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Steuerskandal Cum-Ex: Hauptangeklagter meldet sich krank

Im Oktober soll am Landgericht Wiesbaden der nächste Strafprozess in Sachen Cum-Ex beginnen. Wie es aussieht, wird der Hauptdarsteller fehlen.

Steueranwalt Hanno Berger hat einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens gestellt. Foto: dpa
Steueranwalt Hanno Berger hat einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens gestellt. Foto: dpa

Hanno Berger ist unschuldig, daran ließ er seit der Razzia in seiner Kanzlei 2012 nie einen Zweifel. „Blanken Unsinn“ nannte der Steueranwalt die Vorwürfe derjenigen, die ihn der Steuerhinterziehung bezichtigten. Die Behauptung, er habe den Staat im Steuerskandal Cum-Ex um Millionen betrogen, sei eine „bösartige, dümmliche Hetze“. Selbst Menschen mit einer mittelmäßigen Intelligenz müssten verstehen, dass es sich bei seinem angeblichen Vergehen um ein „Wahndelikt“ handele.

Wer Berger über die Jahre zuhörte, bekam den Eindruck, er brenne geradezu auf den Tag, an dem er all dies in einem öffentlichen Gerichtssaal richtigstellen dürfe. Dem Handelsblatt sagte Berger im Mai 2017: „Ich bin ein Mann des Rechts.“

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Ein Jahr später klang dies etwas anders. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hatte die Anklageschrift gegen Berger fertiggeschrieben. Auf 948 Seiten warfen die Ermittler ihm Beihilfe zur schweren Steuerhinterziehung vor, mit einem Schaden von 120 Millionen Euro. Würde sich Hanno Berger stellen?

Das sei unnötig, sagte Berger dem Handelsblatt im Mai 2018. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft seien völlig unbegründet, die Anklage gar nicht zulässig. Und wenn das Gericht sie doch zuließe? „Dann werde ich mich der Sache stellen, selbstverständlich“, sagte Berger. „Aber so weit wird es nicht kommen.“

Im Dezember 2019 kam es dann doch so weit. Das Landgericht Wiesbaden ließ die Anklage gegen Berger zu. Im April 2020 sollte eine Vorbesprechung zu den Verfahrensabläufen stattfinden – sie fiel Corona-bedingt aus.

Der wahrscheinliche Verfahrensbeginn verzögerte sich so auf den 20. Oktober. Die Verteidiger sollten sich diesen Tag für den möglichen Beginn der Hauptverhandlung freihalten. Es ist der Tag, an dem sich Berger der Welt erklären könnte.

Nun kann Berger nicht mehr. Ihr Mandant sei krank, sagen seine Anwälte und verweisen auf ein entsprechendes Attest seiner Ärzte. Bergers Gesundheitszustand mache ihn dauerhaft verhandlungsunfähig. Ihr Vorschlag: Das Landgericht möge das Verfahren, das 2012 begann, einstellen. Auf Nachfrage des Handelsblatts zu dem Vorgang reagierte sein Verteidiger nicht.

Vom Bankenprüfer zum Steuertrickser

Es wäre ein seltsames Ende einer seltsamen Geschichte. Hanno Berger war in Kreisen von Banken und vermögenden Privatanlegern lange Zeit geradezu berühmt. Geboren 1951 südlich von Fulda in Elm und aufgewachsen in einem Pastorenhaushalt, ging Berger nach seinem Abitur in die Finanzverwaltung.

Er promovierte, stieg auf zum höchsten Bankenprüfer der Oberfinanzdirektion Hessen, dann wechselte er die Seiten. Berger arbeitete für verschiedene Topkanzleien, bevor er sich 2010 selbstständig machte.

Das, was ihm die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt vorwirft, war da schon geschehen. 2006 investierte der Berliner Immobilieninvestor Rafael Roth im großen Stil in sogenannte Cum-Ex-Geschäfte.

Roth verließ sich dabei auf den steuerlichen Rat von Berger und seiner Bank, der Hypo-Vereinsbank (HVB) in München. Das Geschäft sei bombensicher, meinte die HVB und lieh ihrem Kunden 500 Millionen Euro, um es durchzuziehen.

Innerhalb weniger Monate handelte die HVB für Roth Aktien im Wert von 3,6 Milliarden Euro. Im Folgejahr waren es 5,8 Milliarden, dann 6,4 Milliarden Euro. Roth verdiente 25 Millionen Euro, dachte Roth. Dann kam die Steuerprüfung.

Die Gewinne seiner Geschäfte, rechneten die Finanzbeamten nach, kamen aus der Erstattung von Steuern, die gar nicht abgeführt worden waren. Aufgrund der Struktur der Geschäfte – und weil viele andere Beteiligte daran verdienten – war der Schaden viel größer als der Gewinn von Roth.

Die Behörde forderte 113 Millionen Euro zurück – zuzüglich zehn Millionen Euro Zinsen. Roth verklagte seine Bank, seine Bank ihn. Es dauerte eine lange Zeit, bis alle Seiten sich wieder geeinigt hatten. Für Roth mussten dies seine Erben tun, er starb 2013.

Die Beteiligten, die noch leben, sollen vor Gericht. „Gemeinschaftlichen Tatentschluss“, nennt die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt das, was Roth, Berger, der HVB-Investmentbanker Paul Mora und vier andere Anfang 2006 miteinander vereinbarten: Cum-Ex-Geschäfte im großen Stil.

Ihren „Tatplan“ hätten die Angeschuldigten in den Jahren 2006 bis 2008 erfolgreich umgesetzt. Berger wird dabei als „Spiritus Rector“ bezeichnet. Ihm oblag die rechtliche und steuerliche Beratung von Roth, einschließlich der Erstellung von Gutachten, mit dem Ziel, die Cum-Ex-Geschäfte nach außen als rechtlich unbedenklich erscheinen zu lassen.

Präzedenzfall in Bonn

Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hätte eigentlich die erste sein müssen, die einen Cum-Ex-Fall bis zur Anklage bringt. Ihre Anklageschrift trägt das Datum 27. September 2017. Aus unerfindlichen Gründen kam es immer wieder zu Verzögerungen, 2019 wurden die Frankfurter von ihren Kollegen aus Köln überholt.

Die dortige Staatsanwaltschaft trieb ein Verfahren gegen zwei Männer voran, die auch im Fall Roth beschuldigt sind: Nicholas D. und Martin S. Im September 2019 begann vor dem Landgericht Bonn ihr Prozess. Im März 2020 wurden sie verurteilt.

Nun kommen sie in Wiesbaden wieder vor Gericht. Unter dem Vorsitz von Richterin Kathleen Mittelstorf sind bis Januar 2021 zwölf Verhandlungstage angesetzt. Zeugen sind erst einmal nicht eingeladen. Beobachter erwarten, dass sich das Gericht zuerst die Einlassungen der Beschuldigten Nicholas D. und Martin S. anhört.

Beide Männer waren schon beim ersten Prozess weitgehend geständig. Weil sie Zusammenhänge aufdeckten, die ohne ihre Hilfe vielleicht nicht aufgeklärt worden wären, erhielten sie in Bonn milde Strafen. Es scheint, als könnte sich dies vor dem Landgericht Wiesbaden wiederholen.

Hanno Berger, so meint sein Anwalt, wird dann aber fehlen. Der Mann, der sich für unschuldig hält, ist einfach nicht gesund genug, um seine Unschuld zu erläutern. Sollte das Gericht daran zweifeln, müsste es deutsche Amtsärzte auf eine Reise in das Schweizer Bergdorf Zuoz schicken.

Satte grüne Wiesen, eingerahmt von dichten Tannenwäldern, Kuhglocken und ein Bergbach, der sich ins Tal schlängelt. In dieses Postkartenidyll setzte sich Hanno Berger ab, als er am 27. November 2012 am Telefon von der Razzia in seiner Kanzlei erfuhr.

Er verhielt sich seitdem sehr vorsichtig. Soweit bekannt, hat er die Grenze nach Deutschland nicht mehr überschritten.