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Das ist die Erfolgsformel von Portugals Sozialisten

Der ehemalige Rettungsfall Portugal saniert sich mit einer Mischung aus höheren Einkommen und Haushaltsdisziplin. Lässt sich diese Strategie kopieren?

Die Luft steht in dem Pavillon Carlos Lopes in Lissabon, einem Ausstellungspalast aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Hunderte Anhänger schwenken weiße, rote und violette Fahnen mit der sozialistischen Faust darauf und jubeln dem Mann zu, der sie und das ganze Land aus der Depression geholt hat. Auf der Bühne steht António Costa, der portugiesische Premierminister, und ruft: „Viva Portugal!“

Zum Auftakt des Wahlkampfs erinnert er an die Erfolgsformel seiner Partei: „Die Portugiesen haben keine Angst mehr vor Lohn- oder Rentenkürzungen, sie haben keine Angst mehr vor massiven Steuererhöhungen.“ Applaus brandet auf. „Unter diesen Bedingungen konnten wir die Ziele mehr Wachstum, mehr und bessere Beschäftigung und die Halbierung der Arbeitslosenquote erreichen.“

Die Fahnen im Pavillon wedeln hin und her – Costa kann schnell einen Schluck Wasser trinken in dem vollen und überhitzten Saal.

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Er ist nicht nur der gefeierte Held seiner eigenen Partei. Europas Sozialdemokraten blicken voller Neid auf den 58-Jährigen, der die Parlamentswahl an diesem Sonntag klar gewinnen dürfte und womöglich sogar die absolute Mehrheit schafft.

Von einer Krise der Sozialdemokratie ist in Portugal nichts zu spüren – auch nicht von einer Bedrohung durch rechtsradikale Parteien.

2011 ein Rettungsfall

Das Land, das noch 2011 in einer schweren Wirtschaftskrise vom Internationalen Währungsfonds und der EU vor dem Staatsbankrott gerettet werden musste, ist heute eines der politisch stabilsten Länder in Europa. Das zieht Investoren an.
Das Erfolgsrezept des Premierministers: „Costa hat gezeigt, dass es möglich ist, weniger Austerität mit Fiskaldisziplin zu kombinieren“, sagt Federico Santi von der Politikberatung Eurasia-Group.

Die Sozialisten beendeten in der Krise verhängte Sparmaßnahmen früher als ursprünglich geplant und erhöhten die Bezüge von Rentnern, Beamten und den Mindestlohn. Im aktuellen Wahljahr senkten sie zudem drastisch den Preis für den öffentlichen Nahverkehr. „Die Portugiesen hatten am Ende des Monats mehr Geld im Portemonnaie und das Gefühl, dass es wieder aufwärtsgeht. Das hat für einen neuen Optimismus im Land gesorgt“, erklärt die Politologin Isabel David von der Universität Lissabon.

Gleichzeitig sparte die Regierung weiter: Sie senkte die staatlichen Investitionen vor allem in den ersten Jahren auf ein Minimum und erhöhte indirekte Steuern wie die auf Benzin oder zuckerhaltige Getränke. Dank der florierenden Weltwirtschaft zog auch die portugiesische Wirtschaftsleistung deutlich an (siehe Grafik), das Wachstum lag über dem europäischen Durchschnitt.

Gerade die zukunftsweisende IT-Branche wächst in Portugal rasant: Nach einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting ist der Anteil der IT-Branche an der Wirtschaftsleistung binnen vier Jahren um ein Fünftel auf 4,7 Prozent gestiegen und liegt damit mittlerweile ähnlich hoch wie in Deutschland.

„Portugal hat sich zum Ziel gesetzt, die IT als wichtige Zukunftsbranche zu fördern“, erzählt Simon Schäfer. Mit einem weißen Schutzhelm auf dem Kopf klettert der 42 Jahre alte Deutsche im Lissabonner Industrieviertel Beato die wackelige Treppe eines Metallgerüsts hinauf, das auf die oberen Etagen der ehemaligen Lebensmittelfabrik des Militärs führt.

„Hier entsteht auf 12.000 Quadratmetern der größte Start-up-Hub in Portugal“, sagt Schäfer, der das Projekt als Chef des Bauträgeres Factory finanziert. Zugleich leitet er „Start-up Portugal“ – eine Initiative, die junge Gründer fördern will.

In dem Gebäude röhren noch die Schlagbohrer, Wände werden eingerissen und Zwischendecken angebracht. Alles soll groß und luftig werden, mit riesigen Glasfenstern, die den Blick auf den Fluss Tejo freigeben. Im Sommer 2020 soll alles fertig sein.

IT-Talente verfügbar

Der Deutsche hat in Berlin zwei ähnliche Start-up-Komplexe gebaut. „Der Unterschied ist, dass hier die Politik voll hinter dem Projekt steht und auch bereit ist, Risiken einzugehen“, sagt Schäfer. So muss er der Stadt Lissabon erst dann Miete zahlen, wenn er selbst mit den Mieteinnahmen einen Gewinn erzielt. „Bei zwölf Millionen Euro Investitionen wird das zehn bis zwölf Jahre dauern“, sagt er. „In Berlin wäre das kaum vorstellbar gewesen.“

Portugal hat gut ausgebildete und mehrsprachige Entwickler, die nicht nur billiger sind als ihre Pendants in Deutschland, sondern vor allem noch verfügbar. In Deutschland dagegen ist der Markt für Software-Ingenieure nahezu leer gefegt. Alle drei großen deutschen Autobauer haben deshalb inzwischen Software-Entwicklungszentren in Portugal.

Zu den portugiesischen Vorzeige-Unternehmen der Branche gehört Critical Software. 80 Prozent der Kunden sitzen im Ausland – von der amerikanischen Raumfahrtagentur Nasa über Alstom bis Vodafone. „Wir machen nur die komplizierten Sachen und entwickeln Lösungen von Grund auf“, sagt Unternehmenschef João Carreira. Das mache sein Unternehmen für gute Entwickler attraktiv.

Im vergangenen Jahr gründete BMW ein Gemeinschaftsunternehmen mit Critical Software. „Das Joint Venture bringt uns Talente, die wir allein kurzfristig so vielleicht nicht bekommen hätten“, sagt Jochen Kirschbaum, COO des Gemeinschaftsunternehmens.

Die Portugiesen arbeiten mit den Münchenern unter anderem an Lösungen für das autonome Fahren. 650 Entwickler hat das Gemeinschaftsunternehmen Critical Techworks bereits eingestellt – eine Größenordnung, die sich in vielen EU-Ländern in so kurzer Zeit nur schwer realisieren ließe. Im Lissabonner Büro arbeiten sie auf vier Etagen, die Kollegen der Mutter Critical Software nur auf zweien.

Direkt vor der Tür liegt ein Regionalbahnhof, ein paar Meter weiter die Metro-Station. „Wir sind aus einem Vorort hierhergezogen, weil die jungen Mitarbeiter in der Innenstadt arbeiten und mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit kommen wollen“, erklärt Carreira. Auch in Portugal versuchen die Unternehmen im Kampf um Talente, den begehrten Entwicklern die besten Arbeitsbedingungen zu bieten.


Auch Glück hat geholfen

Beispiele wie die von Critical Software spiegeln die Erfolgsära Costas wider und verstärken sie zugleich. In der jüngsten Umfrage liegen die Sozialisten bei 37 Prozent – sieben Prozentpunkte vor den Konservativen als zweistärkste Partei. Nach dem portugiesischen Wahlsystem könnten sie ab einem Stimmenanteil von rund 40 Prozent die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament schaffen.

Bisher hat Costa eine Minderheitsregierung angeführt, unterstützt von Kommunisten, dem linken Block und den Grünen. Ihnen machte er Zugeständnisse, ohne aber sein eigenes Programm stark zu verändern. Für Pedro Delgado Alves, Vizechef der sozialistischen Fraktion, liegt darin ein Grund für die Stabilität der portugiesischen Politik. „Wenn eine Partei ihrem Profil und ihrer Identität treu bleibt, verhindert sie, dass neue populistische Strömungen entstehen, die das abdecken“, sagt er.

Auch für rechtsradikale Parteien ist in Portugal kein Platz. Zwar hat sich als Folge der parteiinternen Krise der konservativen PSD mit Chega vor einigen Monaten eine neue Rechtsaußen-Partei gegründet. Doch sie kommt in den Umfragen nur auf ein Prozent. Die seit Jahren existierende rechtsradikale „Partido Nacional Renovador“ bleibt sogar noch darunter. Portugal hat kein Immigrationsproblem und Euro-skeptische Positionen haben traditionell die Kommunisten und der linke Block vertreten.

Doch als neue Blaupause für den Weg aus der Krise – so wie die Sozialisten ihre Bilanz gerne verkaufen – diene Portugal nicht, sagt Politikberater Santi. Denn Costa hatte auch einfach Glück: Das weltweite Wirtschaftswachstum habe just zu seinem Amtsantritt 2015 Fahrt aufgenommen und seine Lage sehr erleichtert.

Dennoch zollen selbst die Konservativen Costa hinter vorgehaltener Hand Respekt für seine Leistung. So ist das Haushaltsdefizit von 4,4 Prozent bei Amtsantritt der Sozialisten stark gesunken. In diesem Jahr soll es bei 0,2 Prozent liegen. Der Architekt dieses Erfolgs, Finanzminister Mário Centeno, wurde 2018 zum Chef der Euro-Gruppe ernannt.

Im Pavillon Carlos Lopes bejubeln ihn die Parteimitglieder ebenso euphorisch wie Costa. Doch der Premier, monieren die Konservativen, habe notwendige strukturelle Reformen versäumt. So sei etwa das Gesundheitssystem durch fehlende Investitionen in einem schlechten Zustand.

Auch ist die Verschuldung von Staat, Unternehmen und privaten Haushalten hoch. Die Staatsschulden lagen im vergangenen Jahr bei 122 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist der dritthöchste Wert in der EU hinter Griechenland und Italien.

„Ich fürchte, dass der portugiesische Wirtschaftsaufschwung nur temporär ist. Wenn die nächste Krise kommt, wird die Lage hier wieder sehr schwierig“, sagt Filipe García, Chef der Beratung Informaçao de Mercados Financeiros. Auch die Analysten der Commerzbank weisen darauf hin, dass Erfolge beim Defizit vor allem dem starken Wachstum und den niedrigen Zinsen der EZB zu verdanken sind.

Hippes Touristenziel

Doch auch wenn Portugals Boom nur temporär ist, das Land hat ihn für einen wichtigen Imagewandel genutzt und ist zum Touristen-Hotspot geworden. Die Einnahmen mit Urlaubern sind in den vergangenen drei Jahren um 45 Prozent gestiegen – so stark wie nirgendwo sonst in Europa. Tourismus machte 2017 13,7 Prozent der Wirtschaftsleistung aus.

Dieser Boom liege nicht allein an der Angst vor Terrorangriffen in beliebten Zielen wie der Türkei oder Nordafrika, betont Ana Mendes Godingho, Staatssekretärin für Tourismus. „Unsere größten Zuwächse stammen aus neuen Herkunftsländern.“ Aus den USA und Kanada, Brasilien und China. 580 neue Flugverbindungen hat Portugal in den vergangenen drei Jahren geschaffen.

Der Flughafen in Lissabon wird zu klein. Costa plant einen zweiten. 117.000 neue Arbeitsplätze sind Godingho zufolge in der Branche entstanden. Sie haben geholfen, die Arbeitslosenquote von zwölf Prozent im Jahr 2015 auf 6,2 Prozent zu senken.

Bei ihren Tourismusplänen setzte die Regierung auch auf die heimischen Software-Entwickler: Sie rief Start-ups auf, Ideen für touristische Erlebnisse zu entwickeln. Mehr als 600 beteiligten sich. Reisende können jetzt etwa ein Elektroauto mit einer Kamera auf dem Dach mieten, die online live Bilder der Urlaubstouren für Freunde zur Verfügung stellt. Oder sie buchen ein Hotel, dessen Preis je nach Wasser- und Stromverbrauch vor Ort variiert.

Der deutlichste Wandel lässt sich in der Hauptstadt Lissabon beobachten. Das Zentrum, vor zehn Jahren noch weitgehend verödet, entwickelt sich zum Hipster-Paradies mit Ramen-Bistros, veganen Restaurants und Design-Läden.

Die Immobilienpreise steigen rasant, überall werden baufällige Altbauten mit ihren traditionellen Kacheln an den Wänden aufwendig restauriert. „Portugal gilt heute bei Touristen als hip“, sagt Politologin David. „Diesen Imagewandel hat schon die konservative Regierung begonnen. Die Sozialisten haben ihn erfolgreich weitergeführt.“