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So mächtig ist Amazon in Deutschland

Ob als Kunde oder Händler – an Amazon kommt man in Deutschland kaum vorbei. Eine Studie zeigt nun wie stark die Macht des US-Handelsriesen ist.

Im Schlussspurt des US-Kongresswahlkampfs teilte Donald Trump in alle Richtungen aus – auch gegen Amazon. Eine Zerschlagung des E-Commerce-Riesen schließe er nicht aus, erklärte der US-Präsident in einem Interview. Der Angriff kommt nicht von ungefähr. Amazons Marktmacht sorgt in Amerika schon lange für Besorgnis.

Wie dominant Amazon auch in Deutschland schon ist, belegt jetzt erstmals eine Studie, die dem Handelsblatt vorliegt. Forscher der Universität Sankt Gallen haben ermittelt, dass der Onlinehändler in wichtigen Produktgruppen schon überraschend hohe Marktanteile hat – nicht nur im Vergleich zu anderen Onlinehändlern, sondern zum gesamten Handel.

Annähernd die Hälfte des deutschen Onlinehandels geht inzwischen über Amazon. Vor allem bei Büchern, Elektroartikeln und Spiel- und Freizeitwaren ist der US-Konzern so stark geworden, dass etliche unabhängige Händler über den Marktplatz verkaufen müssen, um ihre Kunden überhaupt noch zu erreichen.

Durch eine einfach zu bedienende Benutzeroberfläche, eine riesige Produktauswahl, zahlreiche Services und eine hohe Kulanz bei Reklamationen hat das Unternehmen es geschafft, das Vertrauen der Käufer und damit die Kundenbindung immer mehr zu erhöhen. Bei Umfragen zu den beliebtesten Händlern landet Amazon deshalb regelmäßig auf einem der vorderen Plätze.

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Weltweit setzte das Unternehmen zuletzt schon fast 180 Milliarden Dollar um. In Deutschland waren es nach eigenen Angaben 17 Milliarden Dollar – fast viermal so viel wie die Warenhausketten Karstadt und Kaufhof zusammen.

Bei Büchern geht laut der Exklusivstudie fast jeder fünfte Euro über Amazon, bei Elektroartikeln sowie Sport und Freizeit sind es 16 Prozent Marktanteil, bei Baumarkt und Garten vereint Amazon immerhin ein Zehntel des Gesamtmarkts auf sich – wohlgemerkt aller Umsätze, also sowohl online als auch im Laden.

Handel beklagt Amazons Dominanz

„Eine solch monolithische Dominanz kann nicht im Sinne der Handelslandschaft sein“, wettert Payback-Chef Dominik Dommick. Er hat die Studie mit den Partnern, der Universität St. Gallen sowie den Handelsberatern Etribes und Factor-A, umgesetzt – nicht ohne Eigeninteresse.

Dommick will mit harten Fakten die Händler dazu aufrufen, Alternativen zu Amazon zu suchen. Denn der Konzern des visionären Gründers Jeff Bezos vereint zwei Geschäftsmodelle: den eigenen Versandhandel und das Marktplatzgeschäft, bei dem er die Infrastruktur unabhängigen Händlern zur Verfügung stellt.

Dommicks Beobachtung: „Amazon ist nicht überall gleich stark – und das lässt sich messen.“ Dabei komme auch heraus: Je stärker Amazon eine Kategorie beherrscht, desto weniger spielen unabhängige Händler auf der Plattform eine Rolle – jedenfalls nach den Daten der Studie.

Der Onlineriese ist auch schon ins Visier der Kartellwächter geraten. Ihnen missfällt, dass Amazon einerseits auf eigene Rechnung verkauft, andererseits ein Marktplatz für externe Händler ist.

„Bei solchen Plattformen besteht immer ein gewisses Potenzial der Wettbewerbsbehinderung der freien Händler“, sagte Kartellamts-Präsident Mundt dem Handelsblatt. Kreisen zufolge könnte das Amt noch in diesem Jahr ein Marktmissbrauchsverfahren einleiten.

Beim Bundeskartellamt gehen zahlreiche Beschwerden von Händlern ein, die sich von Amazon schlecht behandelt fühlen und die Geschäftsbedingungen kritisieren. Ein neues Verfahren der Kartellwächter könnte also kurz bevorstehen. Denkbar wäre etwa ein Missbrauchsverfahren oder die Vorstufe, eine Sektoruntersuchung.

In der Vergangenheit musste Amazon bereits auf Druck der Kartellwächter eine Klausel streichen, wonach Händler nirgendwo günstiger anbieten dürfen als bei Amazon. Auch eine Exklusivvereinbarung mit Apple zu Hörbüchern gab Amazon auf.

Auch die Politik arbeitet schon daran, die Marktmacht zu brechen. SPD-Chefin Andrea Nahles hat ein „Daten für alle“-Gesetz ins Spiel gebracht, nach dem Internetplattformen Konkurrenten an ihrem Datenschatz teilhaben lassen sollen. Der Mittelstandsverbund, der 230.000 Händler vertritt, würde das begrüßen.

Amazon selbst sieht sich dagegen als Chancengeber. „Einzelanbieter und Unternehmen jeder Größe können über den Verkauf auf Amazon Marketplace hundert Millionen von Kunden erreichen“, heißt es auf der Website.

Und auf Anfrage zur Studie, die Amazon noch nicht vorliegt, teilte ein Sprecher mit: „Bei jedem dieser Felder steht Amazon im Wettbewerb mit starken Konkurrenten. Am weltweiten Einzelhandel haben wir einen Anteil von weniger als ein Prozent.“

Klar ist: Amazon setzt den etablierten Handel stark unter Druck – zunächst oft zum Vorteil der Kunden. Der Mediamarkt-Konzern Ceconomy beispielsweise musste erst vor wenigen Wochen eine Gewinnwarnung herausgeben.

Amazon zwingt den Elektronikmärkten seit Jahren eine Schnäppchenstrategie auf. Stolze 1,7 Milliarden Euro Umsatz gingen über die Amazon-Plattform allein bei Elektroartikeln – in nur einem Quartal. Doch Amazon vernichtet auch Vielfalt: Unter den Spielwarenhändlern in den Innenstädten hat Amazon in den vergangenen Jahren eine regelrechte Schneise geschlagen.

In der Not verlegen sich viele Anbieter darauf, selbst über Amazon zu verkaufen. Ein großer Teil der Angebote bei Spiel- und Freizeitartikeln stammt laut der aktuellen Studie von Dritthändlern. Hohe Umsatzanteile von Amazon landen so bei zahllosen kleinen Händlern.

Dennoch warnt Payback-Manager Dommick: „Wer sich dazu entschließt, über den Amazon Marketplace zu verkaufen, begibt sich schnell in eine verhängnisvolle Abhängigkeit, in der langfristig vor allem Amazon selbst der Gewinner ist.“

Die aktuelle Studie befeuert damit einen Verdacht, dem die EU-Kommission derzeit nachgeht. Sie will wissen, ob Amazon die Daten, die die Plattform von den unabhängigen Händlern gewinnt, dazu nutzt, das eigene Sortiment zu optimieren.

Immer wieder erlebten in der Vergangenheit unabhängige Händler, dass Amazon besonders gut laufende Artikel plötzlich selbst ins Programm nahm – und so das Geschäft der Plattform-Händler untergrub. Die EU-Kartellwächter prüfen nun, ob ein solches Vorgehen bereits ein Missbrauch der Marktmacht Amazons ist.

Gefährliche Abhängigkeit

Das Handelsforschungsinstitut IFH aus Köln spricht bereits von einer „Amazonisierung des Konsums“. Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung des IFH, sagt, dass Amazon sich im Bewusstsein und Kaufverhalten der Kunden schon so nachhaltig verankert habe, dass „der Weg zum Kunden für andere Anbieter regelrecht abgeschnitten wird“.

Je mehr Bestellungen über die Amazon-Plattform laufen, desto stärker verlieren andere Händler den direkten Zugang zum Konsumenten. Damit begeben sie sich in eine gefährliche Abhängigkeit und verlieren wichtige Kundendaten. Die Gewinnung von Neukunden werde für viele Händler damit praktisch unmöglich.

Amazon erklärte hierzu auf Anfrage: „Wir vertreten in unserer Datenschutzerklärung einen klaren Standpunkt zu der Frage, wie wir Kundendaten nutzen oder nicht nutzen.“ Diese sei für jeden einsehbar.

Das Wissen über die Bedürfnisse der Kunden nutzt Amazon auch für sein eigenes Sortiment: Amazon ist bereits dabei, ein starkes Eigenmarken-Geschäft unter Labels wie „Amazon Basics“ aufzubauen. Bei Elektronikprodukten ist die Eigenmarke laut der neuen Studie schon unter den fünf am prominentesten platzierten Marken.

Besonders auffällig ist nach Berechnungen des IFH, dass der Amazon-Kunde über die Jahre immer häufiger auf der Plattform einkauft. Hatte der typische Amazon-Kunde im Jahr 2004 erst achtmal pro Jahr bei Amazon bestellt, waren es im vergangenen Jahr schon 40 Bestellungen.

Noch stärker war der Effekt beim Treueprogramm Amazon Prime. Die Amerikaner nutzen hier ihre breite Aufstellung vom Versandgeschäft bis zur Online-Videothek, um Kunden exklusiv zu binden – zulasten von Konkurrenten wie Otto und Notebooksbilliger.

Verschärft wird diese Entwicklung mit der weiteren Verbreitung des Sprachassistenten Alexa von Amazon. „Für die Händler können die Sprachassistenten zur existenziellen Bedrohung werden. Wer da nicht präsent ist, findet im Handel bald nicht mehr statt“, mahnt Achim Himmelreich, E-Commerce-Experte der Unternehmensberatung Capgemini.

Es schiebe sich ein Dritter zwischen Händler und Konsument. „Wenn das Amazon ist, dann ist das zugleich ein direkter Konkurrent. Und dann braucht es im Prinzip keinen Handel mehr“, so Himmelreich.

Deutschland steht im Fokus: Deutsch war die erste Fremdsprache, die Alexa lernen musste. Der US-Konzern unterhält auch in Deutschland eine größere Forschungseinheit rund um Künstliche Intelligenz und Spracherkennung und investiert Milliarden in diese Technologie.

Amazon sieht sich jedenfalls auf dem richtigen Weg: „Wir denken, dass es unsere Aufgabe ist, weiterhin in vielen Bereichen Innovationen für unsere Kunden voranzutreiben. Und wir hoffen, sofern uns das weiterhin gut gelingt, dass die Kunden auch in Zukunft auf uns setzen und zu einem von vielen erfolgreichen Unternehmen machen“, erklärte der Unternehmenssprecher.

Wächst Amazon das Geschäft über den Kopf?

Amazon ist konflikterprobt: Seit 2013 versucht die Gewerkschaft Verdi, mit immer neuen Aktionen den Konzern in den Einzelhandelstarif zu zwingen – bislang ohne Erfolg. Selbst Streiks – wie zuletzt in der vergangenen Woche – steckt die ausgefeilte Amazon-Logistik inzwischen meist locker weg. 16.000 Menschen gibt Amazon inzwischen in Deutschland Arbeit – oft in strukturschwachen Gegenden.

Doch mitunter scheint es, als wachse Amazon das gewaltige Geschäft über den Kopf. Zumindest gewann der hessische Unternehmer Klaus Kiunke in jüngster Zeit diesen Eindruck. Denn der Internetkonzern hat das Verkäuferkonto seiner Modelcarworld kurzerhand gesperrt, nachdem ein Wettbewerber dem Modellautohändler Markenrechtsverletzungen vorwarf. Kiunke hält die Anschuldigungen für völlig abwegig.

Was ihn aber besonders ärgert: Auf seine Nachfragen hin konnte – oder wollte – ihm in den Callcentern von Amazon niemand helfen. „Ich habe nur Standardantworten bekommen, das ist typisch für das Unternehmen“, ärgert sich der Versandhändler aus Flörsheim. Sein Eindruck: „Die haben einfach nicht die Kompetenz, um jeden einzelnen Fall ordentlich einzuschätzen.“

Kiunke sieht sich als einer der größten Händler von Modellautos in Europa. Den überwiegenden Teil vom Umsatz erzielt er über seine eigene Homepage, Plattformen wie Amazon stehen für weniger als zehn Prozent aller Einnahmen. „Zum Glück“, betont Kiunke. Durch das gesperrte Amazon-Konto gehe ihm im schlimmsten Fall auf Jahressicht ein sechsstelliger Umsatz verloren, „aber vermutlich nicht viel Gewinn“, so der Firmengründer.

Noch gibt es auch Bereiche, in denen Amazon in Deutschland kaum vorwärtskommt. Im Bereich Mode und Luxus liegt der Marktanteil gerade einmal knapp über einem Prozent, der Durchschnittspreis beträgt nur 28,25 Euro – ein Indiz dafür, dass Amazon im hochwertigen Modehandel längst nicht Fuß gefasst hat.

Konkurrent Zalando investiert viel, um Amazon klein zu halten. Doch sein erklärtes Ziel, im europäischen Modemarkt einen Marktanteil von fünf Prozent zu erreichen, liegt noch in weiter Ferne. Im Abwehrkampf gegen Amazon meldete Zalando am Dienstag wieder einen Quartalsverlust – und wurde prompt von der Börse abgestraft.

Bei Lebensmitteln liegt Amazon sogar – trotz seines Lieferdiensts Amazon Fresh in Berlin, Hamburg und München – noch unter einem Prozent Marktanteil. Dabei setzen Verbraucherschützer hier sogar Hoffnung in Amazon: In Zukunft könnten die Amerikaner das deutsche Händler-Oligopol aus Rewe, Edeka, Aldi und Lidl aufbrechen, hoffen sie. Oder eine Übermacht durch eine andere ersetzen.