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Spahns lukratives, aber umstrittenes Geschenk an die Apothekerschaft

Bis zu 500 Millionen Euro Honorarverbesserung hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Apothekern versprochen. Der Preis dafür: Kein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln und sich weiterhin dem Wettbewerb mit der unliebsamen Konkurrenz ausländischer Pharmaportale stellen.

Doch die halbe Milliarde ist nicht die einzige finanzielle Wohltat, die Spahn für die Apothekerschaft bereithält. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat er ihr bereits mit seinem Arzneimittelsicherheitsgesetz ein neues, millionenschweres Zusatzgeschäft zugeschanzt: Es geht um die Behandlung der rund 10.000 Bluterkrankten in Deutschland. Mit dieser wird derzeit ein Jahresumsatz von gut einer Milliarde Euro erzielt.

Bislang waren die Apotheken bei dem Geschäft außen vor. Die Behandlung der Patienten mit Blutgerinnungsstörung findet in speziellen bundesweit Behandlungszentren statt. Die sind bundesweit verteilt, es gibt 25 kleine und 25 große Zentren. Sie kaufen die wertvollen Blutpräparate und andere Spezialpräparate bisher direkt bei den Herstellern. Das will Spahn ändern.

Der Gesundheitsminister hat dabei, zumindest auf den ersten Blick, gute Argumente auf seiner Seite. Der Direktvertrieb an spezialisierte Zentren wurde nach dem Skandal um mit HIV kontaminierte Blutpräparate eingeführt, um sicherzustellen, dass keine belasteten Produkte mehr in die Therapie gelangen.

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Inzwischen gibt es aber neben den aus menschlichem Blut gewonnenen Produkten auch gentechnologisch hergestellte Blutbestandteile und monoklonale Antikörper, bei denen die Gefahr der Verunreinigung nicht mehr besteht. In Zukunft müssten daher nur noch aus „menschlichem Blut gewonnene Blutzubereitungen“ direkt vom Hersteller an die behandelnden Krankenhäuser und Ärzte geliefert werden.

Außerdem argumentiert Spahn, dass der Handel mit den teuren gentechnisch hergestellten Produkten durch das Einschalten der Apotheken transparenter wird. Hintergrund sind Vorwürfe, dass die Behandlungszentren Rabatte der Industrie nicht voll an die Kostenträger, also die Krankenkassen weitergeben. Zudem sieht der Gesetzentwurf vor, dass in Zukunft die Krankenkassen auch Rabattverträge für die gentechnologisch produzierten Präparate abschließen können.

Für die Apotheken ist es ein sattes Zusatzgeschäft. „Wir behandeln derzeit regelmäßig bundesweit 2500 Patienten mit einer schweren Verlaufsform der Erkrankung. 40 Prozent von ihnen erhalten aus Blutplasma hergestellte Produkte. 60 Prozent erhalten gentechnische hergestellte Gerinnungsfaktoren“, erläutert Johannes Oldenberg die Relevanz des neuen Marktes. Oldenberg ist Direktor des Instituts für experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin an der Universitätsklinik Bonn, in dem etwa 20 Prozent aller Bluter behandelt werden.

Für Patienten, die aus Blutplasma hergestellte Produkte erhalten, bleibt alles beim Alten. Aber für den größeren Teil sind künftig die Apotheker zuständig. Oldenburg beziffert die Kosten für die Präparate vorsichtig auf über 200.000 Euro im Jahr. Bei einer Handelsspanne von drei Prozent macht das für die Apotheke 6000 Euro pro Präparat.

Interessengemeinschaft fürchtet schlechtere Therapie

Aber die Kosten sind zum Teil viel höher. So liegen die Jahrestherapiekosten für ein 2018 erst zugelassenes Medikament zur Vorbeugung von Blutungen vor allem in den Gelenken für Erwachsene bei 500.000 bis 650.000 Euro. Bis zu 19.500 Euro erhielte davon die Apotheke.

Beim Dachverband der Apotheker spielt man die Bedeutung des Zusatzgeschäfts eher herunter. Man habe nicht darauf gedrängt, ist dort zu hören. Dies sagt man vielleicht aber auch, weil man weiß, dass die Betroffenenverbände und die Therapeuten, für die es seit 2007 sogar eigene Facharztweiterbildungen gibt, alles andere als glücklich sind über Spahns Gesetz.

„Als wir Anfang November vom Ministerium zu einem Gespräch gebeten wurden, haben wir damit gerechnet, dass man dort die Pläne mit uns diskutierten wollte“, berichtet Christian Schepperle, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Hämophiler: „Stattdessen wurden wir vor vollendete Tatsachen gestellt.“

Die Interessengemeinschaft ist davon überzeugt, dass die Therapie verschlechtern wird. „Die Direktabgabe von Gerinnungsfaktoren ist ein wichtiger Aspekt in der Bindung zwischen Zentrum und Patient.“ Deren Abschaffung werde mit Sicherheit dazu führen, dass ein Teil der Patienten die Zentren nur noch selten oder gar nicht mehr aufsuchen werde, heißt es in einem gemeinsamen Brief von Ärzte-, Patienten- und Fachverbänden an den Minister, der dem Handelsblatt vorliegt.

Auch die Forschung werde leiden und innovative Versorgungsverträgen zwischen Krankenkassen und den Zentren werde die Grundlage entzogen. Den Entwurf einer Pressemitteilung hat die Interessengemeinschaft gar mit „Droht ein neuer Bluterskandal?“ überschrieben.

„Sollte es bei den Plänen bleiben, sehe ich die in Deutschland sehr gute Versorgung von Bluterkranken in ihrer Qualität stark gefährdet. Vor allem die Notfallversorgung“, warnt auch Oldenburg. Er fürchtet, dass die Patienten sich ihre Produkte künftig vom Internisten um die Ecke verschreiben lassen. Der hohe Therapiestandard stehe und falle aber mit der Kontrolle und Beobachtung durch Spezialisten, die nur in den Zentren möglich sei.

Versorgungsaspekte müssen Vorrang vor der Ökonomie haben

Genau mit dieser Begründung hatten bereits im Sommer die europäischen Hämophilie-Verbände EAHAD und EHC vor der von Spahn nun beschlossenen Spaltung der Therapie gewarnt. Auch in den Koalitionsfraktionen ist man daher inzwischen hellhörig geworden. „Ich kann nur raten, hier sensibel vorzugehen, bevor die bewährte Versorgung der Bluter über Hämophilie-Zentren eingeschränkt wird“, so der Arzneimittelexperte der Unions-Fraktion Michael Hennrich gegenüber dem Handelsblatt. „Bei der Behandlung einer so komplexen Erkrankung müssen Versorgungsaspekte Vorrang haben vor der Ökonomie.“

Dabei schließt Hennrich nicht aus, dass es in der Vergangenheit tatsächlich zu Graumarktgeschäften im Direktvertrieb gekommen ist. „Doch hier lässt sich Transparenz auch dadurch schaffen, dass die Hersteller in Zukunft verpflichtet werden, die tatsächlich abgerechneten Preise direkt dem GKV-Spitzenverband zu melden. Diesen Weg sind wir auch bei Zytostatika gegen Krebs erfolgreich gegangen“, so Hernnrich.

Die patientenindividuelle Herstellung der Chemotherapie hatte die darauf spezialisierten Apotheken in der Vergangenheit zu Millionären gemacht, weil die Hersteller hohe Rabatte auf die Zutaten gewährt haben. Diese wurden aber nicht an die Kassen weitergegeben. Oldenburg weißt diese Vorwürfe zurück: „Für die Universitätsklinik Bonn kann ich ausschließen, dass es solche Effekte gibt.“

CDU-Politiker Hennrich nimmt derweil Spahn gegen den Vorwurf in Schutz, er wolle nur den Apothekern auf dem Hintergrund der aktuellen Debatte um ein Versandhandelsverbot ein lukratives Zubrot verschaffen. „Ein solches Motiv schließe ich aus“, sagt Hennrich.