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„Wir sollten Trump nicht als Ausrede benutzen, um von den eigenen Schwächen abzulenken“

Sollte Biden die US-Wahlen gewinnen, könnte das eine Erneuerung der transatlantischen Allianz bedeuten, sagt Sigmar Gabriel. Europa müsse dennoch mehr eigene Verantwortung übernehmen.

Sigmar Gabriel kennt die USA gut. 1998 war er erstmals mit einem transatlantischen Programm für Führungskräfte dort und erinnert sich bis heute gerne daran, dass er zum Ehrenbürger von Rapid City in South Dakota ernannt wurde.

Im Interview mit dem Handelsblatt macht er deutlich, was er von einem Wahlsieg Joe Bidens am kommenden Dienstag erwartet: eine neue Ära in den transatlantischen Beziehungen.

Gabriel traut Biden zu, dass er selbst Konflikte wie die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 ausräumen kann. Der Chef der Atlantik-Brücke plädiert für eine transatlantische Energiepartnerschaft.

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Herr Gabriel, was ändert sich im transatlantischen Verhältnis, wenn Joe Biden die Wahl am Dienstag gewinnen sollte?
Joe Biden weiß, dass sich die Konflikte in der Welt besser lösen lassen, wenn man international zusammenarbeitet. Er ist sicher jemand, der die Erneuerung der transatlantischen Allianz oben auf der Tagesordnung hat. Das heißt aber nicht, dass wir mit Joe Biden in die gute alte Zeit zurückkehren würden.

Sondern?
Es wird ein anderes transatlantische Verhältnis geben, bei dem Europa sehr viel mehr eigene Verantwortung übernehmen muss, zum Beispiel für die Entwicklung neuer Technologien, für seine eigene Sicherheit und für seine Nachbarschaft in Afrika.

Ist Europa dazu in der Lage?
Wir Europäer sollten Donald Trump nicht ständig als Ausrede benutzen, um von unseren eigenen Schwächen abzulenken. Die Spaltung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa oder der Streit über die Rechtsstaatlichkeit, das hat alles nichts mit Donald Trump zu tun. Wir haben eine Menge Hausaufgaben zu machen, auch mit einem Präsidenten Joe Biden. Wenn wir technologisch und ökonomisch nicht an Gewicht zulegen, hat eine Partnerschaft mit Europa für die USA wenig Wert.

Wie wird ein Präsident Biden mit der Erdgaspipeline Nord Stream 2 umgehen?
1980 gab es Sanktionen gegen das Mannesmann-Röhren-Geschäft mit der damaligen Sowjetunion. Das ist vergleichbar mit Nord Stream 2 heute. Ronald Reagan war damals als US-Präsident der Führer der Anti-Kommunisten in der Welt. Reagan hob die US-Sanktionen gegen Deutschland auf, weil sein damaliger Außenminister George Shultz gemeinsame transatlantische Interessen auch im Energiebereich definieren konnte.

Bei Wasserstoff und Flüssiggas mit den USA zusammenarbeiten

Ist das auch im Fall von Nord Stream 2 möglich?
Ja. Warum machen wir mit den Amerikanern nicht eine gemeinsame Wasserstoffinitiative, die wir ohnehin brauchen, um unsere Klimaziele zu erreichen? Warum schaffen wir nicht eine gemeinsame Plattform für Flüssiggas-Terminals? Mit einem Präsidenten Biden wäre es möglich, wieder ein breiteres Feld gemeinsamer Interessen zu definieren.

Gilt das auch für das Pariser Klimaabkommen und das Atomabkommen mit dem Iran?
Ich bin sicher, dass Biden die Kündigung des Klimaschutzabkommens zurücknehmen würde. Ob man mit ihm einfach zum alten Iran-Abkommen zurückkehren kann oder ob es breitere Verhandlungen braucht, die auch anderen Konflikte wie zum Beispiel im Jemen miteinbeziehen, muss man sehen. Biden weiß jedoch, dass der Rückzug Amerikas aus dem Nahen und Mittleren Osten ein Vakuum erzeugt und dass man versuchen muss, dieses Vakuum zu füllen.

Biden fordert einen harten Kurs gegenüber Russland. Ist das im europäischen und deutschen Interesse?
Bei den Demokraten gibt es immer noch viele, die Putin und den Einmischungen Russlands in die US-Wahl 2016 die Schuld am Wahlsieg Trumps geben. Die Demokraten werden auch deshalb eher eine härtere Konfrontation gegenüber Moskau suchen. Das ist für uns Europäer nicht ganz einfach, weil wir jede Verschärfung des Konfliktes mit Russland in unserer Nachbarschaft spüren werden. Wir müssen also mit den USA reden, und ich erwarte, dass es am Ende beim klassischen Mix aus Abschreckung und Dialog gegenüber Russland bleiben wird.

Was unterscheidet Biden am stärksten von Trump?
Biden ist sich darüber im Klaren, dass die Fähigkeit Amerikas, Allianzen zu schmieden, das eigentliche Fundament amerikanischer Macht in der Welt ist. Das ist auch der große Unterschied zwischen den USA und Mächten wie China oder Russland. Die haben nur Abhängige, aber keine Verbündeten. In Peking und Moskau hofft man auch deshalb auf einen Sieg Trumps, weil es einfacher ist, mit einem isolierten Amerika umzugehen als mir einem Amerika, das auf Allianzen setzt.

Muss Europa sich hinter die USA stellen und notfalls auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu China verringern oder gar abbrechen?
Es ist völlig klar, dass China für Europa ein politischer Antipode ist. Zugleich ist es aber auch ein Wirtschaftspartner. Wir können mit China deshalb nicht so umgehen wie mit der alten Sowjetunion. China ist für uns Europäer eine Art „Frienemy“, also ökonomischer Partner, aber politischer Gegner.

Was ist die richtige Strategie im Umgang mit China?
Eine Abkoppelung (Decoupling), wie viele es in den USA fordern, ist keine erfolgversprechende Strategie. Man kann ein 1,4-Milliarden-Volk nicht unter Hausarrest stellen. Eine wirtschaftliche Diversifizierung im indoasiatischen Raum, wie sie gerade von der Bundesregierung diskutiert wird, ist da viel sinnvoller. Wir müssen mit den USA, aber auch mit Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland eine gemeinsame Strategie gegenüber China entwickeln. Nicht um China auszugrenzen, aber um China auszubalancieren.

Sollte sich Europa nicht besser aus dem Kampf der Großmächte heraushalten, wie viele Bundesbürger es fordern?
Bei dem aktuellen Konflikt zwischen China und den USA geht es vor allem um die weltweite Technologieführerschaft. Europa spielt dabei überhaupt keine Rolle. Das kann nicht so bleiben. Außerdem müssen wir Europäer uns darauf einstellen, dass der atlantische Raum in der globalen Machtarchitektur an Bedeutung verloren hat. Der indopazifische Raum ist hingegen viel wichtiger geworden, weshalb sich die Amerikaner stärker dieser Region zuwenden werden – auch unter einem Präsidenten Biden.
Herr Gabriel, vielen Dank für das Interview.