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So abhängig ist die Post von Amazon

Anleger wie Mitarbeiter erreichte die Warnung wie ein nicht bestelltes Eilpaket. Der Gewinn werde dieses Jahr um eine Milliarde Euro geringer ausfallen als geplant, offenbarte Post-Chef Frank Appel am 8. Juni. Schuld seien Versäumnisse in der 18 Milliarden Euro Umsatz schweren Brief- und Paketsparte. Um sie vor Schlimmerem zu bewahren, habe man nun ein 500 Millionen Euro teures Sanierungsprogramm angeschoben.

Kaum hatte der 56-Jährige die Rettungsmaßnahmen verkündet, sackte der Aktienwert um mehr als acht Prozent nach unten – ein Einbruch, der sich inzwischen weiter verstärkt. Jürgen Gerdes, der für die Misere verantwortliche Vorstand, musste inzwischen das Haus verlassen.

So überraschend aber, wie der Vorstandsvorsitzende die Ertragsschwäche der Pakettochter DHL durch den plötzlichen Rauswurf darstellte, ist der Niedergang der größten Konzernsparte keineswegs. Jedenfalls nicht für die Führungsriege. Das geht aus einer internen Präsentation hervor, die dem Handelsblatt vorliegt. In ihr hatte Gerdes sein Haus schon am 11. Mai 2017 vor drohenden Ertragseinbrüchen gewarnt.

Verursacher der Misere, die das Paketgeschäft der Deutschen Post betrifft, ist Amazon. Anders als es Konzernchef Appel bislang darstellte, nagt das US-Internetkaufhaus mit angeschlossenem Logistikbetrieb gleich von zwei Seiten am Gewinn der Bonner. Das belegen die internen Papiere.

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So verliert DHL zum einen durch Amazon-eigene Zustelldienste weit mehr an Umsatz, als es die Post bislang eingestehen wollte. 154 Millionen Pakete werde Amazon 2022 in Deutschland wohl selbst verteilen, erwartet man laut geheimer Vorstandsvorlage. DHL verblieben danach nur noch 360 Millionen.

Bisher wiegelte die Post ihre Abhängigkeit von Amazon immer ab. „Kein Kunde hat bei uns mehr als zwei Prozent unseres Gesamtumsatzes“ sagte Appel noch am Wochenende der „Wirtschaftswoche“. Aus dem Vorstandspapier geht aber hervor, dass Amazon für 17,6 Prozent DHL-Paketmenge steht.

Amazon kassiert Gewinne

Schon bis zum Jahr 2020, prognostizierten Manager im Führungskreis der Post, könnte Amazon deutschlandweit mit eigener Zustelllogistik vertreten sein – zumindest in den 13 bis 14 wichtigsten Metropolregionen. Damit aber verhindere der US-Konzern bei DHL geplante Gewinne. 2022 fehlten, so ließ es das Gerdes-Ressort errechnen, voraussichtlich 115 Millionen Euro vor Zinsen und Steuern.

Zum anderen setzt Amazon die Bonner schon jetzt preislich massiv unter Druck, indem der US-Riese auf Billigkonkurrenten wie die Otto-Tochter Hermes umschwenkt. „Die Preise von DHL liegen 15 Prozent über denen von Hermes“, zitiert die Vorstandsvorlage eine Beschwerde von Amazons Europa-Transportchef Hauke Hansen, der die Preislücke durch Qualitätsunterschiede, so der Bericht, als „nicht gerechtfertigt“ ansieht.

Ein Problem, das dem Bonner Dax-Konzern schon Mitte 2017 bewusst war. „Der wahrgenommene Preisunterschied zwischen DHL und Hermes“, heißt es in der internen Vorlage, „ist wahrscheinlich realistisch.“ Ein Sparprogramm, mit dem man jährlich um die 13 Millionen Euro günstiger werden wolle, sei eingeleitet. Nun aber würden weitere Produktionsverbesserungen notwendig. So unter Druck gesetzt, empfahl der Vorstand schon vor gut einem Jahr, auf eine mit Amazon verhandelte Preiserhöhung zu verzichten.

Bei all den diskutierten Maßnahmen hatte der Vorstand peinlich darauf geachtet, dass nichts an die Öffentlichkeit drang. Stattdessen übte sich der Gelbe Riese in Selbstgewissheit. Die Deutsche Post biete „hervorragende Qualität“, beteuerte Appel, vom Handelsblatt nach der Wettbewerbsrolle des mächtigen US-Auftraggebers befragt.

Auch Paketvorstand Gerdes wiegelte ab, spielte die Konkurrenzgefahr herunter. „Würden wir Angst vor Amazon haben“, betonte er wenige Wochen vor der Krisensitzung im Mai 2017, „hätten wir etwas falsch gemacht.“

Die Gefahr, Amazon könnte durch die eigenhändige Paketzustellung die Preise drücken, wischte Gerdes auf Nachfrage beiseite. Das Geschäft müsse für den Kunden wie für DHL sinnvoll sein, erklärte er kategorisch, „sonst kommt es nicht zustande“. Schließlich sei man „nicht erpressbar“.

Das aber ist die Post offenbar doch. Man diskutiere intern, die für den 1. August vereinbarte Preiserhöhung um 1,5 Prozent auszusetzen, heißt es in der Präsentation. Den Grund lieferte die Gerdes-Division gleich mit: „Eine Preiserhöhung von DHL würde das Paketvolumen 2018 verringern.“

Zweifel sind angebracht

Zu dem Papier selbst schweigt die Post. Man äußere sich weder zu internen Besprechungen noch zu Verhandlungen mit Partnern, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Von einer zu spät veröffentlichten Gewinnwarnung will man ebenfalls nichts wissen. „Wir haben so gehandelt, wie die rechtlichen Vorgaben sind“, heißt es offiziell.

Zweifel aber sind angebracht. Wie groß der Preisdruck die DHL-Paketsparte schon vor 15 Monaten traf, belegen interne Zahlen. Demnach wuchs das Paketvolumen Amazons im ersten Quartal 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent, die Aufträge des US-Riesen an DHL nahmen jedoch nur um 17 Prozent zu. Als größten Gewinner bezeichnete die Führungsriege der Post den Wettbewerber Hermes. Berechnungen zufolge legte dieser um 45 Prozent zu – und erhielt damit im ersten Quartal 2017 mehr Neuaufträge als die Brief- und Paketsparte der Post.

Die Gerdes-Sparte blieb unter Plan. Hatte sie in den ersten vier Monaten 2017 damit kalkuliert, die Vorjahresmenge von Amazon um 27 Prozent auf 87,2 Millionen zu steigern, standen Ende April lediglich 80,1 Millionen in den Büchern.

Statt aber die eigenen Anleger vor den sich anbahnenden Ertragsrisiken zu warnen, hielten Appel und Gerdes tapfer an ihrer Ertragsprognose fest, die bis ins Jahr 2020 reicht. Skeptikern gegenüber gaben sie Entwarnung. Das US-Internetkaufhaus habe zugesagt, den Lebensmittel-Auslieferungsdienst „Amazon Fresh“ über die Post-Tochter DHL abzuwickeln, verkündeten sie stolz.

Tatsächlich hatten Beobachter fest damit gerechnet, dass Amazon die Belieferung selbst organisieren würde – wie in den USA oder in Großbritannien. In Deutschland aber konterte DHL mit einem unschlagbaren Preisangebot – Ertrag fraglich.

Der scheint im Amazon-Geschäft ohnehin vergleichbar geringer auszufallen. So beziffert der Vorstandsbericht den Ertrag (Deckungsbeitrag 2) eines üblichen Pakets, das selbstständige Amazon-Marktplatzanbieter versenden, mit 34,5 Cent. Die Marge der von Amazon selbst beauftragten Sendungen gibt er dagegen nur mit „bis zu 0,21 Euro“ an. Bedenklich dabei: Laut Vorstandsvorlage standen Amazons 253 Millionen Pakete im vergangenen Jahr für 17,6 Prozent des Gesamtvolums. Der US-Konzern war damit größter Kunde.

Der Ertragsunterschied verwundert kaum. Schließlich berechnet DHL Amazon pro Paket gerade einmal 2,55 Euro, von dessen Marktplatzversendern verlangt die Post-Tochter dagegen durchschnittlich 2,97 Euro.

Das aber weiß offenbar längst auch der Großkunde und drängte im vergangenen Jahr auf ein einheitliches Preisniveau. „Für die Post ist eine solche Forderung eine brutale Nummer“, urteilt ein Brancheninsider in Frankfurt, der lieber namentlich nicht genannt werden möchte. „Eine solche Bestpreisklausel widerspricht komplett den üblichen Geschäftspraktiken von DHL.“

Entsprechend alarmiert zeigte sich das Führungsteam im Mai 2017. Lehne man das Ansinnen Amazons ab und verliere dadurch dessen Marktplatzanbieter als Kunden, warnte die Gerdes-Division, folge daraus ein Ertragsrückgang von bis zu 240 Millionen Euro.

Die Alternative sei ebenfalls ungünstig. Falls man dem sogenannten „Merchant Fulfillment Network“ (MFN) umfassende Preistransparenz gewähre, müsse DHL einen Renditerückgang von 75 Millionen Euro verkraften. Weitere sieben Millionen Euro gingen außerdem verloren, weil Amazon für die Vermittlung der vergünstigten Versandaufträge eine Kommission von drei Prozent verlangen wolle.

Wie sehr sich Amazon mit seinen Forderungen durchsetzen konnte und ob der Rahmenvertrag inzwischen unterschrieben ist, wollten weder Sprecher bei der Post noch bei Amazon kommentieren. Sicher ist aber, dass Amazon seinen selbstständigen „Prime by Seller“-Händlern nun die Möglichkeit einräumt, über eine Amazon-Software eigenständig DHL-Versandetiketten auszudrucken, mit denen sie die Pakete günstig aufgeben können.

Ein Händler berichtete dem Handelsblatt zudem, Amazon erlaube ihm, seine Pakete direkt in ein Lager des Internetriesen einzuliefern, von wo sie dann in den Versand gehen. Für Sendungen bis 30 Kilogramm stelle ihm Amazon anschließend 3,25 Euro in Rechnung. Ein lohnendes Geschäft – und zwar für beide Seiten.

Streit über Paketautomaten

Weitaus erpressbarer als behauptet zeigt sich die Post intern auch bei der Frage der Paketautomaten. Seit August 2016 überzieht Amazon die Bundesrepublik mit zwei Meter hohen Schließschränken, vorzugsweise auf dem Gelände von Shell-Tankstellen und Edeka-Supermärkten. Die in der Regel mit 55 Einzelfächern ausgestatteten „Locker“ nutzt das Internetkaufhaus für die eigene Paketzustellung, die Amazon im Oktober 2015 in Deutschland startete – und inzwischen in acht Großstadtregionen betreibt. Mithilfe der Locker können Adressaten selbst dann beliefert werden, wenn niemand daheim ist.

Bei der Post sorgt das offenbar für mehr Unruhe, als man bislang zugestehen wollte. Amazons Paketautomaten könnten die Auslastung der knapp 3000 eigenen Packstationen mindern, lautet die interne Warnung. Von den 29 Millionen Sendungen, die 2016 in den gelben Schließfächern landeten, stammten immerhin 44 Prozent von Amazon.

Die Abwehrstrategie aber beschränkte sich bislang auf eher symbolische Gefechte. Anfang 2017 forderte DHL den US-Riesen auf, seine bis dahin ebenfalls gelben Locker, die der chinesische Hersteller Zhilai aus Shenzhen liefert, mit anthrazitgrauen Folien zu bekleben. Schließlich sei das Postgelb eine markenrechtlich geschützte Farbe.

Den erwarteten 500 deutschen Amazon-Lockern den Kampf anzusagen, indem man sie nicht beliefert, kommt für DHL aber kaum infrage. Dann bekomme die Aufträge eben Hermes, lautet die Furcht. Möglicherweise melde sich sogar das Kartellamt, wenn man die grauen Schließfächer links liegen lasse.

So riet die Gerdes-Division als Ausweg aus dem Dilemma, dem größten eigenen Kunden das Geschäft zu erschweren, indem man dessen Wettbewerber fördert. Man müsse die Partnerschaft mit den chinesischen Amazon-Rivalen Alibaba und JD.com stärken, empfiehlt die Vorstandsvorlage. Internetkunden müsse der Einkauf direkt über Google erleichtert werden, unterstützt durch den Post-eigenen Marktplatz Allyouneed.

Den Amazon-Wettbewerbern solle auch operativ unter die Arme gegriffen werden, etwa durch umfassenden Versandservice, Belieferungen am Bestelltag („Same Day Delivery“) oder Kurierfahrten. Sogar lokale Online-Marktplätze müssten durch die Brief- und Paketsparte gegründet und unterstützt werden, fordert das Vorstandspapier, um kleinen Händlern den Weg ins Internet zu bahnen.

Ein Heer von Tante-Emma-Läden als Phalanx gegen Amazon? Das ist eine Verteidigungsstrategie, an deren Wirksamkeit Zweifel aufkommen mögen.