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So finden kaltgestellte Manager auf die Erfolgsspur zurück

Umstrukturierungen und digitale Transformation verbauen vielen älteren Führungskräften den Aufstieg. Wie können sie an alte Erfolge anknüpfen?

Dass die Sanierung des Versicherungskonzerns nicht einfach würde, war Karsten Böhme* klar. Doch der erfahrene Vertriebsdirektor ahnte nichts Böses, als ihm der für ihn zuständige Vorstand ein Sonderprojekt antrug. Es ginge um die langfristige Sicherung des Vertriebs und die Ausweitung der Geschäftsbeziehungen. Befristet, aber von strategischer Bedeutung, lockte der Vorgesetzte. Nebenbei bemerkte er: Die Umstrukturierungen machten den Umzug in ein neues Büro nötig. Groß, ruhig. Geschmeichelt sagte Böhme zu.

Doch als er dann das leere Zimmer fernab der Vorstandsetage betrat, dämmerte dem 50-Jährigen, dass etwas nicht stimmte. Statt der Verantwortung über die Betriebsdirektionen mit ihren mehreren Hundert Mitarbeitern, hatte Böhme auf einmal noch nicht mal mehr eine Sekretärin. Von Budgetverantwortung oder Entscheidungsfreiheit ganz zu schweigen. Dem Vertriebsdirektor schwante: „So fühlt sich Sackgasse an.“

Plötzlich perspektivlos. Der Frust von Finanzmanager Karsten Böhme ist kein Einzelfall. Ganz im Gegenteil. Der auf Arbeitsrecht spezialisierte Berliner Jurist Christoph Abeln beobachtet „eine zunehmende Zahl von Managern ab 50, die kaltgestellt werden“. Denn die Umstrukturierungswelle brandet einem neuen Höhepunkt entgegen: Die digitale Transformation tangiert nahezu alle Branchen.

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Dazu kommen Fusionen à la Bayer und Monsanto mit Doppelbesetzungen auf vielen Ebenen vom Abteilungsleiter bis zum Vorstand sowie profithungrige Finanzinvestoren, die, wie KKR gerade beim Springer Verlag, verstärkt die Macht in deutschen Unternehmen übernehmen und als Erstes Personalkosten reduzieren.

Besonders hart trifft es Führungskräfte im Mittelbau. Egal, ob sie „Bereichsleiter“ oder „Direktoren“ sind oder englische Titel wie „Vice President“ oder „Head of“ tragen. Wie viele tatsächlich betroffen sind, lässt sich nicht sagen. Beim Deutschen Führungskräfteverband (DFK) in Essen, mit rund 13.000 Mitgliedern eine der größten Vereinigungen der Zunft in Deutschland, ist von „stetig steigenden Fallzahlen“ in der Rechtsberatung die Rede. Sprecher Ralf Krüger sagt mit Blick auf von Energiewende, neuen Mobilitätskonzepten oder Investorenkämpfen gebeutelte Arbeitgeber wie Eon, Continental und Thyssen-Krupp mit starken Gewerkschaften im Haus lapidar: „Führungskräfte sind Verhandlungsmasse.“

Vom Leistungsträger zur lahmen Ente. Kein schönes Gefühl. Die Fluchtbereitschaft des Führungspersonals ist entsprechend hoch. Das zeigt das aktuelle Managerbarometer von Odgers Berndtson, dessen Ergebnisse das Handelsblatt exklusiv veröffentlicht. Rund 2200 Führungskräfte im deutschsprachigen Raum wurden zu ihrer Befindlichkeit befragt. Und 41 Prozent von ihnen sagen „nichts wie weg“.

Dass ihnen beim aktuellen Arbeitgeber die berufliche Perspektive fehlt, geben 48,1 Prozent als Hauptgrund an. 46 Prozent verweisen darauf, dass sich die Rahmenbedingungen in ihrem Unternehmen geändert haben oder sie mit der weiteren strategischen Ausrichtung nicht einverstanden sind. Zudem zweifeln 43 Prozent an der Innovations- und Zukunftsfähigkeit ihres derzeitigen Arbeitgebers.

Die Versetzung ins Ausland droht

SAP setzte in seiner letzten Abbaurunde mit großzügigen Abfindungsangeboten auf freiwilligen Abschied. Andere Arbeitgeber greifen dagegen durchaus zu grenzwertigen Mitteln, um erfahrene und damit vergleichsweise teure Kräfte loszuwerden: Degradierung vom Vice President zum Sachbearbeiter, Verbannung ins „Sterbezimmer“, wie Arbeitsrechtler psychisch belastende Situationen wie die von Versicherungsmanager Böhme nennen. Eine andere Möglichkeit: eine Versetzung ins Ausland.

Die Maßnahmen begründen sich auch durch ein gängiges Vorurteil. Diese Ränge unterhalb der Geschäftsführung werden von denen, die das Sagen haben, gern als „Lähmschicht“ betrachtet. Weil vermeintlich dort die wichtigen Strategie- und Innovationsideen aus der Chefetage versanden.

Im mittleren Management sei der Widerstand gegen Wandel am größten – Mitarbeiter generell wären ja durchaus veränderungsbereit; so lautet eine gängige These unter Topmanagern. Da kann man mit der nächsten Umorganisation doch gleich auf den ein oder anderen dieser Bremser und Blockierer verzichten.

Der neueste Dreh: Manager Audits. Ein Personalberater, möglichst Psychologe, prüft in persönlichen Gesprächen, inwiefern eine hochrangige, erfahrene Führungskraft auf Erfolg gepolt ist. Diese Manager-Diagnostik sei ideal, um die besonders zukunftsfitten Typen im Kader zu identifizieren und sie gezielt zu fördern, preisen Anbieter das Verfahren. „Reine Alibi-Veranstaltung“, urteilt dagegen Jurist Abeln. Es gehe vor allem darum, ältere und damit teure Manager durch jüngere, billigere Kräfte zu ersetzen.

Und auch der Düsseldorfer Karriereberater Jürn-F. Konitzer von Konitzer & Tafel ist skeptisch. Erst neulich traf ein ganzer Schwung Mitglieder der ersten Führungsebene unterhalb der Geschäftsführung eines renommierten Unternehmens bei ihm ein, die zuvor durch die Begutachtung gerasselt waren. Objektive Entscheidung? Konitzer: „Bei den von der Trennung betroffenen Executives ist der berechtigte Eindruck entstanden, dass bereits vor dem Audit feststand, für wen es im Unternehmen keine Zukunft mehr gibt.“

Gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Auch ohne solche Tricks ist die Moral der zweiten oder dritten Führungsebene nicht hoch. Dezentralisieren, zentralisieren und wieder zurück: „Etwa alle drei Jahre wurde umstrukturiert. Irgendwann war ich es müde, dass wir uns vor allem mit uns selbst beschäftigt haben“, erzählt Harald Piel*, ehemaliger Einkaufsleiter eines Konsumgüterkonzerns. „Ich wollte weg, um endlich wieder selbstbestimmt zu arbeiten, ein Unternehmen voranzubringen und das Gefühl zu haben, gebraucht zu werden.“

Wohin die eigene berufliche Reise gehen soll, scheint dagegen vielen Befragten nicht so wichtig: So sind 89 Prozent von ihnen dazu bereit, die Branche zu wechseln. Damit wiederholt sich der Rekordwert vom Vorjahr. Der 54-jährige Piel wechselte schließlich als General Manager zu einem mittelgroßen Verpackungshersteller. Lieber Chef im Mittelstand als Schachfigur im Konzern – ein verbreiteter Wunsch.

Und 67,1 Prozent der Absprungbereiten wären für eine attraktive neue Stelle sogar bereit, ihre Fachrichtung zu wechseln. Also statt zum Beispiel im Automobilbau weiter Verbrennungsmotoren zu entwickeln, sich künftig dem Durchbruch für den Elektroantrieb zu widmen. Oder im Energiesektor „grünen“ Strom zu verkaufen statt Strom aus Kohle oder Gas.

Diese starke Flexibilität der Manager trifft auf Arbeitgeberseite jedoch nicht uneingeschränkt auf Gegenliebe. Zumindest wer mit dem Wechsel einen Sprung in die Spitzenriege der Unternehmenslenker plant, dürfte enttäuscht werden: Denn laut aktuellem Dax-Vorstandsreport 2019, ebenfalls von Odgers Berndtson angefertigt, kommen noch immer 80 Prozent der Vorstandsmitglieder in den 30 Dax-Unternehmen zumindest aus derselben Branche. Und fast 60 Prozent sind sogar Hausgewächse.

Wohin also geht es beruflich für wechselwillige Führungskräfte des Mittelbaus? Welche Optionen haben sie, um zu reüssieren? Die gute Nachricht: „Wir haben einen Kandidatenmarkt“, sagt Markus Trost, Partner von Odgers Berndtson, der seit fünf Jahren im Technologieumfeld, von Automobil über Energie bis Telekommunikation, hochkarätige Vakanzen besetzt. Nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels, der einen massenweisen Rückzug der Babyboomer-Generation in die Rente auslöst, besteht in vielen Unternehmen akuter Nachbesetzungsbedarf an klassischem Führungspersonal.

Vom Abteilungsleiter bis zum Geschäftsführer: Neuzugänge sind dabei weniger statusbewusst als ihre Vorgänger, dafür aber teamorientierter. Als Chef eher Typ Moderator als Kommandeur. Wer allem voran handfeste Erfolge aus seinem jeweiligen Verantwortungsgebiet souverän präsentiert, bekommt anderswo durchaus eine neue Chance – auch, wenn er vom bisherigen Arbeitgeber nicht mehr gewollt wurde.

Das zumindest zeigt eine aktuelle Auswertung der Düsseldorfer Outplacement-Beratung Konitzer & Tafel, die Manager ab einem Einkommen von 150.000 Euro plus betreut: 450 Mandanten im Alter zwischen 45 und 55 Jahren haben im Schnitt in den letzten fünf Jahren jeweils acht Monate gebraucht, bis sie wieder untergekommen sind – egal, ob männlich oder weiblich. Dafür aber mit einem durchschnittlichen Einkommensplus von sieben Prozent auf der neuen Position.

Neue Aufgeschlossenheit

Und immerhin, die Branchendurchlässigkeit sei unterhalb der Vorstandsebene in letzter Zeit tatsächlich gestiegen, beobachtet Headhunter Markus Trost. Immerhin bräuchten viele Konzerne und Mittelständler frisches Know-how und neue Impulse für die Produkte der Zukunft. „Konnte man zum Beispiel noch vor wenigen Jahren ohne Benzin im Blut einen Wechsel in die Automobilbranche vergessen“, erzählt Trost, „erwarten inzwischen mehrere Mandanten von uns, dass wir ihnen Quereinsteiger als Kandidaten präsentieren.“

Voraussetzung allerdings: Die Stellenanwärter punkten mit Daten- oder sonstiger Fachexpertise oder präsentieren sich als profunder Kundenkenner. Dazu gehört Know-how zu den diversen Berührungspunkten mit Kunden, ob on- oder offline, von Werbespot über den Web-Shop bis zum Arbeitgeberbewertungsportal, um Marketing und Vertrieb einer Marke und ihrer Produkte optimal auszurichten.

Als bestes Beispiel für den zunehmend gefragten neuen Managertypus gilt Christian Klein. Der neue Co-Chef bei SAP ist ein echtes Novum: Der 39-Jährige ist nämlich der erste, aber vermutlich nicht der letzte Dax-CEO, der aus der Entwicklung kommt. Produktdesigner statt Finanzgenie. Denn, ob Automobilindustrie, Handel oder Finanzsektor – alle eint dieselbe Herausforderung im digitalen Zeitalter: die Bedürfnisse ihrer Kunden möglichst frühzeitig zu erkennen, die entsprechenden Produkte rasch zu entwickeln und erfolgreich zu vermarkten.

Headhunter Trost jedenfalls macht angesichts dieser ungewöhnlichen Personalie den von Restrukturierungen Betroffenen oder Genervten Mut: „Veränderung bringt immer auch neue Chancen.“

*Name von Redaktion geändert