer, der die Aktie abstürzen ließ. Mit schweren Vorwürfen riss auch das Researchhaus Zatarra den Aktienkurs von Wirecard in die Tiefe. In der Zwischenzeit haben sich die Leerverkäufer wieder verzogen. Und Wirecard steigt jetzt sogar in den Elite-Index Dax 30 auf.

Ein Ende des Leerverkaufs-Trends ist für Portfoliomanager Ingo Speich von Union Investment nicht in Sicht, im Gegenteil: Gerade in Zeiten eines ausgedünnten Handels und niedriger Liquidität schlägt die Stunde der sogenannten „Short Seller“. Je mehr alternative Handelsplätze sich neben den etablierten Börsen wie der in Frankfurt auftun, je niedriger das Handelsvolumen an jedem einzelnen dieser Handelsplätze im Schnitt ist, desto leichter kann der Kurs einer Aktie auch mit vergleichsweise geringen Verkäufen nach unten bewegt werden. Das spielt den Leerverkäufern in die Hände.

3. Warum die Finanzbranche die Aktivisten begrüßt

Die Leerverkäufer bilden aber nur das Extrem einer Branche, die sich insgesamt durchaus zugute halten kann, Mehrwert für die Aktionäre zu schaffen. Das zeigen Berechnungen des Informationsdienstes Activist Insight: Danach notieren Aktien eine Woche nach dem Einstieg von Elliott und Co. im Schnitt mit 2,17 Prozent im Plus, nach einem Jahr betrug der Kursgewinn 12,94 Prozent, was jeweils über den Steigerungen des US-Vergleichsindexes S & P 500 lag.

Unterstützung erhalten die Aktivisten, die Unternehmen zum Besseren verändern wollen, vom mächtigsten Mann der Finanzindustrie. In einem dreiseitigen Brief an die Dax-Chefs hat der Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink, in diesem Jahr den Topmanagern gedroht: Wenn sie nicht ihr Unternehmen langfristig weiterentwickeln würden, sei er auch bereit, mit Aktivisten zusammenzuarbeiten. In rund zehn Dax-Unternehmen wie Adidas oder Allianz zählt Blackrock zu den größten Aktionären.

Während also die Politik von Union bis SPD die aktivistischen Unruhestifter als neue Feindbilder entdeckt, formiert sich mittlerweile gerade auch in der deutschen Finanzcommunity eine Gegenbewegung, die genau diese Unruhe herbeisehnt. Sicher, so der Tenor vieler Finanzmanager, bei den aktivistischen Investoren gebe es Exzesse, die man nicht tolerieren dürfe. Doch dem stünde eine noch große Zahl von deutschen Konzernmanagern gegenüber, die unter dem Denkmäntelchen vermeintlicher Arbeitnehmerinteressen und langfristiger Strategien ihre eigene Ideenarmut und Konfliktscheu zelebrierten. Gerade am Fall von Thyssen-Krupp werden diese unterschiedlichen Sichtweisen inzwischen deutlich.

So freut sich Ingo Speich von der traditionellen, also nicht-aktivistischen Fondsgesellschaft Union Investment, wenn Aktivisten Unternehmen wie Thyssen-Krupp Beine machen und die Wettbewerbsfähigkeit und somit auch den Unternehmenswert erhöhen. Der Deutschlandchef von Goldman Sachs, Wolfgang Fink, drückt sich so aus: „Viele Fonds schwimmen im Kielwasser von Aktivisten.“ Ohnehin steige mit den Aktivisten der Druck auf die gemäßigtere Fraktion der traditionellen Fonds, ebenfalls lauter zu werden.

Fink liegt damit auf einer Linie mit den Profianlegern. Rund 60 Prozent der im DVFA-Verband zusammengeschlossenen Finanzprofis begrüßen ein über die bloße Ausübung des Hauptversammlungs-Stimmrechts hinausgehendes Engagement von Investoren. „Eigentum schafft Verantwortung“, urteilt DVFA-Präsident Stefan Bielmeier.

Wie erfolgreich Aktivisten sein können, zeigt das Beispiel Stada. Wer am 8. Februar 2016 Aktien des Pharmaherstellers bei einem Kurs von damals 28,60 Euro gekauft hat, der bewies ein goldenes Händchen. Fast genau zwei Jahre später notierte der MDax-Wert im Januar dieses Jahres bei fast 90 Euro – ein Gewinn von rund 200 Prozent. Auslöser war der bis dahin weitgehend unbekannte Aktivist AOC mit den Investoren Florian Schuhbauer und Klaus Röhrig. AOC sicherte sich im Frühjahr 2016 mehr als fünf Prozent der Stada-Aktien – und drängte in den Folgemonaten den langjährigen Vorstandschef Hartmut Retzlaff aus dem Amt. AOC setzte außerdem einen eigenen Kandidaten für den Aufsichtsrat durch und machte mit der Abschaffung der vinkulierten Aktien – die einen Kauf des Unternehmens bis dahin erschwerten – den Weg frei für die spätere Übernahme durch die Finanzinvestoren Bain Capital und Cinven.

Bevor es so weit kommen konnte, mischte sich auch noch Paul Singer mit seinem Fonds Elliott ein. Im Streit mit Singer um eine höhere Abfindung für die Stada-Aktionäre knickten Bain und Cinven bereits nach wenigen Tagen ein. Durch den Zuschlag mussten Bain und Cinven Singer am Ende über 76 Millionen Euro mehr als beim alten Preis bezahlen. Ein satter Gewinn für Elliott innerhalb weniger Wochen – aber auch für viele andere Stada-Aktionäre.

4. Der Fall Kleinfeld: Wenn Investoren zu weit gehen

Die zwiespältige Rolle der aktivistischen Investoren lässt sich nicht verstehen ohne einen genaueren Blick auf den Marktführer in diesem Gewerbe: Paul Singer mit seiner New Yorker Fondsgesellschaft Elliott. Satte 35 Milliarden Dollar verwaltet Elliott mit Sitz in New York. Allein im vergangenen Jahr sammelte der Fonds in nur 24 Stunden fünf Milliarden Dollar frisches Anlegerkapital ein. Damit ist Elliott mehr als doppelt so groß wie die Nummer zwei der Aktivisten, Daniel Loeb und sein Hedgefonds Third Point.

Wie wichtig der europäische Markt für Elliott ist, lässt sich an einer Personalie ablesen: Die Geschäfte in London führt Gordon Singer, der Sohn des Gründers. Der Mittvierziger lebt zurückgezogen in der englischen Hauptstadt, Fotos gibt es wenige. Von London aus, wo rund 90 der insgesamt ungefähr 454 Elliott-Beschäftigten arbeiten, überwacht der Fonds seine weitverzweigten Investments in Europa.

Erst vor wenigen Wochen gewann Elliott die Kontrolle über den Verwaltungsrat von Telekom Italia, mithilfe von anderen Großaktionären wie Index- oder Pensionsfonds. „Das ist ein Wendepunkt in Europa“, sagte Jim Rossman, Managing Director der Investmentbank Lazard.

Unumstrittenes Sagen bei Elliott hat Gründer Paul Singer. Langer Atem, viel Detailarbeit und keine Angst vor Konfrontation sind seine Markenzeichen. In Deutschland hält Elliott neben Thyssen-Krupp sechs weitere Beteiligungen. Beim Düsseldorfer Konzern Uniper wollte Elliott auf der Hauptversammlung Anfang Juni die Einsetzung eines Sonderprüfers beschließen lassen, der Vorstandschef Klaus Schäfer Pflichtverletzungen beim Abwehrkampf gegen Fortum nachweisen sollte. Durchgedrungen ist Elliott mit seiner Forderung nicht. Beim Maschinenbauer Gea drängt er auf eine schnelle Ablösung des Konzernchefs Juerg Oleas wegen Erfolglosigkeit. Aufsichtsratschef Helmut Perlet soll auch gleich mitgehen.

Das rabiateste aller Duelle aber lieferte sich Singer mit einem deutschen Manager, der zu diesem Zeitpunkt seinen Karrieremittelpunkt bereits von München nach New York verlegt hatte.

Der ehemalige Siemens-Chef Klaus Kleinfeld kam 2007 in die USA, führte fast ein Jahrzehnt als nahezu einziger Deutscher einen nordamerikanischen Konzern, spaltete ihn vor zwei Jahren in Alcoa und Arconic auf. Kleinfeld führte den Metallkonzern Arconic weiter – auf den es Elliott abgesehen hatte.

Das Arconic-Investment betreute bei Elliott der Portfoliomanager Dave Miller. Der heute 39-Jährige gab sich viel Mühe, fertigte 2017 eine 336 starke Präsentation an. Hunderte von Grafiken und Statistiken, ein Meer von Zahlen überwältigen selbst analytisch geschulte Leser. Aber das Werk ist der Frontalangriff auf die Person Kleinfeld. „Unverfrorene Verschwendung im Unternehmen“, „demoralisierte Mitarbeiter“ und „ein CEO, der völlig von der Wirklichkeit der Unternehmensentwicklung abgekoppelt ist“, heißt es dort.

Auf fast allen Fotos ist Kleinfeld in für ihn ungünstigen Momenten zu sehen, etwa wenn er nach oben schielt oder zu laut lacht. Reicht das Fotomaterial nicht, brüllt er als gezeichnete Karikatur mit einem Megafon herum.

Der Report strotzt von Fleiß. Auf dem Berufsnetzwerk LinkedIn schaute Elliott sich beispielsweise alle Einträge von Arconic an, zählte dort 26 Mitarbeiter mit dem Wort „Kommunikation“ im Titel – und listet sie alle mit Namen auf. „Zum Vergleich, Konkurrent PCC hat nur drei“, lautet der lakonische Kommentar. Soll heißen: Arconic verschwendet Geld durch überbesetzte Stabsabteilungen wie den Kommunikationsbereich.

Systematisch geht Elliot durch die Personalien des Unternehmens. So entdeckte der Fonds bei Arconic viele ehemalige Siemens-Mitarbeiter. Wenig überraschend, schließlich war Kleinfeld dort früher Vorstandsvorsitzender. Aber Elliot spielt das Thema hoch, spricht von „Siemens 2.0“. Er würde sich mit „unterwürfigen ehemaligen Siemens-Kollegen“ umgeben – die in der Investorenpräsentation auch alle 13 mit Foto gezeigt werden.

Während der Kampagne gegen Kleinfeld tauchten in der Nachbarschaft des Deutschen in Westchester bei New York Privatdetektive auf. Sie wollten wissen, was es mit den lauten Partys bei Kleinfeld auf sich habe. In einem örtlichen Restaurant wurden Bekannte angesprochen, man wolle mit Kleinfeld investieren, habe aber ein paar Fragen. Auch die Töchter von Kleinfeld, die eine studierte auf der Harvard Business School, die andere arbeitete in Los Angeles, erzählten von merkwürdigen Begegnungen und Anrufen.

Kleinfeld wollte sich zu den Vorfällen nicht äußern. Auf den Einsatz von Privatdetektiven angesprochen, war die einzige Reaktion von Elliott: „Diese Annahme und die impliziten Vorwürfe, dass Elliott irgendwen schicken würde, um die Kinder von Managern zu kontaktieren, sind völlig falsch.“

Die persönliche Dimension der Auseinandersetzung könnte erklären, warum Kleinfeld schließlich den entscheidenden Fehler machte. Rund 20 Zeilen schrieb er 2017 an Singer. 20 Zeilen, die Kleinfeld den Job kosteten. „Sehr zu meiner Freude erfuhr ich aus Berlin, dass Sie ein phänomenaler Fußball-Enthusiast sein müssen“, heißt es in dem Brief. „Nicht wenige Leute“ hätten Singer in Berlin bei der Fußball-WM 2006 begleitetet. In einem Postskriptum deutete Kleinfeld dann eine wilde Party in Berlin an. „Und nebenbei: ,Singing in the rain‘ ist in der Tat ein wundervoller Klassiker – auch wenn ich nie versucht habe, ihn in einem Springbrunnen zu singen.“

„Dieser Brief las sich wie eine Bedrohung, um einen Senior Manager vom Elliott-Management auf der Basis komplett falscher Andeutungen einzuschüchtern oder zu erpressen“, schrieb der Hedgefonds in einer Pressemitteilung und informierte den Verwaltungsrat von Arconic. Kleinfeld musste gehen. Wer glaubt, dass Kleinfeld beim Schreiben nicht um die Tragweite seines Briefes wusste, unterschätzt den Deutschen. Kleinfeld fühlte sich vom Verwaltungsrat in der Sorge um seine Familie im Stich gelassen – und wollte sich an Singer rächen.

Singer dürfte aber vor allem eine andere Sache stören. Seit Kleinfelds Rücktritt vor 17 Monaten ist der Arconic-Aktienkurs um 14 Prozent gefallen. Mit derzeit 22 Dollar liegt er weit entfernt von Elliotts Schätzungen und Versprechen. Der Hedgefonds bezifferte den wahren Wert von Arconic während der Kleinfeld-Attacke auf 33 bis 54 Dollar.

Ist die Kampagne gegen Kleinfeld ein Einzelfall? Offenbar nicht. Jonathan Bush berichtet über ähnliche Erlebnisse mit Elliott. Der frühere Chef und Gründer empfand Elliotts Vorgehen als Albtraum, einen „Angriff auf meine Person“. Bei Athenahealth präsentierte Elliott dem Verwaltungsrat 45 Seiten, die sich nur um eine Sache drehten: Warum Bush ungeeignet als Chef sei. Er würde oft in einem respektlosen Ton über das Geschäft reden, auf Betriebsfeiern würde viel Alkohol getrunken.

Wieder gibt es das kunstvolle Zusammenspiel von Grafik und Foto, zum maximalen Schaden von Bush. Ein fallender Aktienkurs wird mit Bildern von Bush unterlegt, wie er in den Bahamas segeln geht. Plötzlich erschienen reihenweise kritische Artikel über Bush. So berichtete die „Daily Mail“ über seine Scheidung, die mehr als ein Jahrzehnt zurücklag. Der Artikel zitiert unangenehme Details aus den Akten. Ein paar Tage später berichtete die „New York Post“ über die Beschwerde einer Mitarbeiterin aus dem Jahr 2009, Bush würde eine sexuell aufgeladene Sprache nutzen. Die Kampagne endete erst, nachdem Bush zurückgetreten war.

5. Fazit: Sie sind gekommen, um zu bleiben

Beschnüffeln und bespitzeln sind ganz sicher keine akzeptablen Geschäftspraktiken. Aber letztlich ist es mit den aktivistischen Investoren wie mit vielen anderen Branchen: Es gibt unter ihnen den üblichen Anteil an schwarzen Schafen.

Im besten Fall jedoch könnten Aktivisten für genau jene Debatten über den richtigen Kurs eines Unternehmens sorgen, die bislang auf deutschen Aufsichtsratssitzungen und Hauptversammlungen zu kurz kommen. In den Aufsichtsräten herrscht vielfach noch immer eine ungesunde Konsenskultur, in der es zum Komment gehört, dass sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbank untereinander nicht in den Rücken fallen.

Auf den Hauptversammlungen wiederum versinken die wichtigen Redebeiträge zur Unternehmensstrategie, wie sie zum Beispiel der „klassische“ Fondsverwalter Ingo Speich immer wieder abliefert, in der Kakofonie der Kleinaktionäre. Das macht es dem Management leicht, solche Forderungen zu ignorieren.

Dass es nicht schaden kann, wenn sich manche deutsche Konzernlenker künftig häufiger mit kritischen Fragen und Gegenpositionen auseinandersetzen müssen, zeigt die Performance der im Dax 30 gelisteten Titel: Während der deutsche Leitindex in den vergangenen zehn Jahren um 87 Prozent zugelegt hat, haben fünf der Unternehmen, die 2008 im Index gelistet waren, in diesem Zeitraum sogar Wert vernichtet.

Zu dieser traurigen Gruppe der Non-Performer zählen die Deutsche Bank (-78 Prozent) ebenso wie die Commerzbank (-92 Prozent) sowie die Energiekonzerne Eon (-74 Prozent) und RWE (-71 Prozent). Und eben auch Thyssen-Krupp mit seinen -42 Prozent. Schwer vorstellbar, dass die Vorstände dieser Unternehmen in jedem Einzelfall bestmöglich mit dem Aktionärskapital gewirtschaftet haben. Ein paar mehr Krachmacher im Aufsichtsrat hätten dieser Fünfergruppe vielleicht gutgetan.

Doch auch die aktivistischen Aktionäre müssen sich immer wieder fragen lassen, ob ihre Vorschläge wirklich geeignet sind, den Wert für die Aktionäre zu steigern – und zwar nicht kurzfristig für einige Monate oder Jahre, sondern nachhaltig und dauerhaft. Denn nur dann nützen solche Veränderungen nicht nur den Investoren, die rechtzeitig wieder ausgestiegen sind, sondern auch den Mitartarbeitern und der Volkswirtschaft insgesamt.

Teilbörsengänge, Joint Ventures oder die Zerschlagung von vermeintlich unproduktiven Konglomeraten können beides bedeuten – kurzfristige Kurskosmetik oder einen dauerhaften Wachstumsschub. Deutlich problematischer sind die Aktienrückkäufe, die aktivistische Investoren häufig fordern, etwa bei Nestlé.

Solche Rückkäufe pushen kurzfristig den Aktienkurs, doch auf lange Sicht entziehen sie den Konzernen Kapital, schwächen so deren Investitionskraft und schmälern dadurch die künftigen Wachstumschancen. Vollends pervers schließlich sind die Praktiken jener aktivistischen Aktionäre, die nicht auf die Wertsteigerung von Konzernen spekulieren, sondern auf den Kursverfall von Aktien – die sie dann mit echten oder erfundenen Vorwürfen in den Keller prügeln.

Letztlich dürfte die Erregungskurve über den Vormarsch der aktivistischen Aktionäre in Deutschland ähnlich verlaufen wie beim Auftauchen der Private-Equity-Fonds in der Bundesrepublik vor 15 Jahren: Anfangs wurden die Fonds als Heuschrecken geschmäht – und trugen zu ihrem schlechten Ruf bei, indem sie es oft an unternehmerischer Nachhaltigkeit und an Sensibilität fürs deutsche Gesellschafts- und Arbeitsrecht fehlen ließen. Inzwischen haben sich Deutschland und die Private-Equity-Branche aneinander gewöhnt. Kaum jemand bestreitet noch, dass diese Fonds einen wichtigen Beitrag leisten in einer Unternehmenslandschaft, in der es vielen familiengeführten Mittelständlern an geeigneten Nachfolgern fehlt.

Im besten Fall könnte es mit den aktivistischen Fonds ganz ähnlich laufen. Denn eines steht fest: So einfach aus Deutschland verschwinden werden die Krachmacher ohnehin nicht mehr.

Mitarbeit: Peter Brors, Kevin Knitterscheidt, Martin Murphy