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Wie eine Technologie unser Wahlsystem revolutionieren könnte

Wenn am Sonntag die neue Bundesregierung gewählt wird, gehen die meisten persönlich in die Wahlbüros, um ihre Stimme abzugeben. Die Blockchain-Technologie könnte das ändern. Wäre da nicht das Sicherheitsproblem.

Im Prinzip könnte es so einfach sein: Handy raus, ein Klick auf den gewünschten Kandidaten und fertig. Nach Ende der Wahl stünde innerhalb von Sekunden das Ergebnis fest. Kein mühseliger Gang zu den Urnen, kein stundenlanges Auszählen durch Ehrenamtliche und keine Live-Sendungen mit beständig neuen Hochrechnungen.

Technisch ließe sich eine digitale Wahl relativ einfach umsetzen – wäre da nicht das Problem mit der Sicherheit. Alle Online-Systeme sind digital angreifbar. Und eine gehackte Wahl wäre so etwas wie ein demokratischer Super-GAU. Daher ist das, was aktuell technisch möglich ist, für eine wichtige Abstimmung wie die Bundestagswahl ungeeignet.

Wissenschaftler in der EU, Start-Ups in den USA und sogar einige Behörden experimentieren aber mit einer Technologie, die möglicherweise unsere demokratischen Wahlsysteme revolutionieren könnte. „Von allen Bereichen, an denen aktuell zu elektronischen Abstimmungen geforscht ist, ist Blockchain der interessanteste“, sagt Nikolas Guggenberger, der als Juniorprofessor in Münster als einer der wenigen deutschen Wissenschaftler zu IT-Recht mit Fokus auf Blockchain forscht. Er sagt jedoch auch: „Bis dahin sind aber noch viele Hürden zu nehmen.“

Eine Blockchain ist eine neuartige Datenbank, die über kryptografische Verfahren gegen Manipulationen gesichert ist. Die Technologie ist bislang vor allem durch die Kryptowährung Bitcoin bekannt. Doch verschiedene Branchen experimentieren damit mehr oder weniger erfolgreich, von der Logistik über die Immobilienwirtschaft bis hin zur öffentlichen Verwaltung.

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Die größten Versprechen der Blockchain könnten auch bei einer Wahl von Nutzen sein: Einträge nicht zu manipulieren. Wahlfälschungen wären praktisch ausgeschlossen. Die Daten wären in einem Netzwerk von Computern gespeichert, so dass jeder darauf Zugriff hätte. Bürgerinitiativen und Medien könnten unabhängig im Protokoll nachlesen, wie viele Stimmen für wen eingegangen sind und ob das Wahlergebnis stimmt.
Theoretisch hätte sogar jeder einzelne Wähler dazu die Möglichkeit, nur praktisch fehlt in den meisten Fällen das technische Know-how. Denn die Blockchain ist hochkomplex. „Sehr wenige verstehen die Technik wirklich“, sagt Guggenberger. Niemand, auch er nicht, könne derzeit alle möglichen Auswirkungen überblicken.

Für die Funktionsweise einer solchen Blockchain-Wahl gibt es unterschiedliche Ideen. Meist wird von einem zweistufigen Verfahren ausgegangen. Zuerst müsste eine zentrale Instanz, bei uns der Bundeswahlleiter, eine Art elektronischen Schlüssel, Token genannt, an alle Wahlberechtigten versenden. Mit diesem Token könnten Bürger ihre Stimme abgeben. Jeder Kandidat hätte eine Art Konto, auf dem die Stimmen für ihn eingehen.
Darüber, wie das dann im Detail abliefe, streitet sich die Fachwelt. Es wäre mit einem auf Papier gedruckten Code und Abgabe im Wahlbüro ebenso möglich wie per E-Mail oder App auf dem Smartphone. Zum Einsatz kommen müsste wahrscheinlich eine sogenannte geschlossene Blockchain, die unter der Kontrolle öffentlicher Einrichtungen bliebe.

Wahlbetrug und Korruption wären somit passé. Die Fehlerquote bei der Auszählung läge nahezu bei Null. Die Hemmschwelle, wählen zu gehen würde deutlich reduziert, denn Wahlberechtigte könnten von Zuhause, von der Arbeit oder aus dem Urlaub heraus abstimmen. Außerdem könnten erhebliche Kosten eingespart werden. „Das alles macht die Blockchain für Abstimmungen extrem interessant“, sagt Guggenberger.
Die große Hürde ist das Geheimhaltungsgebot

Kniffelig aber wird es, wenn es ins Detail geht. „Pseudonymität ist nicht gleich Anonymität“, betont er zum Beispiel. Damit meint Guggenberger, dass nur, weil die Namen der Wähler verschlüsselt sind, es nicht heißt, dass sie niemand entschlüsseln könnte. Nach heutigem technischen Stand wäre das zwar nicht möglich. „Nur weil etwas heute sicher verschlüsselt ist, heißt es nicht, dass das für immer so bleibt“, mahnt Guggenberger aber. Würden eines Tages Quantencomputer entwickelt, könnte es mit Hilfe derer möglich sein, heute sichere Verschlüsselungen zu entschlüsseln. Wer heute wie seine Stimme abgibt, könnte aber auch aus zukünftiger Perspektive noch eine relevante Information sein.

Zudem könne der Bundeswahlleiter nicht einfach auf irgendeine bestehende Blockchain, wie zum Beispiel die der Bitcoins, zurückgreifen. „Für eine Wahl müsste man auf jeden Fall ein staatlich koordiniertes System aufbauen“, sagt Guggenberger. Denkbar wären zum Beispiel kommunale Rechenzentren oder ein System auf EU-Basis. Die langsame Digitalisierung in der Verwaltung in Deutschland lässt vermuten, dass es bis dahin ein sehr weiter Weg ist. „Wenn man es etwa über das Bitcoin Netzwerk regeln würde, gäbe man die Herrschaft über das System in die Hand von privaten Minern und ein paar Core Developern“, mahnt Guggenberger. In der Bitcoin Blockchain sind diese nämlich für das Fortbestehen des Systems entscheidend verantwortlich.


Wo man die Blockchain schon zum Abstimmen einsetzen kann

Guggenberger meint, man müsse ja nicht direkt mit einer Bundestagswahl anfangen. „Bei innerbetrieblichen oder vereinsinternen Wahlen sind die formellen Anforderungen zum Beispiel lange nicht so hoch“, sagt er. „Hier kann man viel eher experimentieren.“ Auch für die Sozialwahlen wäre Blockchain denkbar.

Eine Wahl mittels einer Blockchain wurde als Pilotprojekt des Finanzhauses Broadridge in den USA zum Beispiel schon auf einer Aktionärshauptversammlung durchgeführt. Dort war es wichtig, schnell ein Ergebnis zu erzielen und von überall auf der Welt abstimmen zu können. Die Anforderungen an Geheimhaltung und Nachvollziehbarkeit waren deutlich geringer als bei einer politischen Wahl. Die Kostenersparnis überwiegte.
Auch die EU forscht schon an der Tauglichkeit der Blockchain für Wahlen. „Die entscheidende Frage ist, ob die Blockchain eine revolutionäre Technologie darstellt oder ob sie hier nur unterstützend wirken kann“, heißt es in einem Forschungspapier des EU-Parlaments.

Der wichtigste Unterschied, den die Blockchain gegenüber einer zentral organisierten Wahl hat: Es muss keine übergeordnete Instanz geben. Daher sieht Guggenberger vor allem für nicht gut funktionierende Staaten eine Chance. „Das Vertrauen in die deutschen Institutionen ist ja relativ hoch“, sagt er. Anderswo hingegen kämpfe man mit Korruption und schweren Vorwürfen des Wahlbetrugs. Dort würde eine Nachvollziehbarkeit, wie sie die Blockchain bringen würde, einen Nutzen in einer viel größeren Dimension stiften. Das sei in vielen afrikanischen Staaten denkbar.

Eine digitale Bundestagswahl mittels Blockchain scheitert hierzulande also aktuell noch an gravierenden Sicherheitsproblemen. Jegliche Form der Digitalisierung von Wahlen ist ohnehin ein schwieriges Thema. So bemängelte der Chaos Computer Club erst kürzlich eine Software, die bei der aktuellen Bundestagswahl zur Übermittlung eingesetzt werden sollte. Da die Reparaturversuche des Herstellers unzureichend seien, schrieb der Club sogar selbst ein Update und stellte es am Dienstag kostenlos zur Verfügung.

Eine digitale Wahl mit Blockchain wäre zudem nach aktueller Rechtsprechung höchstwahrscheinlich nicht erlaubt. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2009, dass bis dato teilweise eingesetzte Wahlcomputer nicht dem deutschen Wahlrecht entsprechen. Für Wähler ohne Technikkenntnisse sei es nicht ausreichend nachvollziehbar, was mit ihrer Stimme innerhalb des Computers geschehe. Die Blockchain dürfte kaum einfacher zu verstehen sein.

Unser System wird gerade unsicherer

Gleichzeitig wird aber unser bestehendes Wahlsystem unsicherer. Das liegt an einem steigenden Anteil an Briefwählern. Dass viele Leute bequem per Post abstimmen, spricht für ein größeres Bedürfnis nach Flexibilität, das auch eine digitale Wahl bedienen könnte.

„Ich halte das für hochproblematisch“, sagt Christoph Schönberger, Professor für öffentliches Recht an der Uni Konstanz. Die Briefwahl gefährde die Freiheit und Gemeinheit der Wahl, erklärt er. „Die Wahlentscheidung wird vom Wahlbüro in den privaten Bereich verlegt.“ Und so könne nicht nachgeprüft werden, wer tatsächlich das Kreuzchen gemacht und den Brief abgeschickt habe.

Gerade in Altenheimen und Pflegeeinrichtungen sieht Schönberger Potential für Betrug. Aber auch im familiären Alltag wäre ist denkbar, dass Angehörige Druck ausüben. „Das Besondere an der Wahl im Wahlbüro ist ja, dass nicht einmal die Möglichkeit besteht, anderen Leuten zu offenbaren, wen man gewählt hat“, sagt Schönberger. Theoretisch ist es aktuell sogar möglich, mit Name und Meldeadresse unbemerkt die Wahlunterlagen von jemandem zu bestellen, von dem man sicher weiß, dass er nicht wählen geht, und für diese Person abzustimmen.

Bei der letzten Bundestagswahl wurde ein neuer Rekord an Briefwählern erreicht. Fast ein Viertel der Wähler ging nicht mehr ins Wahlbüro. Das ist laut Schönberger ein alarmierend hoher Anteil.
Einiges deutet darauf hin, dass der Rekord dieses Jahr erneut gebrochen werden könnte. Aktuell sind zum Beispiel allein in Köln schon deutlich über 200.000 Anträge eingegangen. „Damit verzeichnen wir hier vor Ort bereits einen neuen Rekord“, bestätigt eine Sprecherin der Stadt Köln. „Diese Entwicklung ist verfassungsrechtlich bedenklich und gefährdet die Wahrung unserer Wahlgrundsätze“, sagt Schönberger.

Ob ein Wahlsystem auf Blockchain-Basis tatsächlich die Zukunft der Bundestagswahl wird, wird sich zeigen. Schönberger meint, dass wir eine Veränderung brauchen, steht digitalen Wahlen aber auch sehr kritisch gegenüber. Guggenberger schätzt, dass es in circa 20 Jahren soweit sein könnte. Mit Blick auf die rasante technische Entwicklung fügt er aber an: „Wer weiß, ob wir dann überhaupt noch über Blockchain reden?“

KONTEXT

So funktioniert die Tui-Blockchain

Wie trete ich einer Blockchain bei?

Das Internetmodell Blockchain, nach dessen Vorbild Tui-Chef Fritz Joussen seit wenigen Tagen das Hotelgeschäft steuert, ist alles andere als leicht zu durchblicken. Allein das schon macht es fälschungssicher. Am einfachsten ist es aus Sicht des PC-Nutzers: Jeder, der einer Blockchain beitreten will, muss sich lediglich einen Datensatz samt Geheimschlüssel auf den Rechner laden, ebenso einen virtuellen Geldbetrag, den spezielle Broker von Euro in "Bitcoins" tauschen. Anbieter gibt es dazu im Internet zuhauf.

Welche Abläufe stecken dahinter?

Überweist der Anwender einen Bitcoin-Betrag, wandern seine Daten mit mehreren Hundert Transaktionen benachbarter Nutzer in ein virtuelles Hauptbuch, den "Block". Ihn führt ein Provider - im Fall von Tui die Schweizer Nonprofit-Stiftung Ethereum. Im Minutentakt bündelt der Dienstleister die aufgelaufenen Transaktionen, kontrolliert Passwörter und Guthaben, um dem Block danach eine eigens errechnete Prüfziffer anzuhängen. Doch fälschungssicher sind die Überweisungen damit noch nicht. Ausgeführt werden sie erst, wenn es ein externer PC schafft, die Prüfziffer zu finden und zu verifizieren.

Wer beschäftigt sich damit?

Diese Aufgabe beschäftigt eine ganze Branche. 500.000 Rechner beteiligen sich weltweit für Bitcoin an der Suche, bei Ethereum sind es 31.000 - und zwar im Wettbewerb. Wer die Aufgabe als Erster löst, erhält als Belohnung 12,5 Bitcoins - nach aktuellem Umrechnungswert rund 37.500 US-Dollar. Das Ungewöhnliche dabei: Bitcoins - bei der Blockchain von Ethereum heißt die Computerwährung "Ether" - erzeugen die Systeme aus dem Nichts. Internetexperten bezeichnen die wunderliche Form der Geldschöpfung deshalb als "Mining". Über Börsen wird das Cybergeld inzwischen sogar zu Tageskursen gehandelt. Bislang klappt das vorzüglich - und hält die Datenverarbeitung der Blockchain in Betrieb. Wer die Prüfziffer gefunden hat, stellt sie verknüpft mit der kompletten Datenhistorie wieder ins Hauptbuch. Als Ausgangs-Datensatz für die nächste Transaktion. Sinn des komplizierten Vorgangs: Weil die Daten nun auf Tausenden Rechnern in identischer Form vorliegen, stehen Hacker bei Manipulationsversuchen vor einer kaum lösbaren Aufgabe. Um Vorgänge zu fälschen, müssten sie die endlosen Zahlenreihen auf jedem beteiligten Rechner nachträglich verändern.

KONTEXT

Blockchain - genial einfach erklärt

Die Blockchain-Technik ...

... schreckt viele ab, dabei ist ihr Prinzip genial einfach. Mit dieser Erklärung in drei Schritten können Sie auf jeder Party glänzen.

Schritt 1

Melissa will einen Bitcoin an Steven überweisen. Dem Bitcoin-Netzwerk wird signalisiert, dass eine Überweisung von einer Bitcoin-Adresse an eine andere Adresse ansteht.

Schritt 2

Die Mitglieder des Bitcoin-Netzwerks fassen die jüngsten Transaktionen zusammen. Mit kryptografischen Berechnungen schaffen sie aus den Überweisungen einen neuen Datenblock für die Blockkette (Blockchain).

Schritt 3

Der neue Datenblock wird an die Blockkette angefügt. Damit ist auch die Überweisung von Melissa an Steven für die Ewigkeit festgehalten - der Bitcoin hat den Besitzer gewechselt.

KONTEXT

Blockchain

Zukunftsvision oder ungerechtfertigter Hype?

Momentan ist Blockchain vor allem in der Finanzbranche in aller Munde. Die Technologie, die aus der Entwicklung der kryptografischen Währung Bitcoin stammt, wird auf alle möglichen Zusammenhänge übertragen. Es gibt Vorschläge für das Finanzsystem, Versicherungen, Energiewirtschaft bis hin zum Urheberrecht. Vor allem Finanzinstitutionen und Zentralbanken forschen sehr aktiv an der Technologie. Hierfür wurden teilweise spezielle Banken-Konsortien und Forschungseinrichtungen gegründet. Laut einer Hochrechnung in einer Studie des Weltwirtschaftsforums wird im Jahr 2027 über 18 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes mit der Blockchain abgewickelt werden. Gleichzeitig stellt die große Aufmerksamkeit für Blockchain für viele mittlerweile einen ungerechtfertigten Hype dar. Erst kürzlich ging eine Welle des Skepsis gegenüber Kryptowährungen wie dem blockchain-basierten Bitcoin durch die Fachwelt.

eine Welle des Skepsis