Die Spiele übertünchen die Misere: Fünf Themen des Tages
(Bloomberg) -- Marilen Martin über Schwäche auf den zweiten Blick. — Abonnieren Sie unseren Newsletter Fünf Themen des Tages und erhalten Sie sonntags das Hauptstadtgeflüster direkt in Ihre Mailbox.
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Verlässliche Enttäuschung
Der Einkaufsmanagerindex (PMI) von S&P Global für die Eurozone übertraf im August selbst die optimistischsten Prognosen der Ökonomen in einer Bloomberg-Umfrage. Europa kann sich bei den Olympischen Spielen bedanken, die dem französischen Dienstleistungssektor Auftrieb gegeben haben.
Doch der kurzfristige Booster kann die unterliegende Schwäche der Wirtschaft nicht langfristig ausgleichen. Hinzu kommt die ausbleibende Erholung in Deutschland, wo der Index unerwartet noch tiefer in den Bereich fiel, der eine Schrumpfung signalisiert.
Die Schwäche der Industrie wird nach Einschätzung der Bundesbank weiter anhalten, doch auch der Dienstleistungssektor, der in diesem Jahr die deutsche Wirtschaft dank steigender Löhne gestützt hat, fängt an, unter der Insolvenzwelle in der Industrie zu leiden. Schon den dritten Monat in Folge ging es für den Dienstleistungs-PMI abwärts. Umso lauter werden daher die Rufe nach einer Zinssenkung der EZB bei der nächsten Sitzung am 12. September.
Nach Ansicht von EZB-Ratsmitglied Olli Rehn hat der sich eintrübende Wirtschaftsausblick die Argumente für eine Lockerung der Geldpolitik im kommenden Monat verstärkt — “vorausgesetzt, dass die Desinflation tatsächlich auf Kurs ist.“
Die mit Spannung erwarteten Lohndaten haben dem Lockerungsszenario heute ein weiteres Argument hinzugefügt: Der Jahresanstieg hat sich im zweiten Quartal auf 3,6% verlangsamt von 4,7% im Vorquartal. Entscheidend ist nun die jüngste Entwicklung bei der Inflation, wo die ersten August-Daten in der nächsten Woche veröffentlicht werden.
Was Marktteilnehmer heute noch bewegen könnte, berichten Ihnen Rainer Bürgin, Alexander Kell, Annika Reichelt und Celine Imensek: Gute Börsennachrichten, fast ein Pfund, Veröffentlichung verschlafen, ÖPNV ohne Fahrer, und neue Risiken.
Gute Börsennachrichten
Im langjährigen Disput um die Postbank-Übernahme hat die Deutsche Bank einen Vergleich mit ehemaligen Aktionären des Instituts geschlossen, auf die insgesamt fast 60% aller geltend gemachten Forderungen entfallen. Mehr als 80 Kläger akzeptierten den Vorschlag über 31 Euro je Aktie. Ein Teil der zum Thema Postbank gebildeten Rückstellungen wird nun nicht mehr benötigt. Beim Vorsteuerergebnis des dritten Quartals stellte die Bank angesichts dessen einen positiven Effekt von 430 Millionen Euro in Aussicht. Ein Sprecher erklärte zudem, die Bank überprüfe nun ihr Ausschüttungsniveau. Anteilseigner der Postbank hatten sich bei der Akquisition des Instituts durch die Deutsche Bank im Jahr 2010 übervorteilt gesehen. Die Deutsche-Bank-Aktie legt heute rund 3% zu. Mehr als 12% kletterte der Börsenkurs des dänischen Pharmakonzerns Bavarian Nordic. Der Produzent eines Affenpocken-Impfstoffs hat von einem nicht genannten europäischen Land einen Auftrag zur Lieferung von einer knappen Million Vakzindosen erhalten. Er kündigte an, dass die Jahresergebnisse damit am oberen Rand der bisherigen Zielspanne liegen dürften. Mehr als 7% voran kommt heute die Aktie des Kochboxen-Anbieters HelloFresh, bei dem gerade der aktivistische Aktionär Active Ownership an Bord gegangen ist.
Fast ein Pfund
In einer Mine in Botswana ist der weltweit zweitgrößte Diamant ausgegraben worden. Mit seinen 2.492 Karat wiegt er deutlich mehr als zwei Big Macs. Zwar sind die Diamantenpreise laut dem Diamond Standard Index derzeit auf dem niedrigsten Stand seit vier Jahren, ein sicherer Aufbewahrungsort empfiehlt sich aber trotzdem. Singapur hat davon jede Menge im Angebot. Der Stadtstaat dient sich Superreichen als Lagerstätte für Gold- und Silberbarren und andere Wertgegenstände an, die vor privaten und staatlichen Langfingern in Sicherheit gebracht werden sollen. Den Reichen sei Vertraulichkeit und Greifbarkeit seit der Pandemie wichtiger geworden, heißt es in einer Analyse von JPMorgan. Gold-ETFs mit ihrem Kontrahentenrisiko und ihrer Transaktionstransparenz müssen Federn lassen gegenüber physischem Gold. Der im vergangenen Monat eröffnete Mega-Tresor The Reserve erfüllt auch ein weiteres Greifbarkeits-Kriterium: Im Gegensatz zu den meisten westlichen Banken samt ihrer Tresorräume unterliegt er keinen ausländischen Gesetzen. Die würden von den Superreichen nun einmal nicht unbedingt als freundlich angesehen, sagt Gregor Gregersen, Gründer von Silver Bullion, der Firma hinter The Reserve.
Veröffentlichung verschlafen
Es scheint ganz so, als sei auf den New Yorker Weckern am Mittwochmorgen zu oft die Snooze-Taste gedrückt worden. Denn die revidierten US-Arbeitsmarktdaten, die um 10 Uhr (16 Uhr in Frankfurt) erwartet wurden, hatte das Bureau of Labor Statistics erst mit einer halben Stunde Verspätung vorgelegt. Als die revidierten Zahlen zu den monatlichen Beschäftigungsdaten noch immer nicht veröffentlicht waren, riefen einzelne Banken die Behörde an. Die Mizuho Financial Group und BNP Paribas erhielten so die Zahlen direkt, während das Gros der Marktteilnehmer warten musste. Als sich an der Wall Street die Nachricht verbreitete, dass das BLS damit begonnen hatte, die Zahlen per Telefon weiterzugeben, wuchs der Unmut. “Die ganze Sache riecht nach Inkompetenz”, sagte Nancy Tengler, Chefin von Laffer Tengler Investments. Als die Daten schließlich gegen 10:30 Uhr veröffentlicht wurden, zeigte sich, dass die Zahl der Beschäftigten für die zwölf Monate bis März wahrscheinlich um 818.000 nach unten korrigiert werden wird. Eine so starke Abwärtsrevision gab es bei den Beschäftigungszahlen seit 2009 nicht mehr.
ÖPNV ohne Fahrer
Der Traum vom selbstfahrenden Taxi hält schon Elon Musk auf Trab, der vor einigen Wochen die Präsentation seiner Robotaxis auf Oktober verschoben hat. Nun will auch der Stadtstaat Hamburg sein Glück mit einem autonomen Fahrdienst versuchen. Das Ziel der staureichsten Stadt Deutschlands? Bis 2030 sollen 80% aller Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt werden können. Dafür soll das gängige Bus- und Schienennetz durch eine Flotte von bis zu 10.000 Kleinbussen ergänzt werden, die von ihren Passagieren per App geordert werden können. In kleinerem Rahmen startet 2025 das Pilotprojekt mit 20 solcher Fahrzeuge. Die sollen auf bis zu 50 Quadratkilometern kostenlose Fahrten auf Abruf anbieten. Wie teuer der Service nach Ende der staatlich subventionierten Testphase wird, ist noch nicht abzusehen. Bisher waren On-Demand-Fahrdienste zu teuer und ineffizient, um sie lange am Laufen zu halten. Beim Hamburger Konzept soll jedoch ein großer Kostenfaktor wegfallen: der Fahrer.
Neue Risiken
So schnell können sich Risiken verschieben: Während bei der Helaba im vergangenen Jahr noch die Verwerfungen an den weltweiten Immobilienmärkten die größte Risikovorsorge verursacht haben, sind es in den ersten sechs Monaten 2024 nun die Firmenkredite gewesen. In diesem Bereich verzehnfachten sich die Rückstellungen im Vergleich zum Vorjahrszeitraum, wie die Landesbank am Donnerstag mitteilte. Helaba-Chef Thomas Groß sprach von “anhaltender Unsicherheit bezüglich der konjunkturellen Entwicklung”. Die gestiegenen Insolvenzen machten sich bei Firmenkrediten bemerkbar. Bei den 107 Millionen Euro, die die Helaba im ersten Halbjahr für das Segment zurückgelegt hat, handelt es sich nach eigenen Angaben um einzelne Kreditengagements und pauschale Vorsorge. Mit einer erhöhten Risikovorsorge über das gesamte Portfolio hinweg sei nicht zu rechnen. Trotz der Belastungen: Ihren Gewinn konnte die Helaba im ersten Halbjahr um fast ein Viertel steigern, auch dank eines besseren Zinsergebnisses. Bei der Hamburg Commercial Bank lastet aktuell die Vorsorge für das Immobiliengeschäft auf dem Gewinn — und hohe Rückstellungen für einen alten Rechtsfall.
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