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Der Sonnenkönig Andreas Scheuer und sein letzter großer Auftritt

Mit der zweiten Befragung von Verkehrsminister Scheuer endet die Beweisaufnahme im Maut-Untersuchungsausschuss. Sein Auftritt zeugt von kollektiver Verantwortungslosigkeit. Eine Momentaufnahme.

Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, steht als Zeuge zu Beginn der Sitzung des Maut-Untersuchungsausschusses des Bundestags mit einer FFP2-Maske an seinem Platz. Foto: dpa
Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, steht als Zeuge zu Beginn der Sitzung des Maut-Untersuchungsausschusses des Bundestags mit einer FFP2-Maske an seinem Platz. Foto: dpa

Immerhin sind die äußeren Umstände der Befragung dieses Mal etwas einladender. Die Sonne scheint in den Sitzungssaal, in dem der Untersuchungsausschuss zur gescheiterten Pkw-Maut an diesem Donnerstag seinen wichtigsten und letzten Zeugen vernimmt: Verkehrsminister Andreas Scheuer. Bei seiner erster Befragung Anfang Oktober musste der CSU-Politiker fast die ganze Nacht durchhalten. Nun blendet das helle Tageslicht. Ein Mitarbeiter des Bundestags will schon die Lamellen runterlassen, da winkt Scheuer ab: „Sie können die Sonne gerne lassen. Für mich geht die Sonne gerade auf.“

Das kann ja heiter werden.

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Wer an Politik vor allem ihren Showcharakter mag, wird von Untersuchungsausschüssen selten enttäuscht. Das gilt auch für den Maut-Ausschuss. Es gab da allerhand amüsante bis absurde Auftritte. Da war ein Exstaatssekretär mit erstaunlichen Erinnerungslücken. Da war ein beurlaubter Staatssekretär, der sich im Ratespiel über E-Mail-Adressen des Ministers übte. Und da war ein Spitzenbeamter, der noch nach dem Scheitern der Maut bei einem Firmenchef des Maut-Konsortiums nach Tickets für ein Schlagerkonzert gefragt haben soll.
Was jedoch die Aufklärung angeht, kam der Ausschuss in den vergangenen Monaten nicht so richtig vom Fleck. Viele Vorwürfe stehen inzwischen schon lange im Raum. Der bekannteste ist dieser: Dass Scheuer mit der Unterzeichnung der Verträge mit den Maut-Betreiberfirmen hätte warten sollen, bis der Europäische Gerichtshof über das CSU-Herzensprojekt entschieden hat. Denn das Gericht kippte im Sommer 2019 die sogenannte Ausländer-Maut als europarechtswidrig.

Auch an alle anderen Vorwürfe erinnern FDP, Grüne und Linke pünktlich zum großen Finale. Haushalts- und Vergaberecht seien gebrochen, Kosten versteckt oder kleingerechnet worden. Außerdem steht der Verdacht im Raum, der Minister habe das Parlament belogen. „Dass Scheuer trotz klarer Gesetzesverstöße nicht zurücktritt, ist ein Skandal“, sagt Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer.

Vom Urteil völlig überrascht

Scheuers Parteifreunde halten entsprechend dagegen. „Die Anschuldigungen und Vorwürfe sehen wir nicht bestätigt“, sagt Ulrich Lange, Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss. Und auch Scheuer selbst gibt vor seiner Befragung ein kurzes Statement ab. Er „verstehe den Unmut“, sagt er. „Fakt ist aber, dass wir rechtmäßig gehandelt haben.“ Er habe zu seinem Amtsantritt einen klaren Auftrag zur Umsetzung eines politisch bereits beschlossenen und in Kraft getretenen Gesetzes vorgefunden.

Dieser Argumentation folgt Scheuer seit mehr als eineinhalb Jahren. Sie mag ja aus Ministersicht auch schlüssig klingen, konsequent zu Ende gedacht heißt das allerdings nichts anderes als: Hier stehe ich, und konnte nicht anders. Aber manchmal läuft es einfach nicht – und dann kommt auch noch Pech dazu.

Gleich zu Beginn der Befragung lässt sich Scheuers Taktik, wenn man das so nennen möchte, deutlich erkennen. Er lobt immer wieder seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das seien „Spitzenkräfte“, die bei diesem schwierigen Projekt einen „sehr guten Job gemacht“ hätten. Er stelle sich vor seine Mitarbeiter, sagt Scheuer, und überhaupt: „Ich stelle mich meiner Verantwortung als Minister.“

Dieser Eindruck will sich aber nicht so richtig einstellen. Scheuer berichtet immer wieder, wer ihn wann worüber informiert hat – allen voran sein damals wichtigster Staatssekretär Gerhard Schulz, heute Chef der staatlichen Lkw-Mautfirma Toll Collect, und als „Mister Maut“ bekannt. Er sei von dem Gerichtsurteil „völlig überrascht“ gewesen, sagt Scheuer. Seine Mitarbeiter, darunter Schulz, hätten ihm einen anderen Ausgang vorhergesagt.

Er selbst habe auch in das Vergabeverfahren für den Maut-Betrieb nicht eingegriffen, sagt Scheuer, sich aber von Schulz berichten lassen. Dem wiederum, so stellte sich bei dessen Auftritten vor dem Ausschuss heraus, fiel über Wochen nicht auf, dass es ein Problem mit dem letzten Angebot des einzig verbliebenen Bieter-Konsortiums gab: Es lag eine Milliarde Euro über dem vom Bundestag gesetzten Haushaltsrahmen. Dass Schulz das nicht sofort bemerkte, will nicht so recht passen zu einem, den sie „Mister Maut“ nennen.

Frei von Schuld und Verantwortung

Das war im Herbst 2018 Scheuers Problem: Es gabt nur noch ein Bieter-Konsortium, und das hatte ein viel zu hohes Angebot abgegeben. Dieses Problem galt es zu lösen. Mit der erdrückenden Indizienkette, dass dabei Haushalts- und Vergaberecht mindestens gedehnt wurde, konfrontiert nicht nur die Opposition, sondern auch die SPD den Minister. An Scheuer aber perlen die Fragen ab. Er habe immer wieder gefragt, ob das Vorgehen haushalts- und vergaberechtlich geprüft und sicher sei. „Das wurde mir bestätigt“, sagt Scheuer – und verweist wieder auf Schulz.

Wenn aber nun er, Scheuer keine Fehler gemacht hat, und Schulz und alle anderen Mitarbeiter Spitzenkräfte sind, dann hat sich am Ende niemand etwas vorzuwerfen. Doch wenn keiner Schuld hat, wer trägt dann die politische Verantwortung? Man muss nicht politische Theorie studiert haben, um zu verstehen, dass eine Demokratie ohne politische Verantwortung nicht wirklich gut funktioniert.

Phasenweise wirkt es dementsprechend fast so, als habe die Opposition aufgegeben, Scheuer noch echte Erkenntnisse entlocken zu können. Die Fragen von FDP, Grünen und Linken sind noch mehr mit politischer Interpretation überfrachtet, als es in solchen Ausschüssen ohnehin üblich ist.
Die Union hingegen nutzte den Nachmittag, um mal ganz grundsätzlich nach Praxis und Organisation von Verkehrspolitik in Deutschland zu fragen. Lange und seine Kollegen beherrschen die hohe Kunst des Zeitschindens im parlamentarischen Betrieb. So kommt es, dass Scheuer zwischenzeitlich das Organigramm seines Ministeriums referiert. Er sei stolz, sagt er dazu, auch für 60 nachgeordnete Behörden mit 24.000 Mitarbeitern verantwortlich zu sein. Und spätestens da hat auch der noch so gut informierte Zuhörer den Faden verloren, was das eigentlich mit der Maut zu tun haben soll.

Scheuer ist nach aktuellem Stand der letzte Zeuge im Ausschuss. Im Sommer soll ein Abschlussbericht veröffentlicht werden. Die Fraktionen werden sich darin wohl nicht auf eine einheitliche Bewertung des Verhaltens des Ministers verständigen können.
Die Maut-Betreiber, die Unternehmen Kapsch und Eventim, verlangen unterdessen Schadensersatz von mehr als 560 Millionen Euro. Scheuer sagt, die Summe werde sich „als haltlos erweisen“. Derzeit klärt ein Schiedsverfahren, ob ein solcher Anspruch überhaupt besteht. Wann eine Entscheidung kommt, ist nicht bekannt. Sehr wahrscheinlich ist Andreas Scheuer dann nicht mehr Verkehrsminister.

Mehr zum Thema: Der Verkehrsminister Andreas Scheuer muss ein weiteres Mal das Pkw-Mautdesaster erklären. Schon jetzt steht fest.