Was die Suche nach einem Corona-Impfstoff so schwierig macht
Die Pharmabranche arbeitet mit großen Ambitionen und hohen Investitionen an Impfstoffen gegen Covid-19. Doch die Projekte bergen viele Unsicherheiten.
Alle Welt wartet händeringend auf Impfstoffe gegen Covid-19. Doch während Unternehmen bereits Milliarden investieren und Politiker um den Zugriff auf potenzielle Impfstoffe streiten, ist bislang noch völlig offen, ob und welche dieser Vakzine wirklich das Rennen machen.
Nach Angaben der WHO arbeiten Unternehmen und Forschungsinstitute weltweit inzwischen an 124 Impfstoffprojekten. Doch die allermeisten dieser Projekte befinden sich noch in einem frühen Stadium. Nur zehn Kandidaten befinden sich inzwischen in klinischen Prüfungen. Das heißt, sie werden an Menschen getestet. Handfeste klinische Ergebnisse sind weiter Mangelware. Und dort, wo inzwischen erste Daten vorliegen, sorgen sie noch für erhebliche Unsicherheit.
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Das zeigen etwa die ersten Informationen, mit denen die Biotechfirmen Moderna und Cansino Biologics in den vergangenen Tagen aufwarteten. Die beiden Unternehmen betreiben die am weitesten vorangeschrittenen Impfstoff-Projekte im Bereich Covid-19.
Moderna sorgte Anfang der vergangenen Woche für Aufsehen mit ersten Daten für acht von insgesamt 45 Patienten, die in Kooperation mit dem amerikanischen Nationalen Institut für Infektionskrankheiten (NIAID) veröffentlicht wurden. Die Testpersonen verzeichneten nach Angaben des US-Unternehmens durchweg eine Immunreaktion in mindestens ähnlichem Umfang wie Personen, die mit dem Coronavirus infiziert waren.
Die Meldung sorgte anfänglich für Euphorie und starke Kursgewinne. Doch die haben sich inzwischen wieder komplett aufgelöst, nachdem Impfstoffexperten im Fachmagazin Statnews einige Skepsis gegenüber den Daten von Moderna äußerten. Die Aussagekraft der Resultate gilt als sehr begrenzt, da es sich um sehr frühe Daten von nur wenigen Testpersonen handelt und zudem bisher kaum weitere Details – etwa zu Antikörper-Konzentrationen, dem Alter der Probanden und den Vergleichsparametern – publiziert wurden.
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Für gewisse Verstimmung sorgte zudem die Tatsache, dass Moderna den anfänglichen Kurssprung umgehend nutzte, um mal eben für mehr als 1,3 Milliarden Dollar neue Aktien am Markt zu platzieren.
Immerhin erhielt das US-Biotechunternehmen am Wochenende Unterstützung von NIAID-Direktor Anthony Fauci. Er sei „vorsichtig optimistisch“ mit Blick auf den Impfstoffkandidaten von Moderna, sagte Fauci gegenüber dem US-Fernsehsender CNN. „Auch wenn die Zahlen begrenzt sind, stellen sie eine positive Nachricht dar, weil eine wichtige Hürde in der Impfstoff-Entwicklung genommen wurde.“
Moderna hat bereits die Genehmigung für eine größere Phase-II-Studie erhalten und will im Juli zudem eine noch umfassendere Phase-III-Studie für seinen Impfstoffkandidaten mRNA-1273 starten. Dabei handelt es sich um einen Impfstoff auf Basis von Botennukleinsäuren (mRNA), einer bisher noch unerprobten Technologie, die aber theoretisch eine besonders schnelle Entwicklung und einfachere Produktion von Medikamenten und Impfstoffen verspricht.
Mit derselben Technologie arbeiten auch die deutschen Biotechunternehmen Biontech und Curevac an potenziellen Covid-19-Impfstoffen. Biontech startete dabei in Zusammenarbeit mit dem US-Partner Pfizer erste klinische Versuche im April und geht davon aus, dass man Ende Juni oder Anfang Juli Daten aus dieser Studie vorlegen kann.
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Curevac will im Frühsommer mit klinischen Versuchen starten und befindet sich offenbar auf Kurs, diese Planung einzuhalten. Man rechne damit, in den nächsten Wochen die Genehmigung für weitere klinische mit möglichen Covid-19-Impfstoffen erteilen zu können, sagte der Präsident des zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Klaus Cichutek, in einer Sendung des Fernsehsenders ntv am Dienstagmorgen.
Neben den Kandidaten von Biontech und Curevac zählt Cichutek auch ein Projekt des deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) zu den Kandidaten, für die noch im laufenden Jahr klinische Versuche anlaufen könnten. Der DZIF-Impfstoffkandidat wurde aus einem Vakzin abgeleitet, das ursprünglich gegen das Mers-Coronavirus entwickelt worden war.
Vektor-Impfstoff mit Fragezeichen
Bereits weiter vorangeschritten als diese Projekte ist ein experimenteller Impfstoff, den die chinesische Biotechfirma Cansino Biologics in Kooperation mit dem Bejing Institute of Biotechnology entwickelt. Wissenschaftler des Unternehmens publizierten am Wochenende erste Daten von insgesamt 108 Patienten, die im Rahmen einer Phase-I-Studie mit dem Vakzin behandelt wurden. Auch sie zeichnen ein zuversichtliches Bild, das aber noch von erheblichen Unsicherheiten geprägt ist.
Der Impfstoff sei gut verträglich und zeige 28 Tage nach Impfung bei den meisten Teilnehmern klar immunogene Wirkung in Gestalt von Antikörpern und einer zellulären Immunantwort, heißt es. Es lohne daher, das Projekt weiterzuverfolgen. Zusätzliche Daten soll eine bereits laufende Phase-II-Studie liefern. Die bisherigen klinischen Daten lieferten zugleich aber auch Hinweise auf die entscheidenden Herausforderungen für dieses Projekt.
Denn bei dem Produkt von Cansino handelt es sich nicht um einen mRNA-Impfstoff, sondern um einen sogenannten Vektor-Impfstoff. In diesem Fall nutzen die Forscher ein modifiziertes und nicht vermehrungsfähiges Adenovirus vom Typ 5 (Ad5), in das die Gensequenz für das Spike-Protein des Coronavirus eingebaut wurde. Ziel ist es, auf diese Weise die Immunabwehr auch gegen das Coronavirus zu aktivieren.
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Eines der Probleme besteht indes drin, dass Adenoviren zwar in der Regel harmlos sind, aber auch keine Unbekannten. Viele Menschen hatten schon Berührung mit dieser Art Viren und daher eine gewisse Immunität gegen sie entwickelt. Das wiederum könnte ihre Funktion als Impfvehikel beeinträchtigen.
„Unsere Studie zeigte, dass eine bereits existierende AD5-Immunität einen negativen Effekt auf die Beständigkeit der Impfreaktion haben könnte“, schreiben die Autoren. Zudem verweisen sie auf den Verdacht, dass Adeno-5-Viren durch eine spezielle Aktivierung von humanen T-Zellen unter Umständen die Immunschwächekrankheit HIV auslösen können. Auch wenn diese Vermutung umstritten sei, müsse man die Frage bei weiteren Studien genau im Auge behalten.
Einen weiteren Vektor-Impfstoff gegen das Coronavirus hat die britische Universität Oxford in Kooperation mit dem Pharmakonzern Astra-Zeneca in die klinischen Tests gebracht. Bei dem Produktkandidaten ChAdOx1 handelt es sich ebenfalls um einen modifizierten Adenovirus, wenn auch um einen anderen Subtyp, den die Forscher bereits für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Mers nutzten.
Die Universität hat den Impfstoff in einer ersten Phase an rund 1000 Probanden getestet und vor wenigen Tagen bereits damit begonnen, Patienten für eine zweite Testphase mit rund 10.000 Teilnehmern zu rekrutieren. Bisher wurden für das Produkt aber nur Resultate aus Tierversuchen publiziert, die positiv ausgefallen waren.
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Ebenso wie bei den Projekten von Cansino und Oxford wird auch bei dem Kandidaten des DIZF ein viraler Vektor eingesetzt, in den Proteine des neuen Sars-Coronavirus eingebaut wurden. Im Gegensatz zu den chinesischen Impfstoff-Entwicklern nutzen die DIZF-Forscher dabei allerdings ein modifiziertes Vacciniavirus Ankara, das sich unter anderem bereits bei Pockenimpfungen bewährt hatte.
Klinische Versuche sind laut WHO darüber hinaus für vier Impfstoffkandidaten aus abgetöteten Coronaviren sowie für jeweils ein Vakzin auf Basis von Proteinen und DNA angelaufen. Aber auch für diese Projekte liegen konkrete Daten aus den ersten Testreihen bisher noch nicht vor.