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„Förderung von Technologie bringt viel mehr, als sich für Flugreisen zu schämen“

Ernst Rauch ist „Chief Climate and Geo Scientist“ der Munich Re. Der Experte spricht über die Dringlichkeit neuer Technologien, „Fridays for Future“ und die Leistung von Greta Thunberg.

 Foto: dpa
Foto: dpa

Die Munich Re erwartet in den kommenden Jahren eine weitere Steigerung der weltweiten Schäden durch Naturkatastrophen – auch aufgrund des Klimawandels. „Der Trend ist eindeutig: Es wird, trotz gelegentlicher Ausschläge nach unten, teurer werden“, sagt Ernst Rauch. Er ist als „Chief Climate and Geo Scientist“ so etwas wie der oberste Klimaexperte seines Konzerns.

Die Rekordsumme von rund 340 Milliarden Dollar, die 2017 vor allem wegen der verheerenden Hurrikane Harvey, Irma und Maria anfiel, könnte so schon bald übertroffen werden, auch wenn das erste Halbjahr 2019 mit 42 Milliarden Dollar deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt lag. „Man muss das langfristiger sehen als nur für ein Halbjahr oder Jahr“, mahnt Rauch.

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Der Tag des Interviews mit dem Handelsblatt war für den Chef-Klimatologen des weltgrößten Rückversicherers ein besonderer: Am 29. Juli war „Erdüberlastungstag“. Er markiert den Tag, an dem rein rechnerisch alle ökologischen Ressourcen eines Jahres aufgebraucht sind. Seither leben wir also auf Pump.

Von den Bürgern fordert Rauch vor diesem Hintergrund, dass sie die Politik bei allen Maßnahmen unterstützen, die neue Technologien zur Reduzierung von Treibhausgasen fördern. „Das bringt viel mehr, als sich für private Flugreisen zu schämen“, so Rauch.

Schließlich stehe der Anteil des privaten Flugverkehrs in der Gesamtrechnung bei Weitem nicht an erster Stelle. Auch bringe es nichts, den Föhn von heiß auf kalt zu stellen, wie er kürzlich in einem Magazin als Klimaschutz-Tipp gelesen habe. „Dahinter verschwinden die wirklich relevanten Ansätze, die eine völlig andere Dimension haben.“ Es gehe nicht um Verzicht, sondern um Technologie.

Nicht zu unterschätzen ist für Rauch die Rolle der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg. „Man muss ehrlich zugestehen: Die Bewegung hat international ein neues Bewusstsein geschaffen“, so Rauch. „Erstaunlich wenig“ Einfluss auf die Debatte oder gar die Wirtschaft seines eigenen Landes habe dagegen US-Präsident Donald Trump, der vom Klimawandel bisher nichts wissen will: „Die amerikanische Wirtschaft handelt da sehr pragmatisch, denn viele neue Technologien, gerade im Bereich der erneuerbaren Energien, versprechen ökonomische Vorteile“, diagnostiziert Rauch.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Rauch, die Munich Re ist der größte Rückversicherer der Welt, kennt sich also mit Katastrophen aller Art aus. Wie hat sich der Faktor Klimawandel für Ihren Konzern in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt?
Wir waren in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts sicher eines der ersten Unternehmen, das den Klimawandel als Ursache für wachsende Schäden thematisiert hat. Damals gab’s ja noch viel weniger Daten, insofern folgte unser Interesse anfangs eher einem Bauchgefühl, dass sich da etwas verschiebt. Andererseits waren wir immer ein wissensgetriebenes Unternehmen.

Mit wie vielen Fachleuten fingen Sie an?
Wir starteten mit vier Mitarbeitern für den Bereich Naturgefahren, davon war einer Meteorologe. Heute arbeiten dort im weiteren Sinne konzernweit rund 30 Kollegen, die weltumspannend Wetterphänomene beobachten und analysieren, einschließlich Klimaforschung.

Ist mit dem Thema auch Ihre berufliche Bedeutung gewachsen?
Meine Erfahrung aus über 30 Jahren hier: Man hat uns von Anfang an und mit wachsendem Interesse nicht nur intern zugehört. Wir werden auch andernorts als Experten weit über den Finanzsektor hinaus wahr- und ernst genommen. Es ist ja überdies längst unbestritten, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel einen entscheidenden Einfluss hat und dass er sich negativ auf Wettergeschehnisse auswirkt und zu steigenden Schäden beiträgt.

Schauen Sie sich nur die direkten Kosten an oder auch indirekte wie etwa wachsende Flüchtlingszahlen?
Wir beobachten vor allem Faktoren, die sich auf die Versicherung auswirken. Dazu gehören zwar auch manche indirekt entstehenden Schäden wie etwa Produktionsunterbrechungen. Aber natürlich nicht die Folgekosten einer Flüchtlingsbewegung. Das sind gesamtgesellschaftliche Fragen, an die man kein Preisschild mehr hängen kann.

Apropos Geld: Das Jahr 2017 brachte mit 340 Milliarden Dollar die bislang größte weltweit gemessene Schadenssumme durch Naturkatastrophen. Wie wird es weitergehen?
Der Trend ist eindeutig: Es wird, trotz gelegentlicher Ausschläge nach unten, teurer werden.

Laut Ihrem jüngsten Halbjahresbericht ging die Zahl der wetterbedingten Katastrophen zuletzt eher zurück. Nur ein saisonaler Zufall?
Richtig. Es fielen Schäden von 42 Milliarden Dollar an, von denen nur rund 15 Milliarden versichert waren, also etwa ein Drittel. Man muss das aber langfristiger sehen als nur für ein Halbjahr oder Jahr. Und unabhängig vom Klimawandel können wir jetzt schon sicher sagen: Im zweiten Halbjahr drohen die immer wiederkehrenden tropischen Wirbelstürme, die in der Regel weit höhere Schäden verursachen.

Was bedeutet es eigentlich, wenn ausgerechnet der amtierende US-Präsident den Klimawandel noch nicht wahrhaben will?
Erstaunlich wenig. Die amerikanische Wirtschaft handelt da sehr pragmatisch, denn viele neue Technologien, gerade im Bereich der erneuerbaren Energien, versprechen ökonomische Vorteile. Vor zwei Jahren, kurz nach der Präsidentenwahl, war ich in den USA mit einer Delegation unterwegs. Unser Fazit: Der amerikanische Ausstieg aus dem Paris-Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgase hatte keinerlei erkennbare Auswirkungen auf Forschung, Entwicklung und die Industrie der USA.

Wir wollen den Klimawandel nicht leugnen, aber Munich Re und andere Rückversicherer haben auch ein Eigeninteresse daran, das Thema zu setzen, oder? Nur so erhöhen Sie die Zahl der Versicherten – und damit den Umsatz.
Das ist nur eine Seite der Medaille. Einerseits ist der nichtversicherte Anteil der Klimaschäden – das heißt für die gesamte Branche – in den vergangenen Jahren tatsächlich immer kleiner geworden …

... das Geschäft der Munich Re läuft also …
… während wir andererseits aber auch wissen: Es kann auf Sicht von zwanzig Jahren oder mehr passieren, dass wir in eine Ära der Nicht-Versicherbarkeit geraten.

Wie meinen Sie das?
Steigende Risiken bedeuten steigende Preise, sonst kann der Versicherer das Risiko auf Dauer nicht tragen. Dann kann es zum Beispiel sein, dass sich Hausbesitzer den Sturm- und Hagelschutz gar nicht mehr leisten können. In Florida etwa, mit seinem hohen Hurrikan-Risiko, geraten manche Hausbesitzer schon heute allmählich an Grenzen. Das wiederum kann am Ende auch nicht mehr in unserem Interesse sein.

Besonders hart trifft der Klimawandel bislang Entwicklungs- und Schwellenländer. Ihre Branche arbeitet an Lösungen, etwa Ernteversicherungen. Ist das Wohltätigkeit oder ein Geschäftsmodell?
Beides hilft ja. Und diese Länder brauchen dringend Antworten auf die Entwicklung – aus humanitären und ökonomischen Gründen. Sie sind einfach am verletzlichsten. Große Naturkatastrophen wie zuletzt die Wirbelstürme über Mosambik bedeuten dramatische Schocks für die jeweilige Volkswirtschaft. Da kann bei der Prävention die UN unterstützen, aber auch etliche Public-private-Partnerships machen Mut.

Gibt es Weltregionen, die man schon heute verloren geben muss?
Nein, das würde ich auch nie machen – schon aus humanitär-ethischen, aber auch aus sachlichen Gründen. In den meisten Fällen sind die erforderlichen Maßnahmen ohnehin gar nicht so gigantisch, wie Sie vielleicht fürchten. Man muss zum Beispiel nicht ganz Bangladesch mit einer zehn Meter hohen Mauer vor Sturmfluten sichern. Dort hat sich gezeigt, dass einfache Schutzräume auf Stelzen bereits sehr viel helfen. Die Opferzahlen sind dadurch schon rapide zurückgegangen.


„Die Emissionen steigen immer noch“

In der öffentlichen Wahrnehmung lief das Thema Klimawandel lange so nebenbei. Was hat sich verändert?
Seit dem Pariser Klimagipfel eine Menge. Bis dahin war es eher ein Expertenthema. Dann wurde auch allmählich klar, dass Deutschland gar nicht so gut dasteht beim Klimaschutz, wie man lange dachte. Plötzlich drohten ja substanzielle Strafzahlungen, wenn wir auf europäischer Ebene unseren Verpflichtungen zur Reduzierung der Emissionen nicht nachkommen.

Es ist neun Jahre her, dass sich die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung erstmals selbst Klimaschutzziele verordnet hat. Warum ist daraus so wenig geworden?
Es ist im politischen Prozess und durch die Instanzen nicht einfach, die – richtigen – Ziele mit konkreten Maßnahmen zu hinterlegen. Das ist eine der großen Herausforderungen, die auch in der Privatwirtschaft oft nicht ausreichend bewältigt werden. Und so verblassten dann auch die hiesigen Debatten leider wieder ein Stück weit.

Bis Greta Thunberg kam.
Man muss ehrlich zugestehen: Diese Bewegung hat international tatsächlich ein neues Bewusstsein geschaffen.

Haben Sie Kinder, mit denen Sie das gerade selbst diskutieren?
Unsere Tochter ist 18, hat gerade Abitur gemacht und mir eines beigebracht: Die Tatsache, dass die „Fridays for Future“-Anhänger für Klimaziele freitags die Schule zum Demonstrieren schwänzen, kann ich in der Sache für völlig falsch halten. Dennoch muss ich zugeben: Über diesen Umweg hitziger Schulpflichtdebatten wird das Thema Klimawandel doch breit diskutiert. Und darum geht’s. Die gleichen Proteste am Samstagvormittag wären vermutlich schnell verpufft. Und man muss ja sehen: Hier geht’s wirklich um die Zukunft unserer Kinder.

Mittlerweile hat man fast schon wieder den Eindruck, dass die Klimadebatte alles andere überlagert. Bringt es überhaupt was, jetzt zum Beispiel das Fliegen zu ächten?
Letztlich kommt es auf den Hebel an. Neulich las ich in einem Magazin 100 Tipps, was jeder von uns fürs Klima tun kann, bis hin zum Hinweis, dass man den Föhn auf „kalt“ statt „heiß“ stellen soll. Dahinter verschwinden die wirklich relevanten Ansätze, die eine völlig andere Dimension haben.

Was empfehlen Sie uns Bürgern?
Dass sie die Politik bei allen Maßnahmen unterstützen, die neue Technologien zur Reduzierung von Treibhausgasen und gegebenenfalls auch Regulierung fördern. Das bringt viel mehr, als sich für Flugreisen zu schämen. Der Anteil des privaten Flugverkehrs ist in der Gesamtrechnung bei Weitem nicht an erster Stelle.

Ihr Vorstandschef Joachim Wenning hat jüngst gefordert, den CO2-Ausstoß höher zu bepreisen – durch Steuern oder Zertifikate. Auch dieser Schritt ist ja umstritten. Kann man so das Klima retten?
Damit allein sicher nicht, aber es wäre ein wichtiger und richtiger Schritt. Ein CO2-Preis wäre ökonomisch der bevorzugte Weg, in Richtung alternativer Energien zu gehen. Sie müssen sehen: Dieses Jahr findet die 25. Weltklimakonferenz statt. 21 Jahre hat es allein bis zu den Ergebnissen von Paris gedauert. Die konkreten Fortschritte waren bis dahin zu gering. Die Emissionen steigen immer noch weiter.

Mittlerweile versucht sogar Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder, die Grünen ökologisch zu überholen. Ist das hilfreich?
Es ist etwas in Bewegung, und jeder sollte seinen Beitrag leisten, aber ein Bundesland kann die vielen offenen Fragen nicht allein lösen, auch nicht Deutschland allein. Der Klimawandel ist ein globales Thema und muss auch von der Weltgemeinschaft angegangen werden.

Macht denn wenigstens Europa Ernst?
Auch Brüssel war, was Maßnahmen gegen den Klimawandel angeht, zuletzt nicht mehr führend. Da tun andere Länder wie Australien oder Neuseeland deutlich mehr.

Wie sucht denn Ihr eigener Konzern nach Lösungen?
Wir starten gedanklich beim Ziel, und das lautet, 2050 CO2-Neutralität erreicht zu haben. Dann gehen wir zurück, um die Punkte zu definieren, die sich verändern müssen. Da ist durchaus Radikalität gefragt.

Inwiefern?
Um mal bei dem Beispiel zu bleiben: Wenn Sie 2050 noch fliegen wollen, werden elektrische Flugzeuge nicht die Antwort sein können, weil wir da an physikalische Grenzen stoßen. Also brauchen wir völlig neue, treibhausgasneutrale Antriebsarten und Energielieferanten. Kerosin kann man übrigens bereits heute in geschlossenen CO2-Kreisläufen herstellen. Oder die Frage: Wie heizen wir unsere Häuser in 30 Jahren? Erdöl und Erdgas werden da keine Antworten mehr liefern. Dieses Bewusstsein muss bei den Bürgern ankommen. Es geht immer um Technologie, nicht um Verzicht.

Was ist sinnvoller: den Klimawandel noch bekämpfen zu wollen oder sich seinen Folgen anzupassen?
Die Frage stellt sich gar nicht mehr, weil wir uns da schon zu tief reinmanövriert haben als Menschheit. Wir müssen also beides tun: Treibhausgase verringern und uns dennoch auf den Wandel einstellen. Und zwar nicht in zehn Jahren, sondern jetzt. Heute. Anpassung geht dabei einfacher und schneller. Dies findet ja auch schon längst statt, etwa mit Maßnahmen zum Hochwasserschutz.

Wer ist schlimmer rund um den Klimawandel: seine Leugner und Beschwichtiger – oder die Untergangspropheten?
Beide Seiten sind kontraproduktiv. Die Welt wird es ja auch in 50 Jahren noch geben. Wenn wir jetzt nichts tun, wird nur die Zahl der Spannungen, Konflikte und Naturkatastrophen zunehmen. Wer die Erde für eine Scheibe hält, wird sich durch keine Fakten vom Gegenteil überzeugen lassen.

Herr Rauch, vielen Dank für das Interview.