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SPD-Chefin Esken im Interview: „Ich finde Ausgangssperren problematisch“

Die Vorsitzende der SPD über den schwierigen Kampf gegen die Corona-Pandemie und die Krise als Chance für die Digitalisierung.

Die Bundesvorsitzende der SPD: Die Krise auch als Chance sehen. Foto: dpa
Die Bundesvorsitzende der SPD: Die Krise auch als Chance sehen. Foto: dpa

Die Bundesvorsitzende der SPD, Saskia Esken, hat sich gegen Ausgangssperren im Kampf gegen die Verbreitung des Coronavirus ausgesprochen. „Ich finde die Idee problematisch, weil dann womöglich der Lagerkoller droht – vor allem, wenn Kinder mit im Spiel sind“, sagte sie dem Handelsblatt in einem Telefoninterview.

Natürlich dürfe es aber keine „größeren Menschenansammlungen“ mehr geben, solange das Virus grassiert. „Da haben einige den Schuss noch nicht gehört“, kritisierte Esken. Sie hoffe, „dass Appelle wie der von Kanzlerin Merkel die Leute zur Vernunft bringen“.

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Bayern hat inzwischen in zwei Landkreisen Ausgangssperren erlassen. Und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schloss nicht aus, die Ausgangssperren auf den gesamten Freistaat auszuweiten.

Die Angst vor dem Coronavirus beflügelt auch Desinformationen über Onlinenetzwerke. Esken sieht hier zunächst „die Internetunternehmen in der Pflicht, die Verbreitung von Fake News einzudämmen und bei Richtigstellungen dafür zu sorgen, dass auch sie eine bessere Reichweite haben“.

Den Vorschlag des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius (SPD), die bewusste Verbreitung von Falschmeldungen unter Strafe zu stellen, lehnt Esken ab.

„Von Staats wegen Vorschriften zu machen und die Verbreitung von Desinformation unter Strafe zu stellen – da bin ich vorsichtig“, sagte sie. „Der Gedanke, dass der Staat bestimmt, was wahr und was unwahr ist, weckt bei mir ungute Fantasien.“

Um die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufedern, wird ein Konjunkturprogramm notwendig sein. Esken hat hier konkrete Vorstellungen: „Bei den Konjunkturhilfen sollte ein besonderer Fokus auf die Digitalisierung gelegt werden.“

Zugleich solle die Stärkung der Souveränität in den Fokus rücken: „Dabei müssen wir analysieren, bei welchen strategisch wichtigen Gütern und Dienstleistungen wir so abhängig von internationalen Lieferbeziehungen sind, dass es sich in Notsituationen schädlich für uns auswirkt.“

Als Beispiel nannte Esken „Medikamente, die ausschließlich in China hergestellt werden, aber auch an digitale Produkte und Dienstleistungen“.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Frau Esken, wir sind über eine Telefonschalte miteinander verbunden. Wir erleben Sie die Krise, wie hat sich ihr Alltag geändert?
Das Willy-Brandt-Haus ist ganz überwiegend auf Homeoffice umgestellt. Nicht wegen eines akuten Corona-Falls, sondern aus Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zum einen der Gesundheitsschutz, zum anderen haben die teilweise auch Kinder, die sie jetzt betreuen müssen. Meine Mitarbeiterinnen im Abgeordnetenbüro habe ich auch ins Homeoffice geschickt. Ich bin in meiner Berliner Wohnung.

Nicht alle Menschen sind bereit, sich einzuschränken. In Berliner Parks versammeln sich die Leute weiter. Steuern wir auf eine Ausgangssperre zu?
Ich finde die Idee problematisch, weil dann womöglich der Lagerkoller droht – vor allem, wenn Kinder mit im Spiel sind. Kinder haben einen starken Bewegungsdrang. Wir haben den auch, nur haben wir gelernt diesen zu kontrollieren. Dass die Leute spazieren gehen, finde ich insofern schon sinnvoll. Natürlich darf es größere Menschenansammlungen nicht geben. Da haben einige den Schuss noch nicht gehört. Es bleibt zu hoffen, dass Appelle wie der von Kanzlerin Merkel die Leute zur Vernunft bringen.

Eines scheint in der gegenwärtigen Situation klar zu sein: Ohne digitale Kommunikation würde die Wirtschaft vollständig zum Stillstand kommen. Wir sehen jetzt aber auch: Andere Länder sind viel weiter. Zeigt die Coronakrise Deutschland seine digitalen Grenzen auf?
Die sehen wir in vielerlei Hinsicht. Die einen haben zuhause nicht genug Bandbreite, die anderen können nicht im Homeoffice arbeiten, weil die Arbeitgeber keine entsprechenden Geräte zur Verfügung stellen. Zugleich kann diese Krise durchaus eine Chance für die Digitalisierung sein.

Inwiefern?
Wir könnten lernen, dass die unbedingte Präsenzkultur nicht mehr zeitgemäß ist und dass es alternative digitale Möglichkeiten gibt. Und wenn wir diese anderen, digitalen Formen der Begegnung nutzen, leisten wir obendrein einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Deswegen finde ich es gut, dass Unternehmen und Mitarbeiter jetzt den Homeoffice-Gedanken entdecken. Auch viele Akteure der Zivilgesellschaft stellen jetzt fest, wie gut man sich digital organisieren kann. Es fehlt hier aber oft noch die nötige Infrastruktur: Whatsapp ist dafür nicht nur ungeeignet, sondern auch wegen der Datenschutz-Bedenken nicht das Mittel der Wahl.

Bei Konjunkturhilfen Fokus auf Digitalisierung legen

Die Schulschließungen werfen ein Schlaglicht auf das Bildungswesen. In anderen Ländern sind digitale Unterrichtsformen selbstverständlich. Ist das nicht ein Armutszeugnis, dass wir soweit hinterherhinken?
Sicher gibt es hier einen Nachholbedarf, auch wenn es viele sehr innovative Lehrkräfte und Schulen gibt. An vielen Stellen fehlt da noch die Veränderungsbereitschaft. Das dreht sich gerade. Daraus kann sich etwas Gutes entwickeln – für den Schulbetrieb wie für Schülerinnen und Schüler.

Führt die Digitalisierung zu neuen sozialen Problemen?
Die digitale Spaltung kann die soziale Spaltung vertiefen, das ist ein auch in Studien gut belegtes Phänomen. In der aktuellen Lage kommt es ja nicht auf den Internetzugang und die Ausstattung der Schulen an, sondern darauf, was die Schülerinnen und Schüler zuhause haben. Wer zuhause keinen Internetzugang hat oder kein Endgerät besitzt, ist klar benachteiligt. Deswegen ist die Umsetzung des Digitalpakts ja so wichtig.

Es wird aktuell darüber geredet, wie man die Wirtschaft wieder in Gang bringen kann, wenn die Krise überwunden ist: Es wird über ein großes Konjunkturprogramm gesprochen. Muss das Programm so gestaltet werden, dass es der Digitalisierung in Deutschland zum Durchbruch verhilft?
Bei den Konjunkturhilfen sollte ein besonderer Fokus auf die Digitalisierung gelegt werden. All das, was bisher nur gebremst vorangebracht wurde, sollte dann besonders gefördert werden. Da geht es nicht nur um die öffentliche Verwaltung, die digital hinterherhinkt, sondern auch um die Wirtschaft.

Die Digitalisierung hat auch Schattenseiten. Die Angst vor dem Coronavirus beflügelt Desinformationen im Internet. Wie kann die GroKo gegensteuern?
Zunächst sind die Internetunternehmen in der Pflicht, die Verbreitung von Fake News einzudämmen und bei Richtigstellungen dafür zu sorgen, dass auch sie eine bessere Reichweite haben. Von Staats wegen Vorschriften zu machen und die Verbreitung von Desinformation unter Strafe zu stellen – da bin ich vorsichtig. Der Gedanke, dass der Staat bestimmt, was wahr und was unwahr ist, weckt bei mir ungute Fantasien.

Schwieriger Umgang mit Fake News

Noch am Wochenende hat das Bundesgesundheitsministerium vor der Falschmeldung gewarnt, die Regierung würde eine massive Einschränkung des öffentlichen Lebens planen. Zwei Tage später kam es dann aber genau dazu. So schafft die Politik kein Vertrauen.
Daraus kann man lernen, dass man mit dem Begriff vorsichtig umgehen sollte. Wir müssen derzeit ja immer wieder erleben, dass auf einmal als nötig erachtet wird, was man zwei Tage zuvor noch für völlig unmöglich gehalten hat.

Gilt das auch für den Datenschutz? Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, sollen in Israel die Handys von Kranken und Verdachtsfällen geortet werden, um angeordnete häusliche Quarantäne zu überwachen. Was halten Sie davon?
Das würden wir in Deutschland so niemals machen. Das sind Maßnahmen, die zu unserem Verständnis der bürgerlichen Freiheitsrechte nicht passen. Trotzdem gibt es Potenziale aus Bewegungsdaten, die wir nutzen können. Wir hören ja, dass die Deutsche Telekom Bewegungsdaten an das Robert Koch-Institut weitergibt. Allerdings geschieht das anonymisiert und in Paketen, sodass man den oder die Einzelne nicht identifizieren kann. Auch so ist es möglich, Rückschlüsse zum Zusammenhang von Mobilität und der Verbreitung des Virus zu ziehen. Auch anonymisierte Gesundheitsdaten können eingesetzt werden, um dem Virus auf die Spur zu kommen. Das wird auch gemacht.

Was die Telekom da tut, ist also legitim? Anonymisierte Daten können auch deanonymisiert werden.
Die Telekom handelt da sehr kompetent und verantwortungsvoll. Die Vorgehensweise ist mit dem Datenschutzrecht vereinbar, und unsere Datenschützer beobachten das auch sehr wachsam. Die Telekom erklärt, dass der Prozess der Anonymisierung ein Aggregieren und Verrauschen von Daten umfasst. Dadurch wird verhindert, dass die Daten repersonalisiert werden können.

In der Krise wird der Wunsch laut, Souveränität zurückzugewinnen. Haben wir uns zu stark von einzelnen Ländern abhängig gemacht?
Ja, und das könnte auch eine der Lehren aus der jetzigen Krise sein. Das Konjunkturprogramm, das wir schon angesprochen haben, sollte darauf ausgerichtet sein, genau diese Souveränität zu stärken. Dabei müssen wir analysieren, bei welchen strategisch wichtigen Gütern und Dienstleistungen wir so abhängig von internationalen Lieferbeziehungen sind, dass es sich in Notsituationen schädlich für uns auswirkt. Ich denke da zum Beispiel an Medikamente, die ausschließlich in China hergestellt werden, aber auch an digitale Produkte und Dienstleistungen.

Anhängigkeit von einzelnen Unternehmen reduzieren

Ist die Globalisierung zu weit gegangen?
Wir müssen uns schon fragen, ob wir die Globalisierung ein Stück überdreht haben. Wir müssen uns in den wichtigen Sektoren darauf besinnen, national oder zumindest europäisch handlungsfähig sein. Bei digitalen Technologien sind die Abhängigkeiten besonders deutlich.

Das stimmt. Ohne den Softwareanbieter Microsoft beispielsweise läuft in deutschen Verwaltungen wenig; ohne den chinesischen Netzausrüster Huawei bricht das deutsche Mobilfunknetz zusammen.
Gerade der Staat darf nicht von einzelnen Unternehmen abhängig sein. Man muss gar nicht unterstellen, dass diese Abhängigkeit ausgenutzt wird. Allein das Risiko, dass so ein Unternehmen morgen nicht mehr existiert und der Staat dann nicht mehr funktioniert, sollte uns aufrütteln.

Ohne das Know-how der Chinesen wird der Digitalisierungsrückstand weiter wachsen, heißt es immer wieder. Bleibt die SPD dennoch bei ihrem Nein zu Huawei?
Ja, aber Neinsagen reicht nicht. Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir eine Alternative haben. Wir brauchen für unsere digitale Infrastruktur eigene Ausrüster, auf die wir uns verlassen können.

Die gibt es ja: Nokia und Ericsson. Tun wir genug, um diesen Unternehmen zu helfen?
Die beste Möglichkeit zur Förderung solcher Alternativen besteht natürlich bei der eigenen Beschaffung. In der Frage der direkten Förderung sind wir durch europäische Beihilferegeln beschränkt. Da müssen wir andere Wege finden – oder die Regeln ändern. Es sind ja selbst auferlegte Regeln.

Wirtschaftsminister Altmaier hat SPD-Abgeordneten fest zugesagt, einen politischen Genehmigungsvorbehalt in der Gesetzgebung zum 5G-Ausbau zu schaffen. Jetzt rudern auf Weisung des Kanzleramts die CDU-Ministerien zurück. Ein Fall für den Koalitionsausschuss?
Wenn sich das so weiter entwickelt, muss man sich zusammensetzen. Das ist übliches Regierungshandeln. Leider ist es bisher nicht gelungen, eine gemeinsame Linie zu finden. Nicht erst in Krisenzeiten sollten wir begreifen, wie wichtig die Frage der Souveränität für uns in Europa ist. Gerade bei der digitalen Infrastruktur geht es nicht nur um die Souveränität von Wirtschaft und Staat, es geht um uns alle, als Individuen und als Zivilgesellschaft.
Frau Esken, vielen Dank für das Interview.