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Stephan Harbarth zum obersten Verfassungshüter gewählt

Stephan Harbarth ist neuer Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Nach dem umstrittenen EZB-Urteil ist der Start ins Amt eine Herausforderung.

Der ehemalige Anwalt und CDU-Politiker ist neuer Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Foto: dpa
Der ehemalige Anwalt und CDU-Politiker ist neuer Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Foto: dpa

Der ehemalige Anwalt und CDU-Politiker Stephan Harbarth ist nun oberster Verfassungshüter. An diesem Freitag wurde der 48-Jährige vom Bundesrat zum neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählt. Schon vor 17 Monaten war Harbarth zum Vizepräsidenten gekürt worden. Nun tritt er die Nachfolge von Andreas Voßkuhle an, dessen Amtszeit mit dem umstrittenen Urteil zum EZB-Ankauf von Staatsanleihen endete.

Harbarth kennt beide Seiten, die Politik und das Richteramt. Das mag Verständnis für die Zwänge in der Hauptstadt schaffen. Jüngst bekundete Harbarth in der „Stuttgarter Zeitung“ mit Blick auf die Coronakrise, er beneide „keinen exekutiven oder legislativen Entscheidungsträger um die große Last, die auf seinen Schultern ruht“. Richter sollten sich „diesen Entscheidungsdruck bewusst machen“, wenn sie einzelne Maßnahmen juristisch beurteilten.

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Harbarth steht nun protokollarisch auf Rang fünf der Republik. Politische Weggefährten beschreiben ihn als bedachtsam und zugleich tatkräftig. Sie erinnern etwa an 2018, als es um den UN-Migrationspakt für eine geordnete Zuwanderung ging. Da sei die Stimmung in der Unionsfraktion ausgesprochen „anti“ gewesen.

Nach einer Weile habe sich der damalige Fraktionsvize Harbarth zu Wort gemeldet. Es habe ruhig, klar und präzise argumentiert, ohne „Lautsprecher-Allüren“: Es sei im Interesse der Union, auch andere Länder auf Spielregeln in der Zuwanderung zu verpflichten. Harbarth riss das Ruder herum. Am Ende stand die Mehrheit für den Pakt. „Solche Kaliber gibt es nicht so oft“, sagt ein langjähriger Wegbegleiter. Der gebürtige Heidelberger, katholisch, konservativ und dreifacher Familienvater, gilt als zuverlässig und freundlich.

Selbst Politiker aus anderen Fraktionen halten ihn für eine gute Wahl. „Er ist ein exzellenter Jurist“, sagt der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner. „Es tut Karlsruhe gut, wenn jemand mit Erfahrung aus der Gesetzgebung an die Spitze des Bundesverfassungsgerichts rückt.“ Harbarths enger Freund, der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Mathias Middelberg, lobt: „Er ist ein erstklassiger Jurist, aber vor allem auch ein klug abwägender und besonnener Mensch.“

Industrienähe und Interessenkonflikte

Doch Harbarth ist zugleich umstritten. Im Parlament gehörte er als einer der Geschäftsführer der Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz mit jährlichen Nebeneinkünften von deutlich mehr als 250.000 Euro zu den Topverdienern. Mehr Transparenz schreibt das Abgeordnetengesetz nicht vor. Offen bleibt die Frage, wie er diesen anspruchsvollen Job neben seinem Bundestagsmandat ausüben konnte.

Auch Harbarths Mandate aus der Industrie sorgen für Kritik. Er beriet Daimler bei der Veräußerung sämtlicher EADS-Anteile. Auch Allianz, Merck, Sanofi-Aventis, CropScience, Südzucker oder Kuka zählten zu seinen Mandanten. Kritiker sehen damit die Unabhängigkeit des Juristen, der auch einen Abschluss der Yale Law School vorzeigen kann, untergraben und nennen ihn einen Lobbyisten.

Die Kanzlei, wenn auch nie Harbarth selbst, berät Volkswagen im milliardenschweren Musterverfahren zur Diesel-Abgasaffäre – was für einigen Tumult bei möglichen Verfahren in Karlsruhe sorgen könnte. Fakt ist: Bei SZA arbeiten alle Partner in einen Topf, indirekt profitierte also auch Harbarth von den VW-Honoraren.

So gab es auch gleich vier Verfassungsbeschwerden gegen die Ernennung von Harbarth zum Bundesverfassungsrichter. Alle wurden abgeschmettert. Dazu zählt der Antrag von Ex-AfD-Politikerin Frauke Petry.

Kürzlich scheiterte die Beschwerde eines Kunden und eines Aktionärs des Volkswagen-Konzerns. Ralph Sauer, der Anwalt eines Beschwerdeführers, will sich mit der Abfuhr nicht zufriedengeben. „Wir prüfen derzeit die Möglichkeiten, ob wir den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einschalten“, sagt Sauer.

Dass es Unruhe mit sich bringt, dass Harbarth nun über Gesetze urteilen muss, die er selbst als Politiker beschlossen hat, zeigte schon die Karlsruher Entscheidung über die Sanktionen bei Hartz IV. Während der CDU-Abgeordnete Harbarth noch im Juni 2018 für deren Beibehaltung gestimmt hatte, erklärte der Verfassungsrichter Harbarth im November 2019 die Kürzungen des Arbeitslosengeldes teilweise für verfassungswidrig.

„Gewisse Erdung“

Harbarth selbst betonte jüngst im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“, das Bundesverfassungsgericht lebe von der Vielfalt der Perspektiven von Hochschullehrern, Richtern, Anwälten und Politikern. Das sei in der Beratung ein großer Vorteil. „Wir entscheiden nach rechtlichen Maßstäben. Aber wir treffen die Entscheidungen in einem Kontext, der auch politische Bezüge aufweist“, erklärte Harbarth. Wer Weinfeste besuche und Bürgerbriefe gelesen habe, könne dem Gericht eine „gewisse Erdung“ verleihen.

Ex-Präsident Voßkuhle meinte hingegen milde, das Gericht präge und verändere die Menschen.

Künftig muss Harbarth nun die gängigen Vorwürfe der Politik aushalten, das Bundesverfassungsgericht maße sich die Rolle des Ersatzgesetzgebers an und überschreite in schöner Regelmäßigkeit seine Kompetenzen. Das gilt umso mehr unmittelbar nach dem EZB-Urteil, das nun die europäische Rechtsgemeinschaft erschüttert. So ins Amt zu starten ist eine Herausforderung.

Dabei stehen allein in diesem Jahr noch wichtige Entscheidungen an. Karlsruhe will über den Ausschluss der rechtsextremen NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung entscheiden, über das Ceta-Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, die Vorratsdatenspeicherung und die erste Klimaklage.