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Teurer Schlussstrich – Warum der Glyphosat-Vergleich für Bayer gefährlich werden könnte

Bayer will den milliardenschweren Vergleich finanzieren und eine zweite Welle von Glyphosat-Klagen verhindern. Der Plan ist kreativ – birgt aber auch Risiken.

Bayer verspricht sich weiter ein gutes Geschäft. Foto: dpa
Bayer verspricht sich weiter ein gutes Geschäft. Foto: dpa

Der 24. Juni 2020 wird in die Bayer-Geschichte als der Tag eingehen, an dem man nach der Übernahme des umstrittenen Monsanto-Konzerns reinen Tisch gemacht hat. Gut zehn Monate haben die Anwälte in den USA gebraucht, um den mehr als zehn Milliarden Dollar teuren Vergleich mit den Glyphosat-Klägern auszuhandeln. Dabei blieb es aber nicht: Bayer nutzt die Gelegenheit, um auch die anderen von Monsanto geerbten Rechtsrisiken loszuwerden.

Das Signal aus Leverkusen ist klar: Niemand in der Bayer-Führung will mehr ständig nur über Prozesse, Glyphosat, Krebsgefahr und Schadensersatzklagen reden – erst recht nicht Vorstandschef Werner Baumann, der sich seit beinahe zwei Jahren in einer kommunikativen Glyphosat-Dauerschleife befindet. Er will lieber von der neuen Stoßrichtung des Konzerns reden, der mit Innovationen für bessere Gesundheit und Ernährung auf der Welt sorgen will. „Health for all, hunger for none“, lautet die neue Marschrichtung.

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Bayer habe darunter gelitten, als dauerbeklagtes Unternehmen wahrgenommen zu werden, wie Baumann im Interview mit dem Handelsblatt einräumt. Neben Glyphosat hat der Konzern nun auch die bestehenden alten Klagen gegen das Pflanzenschutzmittel Dicamba und wegen verunreinigter Abwässer durch die Chemikalie PCB beigelegt – beides sind Erbstücke Monsantos.

Knapp zwölf Milliarden Dollar lässt sich Bayer die Beseitigung dieser drei Rechtsfälle kosten. Der Konzern hat einen Plan geschmiedet, wie er das bezahlen will und wie verhindert werden soll, dass schon bald die nächste Klagewelle auf ihn zurollt. Es ist ein kreativer Plan, mit dem juristisches Neuland betreten wird – und der Risiken birgt.

Über die grundsätzliche Einigung mit den Klägeranwälten im Fall Roundup war am Donnerstag vielerorts Erleichterung zu spüren. Analysten sehen nun eine entscheidende Bremse in der Erholung des Aktienkurses von Bayer gelöst. Immerhin hatte der Konzern nach den ersten verlorenen Prozessen um eine mögliche Krebsgefahr durch Glyphosat ein Drittel an Wert eingebüßt.

„Nach den Vergleichen verschwindet nun dieses Damoklesschwert über dem Agrarchemie- und Pharmakonzern“, urteilte Markus Mayer von der Baader Bank. Gunther Zechmann vom US-Analysehaus Bernstein unterstrich, dass Bayer sich nun wieder auf die fundamentale Lage konzentrieren könne. Er erhöhte das Kursziel auf 90 Euro.

Davon ist die Bayer-Aktie noch weit entfernt, am Donnerstag verlor sie sogar rund zwei Prozent und notierte bei 68 Euro. „Sell on good news“, begründete ein Händler den Rückgang. Fondsmanager Markus Manns von Union Investment sieht die Vergleichssumme im erwarteten Rahmen. Mit dem Vergleich könne Bayer zwar die Risiken nicht aus der Welt schaffen, aber deutlich minimieren.

Bayer geht davon aus, dass die Beilegung der aktuellen Roundup-Verfahren sowie möglicher künftiger Fälle insgesamt 10,1 bis 10,9 Milliarden Dollar (9,1 bis 9,8 Milliarden Euro) kosten wird. Die beigelegten Ansprüche umfassen sämtliche in die großen Verfahren eingebundenen Klägeranwaltskanzleien.

Juristisches Neuland

Der Vergleich gilt für 75 Prozent der 125.000 eingereichten und angekündigten Klagen. Die restlichen 25 Prozent dürften in den kommenden Monaten beigelegt werden, sagte der US-Jurist Kenneth Feinberg dem Handelsblatt. Der erfahrene Anwalt hat die Gespräche zwischen Bayer und den Klägeranwälten als Chefmediator geleitet. Feinberg gilt auch als Kopf hinter der Lösung, mit der Bayer eine neue Klagewelle vom aktuellen Ausmaß verhindern will. Das Konstrukt ist die eigentliche Überraschung in der Vereinbarung beider Parteien und hat in den USA unter Juristen für Aufsehen gesorgt.

Bayer legt nicht nur einen Fonds für zukünftige Klagen auf. Die Anwälte beider Seiten einigten sich auch auf die Gründung einer fünfköpfigen Expertenkommission, die den Zusammenhang zwischen Glyphosat und Lymphdrüsenkrebs wissenschaftlich klären soll. Nur wenn das Gremium in mehrjährigen Studien feststellt, dass das umstrittene Unkrautmittel tatsächlich Krebs verursacht, haben künftige Kläger Anspruch auf Entschädigung.

Bayers gesamte Verteidigung war schon in den Prozessen darauf ausgerichtet, mit wissenschaftlichen Beweisen den Vorwurf der Krebsgefahr durch Glyphosat zu entkräften. Damit allerdings kam der Konzern vor den Geschworenen-Jurys in Kalifornien nicht durch, die das Unternehmen in drei Fällen zu riesigem Schadensersatz verurteilten.

Die Leverkusener akzeptierten die Bewertung komplexer Studien durch die Laien nicht und gingen in Revision. Mit der Einrichtung der Expertenkommission komme die Bewertung wieder dahin, wo sie hingehöre, nämlich in wissenschaftliche Hände, sagt Vorstandschef Baumann.

Juristen bewerten dieses Konstrukt als innovative Lösung, die aber nicht ohne Risiken ist. Sie sieht vor, eine „Gruppe künftiger Kläger“ einzurichten. Für die renommierte Anwältin und Juraprofessorin Elizabeth Burch ist unklar, wie Bayer diese Gruppe finden will. „Das Problem ist, dass zwischen Nutzung des Produkts und dem Auftreten von Non-Hodgkin-Lymphomen viele Jahre vergehen können“, erklärt sie.

Riskanter Finanzplan

Auch Juraprofessor Steven Tapia von der Seattle University bezeichnet die Lösung als „sehr kreativ“. Doch auch er ist „nicht sicher, wie ein Gericht entscheiden kann, dass zukünftige Kläger an die Erkenntnisse des Gremiums gebunden sein werden“. Tapia äußerte sich überrascht, dass Bayer das Mittel Roundup weiterhin an Farmer und Privatanwender verkaufen werde: „Wenn es wirklich Krebs verursacht, dann wird es Abertausende zusätzliche Fälle geben.“ Bayer geht offenbar fest davon aus, dass das Gremium zu dem Schluss kommt, dass Glyphosat sicher ist.

Nicht ohne Risiko ist auch der Finanzplan, mit dem Bayer die insgesamt zwölf Milliarden Dollar finanzieren will. Ein kleiner Teil davon wird von Versicherungen gedeckt sein. Bayer will in diesem und im nächsten Jahr jeweils fünf Milliarden Dollar aufwenden.

Finanziert werden soll dies durch die Einnahmen aus dem bereits eingeleiteten Verkauf der Sparte Tiermedizin, für die der Konkurrent Elanco annähernd 7,6 Milliarden Dollar bezahlt. Der Rest soll aus dem Cashflow von Bayer und möglicherweise über neue Anleihen finanziert werden.

Das aber wird nur funktionieren, wenn Bayer einen so starken Cashflow generiert, wie Baumann ihn angekündigt hat. Denn der Konzern will zugleich seine Schuldenlast von zuletzt rund 34 Milliarden Euro senken und weiterhin attraktive Dividenden zahlen. Das heißt: Operativ muss das Projekt Monsanto für Bayer ein Erfolg werden, wenn der Finanzplan aufgehen soll.

Die Bayer-Milliarden gehen in unterschiedlicher Höhe an die Kläger, je nach Art und Schwere der Erkrankung. Die Summen können von wenigen Tausend Dollar bis in die Millionen reichen. Einen großen Teil der Vergleichssumme streichen die Klägeranwälte ein – üblich sind Honorare von bis zu einem Drittel der Vergleichssumme. Das hieße, dass die mehr als 30 beteiligten Kanzleien drei Milliarden Dollar bekommen.