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Türkischer Tourismusminister: „Die türkischen Ferienregionen zählen zu den Orten mit den geringsten Infektionsraten“

Die Türkei kämpft um deutsche Urlauber. Die Corona-Infektionszahlen in Antalya tendieren gegen Null. Überzeugt werden müssen aber nicht die Touristen – sondern die Politiker.

Die Bundesregierung hat die Türkei noch als Risikogebiet für Touristen eingestuft. Foto: dpa
Die Bundesregierung hat die Türkei noch als Risikogebiet für Touristen eingestuft. Foto: dpa

Die türkische Regierung versucht im Kampf um die Aufhebung einer Reisewarnung mehrerer europäischer Länder einen diplomatischen Drahtseilakt. Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy vermeidet im Gespräch mit dem Handelsblatt eine direkte Aufforderung an die Bundesregierung, die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes aufzuheben, bestätigt aber Verhandlungen zwischen beiden Regierungen. „Es finden Gespräche auf Ministerebene statt.“

Die Reisewarnung der Bundesregierung für die Türkei gilt aktuell bis mindestens 31. August und birgt politischen Sprengstoff. Die Türkei fordert eine Aufhebung der Warnung, Deutschland fordert nach Informationen des Handelsblatts politische Zugeständnisse. Die Frage, ob Deutsche ihren Urlaub antreten können, ist längst zum Politikum geworden. Gleichzeitig droht türkischen Hoteliers, aber auch deutschen Reisebüros die Insolvenz.

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Ersoy weist darauf hin, dass es keinen Anlass gibt, die Reisewarnung für türkische Ferienregionen aufrecht zu erhalten. „Wenn Sie sich die regionalen Zahlen anschauen, dann wird offensichtlich, dass die türkischen Ferienregionen zu den Orten mit den geringsten Infektionsraten zählen.“

Eine Prognose, wie viele Touristen dieses Jahr kommen, wagt der Minister nicht. „Der Flugverkehr hat gerade erst begonnen. Wir werden erst in der zweiten Jahreshälfte in der Lage sein, eine Prognose abzugeben.“ Im vergangenen Jahr kamen 45 Millionen Touristen in die Türkei, über fünf Millionen alleine aus Deutschland.

Merkel verlangte regionale Veröffentlichungen

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu erklärt im Pressegespräch, dass die Türkei jetzt auch die Infektionszahlen auf regionaler Basis veröffentlicht. „Das haben wir auf Wunsch von Bundeskanzlerin Merkel nach einem Gespräch mit Präsident Erdogan gemacht“, sagt Cavusoglu.

Die Infektionszahlen in den Touristenhochburgen sind in der Tat äußerst niedrig. Seit Anfang Juni hatte Antalya maximal acht neue Fälle pro Tag verzeichnet. Vier Fälle werden derzeit intensivmedizinisch behandelt, eine infizierte Person muss der Statistik zufolge beatmet werden.

In der Provinz Mugla, wozu die Orte Fethiye, Marmaris und Bodrum gehören, liegt dieser Wert derzeit bei Null. Insgesamt hat alleine die Region Antalya eine Kapazität von 7483 Betten und 848 Beatmungsgeräten, wie das Regionalbüro des Gesundheitsministeriums bestätigt.

Unterdessen verlieren die Chefs der großen Resorts im Süden des Landes jeden Tag Geld. Der Strand eines De-Luxe-Hotels im Ferienort Lara nahe Antalya ist auch am Nachmittag größtenteils unberührt. Hunderte Mitarbeiter bereiten Essen zu, säubern die Hotelanlage regelmäßig auch mit Desinfektionsmitteln, und kümmern sich um Reparaturen. Das kostet Geld.

Gleichzeitig sind nur 17 der rund 400 Zimmer belegt. Andere Hotels sind komplett geschlossen. Derzeit nehmen türkische Ämter keine Insolvenzanträge an. Wie viele türkische Hoteliers die derzeitige Flaute wirtschaftlich überleben werden, ist unbekannt.

Der Druck auf Ersoy und Cavusoglu ist groß, auch das Präsidialamt in Ankara fordert bald Ergebnisse. Präsident Erdogan hatte in der Sache bereits mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert. Jetzt liegt es an den Ministern, die Entscheidungsträger zu überzeugen. Dazu haben sie Journalisten und Diplomaten aus Europa nach Antalya eingeladen. Schon am Flughafen bekommen alle gezeigt, dass auf „Social Distancing“ und Hygiene großen Wert gelegt wird.

Gesundheit, Wohlbefinden, Politik

Die Regierung hat ein spezielles Zertifizierungsprogramm für Hotels und andere touristische Einrichtungen eingerichtet, das über 130 Maßnahmen umfasst. Dazu zählen das regelmäßige Überprüfen der Körpertemperatur, auch mit Wärmebildkameras direkt am Hoteleingang. Außerdem sind überall Spender mit Desinfektionsmittel aufgestellt, Aufkleber auf dem Boden des Flughafens und in Hotels weisen auf die Distanzregeln hin. Einwegmasken werden im Flugzeug, in Reisebussen sowie in Hotels umsonst verteilt, ebenso wie Desinfektionsmittel. Überprüft wird das Programm vom TÜV Süd.

Neben Gesundheit und Wohlbefinden geht es um mehr: Politik. Es knirscht in den Beziehungen zwischen Ankara und den meisten europäischen Regierungen, allen voran Deutschland und Frankreich. Die vorgestellten Maßnahmen sind nicht nur an potenzielle Türkeitouristen gerichtet, sondern auch an die Oberen in den europäischen Hauptstädten.

Die Frage nach der Reisewarnung für die Türkei hat sich längst mit anderen politischen Streitthemen vermischt. Unter anderem die Bundesregierung kritisiert scharf die harten Maßnahmen infolge des gescheiterten Putschversuches vor knapp vier Jahren. Für die Türkei ist die Kritik wiederum Anlass zu hinterfragen, ob Europa genügend Solidarität mit den Opfern des Umsturzversuches empfindet.

Beim Flüchtlingspakt läuft ebenfalls nicht alles rund. Die EU-Mitglieder haben erst gut die Hälfte der versprochenen sechs Milliarden Euro tatsächlich überwiesen. Ankara öffnete Anfang März unilateral die Grenze zu Griechenland für Migranten und Flüchtlinge, nachdem bei einem Angriff in Syrien über 30 türkische Soldaten ums Leben gekommen waren. Das Ergebnis waren hässliche Szenen am griechisch-türkischen Grenzzaun.

Im östlichen Mittelmeer liegen Athen und Ankara ebenfalls über Kreuz, was Souveränitätsrechte in Verbindung mit Testbohrungen für Erdgas angeht. Aus diplomatischen Kreisen hat das Handelsblatt erfahren, dass Griechenland viele Türkei-Initiativen in EU-Gremien blockiert.

Vertrauen ist schon lange keine Konstante mehr im türkisch-europäischen Verhältnis. Stattdessen dominieren Misstrauen und die Prämisse, es der anderen Seite nicht allzu leicht zu machen. In dieser Gemengelage während einer Pandemie Millionen Urlaubern die Einreise in die Türkei zu empfehlen, erscheint aus Sicht der Europäer utopisch.

Ein deutsches Ehepaar hat sich indes am Strand des Luxushotels eingefunden. Sie wollen ihre Namen nicht nennen, machen aus ihrer Freude aber keinen Hehl. „Wann machen Sie im Sommer schon einmal Urlaub in einem Fünf-Sterne-Hotel und haben fast den gesamten Strand für sich“, sagt die Gattin. Der Flug habe ihr nichts ausgemacht, seit ihrer Ankunft fühle sie sich wohl. „Ich verstehe nicht, warum wir hier nicht hinsollten.“