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So wichtig sind Business Angels für die deutsche Start-up-Szene

Bevor Profi-Investoren Millionenbeträge in Firmen pumpen, sind im Geheimem schon Tausende Business Angels aktiv. Eine Studie stellt sie nun in den Fokus.

André Schwämmlein, Jochen Engert und Daniel Krauss sind die Lieblinge internationaler Investoren. Die Flixbus-Gründer haben im vergangenen Jahr 560 Millionen Dollar für ihr Unternehmen eingesammelt – so viel wie kein anderes deutsches Start-up. Doch sie kennen auch die andere Seite des Verhandlungstischs. Immer mehr erfolgreiche deutsche Gründer betätigen sich nämlich selbst als Unterstützer anderer junger Firmen.

Eine Studie von Startupdetector, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt, zeigt: Die drei Flixbus-Gründer gehören zu den aktivsten sogenannten Business Angels des Landes – und damit zu einer Investorengruppe, die meist im Verborgenen agiert, für junge Unternehmen aber ungeheuer wichtig ist.

Sie beteiligen sich nicht nur an den Start-ups, sondern greifen den Gründern tatkräftig unter die Arme – lange bevor sich Investmentfirmen für die Unternehmen interessieren. Allein in der zweiten Jahreshälfte 2019 waren in Deutschland rund 2200 solcher Angels an Finanzierungsrunden in Deutschland beteiligt.

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Die Flixbus-Gründer haben mit ihrer Beteiligungsfirma gleich in sechs Unternehmen investiert. Zu den Top-Angels in Deutschland gehören auch die Gründer der Shopping-Plattformen Hitmeister und Idealo sowie der Devisenplattform 360T.

„Business Angels sind die treibende Kraft hinter der Entwicklung des Start-up-Ökosystems“, sagt Felix Engelmann. Gemeinsam mit Arnas Bräutigam hat er im vergangenen Jahr den Informationsdienst Startupdetector gegründet. Sie verkaufen wöchentliche Neuigkeiten zur deutschen Gründungslandschaft.

Die Daten beziehen sie mithilfe eines Algorithmus aus dem Handelsregister. „Auf diese Weise entdecken wir neue Unternehmen lange bevor sie mit ihren Produkten an die Öffentlichkeit treten“, sagt Bräutigam. Auch Finanzierungsrunden, die sonst geheim blieben, werden auf diese Weise aufgedeckt, wenngleich im Handelsregister nur die Gesellschafter eingetragen werden, nicht wie viel sie investieren.

Alexander von Frankenberg, Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds, erklärt: Viele Gründer und Investoren hätten Angst, dass Ideen kopiert oder Talente abgeworben würden. Der Erste zu sein, der eine bestimmte Geschäftsidee verfolgt, könne zum Nachteil werden: „Der First Mover reibt sich oft auf, der zweite hat es manchmal leichter und macht es dann vielleicht noch etwas besser“, sagt er.

Entsprechend interessiert sind Investoren und etablierte Unternehmen an Informationen aus der Start-up-Szene: Wo entsteht ein spannender Investmentkandidat? Welche Geldgeber interessieren sich gerade für welche Branche? Neben den Angels engagieren sich private Wagniskapitalgeber, öffentliche Investoren, die Bundes- oder Landesmittel einbringen, und Unterstützer aus Freundes- und Familienkreis.

Im Schnitt wird alle vier Stunden in Deutschland ein Start-up gegründet. Für viele Gründer ist es unerlässlich, einen passenden Angel zu finden. Denn ein guter Business Angel sei für Gründer auch ein Sparringspartner und unterstütze sie mit seinem Netzwerk. „Business Angels haben zwei Flügel, einer beinhaltet das unternehmerische Know-how und der andere das Kapital“, sagt Ute Günther, Vorständin beim Business Angels Netzwerk (BAND).

Nach Schätzungen des BAND gibt es hierzulande etwa 10.000 Angels. Doch der Markt ist intransparent – teilweise zum Nachteil der Angel. Martin Sinner, Gründer des Preisvergleichsportals Idealo und aktiver Angel, sagt: „Ich werde wegen meiner Idealo-Vergangenheit oft für Investments im Onlinehandel angesprochen, dabei interessiere ich mich vor allem für Software und Plattformen als Service und den Messenger-Bereich.“

Meistens werde er über den Weg persönlicher Kontakte angefragt und erkundigt sich selbst wiederum im Bekanntenkreis, ob jemand Einschätzungen zu den Gründerpersonen und ihren Geschäftsideen geben kann. So sei es auch bei Researchgate gewesen, eine Datenbank für Forscher aus allen Wissenschaftsbereichen.

Mit dem Institut für Innovation und Technik (IIT) hat Startupdetector seine Daten nun erstmals auf Muster untersucht. Vor allem über die Angels will das Unternehmen künftig noch mehr herausfinden, um auch Gründern damit zu helfen. Im ersten Schritt haben sie alle Firmengründungen 2019 und die Finanzierungsrunden im zweiten Halbjahr 2019 erhoben. Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

1. Business Angel sind Starthelfer

Im Gegensatz zu Wagniskapitalgebern, englisch Venture Capitalists (VCs), investieren Business Angels meist kleinere Beträge: Als typisch gelten 50.000 bis 150.000 Euro. Zugleich tragen sie ein größeres Risiko, weil sie in sehr frühen Phasen in die Unternehmen einsteigen – lange bevor klar ist, ob das Geschäftsmodell tatsächlich funktioniert.

Das ist besonders wichtig, weil Start-up-Gründer bei Banken kaum Chancen auf einen Kredit haben. Oft legen die Angels mit den sogenannten „Seed-Runden“ das Samenkorn für den unternehmerischen Erfolg. Weitere Finanzierungsrunden werden dann Series A, Series B und Series C genannt. In Ausnahmefällen folgen weitere.

Laut Startupdetector waren die Unternehmen zum Zeitpunkt eines Angel-Investments im Schnitt knapp zwei Jahre alt, bei VC-Investments schon fast drei.

2. Investoren sichern sich gegenseitig ab

Insgesamt hat Startupdetector im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres 1007 Kapitalerhöhungen bei Start-ups registriert. Nur bei 180 davon trat ein Angel alleine auf, bei 75 war ein VC alleine unterwegs. Im Schnitt waren 3,7 Geldgeber an einer Finanzierungsrunde beteiligt.

Mehrfachgründer Felix Haas (Amiando, IDNow), der mit drei Partnern in rund 100 Unternehmen investiert hat, bestätigt: „Business Angels sind Herdentiere. Solche Investments macht man immer gemeinsam, nur so bekommt man Zugang zu den besten Deals.“

Es gehe darum, Informationen zu teilen und sich gegenseitig zu unterstützen. „Als Business Angel bekomme ich enorm viele Angebote, von denen ich die meisten schnell aussortiere. Aber, wenn ein Bekannter eine Empfehlung gibt, schaue ich mir das genau an“, sagt Haas.

Den ersten Business Angel zu überzeugen, sei für Gründer die größte Hürde. Investorengruppen entwickeln sich meist über persönliche Kontakte. Laut BAND gibt es in Deutschland sechs offizielle Angel-Clubs und 40 Netzwerke.

3. Berlin ist die Stadt der Angels

Gemessen an der Einwohnerzahl sind in München im zweiten Halbjahr 2019 die meisten Menschen als Angels aktiv geworden, nämlich 156. Berlin hat mit 250 aktiven Business Angels zahlenmäßig aber die meisten. In Hamburg haben 84 Angels investiert, in Frankfurt 56.

Ortsbezug sei für Business Angels aber unwichtig, hat Studienautor Engelmann herausgefunden. „Die meisten Business Angels sind durchaus sehr stark außerhalb ihres eigenen Bundeslandes aktiv“, sagt er. Nur in Baden-Württemberg und Bayern investieren sie vorwiegend in heimische Start-ups.

Berlin und Hamburg zogen auch viele auswärtige Angels an. Grund dafür dürfte auch die Intransparenz des Marktes sein: In der Start-up-Hochburg Berlin können sich Gründer gegenseitig den Kontakt zu ihren Angels vermitteln.

4. Nicht jedes spannende Start-up will ein Einhorn werden

Bis Unternehmer externe Investoren in die Firma holen, dauert es häufig eine Weile. Bei der ersten Finanzierungsrunde waren Start-ups im Schnitt 23 Monate alt, bei der zweiten drei Jahre und bei der dritten knapp fünf.

Was diese Daten nicht zeigen: Viele Gründer kommen ohne Geldgeber aus. Wie Felix Haas beobachtet, wollen diese meist kein Einhorn werden, also eine Firma, die mit einer Milliarde Dollar bewertet wird. „Aber ihre Unternehmen sind häufig schon früh profitabel“, sagt Haas.

An einer schwierigen Finanzierungssituation liegt es nicht. Laut Thomas Prüver, Partner bei EY, hat sich Deutschland in der Frühphasenfinanzierung „gut entwickelt“. „Gute Start-ups bekommen in der Seed-Runde und in der Series A relativ einfach ein bis zwei Millionen Euro und können sich die Geldgeber aussuchen“, sagt er. Auch die Zahl der VCs in diesem Bereich steige.

Etwas anders sieht es Ute Günther vom BAND: „Aus Start-up-Sicht kann es gar nicht genug Business Angels geben“, sagt sie. Zudem würden die Unternehmensbewertungen steigen und damit werde das Investment für den einzelnen Angel teurer.

Hinzu kommt aktuell noch die Unsicherheit durch das Coronavirus. „Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob das Coronavirus tatsächlich zu einer weltweiten Wirtschaftskrise führen wird“, sagt Susanne Chishti, Geschäftsführerin des Business-Angel-Netzwerks Fintech Circle. „Falls es soweit kommt, werden auch die Start-up-Investments zurückgehen.“

5. Nur jede fünfte Neugründung richtet sich an die Industrie

Die Digitalisierung der Industrie gilt als große Chance für Deutschland, globale Technologieführer hervorzubringen. Bei den Gründern ist die Botschaft aber noch nicht angekommen. Im vergangenen Jahr wurden laut Startupdetector in Deutschland insgesamt 2289 Start-ups gegründet, nur 130 davon im Industriesektor. Im Ranking der Gründungen pro Segment liegt die Industrie nur auf Platz fünf.

Am beliebtesten ist dagegen die Softwareentwicklung mit 481 neuen Firmen. Daneben dominierten Gründungen im Bereich Gesundheit (260) und E-Commerce (165). Im Bereich Energie (41 Start-ups) und Umwelttechnologie (29) wurde trotz des großen Bedarfs relativ wenig gegründet.

Auch in den Investments schlägt sich der Aufbruch in die Digitalisierung der Industrie noch nicht nieder. Industrie-Start-ups sind im Ranking der beliebtesten Segmente im zweiten Halbjahr 2019 nur auf Platz sechs.

6. Geschäftskundenfokus ist Trumpf

Rund 61 Prozent der Start-ups, die eine Finanzierung erhielten, richten sich laut Engelmann an Geschäftskunden (B2B). Einen Privatkundenfokus hatte nur jedes Dritte. Bei den Übrigen war die Ausrichtung unbekannt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam kürzlich die Beratungsgesellschaft EY bei einer Untersuchung der Top-100-Tech-Start-ups, gemessen am kumulierten Finanzierungsvolumen: Demnach lag der B2B-Anteil im vergangenen Jahr bei 60 Prozent, 2016 waren es noch knapp 40 Prozent.

EY-Partner Prüver wertet das als Zeichen eines reifenden Marktes. „Wenn man sich an Geschäftskunden richtet, muss man in der Regel mehr Zeit für die Produktentwicklung einplanen, denn Unternehmen wollen gleich ein fehlerfreies Produkt und tolerieren Anpassungen nicht so wie Privatkunden“, sagt er.

Zugleich sei die Geschäftsbeziehung zu Firmenkunden aber nachhaltiger. „Wenn man solche Kunden einmal hat, springen sie meist auch nicht so schnell wieder ab“, so der Berater. Da wundert es nicht, dass rund 57 Prozent der 2019 neu gegründeten Start-ups auf das B2B-Geschäft setzen und nur 31 Prozent auf Privatkunden.

7. Öffentliche Kapitalgeber achten nicht nur aufs Geld

Neben privaten Investoren unterstützen auch öffentliche Geldgeber den Start-up-Sektor. Der mit Abstand aktivste Wagniskapitalgeber war mit 40 Investments in der zweiten Jahreshälfte 2019 der High-Tech Gründerfonds, zeigt die Studie von Startupdetector. Dabei handelt es sich genaugenommen um eine öffentlich-private Partnerschaft. Hauptinvestor ist der Bund, gefolgt von der KfW Bankengruppe und 18 Unternehmen.

Öffentliche Investoren sind tendenziell aktiver als private Wagniskapitalgeber, so die Autoren der Studie. Typisch ist, dass sie sich die Gründer schon sehr früh ansehen und sogar beim Gründen helfen.

Alexander von Frankenberg, Geschäftsführer vom High-Tech Gründerfonds sagt: „Wenn wir zum ersten Mal mit Gründern reden, stehen die Gründungen oft noch aus.“ Dieses frühe Engagement ist letztlich auch Aufgabe der öffentlichen Geldgeber, sagen die Autoren: Wegen der hohen Risiken gab es in diesem Bereich in der Vergangenheit noch Finanzierungslücken. Je früher Geldgeber einsteigen, desto schwieriger sind die Chancen einer Firma abzuschätzen.

Dabei jagen die öffentlichen Geldgeber nicht nur die berühmten Einhörner: „Wir adressieren die breite Masse“, sagt von Frankenberg. Zwar solle sich jedes Investment auch rentieren. Als öffentlicher Geldgeber schaue er aber zweimal hin, bevor er einem Start-up absagt, das wichtige Themen wie Klima, Umweltschutz und saubere Technologien angeht.