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So gefährlich kann das Impfchaos für von der Leyen werden

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, als Politikerin bisher versiert in der Selbstdarstellung, macht in der Pandemie keine gute Figur. Die Kritik wird vor allem aus Deutschland immer lauter. Zu Recht?

Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission Foto: dpa
Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission Foto: dpa

Als die EU-Kommission in der Coronapandemie zum ersten Mal schlecht agierte, sorgte sich Ursula von der Leyen um die Farbe ihrer Jacketts. Im vergangen März war das. Im norditalienischen Bergamo starben so viele Menschen, dass die Armee Särge abholte. Von der Leyen begann, in dichter Abfolge Videobotschaften aufzunehmen, um den Menschen in Italien ihre Solidarität zu bekunden. Die aufmunternden Botschaften für die wütenden Italiener wollte sie aber partout nicht zweimal hintereinander im selben Jackett in die Kamera sprechen.

Erfahrene Brüsseler Beamte staunten über die Kleiderfrage. Natürlich eilte der CDU-Politikerin aus Berlin der Ruf voraus, auf ihre Außenwirkung zu achten. Aber selbst im Krisenmodus auf die Etikette zu achten, das sorgte für Verwunderung im EU-Apparat. Und ließ den Verdacht aufkommen, dass von der Leyen die Form wichtiger sei als der Inhalt.

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Bald ein Jahr später fühlen sich die Skeptiker bestätigt. Von der Leyens Kritiker, allen voran aus Deutschland, beklagen ihr Krisenmanagement in der Pandemie.

Die vergangene Woche dürfte eine der unangenehmeren in von der Leyens Politikerleben gewesen sein. Nach Biontech kündigte mit Astrazeneca das zweite Unternehmen Produktionsengpässe beim Impfstoff an und ließ sehr deutlich durchblicken, dass die fristgemäße Belieferung der EU keine Priorität besitze. Das erhöhte den Druck auf die EU-Kommission offenbar derart, dass sich am Freitag gleich mehrere Pannen aneinanderreihten. Zuerst wurde der Vertrag zwischen EU-Kommission und AstraZeneca ohne die vom Unternehmen gewünschten Schwärzungen ins Internet gestellt. Dann kamen aus Brüssel Drohungen, Impflieferungen zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland aufzuhalten, was dem Brexit-Abkommen widersprochen hätte. Nach Protesten aus London, gab Brüssel klein bei. Und der Transparenz-Mechanismus, der dafür sorgen soll, dass versprochener Impfstoff in der EU bleibt, wirkt wie eine eilig aufgelegte Notmaßnahme, die nicht zu einer Organisation passt, die gerne den Freihandel hochhält. „Es ist die Stunde der Amateure“, ätzt ein Brüsseler Insider.

Das kopflose Agieren zeigt, wie hoch die Nervosität in der EU-Kommission mittlerweile ist. Viele in Deutschland machen von der Leyen persönlich für den schleppenden Start der Impfungen verantwortlich. Auf dem Impfgipfel am Sonntag versuchte sie, aus der Defensive zu kommen. Mit den CEOs der sechs Unternehmen, bei denen die EU Impfstoffe bestellt hatte, erörterte sie die Gefahr der Mutationen des Coronavirus und verkündete stolz, dass Astrazeneca nun doch mehr Impfstoff liefern werde als geplant. Die EU-Kommission denkt an die Zukunft – dieses Signal sollte von der Videokonferenz ausgehen. Einen Tag vor dem deutschen Impfgipfel, auf dem Brüssel wieder einmal Kritik abbekommen dürfte. Am Montag kündigte nun auch Biontech an, mehr Impfstoff an die EU liefern zu wollen: 75 Millionen zusätzliche Impf-Einheiten sollen es im zweiten Quartal sein, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.

Und dennoch: Die zähen Verhandlungen mit den Herstellern und die Produktionsengpässe werfen derzeit ein schlechtes Licht auf die EU. Trotz der neuen Zusagen von Astrazeneca und Biontech. Wie gefährlich kann das Impfdesaster von der Leyen noch werden? Bisher deutet nichts darauf hin, dass die Kommissionschefin wegen der langsam anlaufenden Impfungen ihren Job verlieren wird. Das Europäische Parlament könnte theoretisch die komplette EU-Kommission entlassen. Doch für ein erfolgreiches Misstrauensvotum sind zwei Drittel der Stimmen notwendig. Aus dem Parlament ist bisher nur von den politischen Rändern Kritik am gemeinsamen Impfeinkauf zu hören.
Die Abgeordneten hatten die EU-Kommission im Herbst darin bestärkt, die Haftung nicht so weitgehend zu übernehmen, wie es die Hersteller gerne gehabt hätten, was den Vertragsabschluss bis in den November verzögerte. In kleineren Mitgliedsstaaten wird der gemeinsame Einkauf als Vorteil gesehen. Jeder für sich hätte noch schlechtere Konditionen bekommen.

Aus dem größten Mitgliedsstaat Deutschland kommt dagegen ohrenbetäubende Kritik. „Bei all dem Beschaffungschaos kann sich die Kommissionspräsidentin nicht länger wegducken“, sagt etwa SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.

Von der Leyen befindet sich in einer ungewohnten Situation, denn eines der größten Probleme in der Pandemiebekämpfung hat sie von ihren Vorgängern geerbt. In ihrer bisherigen politischen Karriere war sie es dagegen, die ihren Nachfolgern einen unliebsamen Nachlass hinterlassen hat. Konkret ist von der Leyen damit konfrontiert, dass Europa bei den Impfungen hinter den USA deutlich hinterherhinkt, weil in der EU zu wenig in Forschung und Innovationen im Bereich Impfungen investiert wird.

Bereits im vergangenen September betonte der französische Ökonom Philippe Aghion von der London School of Economics, dass die EU deutlich weniger Mittel in die Hand genommen habe, um die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 anzuschieben. Mit 2,7 Milliarden Euro war es nur ein Drittel des US-Programms „Operation Warp Speed“, das beinahe zehn Milliarden Dollar umfasst. In den USA wurden die Mittel bereitgestellt, um schon im Frühjahr 2020 alle Phasen der Entwicklung zu finanzieren: Klinische Versuche, den Aufbau von Produktionskapazitäten und selbst Abfüll- und Verpackungsanlagen. Astrazeneca bekam von den USA zwischen Februar und Dezember 2020 insgesamt 1,6 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Von der EU gab es nur 336 Millionen Euro als Vorabzahlung. Ökonom Aghion wies darauf hin, dass bei allen 13 Impfstoffen, die sowohl von den USA als auch von der EU unterstützt wurden, aus den USA deutlich mehr Geld floss. Wie sich jetzt zeigt, fühlen sich die Hersteller offenbar ihrem ersten Geldgeber verpflichtet. Da braucht es beinahe keinen Executive Order mehr, wie ihn der damalige US-Präsident Donald Trump im Dezember erlassen hatte, um zu bestimmen, dass US-Fabriken Impfstoffe nur für US-Bürger produzieren.

Der EU fehlt eine Behörde wie BARDA in den USA, die Geld zu den Herstellern bringt und den Innovationsprozess begleitet. Die soll nun geschaffen werden. Die EU leidet auch darunter, dass nationale Subventionen für die Impfforschung drastisch zusammengestrichen wurden – und zwar schon seit der Jahrtausendwende.

Hätte von der Leyen das erkennen müssen? Unter ihren Vorgängern spielte das Thema Gesundheit regelmäßig eine untergeordnete Rolle. Und selbst als die Pandemie im vergangenen Jahr in Europa schon deutliche Spuren hinterlassen hatte, fehlte bei vielen Politikern der Fokus auf die Impfungen.

Als im Juli das Milliarden schwere Rettungspaket für die Konjunktur ausgehandelt wurde, hat niemand ähnliche Unterstützung für Impfungen gefordert. Kanzlerin Angela Merkel genauso wenig wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Kommen die Impfungen in Europa nicht in Schwung, könnte ein beliebtes Schwarze-Peter-Spiel einsetzen, bei dem die politische Verantwortung nach Brüssel geschoben wird. Es ist ein alter Reflex. Wenn etwas gut läuft, dann reklamieren nationale Politiker die Zuständigkeit. Läuft etwas schlecht, ist im Zweifel Brüssel dafür verantwortlich. In diesem Jahr samt Bundestagswahl könnte das Spiel eskalieren.

Mehr zum Thema: Jens Spahn versucht, politische Verantwortung zu vergesellschaften. Man könnte auch sagen: Er verweigert seine Zuständigkeit.