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Thyssen-Krupp erlebt die schwerste Krise seiner Geschichte

Erst wirft der CEO hin, dann der Aufsichtsratschef: Thyssen-Krupp steht vor einer ungewissen Zukunft. Droht die Zerschlagung des Konzerns?

Eigentlich hätte Ulrich Lehner am Wochenende auf dem Gipfel stehen sollen. Der Aufsichtsratschef des Essener Industriekonzerns Thyssen-Krupp wollte sich nach monatelangen Querelen über die geplante Fusion der Stahlsparte mit der des Konkurrenten Tata bei einer Bergwanderung entspannen. Wollte Abstand gewinnen von einem Konzern, der gerade erst die wohl tiefgreifendste Veränderung in seiner 200-jährigen Konzerngeschichte beschlossen hatte: weg vom einstigen Kerngeschäft Stahl.

Doch nach dem überraschenden Rücktritt von Vorstandschef Heinrich Hiesinger blieb Lehner lieber zu Hause. Am Montag entschied er, den Aufsichtsratsvorsitz bei Thyssen-Krupp aufzugeben. Auslöser der Entscheidung soll ein Konflikt mit der Chefin der Krupp-Stiftung, Ursula Gather, gewesen sein, hieß es in Lehners Umfeld. Lehners Rücktritt verschärft die Führungskrise beim Essener Industriekonzern.

Dabei hat der Rheinländer mit der runden Brille in seiner fast 40 Jahre andauernden Karriere als Manager und Multi-Aufsichtsrat schon so manche Krise durchgestanden: Lehner war Aufsichtsratsmitglied bei Porsche während der umstrittenen VW-Übernahmepläne des damaligen Vorstandschefs Wendelin Wiedeking. Als er zeitweise an der Spitze des Pharmaherstellers Novartis stand, warf man ihm vor, er würde überhöhte Managergehälter durchwinken. Am Ende konnte Lehner sich stets halten.

Doch was in den vergangenen Tagen in der Essener Zentrale von Thyssen-Krupp und in der nahe gelegenen Villa Hügel passierte, war für den 72-Jährigen offenbar zu viel. Das Misstrauen, das er vonseiten der größten Aktionäre, der in der Villa Hügel beheimateten Krupp-Stiftung und des schwedischen Investmentfonds Cevian spürte, war zu tief.

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Mit dem Rücktritt des Aufsichtsratschefs stellt sich mehr denn je die Frage nach der künftigen Strategie von Thyssen-Krupp. Die Investoren Cevian und Elliott drängen auf eine starke Dezentralisierung des Konzerns. Hiesinger und Lehner haben diesen Kurs strikt abgelehnt.

Seit Monaten streiten sich die verschiedenen Machtzentren des Konzerns: Die einen wollen Thyssen-Krupp als Konzernverbund erhalten, dessen einzelne Sparten von Autoteilen über Zementfabriken bis zu U-Booten alles Mögliche herstellen. Die anderen, und hier vor allem die Investmentfonds Cevian und Elliott, fordern die Aufspaltung – oder zumindest den Verkauf der profitablen Aufzugssparte, die für die Hälfte des Konzerngewinns steht.

Der Aufsichtsratschef ist dabei nur der letzte prominente Abgang in diesem Streit. Auch Vorstandschef Heinrich Hiesinger nahm nach Querelen mit Aufsichtsratsmitgliedern vor rund zwei Wochen seinen Hut. Aus Lehners Umfeld ist nun zu hören, dass ihn vor allem das Verhalten der Krupp-Stiftung enttäuscht habe, deren Chefin Ursula Gather in Zwiegesprächen mit anderen Aufsichtsräten Zweifel an der bisherigen Strategie gesät haben soll. Am Sonntag habe Lehner dann in der Zeitung lesen müssen, dass Gather bereits 2016 mit Antti Herlin, dem Chef des finnischen Konkurrenten Kone, in der Villa Hügel über einen Verkauf der Aufzugssparte verhandelt hat.

Dass sich die Stiftung auch nach ihrer Sondersitzung am Freitag nicht dazu durchringen konnte, Gather nach ihrem Verhalten aus dem Aufsichtsrat abzuziehen, soll letztlich den Ausschlag für Lehners Rücktritt gegeben haben, erklärten Vertraute. Am Montagabend begründete er schließlich frustriert seinen Rückzug: „Das Vertrauen der großen Aktionäre und ein gemeinsames Verständnis im Aufsichtsrat über die strategische Ausrichtung von Thyssen-Krupp waren Grundlage meiner Arbeit und Voraussetzung für mein Versprechen an Berthold Beitz, das Unternehmen im Interesse von Aktionären, Mitarbeitern und Kunden erfolgreich weiterzuentwickeln.“ Das sei heute nicht mehr gegeben.

Lehner geht wegen Gather

Der Streit lähmt den Traditionskonzern seit Monaten. Und das, obwohl der Vorstand mit der Abspaltung des Stahlgeschäfts zuletzt eigentlich einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Sanierung erreicht hatte. Mehr als drei Jahre lang führte Hiesinger Gespräche mit dem indischen Konkurrenten Tata Steel.

Am Ende war die Einigung über ein 50:50-Joint-Venture manchem Aufseher jedoch nicht genug. Mit dem Cevian-Vertreter Jens Tischendorf, dem Ex-Telekom-Chef René Obermann und der Deutschlandchefin der britischen Großbank HSBC, Carola Gräfin von Schmettow, hatten in der Abstimmung über die Stahlfusion drei Aufsichtsratsmitglieder Hiesinger die Gefolgschaft versagt – und damit indirekt auch Lehner.

Mit seinem Rücktritt wolle er nun ein Zeichen setzen, hieß es aus Lehners Umfeld. Der Aufseher erklärte, dass er mit seinem Schritt ein Bewusstsein dafür schaffen wolle, „dass eine Zerschlagung des Unternehmens und der damit verbundene Verlust von vielen Arbeitsplätzen keine Option darstellen“.

Mit der Ernennung von Finanzchef Guido Kerkhoff zum Interimschef, der maßgeblich an den Verhandlungen zur Stahlfusion beteiligt war, stellte Lehner am Freitag ein letztes Mal die Weichen auf Stabilität – und ging, nachdem klar war, dass die Stiftung an Gathers Besetzung als Aufsichtsrätin festhalten würde. Lehner sei darüber sauer und frustriert gewesen, hieß es aus seinem Umfeld. Er wolle nun den Weg frei machen für eine Diskussion im Aufsichtsrat, teilte er mit.

In der Krupp-Stiftung stoßen diese Vorwürfe auf Unverständnis. „Ich bedauere außerordentlich, dass Herr Professor Lehner sein Amt als Aufsichtsratsvorsitzender der Thyssen-Krupp AG niedergelegt hat“, ließ Stiftungschefin Gather am Dienstag als Antwort auf Lehners Rückzug mitteilen. Aus Kreisen der Stiftung ist zu hören, dass Gather entsetzt auf die Nachricht reagiert habe. Andere Aufsichtsratsvertreter berichten, dass Gather in der Auseinandersetzung bis zum Schluss kühl und professionell agiert habe.

Gather plane nicht, den Aufsichtsratsvorsitz zu übernehmen, sie wolle gemeinsam mit den Arbeitnehmern eine Lösung finden. Gute Chancen auf die Nachfolge von Lehner werden nach Handelsblatt-Informationen dem ehemaligen Hochtief-Chef Hans-Peter Keitel eingeräumt.

Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat setzen weiter auf die Unterstützung der Stiftung. So erklärte Markus Grolms, Generalsekretär der IG Metall und Lehners Stellvertreter im Aufsichtsrat, noch kurz nach dem Rücktritt: „In solchen Zeiten ist die Mitbestimmung unverzichtbar für die Stabilität des Unternehmens. Gemeinsam mit der Krupp-Stiftung werden wir genau dafür einstehen.“

Fraglich ist allerdings, ob mit diesem Bekenntnis aus Sicht der Stiftung auch eine Holding-Struktur mit größerer Eigenständigkeit für die einzelnen Geschäftsbereiche ausgeschlossen ist. Solch eine Konstruktion forderte am Dienstag erneut der Cevian-Gründer Lars Förberg. Sie würde einen späteren Verkauf einzelner Sparten erleichtern.

Wer den Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp nach Lehners endgültigem Abgang Ende Juli leiten wird, dürfte entscheidend dafür sein, ob der Konzern als Einheit erhalten bleibt. Von Aufsichtsratsmitgliedern ist zu hören, dass sich das Gremium wohl vor Monatsende auf einen Nachfolger einigen wird. Gather teilte bereits mit, dass sie für den Vorsitz des Aufsichtsrats nicht zur Verfügung stehe. Auch die Wahl Tischendorfs wäre ungewöhnlich.

Doch an den Finanzmärkten rechnen die Anleger bereits mit einer Zerschlagung des Konzerns. So sagte Marc Gabriel, Analyst beim Bankhaus Lampe, dem Handelsblatt: „Mit dem Rücktritt des Aufsichtsratsvorsitzenden könnte sich der Umbruch des Konzerns, den sich die aktivistischen Aktionäre auf die Fahne geschrieben haben, durchaus beschleunigen.“ Das Analysehaus Jefferies schreibt in einer Studie von einem „Machtvakuum“, das vor allem Cevian nun füllen könnte.

Die Börsen haben die gestiegene Möglichkeit einer Zerschlagung bereits in den Aktienkurs eingepreist. So legten die Papiere von Thyssen-Krupp nach Lehners Abgang am Dienstag zeitweise um knapp neun Prozent zu. „Die Chancen auf eine aggressivere Restrukturierung steigen“, schreibt Jefferies.

Dass Gather nun darauf verzichten will, auf Lehner als Aufsichtsratsvorsitzende zu folgen, ist eine Ironie der Geschichte: Ursprünglich hatte der 2013 verstorbene Konzernpatriarch Berthold Beitz eigentlich Lehner als Stiftungsvorsitzenden vorgesehen – nach einer langen und erfolgreichen Zeit als Aufsichtsratschef bei Thyssen-Krupp.