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Tage der Unsicherheit bei Zalando: Hinter den Kulissen des größten Stellenabbaus beim Dax-Konzern

Hunderte Angestellte könnten ihre Jobs bei dem Dax-Konzern verlieren, hieß es in einer internen Mitteilung von Zalando vom Dienstag. - Copyright: Getty Images
Hunderte Angestellte könnten ihre Jobs bei dem Dax-Konzern verlieren, hieß es in einer internen Mitteilung von Zalando vom Dienstag. - Copyright: Getty Images

Am Dienstagmorgen erlebten Robert Gentz und David Schneider ihre wohl dunkelsten Stunden. Kurz nach 11 Uhr eröffneten die beiden ihrer Belegschaft in einer Mitteilung den größten Kahlschlag seit der Gründung von Zalando. Hunderte Stellen sollen abgebaut werden. Die Gründer Gentz und Schneider übernehmen in einem Brief an ihre Mitarbeiter dafür die Verantwortung: „This is on us“, schreiben sie.

Sie nennen viele Gründe für den Stellenabbau: die Unbeweglichkeit, die durch den aufgeblähten und komplexen Mittelbau im Konzern entstanden sei. Oder die „makroökonomische Lage“, den Krieg in der Ukraine also, oder die Inflation, die das Konsumverhalten der Kunden und Lieferketten beeinflussten.

In der Belegschaft geht nun die Angst um, berichten zahlreiche Zalando-Insider. Wie viele Stellen werden gestrichen? Welche Bereiche werden besonders betroffen sein? Wird es das Marketing sein, das vielen überbesetzt vorkommt? Die Produktabteilung? Wird es faire Abfindungen geben? Einen soliden Sozialplan?

Betriebsrat wurde wenige Stunden vor Verkündung des Stellenabbaus informiert

Nach Informationen von Business Insider gibt es auf diese Fragen offenbar noch keine Antworten. Der Betriebsrat von Zalando wurde rund 24 Stunden vor Bekanntgabe über den Kahlschlag informiert. Die Vertreter wurden nicht in die Entscheidung oder in die Evaluation der Lage eingebunden. Andere Mitarbeitergremien wurden teils erst zwei Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe informiert.

Gentz und Schneider sind dafür persönlich vor den Mitarbeitervertretungen erschienen. Dabei soll eine emotionale Atmosphäre geherrscht haben, als die Gründer den Stellenabbau verkündeten. „This is our last resort“, „Das ist unser letzter Ausweg“, sollen die beiden nach Informationen von Business Insider gesagt haben. Wie viele Menschen entlassen werden sollen und in welchem Zeitraum, haben die beiden Gründer auch in diesen internen Runden nicht gesagt.

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Die Mitarbeitergremien tappen im Dunkeln. Gewichtige Vertreter wollen nun in den nächsten Tagen wissen, welche Stellen genau gestrichen werden sollen – und ob auch wirklich das Top-Management betroffen sein wird. Etwa die Level SC1 bis SC3, die sechsstellige Gehälter verdienen, Dutzende Mitarbeiter führen und Millionenbudgets verwalten. Sie wollen wissen, ob auch Vice Presidents (VP) und Senior Vice Presidents (SVP) werden gehen müssen.

Der Abgang von Ritter hinterließ eine große Lücke

Die Misere der deutschen Erfolgsstory Zalando begann bereits im vergangenen Jahr. Im ersten Quartal ist der Umsatz um 1,5 Prozent eingebrochen, der Konzern rutschte in die roten Zahlen mit minus 68 Millionen Euro unterm Strich. Die Marktkapitalisierung fiel von 26,35 Milliarden Euro im Juli 2021 auf 9,4 Milliarden Ende Mai 2022. Lag die Aktie 2021 noch bei knapp 100 Euro, ist sie im vergangenen Jahr auf rund 25 Euro abgestürzt. Mittlerweile ist sie zwar wieder auf aktuell rund 39 Euro erholt, das ist aber immer noch weniger als die Hälfte des Wertes aus dem Jahr 2021. Top-Manager berichten, dass es im vergangenen Jahr deswegen zahlreiche Budget-Freezes gab bei Zalando.

Die Führungskräfte berichten uns, dass der Abgang von CEO Rubin Ritter eine große Lücke hinterlassen haben soll, in die Vorstand Jim Freeman gerückt ist. Freeman galt vielen im Konzern nach Ritters Abgang als eine Art Schatten-CEO, berichten die Top-Manager übereinstimmend. Der Amerikaner hat zuvor viele Jahre bei Amazon gearbeitet und versuchte, Management-Methoden des US-Konzerns bei Zalando einzuführen. Viele Mitarbeiter berichten, dass Freeman damit die von den Gründern bemängelte Komplexität verstärkt hätte. Einige halten dagegen und sagen, dass Freeman endlich Strukturen geschaffen hätte.

Methode Amazon: Six-Pager, Imagefilme, Komitees

Da gibt es etwa die Methode "Six-Pager". Manager waren angehalten, Projekte und Ideen auf sechs Seiten festzuhalten, mit Daten anzufüttern und bei Google Docs zu teilen. Dabei sollten andere Manager Feedback und Verbesserungsvorschläge geben, die dann vom Vorschlagenden eingearbeitet werden sollten in die Idee. Insider berichten übereinstimmend, dass dies wenig produktiv gewesen sei, es habe eine große Lust am Verriss dieser sechsseitigen Vorschläge gegeben. Auch die Einarbeitung der Kritik in die Ideen sei ein „Zeitfresser“ gewesen. Die Six-Pager stammen von Amazon, sollen aber schon vor Freemans Ära bei Zalando von einem anderen ehemaligen Manager des US-Konzerns eingeführt worden sein.

Für Pitches zu etwas größeren Projekten sollten auch fiktive Pressemitteilungen geschrieben werden – wie ein gegebenes Projekt womöglich der Öffentlichkeit verkündet würde. Mitarbeiter sollten für noch umfangreichere Projekte bis zu fünfminütige Imagefilme abliefern, in denen der Kern des Vorhabens dargestellt werden sollte. Die Filme sollten mit Stock-Fotos, Mock-ups und Grafiken angereichert werden. Auch hier vergeben Mitarbeiter übereinstimmend das Prädikat „Zeitfresser“.

Um das Budget unter Kontrolle zu behalten, soll Freeman in einigen Abteilungen die Weisung ausgegeben haben, dass die Mandatierung von Freelancern über seinen Schreibtisch laufen müsse. Ziel sei gewesen, das kostenintensive Engagement von Externen unter Kontrolle zu halten. Mitarbeiter berichten, dass sie dies als penibles Mikromanagement des Schatten-CEOs empfanden, auch als ein unangenehmes Kontrollsystem.

Eine Zalando-Sprecherin bestätigt uns dies auf Anfrage: "Im vergangenen Jahr wurden unternehmensweit Maßnahmen initiiert, die darauf abzielten, das Bewusstsein für Sparsamkeit zu schärfen und die Verantwortung für die uns entstehenden Kosten zu übernehmen: Dazu gehörte die Genehmigung von Kosten durch externe Dienstleister und Freiberufler*innen durch eine*n der Vorständ*innen. Die Notwendigkeit für einen bewussten Umgang mit Ausgaben ist unverändert und ein gelebter Bestandteil unserer täglichen Entscheidungsfindung, sodass diese zusätzliche Freigabe mittlerweile nicht mehr erforderlich ist."

Wer befördert werden will, muss bei Zalando vor ein Komitee

Einige Mitarbeiter bemängeln auch hierarchische Kommunikations- und Entscheidungswege beim Moderiesen. In einigen Unternehmensbereichen sollen leitende Angestellte Entscheidungen mit dem Level unter sich kommuniziert haben, dieses Level gab die Entscheidungen dann an die nächste niedrigere Hierarchiestufe weiter – so soll die Kommunikation die Hierarchiestufen herabgetropft sein.

Zalando hält auf Anfrage dagegen. Beim Unternehmen gebe es nicht firmenübergreifend das eine “Top-Down”-System, das vorgibt, wie Dinge zu tun sind oder wie Informationen kommuniziert werden sollten, sagt die Sprecherin. "Generell tauschen wir uns mit unseren Teams und Mitarbeiter*innen regelmäßig in einer Vielzahl von Formaten aus, wie z.B. regelmäßige All-Hands mit Q&As, Team- und Einzelgespräche, dem Intranet, Chats und E-Mails, etc.".

Die Beförderung von Mitarbeitern im gehobenen Management müssen von ihren Vorgesetzten vor einem mehrköpfigen Komitee vorgeschlagen und verteidigt werden. Wenn nicht mindestens die Hälfte des Gremiums grünes Licht gibt, geht die Entscheidung nicht durch. Mitarbeiter berichten, dass all diese Maßnahmen zusammen die Komplexität ausmachen, die die Geschäftsführung nun offenbar abbauen will.

Eine Konzern-Sprecherin bestätigt die Schilderungen zu dem Beförderungsprozess. Bei leitenden Positionen würden Führungskräfte mögliche Beförderungen ihrer Teammitglieder in speziellen Ausschüssen präsentieren, in denen sie "auf faire und transparente Weise" diskutiert würden. "Unter der Leitung unserer Abteilung für Personal und Organisation gleicht der/die Leiter*in und das Komitee die Leistungen der Kandidat*innen mit den Erwartungen an die Stelle und mit anderen potenziellen Beförderungen innerhalb der jeweiligen Jobfamilie (z.B. Marketing, Produktmanagement usw.) ab. Die Entscheidungen werden nach dem Mehrheitsprinzip getroffen", sagt die Sprecherin.